Heimat, Heimatgefühl, Heimweh, Erinnerung und Sehnsucht

28. März 2007

Allgemeiner Bericht

Weshalb so viele Begriffe in einem Titel, werden sich viele fragen. Weil sie alle zusammengehören, ineinander übergehen und eng mit unserem Gefühlsleben verbunden sind.
In welchem Maße das bei jedem von uns der Fall ist, gibt es bestimmt große Unterschiede. Wenn ich an unsere Tekeser denke, von denen der Großteil Jahre oder Jahrzehnte an einem Ort in einer geschlossenen Gemeinschaft gelebt haben und denen ein gleiches oder ähnliches Schicksal beschieden war, kann ich behaupten, dass sie sich auch durch gemeinsame oder ähnliche Heimatgefühle verbunden fühlen. Über den Begriff Heimat ist viel geschrieben und gesprochen worden, sei es in Form von Definitionen, in Gedichten, Liedern, Erzählungen, Berichten, Romanen oder Filmen. Aber es gibt kaum zwei Menschen, für die der Begriff "Heimat" die gleiche Bedeutung hat. Einigen bedeutet es gar nichts und es gibt sogar Menschen, die jeden belächeln, der von Heimat und Heimatgefühlen spricht.
Unser Landsmann Hermann Folberth aus Vilshofen schickte mir einen Text, der unter dem Titel "Heimat ist ..." eine Reihe von Definitionen nach verschiedenen Gesichtspunkten enthält, von denen ich einige hier anführe: - eine Landschaft, mit Flüssen, Bäumen, Wegen und Straßen - geboren werden, heranwachsen, essen, trinken, Tageszeiten, Jahreszeiten - Gerüche, Geschmack, Spiele, Abenteuer, Körper- und Schmerzerfahrung - Mutter, Vater, Geschwister, Verwandte, Spielkameraden, Schulfreunde, Nachbarn und Freunde - Sitten und Gebräuche, Schule, Verein, Feste, Feiern, Bildung und Ausbildung - hören, sprechen, lesen, schreiben, Geschichten und Märchen, Erfahren und Ersinnen - Kirche, Gemeinde, Lieder, Gebet, Feste, Rituale und Traditionen Zu diesen möchte ich für uns Tekeser noch hinzufügen: - Haus, Hof, Stall, Scheune, Garten, und Feld Ich will es nicht bei diesen Definitionen lassen, sondern versuchen zu erklären, weshalb es unter den Menschen, so auch bei uns Tekesern, so unterschiedliche Auffassungen und Gefühle über den Begriff Heimat gibt.
Es ist bekannt, dass sich die Erlebnisse und Erfahrungen aus der Kindheit und Jugendzeit am tiefsten und bleibendsten im Gefühl und in der Erinnerung eines Menschen eingraben. Die ältesten unter uns haben in ihrer Kindheit fast ausschließlich nur Tekes gekannt, mit fast allem, was die obigen Definitionen enthalten. So konnte sich bei ihnen ein tiefes Heimatgefühl ausprägen. Etwas anders sieht es bei denen aus, die vor allem nach 1945, früh Tekes verließen, im Laufe der Jahre ihren Wohnort mehrmals wechselten und nur noch gelegentlich als Gast nach Tekes kamen. Ihnen kann man ein gewisses Heimatgefühl nicht absprechen, aber vergleichbar mit dem der sogenannten "Alten" ist es nicht.
Die vielen Lieder, in denen vom Abschied von der Heimat oder der Sehnsucht nach der Heimat die Rede ist, und auch heute noch bei gemütlichem Beisammensein hauptsächlich von den Alten gesungen werden, stammen noch aus den Zeiten, wo der Abschied von der Heimat, und das war Tekes, ein großes, tragisches Ereignis war. Denken wir nur an die Augenblicke wo die jungen Burschen zum "Militär einrücken" mussten, wie schwer das einigen fiel und wie das in Liedern und dem ganzen Gebaren zum Ausdruck kam. Wie viele hat das Heimweh während des Militärdienstes, als Soldat während des Krieges oder in der Russlandverschleppung geplagt. Beim Heimweh spielt auch die individuelle Veranlagung eine Rolle, so dass man nicht sagen kann, dass ein Mensch, der kein Heimweh hat, kein tiefes Heimatgefühl besitzt. Ich erlaube mir hier ein Beispiel aus meiner Familie anzuführen. Die meisten der Dienstmädchen, die in unserer Familie tätig waren, kamen aus Tekes. Obwohl es ihnen bei uns nicht schlecht ging und sie nicht schwerer arbeiten mussten als zu Hause, hat mein Vater oder meine Mutter, die eine oder andere am Abend weinend, auf ihrem Bettrand sitzend, gefunden. Die Anwort auf die Frage, weshalb sie weine, war: "Ech wal himen" (Ich will nach Hause), also das Heimweh war der Grund. Erwähnenswert sind hier auch die Lieder und Gepflogenheiten wenn junge Menschen in Tekes heirateten und von der Familie Abschied nahmen. In fast allen Fällen war das nicht eine gespielte Zeremonie, sondern ein tiefgreifendes Ereignis, aus den sicheren Schößen der Familie auszuscheiden. Über den Abschied von der Heimat bei der Aussiedlung her nach Deutschland könnten wir noch viele Seiten füllen. Die Tatsache, dass die meisten Tekeser hier die Nähe ihrer Verwandten oder die von Landsleuten gesucht haben, ist Beweis dafür, dass sie sich dadurch ein "Stückchen alter Heimat" mitgebracht haben. Um nicht zu weit auszuschweifen, kurz einiges über Erinnerung und Sehnsucht. Wir Menschen besitzen die gute, vielleicht auch schlechte Eigenschaft, uns zu erinnern. Gut ist. das die meisten Menschen, -leider nicht alle-, mit zunehmenden Alter, die schlechten Erinnerungen verdrängen und die guten Erinnerungen immer mehr in den Vordergrund treten. So ist es kein Wunder, dass viele von uns sich nicht nur an all das Schöne in unserem Leben aus vergangenen Zeiten, sondern auch an unsere alte Heimat erinnern. Da kann manchen die Sehnsucht bewältigen, ein Gefühl das sich vom Heimweh unterscheidet. Wie das Wort Heimweh es auch sagt, tut hier etwas richtig weh. Sehnsucht kann einen wohl auch traurig stimmen, wenn man weiß, dass etwas nicht mehr zurückkehrt. Sie kann aber auch ein Ansporn sein, doch etwas zurückzuholen, oder etwas Wertvolles das zeitweilig aus unserer Erinnerung verschwunden war, mitzunehmen auf den weiteren Lebensweg.
Weshalb organisieren wir jedes dritte Jahr ein Treffen der Tekeser? Weil es für viele ein Bedürfnis ist, einen kleinen Teil dessen, was für sie Heimat bedeutete, hier wiederzufinden.
Der eigentliche Grund, weshalb ich dieses umfassende Thema hier angeschnitten habe ist folgender. Ich stelle fest, dass in sehr vielen Fällen auch bei uns Tekesern, alt und jung, sich immer mehr auseinanderleben. Zwischen Generationen hat es aber immer Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen gegeben. Wir sind hier nicht in unserer alten Heimat, sondern zum Teil noch Fremde, Entwurzelte, von denen, vor allem die Alten schwer richtig neue Wurzeln schlagen können, um sicher im Leben zu stehen. Da ist es sehr wichtig, dass man versucht sich gegenseitig mehr Verständnis entgegenzubringen. Den Alten möchte ich raten einzusehen, dass bei jungen Leuten die Erinnerung und Sehnsucht nach Vergangenem nicht im Vordergrund stehen kann, dass diese die Gegenwart und Zukunft vor Augen haben müssen und hier ihr Leben nach anderen Maßstäben gestalten müssen als in unserer alten Heimat. Aber ihnen und ihren Kindern können die Alten in taktvoller Art Werte vermitteln, die nicht nur in unserer alten Heimat, sondern auch hier und heute Bestand haben.
Den Jungen, die sich hier richtig integrieren müssen und wollen und dabei sind sich eine sichere Existenz aufzubauen, möchte ich ans Herz legen, nicht zu vergessen, dass ältere Menschen nicht mehr die Zukunft vor Augen haben können und schwer oder gar nicht hier richtig eine zweite Heimat finden. Also stehen bei ihnen, im besten Falle Gegenwart, aber meist Vergangenheit und Erinnerung im Vordergrund. Folgender Ausspruch: "Was jammert ihr und denkt immer an die alte Heimat, hier geht es Euch ja gut, oder noch besser als dort" kann nie aufbauend für einen alten Menschen wirken. Es gibt noch viele Dinge, die für die Alten einen Teil Heimat bedeuten, seien es Gegenstände, Kleidung oder anderes, was jungen Leuten komisch erscheint. Lasst sie damit leben und schämt euch nicht, wenn eure "Alten" nicht modern gekleidet sind und alles akzeptieren, was heute und hier "in" ist.
Aber wichtiger als eine gute Wohnung, Essen und Kleidung ist das Bedürfnis der Alten "wahrgenommen" zu werden, das heißt, dass Kinder und Enkelkinder nicht nur, wie man sagt, "zu sieben Pfingsten" oder wenn man Geld braucht, sie besuchen, sondern ihnen öfters einen "guten Tag" wünschen. Denn Kinder, Enkelkinder und liebe Verwandte und Bekannte sind ein wichtiger Teil dessen, was wir Heimat nennen und wonach sich manche Alten vergebens sehnen. Folgende Beiträge mögen all diese Gedanken bestätigen und ergänzen.

Erwin Thot (Beitrag im „Heimatblatt der HOG“, Ausgabe 7, Februar 2002)

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