Die "Freiwilligen" und ihre Schicksale

2. Mai 2007

Allgemeiner Bericht

Man schrieb das Jahr 1943
Im vierten Jahr tobte schon der zweite Weltkrieg. Die deutsche Armee hatte Polen, Frankreich und andere europäische Länder erobert, kämpfte aber noch mit mehr oder weniger Erfolg an mehreren Fronten, so auch gegen die Sowjetunion, gemeinsam mit der rumänischen Armee.
1941, als der Feldzug der Deutschen gegen die Russen begann, hatte sich auch Rumänien, unter der Führung der Antonescu-Regierung, den Deutschen angeschlossen. Viele Siebenbürger Sachsen dienten damals als Wehrpflichtige in der rumänischen Armee. Weil die Bedingungen in der rumänischen Armee bedeutend schlechter waren als in der deutschen, haben viele Sachsen versucht, auf verschiedenste Weise, sich den deutschen Truppen anzuschließen. Tekeser waren nicht unter ihnen.
Schon 1940, nach der Gründung der Deutschen Volksgruppe in Rumänien, hatte der damalige Volksgruppenführer Andreas Schmidt, illegal 1000 Jugendliche, hauptsächlich aus Siebenbürgen und Bessarabien, für die deutsche Armee angeworben und sie, getarnt als landwirtschaftliche Arbeiter nach Deutschland geschleust, wo sie in die Wehrmacht oder Waffen SS eingegliedert wurden. Der Brigadeführer Berger, einer der wichtigsten Verantwortlichen für die Waffen SS, auch Schwiegervater von Andreas Schmidt, war daran interessiert, alle deutschen Wehrpflichtigen aus den Oststaaten, wie Rumänien, Ungarn u.a. in die deutsch Armee einzugliedern, und wurde dabei von Andreas Schmidt voll unterstützt.
Obwohl 1943, nach der Einkesselung und Zerschlagung der 6. deutschen Armee, und großen Teilen der rumänischen Truppen, bei Stalingrad, es klar war, dass ein Krieg gegen die Sowjetunion nicht mehr gewonnen werden konnte, und auch an anderen Fronten die Deutschen mit ihren Verbündeten Niederlagen erlitten, versuchte der oben genannte Berger, die Eingliederung der deutschen Wehrpflichtigen aus Rumänien und Ungarn in die deutsche Armee zu legalisieren.
Das geschah bei einem Treffen von Hitler und Antonescu im April 1943, und wurde am 12. Mai 1943 als das sogenannte Waffen SS-Abkommen unterzeichnet. Die Führung der deutschen Volksgruppe, an der Spitze mit Andreas Schmidt, hatte schon vor der Unterzeichnung begonnen, an alle Wehrpflichtigen aus den Geburtsjahren 1908 bis 1925, eine öffentliche Aufforderung zu richten, sich freiwillig einer Musterungskommisssion zu stellen, zwecks Eingliederung in die deutsche Armee.
Wie wurde die Aufforderung in Tekes wahrgenommen? Wie bei allen Siebenbürgern, gab es auch bei den Tekesern eine gewisse Begeisterung für das Deutsche Reich, denn als nationale Minderheit sah man in Deutschland eine Stütze. Weitere Begründungen sollen hier nicht mehr besprochen werden. Hier ging es um die Tatsache, dass sogar junge Burschen, die das 18. Lebensjahr zum Teil noch gar nicht erfüllt hatten, in den Krieg ziehen sollten, der nach Ansicht vieler schon als verloren galt. Ältere Männer, die im 1. Weltkrieg als Soldaten sogar gegen Russland gekämpft hatten, und von denen einige mehrere Jahre in Kriegsgefangenschaft verbracht hatten, wussten was Krieg bedeutet, und hatten nicht vergessen, dass 40 Tekeser Burschen und Männer dabei ihr Leben lassen mussten. Sie waren skeptisch, und auch die jüngeren wehrpflichtigen Männer, die Frau und Kinder allein lassen mussten. Aber keiner getraute sich, nein zu sagen.
Das soll keine Anklage oder Verurteilung sein, denn man lebte in einer Diktatur, selbst wenn sie auch nicht so brutal war wie die kommunistische Diktatur nach 1944. Von Seiten der Volksgruppe wurde auch reichlich Druck ausgeübt, indem Männer, die versuchten, sich der Musterung zu entziehen, als "Drückeberger", oder sogar als "Volksverräter" bezeichnet wurden. Männer und Burschen, die bereits in der rumänischen Armee dienten, zogen es vor in die deutsche zu wechseln, soweit sie von den Rumänen freigestellt wurden. Bloß bei den jungen Burschen schien sich so etwas wie eine Begeisterung bemerkbar zu machen. Singend und mit wehenden Fahnen zogen einige durch das Dorf. Es war aber auch viel Wehmut bei der ganzen Sache, ähnlich wie früher, wenn die Rekruten zum Wehrdienst "einrücken" mussten.
Von den Schrecken des Krieges, die auf sie warteten, hatten sie keine Ahnung. Es wurde auch das Gerücht verbreitet, dass die jüngsten von ihnen vorläufig nicht als Soldaten zum Einsatz kommen würden. Alles nahm aber seinen gut geplanten Lauf.
Nach einer feierlichen Verabschiedung, ging am 15. Mai 1943 der erste Transport, hauptsächlich mit den jüngsten "Freiwilligen" aus Tekes weg. Am 16. und 27. Juli 1943 folgten noch zwei Transporte, hauptsächlich mit denen, die aus der rumänischen Armee entlassen wurden, um sich in die deutsche Armee einzugliedern. Ihr Weg führte über Wien, wo sie, nach einer Musterung, den verschiedenen Waffengattungen der SS zugeteilt wurden. Es folgte eine kurze, aber harte Ausbildung, und dann, für die meisten, der Kriegseinsatz, hauptsächlich an der Ostfront, oder in Jugoslawien zur Bekämpfung der Partisanen. Nach einer Statistik, erstellt von Michael Mathiä, leisteten insgesamt 146 Tekeser Männer und Burschen Wehrdienst im zweiten Weltkrieg, 114 bei der SS und 32 bei rumänischen Einheiten. Von den 146 waren 84 ledig und 62 verheiratet. Von den 62 verheirateten ließen 59 insgesamt 246 Kinder zurück. Der Krieg forderte seine Opfer. Von den 146 Kriegsteilnehmern fanden 42 den Tod, 31 bei der deutschen, und 11 bei der rumänischen Armee.
Es ist bekannt, dass Rumänien am 23. August 1944, einige Monate vor Kriegsende, das Bündnis mit Deutschland kündigte und gemeinsam mit der Sowjetunion gegen die Deutschen kämpfte. So kamen auch einige Tekeser, die bei der rumänischen Armee dienten, in die schwierige Lage, gegen die eigenen Brüder zu kämpfen. Alle Angehörigen der Waffen SS wurden zu Staatsfeinden erklärt, und konnten zunächst nicht in ihre Heimat zurückkehren. 4 von ihnen, die am 23. August 1944 in Tekes ihren Kriegsurlaub verbrachten, wurden festgenommen und in ein Internierungslager gebracht. 2 von ihnen, die unverheirateten, wagten es von dort abzuhauen, kamen nach Hause, mussten aber lange, bis nach der Russlandverschleppung, versteckt leben. Die beiden anderen Lagerinsassen wurden den Russen übergeben, kamen in russische Kriegsgefangenschaft, von wo sie erst 1948 heimkehrten.
Von den 79 Überlebenden der Waffen SS, die sich nach dem Krieg in Deutschland oder irgendeiner Kriegsgefangenschaft befanden, wagten es, gleich nach dem Kriegsende, nur sehr wenige, nach Tekes zurück zu kehren, und das auf abenteuerlich Art, über viele Landesgrenzen hinweg.
Erst als eine Art Amnestie für SS Angehörige erlassen wurde, kehrten noch weitere Tekeser in ihre Heimat zurück. Bloß 31 waren es, die in Tekes weiterleben konnten, aber in anderen Formen und Bedingungen als vor dem Krieg. 52 fanden in Deutschland, wenige sogar in England oder Amerika eine neue Heimat. Leider wurden dadurch auch Familien auseinander gerissen, ein zusätzlicher Faktor, der das Ende der Geschichte der Siebenbürger Sachsen einleitete. Wir sollten nicht nur bei statistischen Daten bleiben, sondern versuchen, uns in die Lage derer zu versetzen, die Monate oder Jahre ununterbrochen die Schrecken des Krieges ertragen mussten.
Stellen wir uns einen Tekeser Burschen vor, der kaum 18 Jahre alt ist und neben sich seinen Landsmann, Schulkameraden oder besten Freund verbluten sieht, ohne ihm helfen zu können, oder den schwerverwundeten Freund in seinen Armen hält und ihm nach dem letzten Atemzug nur noch die Augen schließen kann.Unzählig sind die Leiden und Schreckenserlebnisse dieser unschuldigen Menschen, die den Krieg praktisch durchführen mußten, den die Machthaber und Diktatoren angezettelt hatten.
In Kriegszeiten wurde immer wieder vom so genannten "Heldentod" gesprochen und geschrieben, wenn Angehörigen eine Todesnachricht überbracht wurde. Keiner der Toten wollte gerne sterben, um nachher als Held gepriesen zu werden. Ich möchte hier nicht auch von Heldentum sprechen, aber von Hochachtung diesen Menschen gegenüber, die glaubten, für eine gute Sache zu kämpfen, und heute, nach mehr als einem halben Jahrhundert nach Kriegsende immer wieder angeprangert werden, und das von Menschen, die in Frieden und Freiheit geboren wurden und leben, sogar die Freiheit besitzen, den Wehrdienst mit der Waffe zu verweigern.
Heutzutage werden manchem Schwerverbrecher vor Gericht mildernde Umstände zugesprochen, wenn er in seiner Kindheit oder Jugend schwere psychische Belastungen ertragen mußte. Fragt heute jemand danach, welche psychischen Belastungen und Schäden diese Soldaten, die man auch heute noch immer wieder verdammt, hinnehmen mußten? Die Medien und selbsternannten Kritiker können wir nicht beeinflussen. Aber im engeren Rahmen der Familie und Verwandtschaft sollten wir diesen wenigen Menschen, die heute noch leben, das nötige Verständnis und die nötige Achtung zeigen. Die meisten von ihnen haben all die schrecklichen oder überwunden und erzählen immer wieder von Ereignissen aus dem Krieg, die fast jeder in der Familie schon kennt. Ein geduldiges Zuhören hilft ihnen, im Gegensatz zu ungeduldigen Bemerkungen, wie: "Das hast du schon hundertmal erzählt", oder "Hör bloß auf wieder vom Krieg zu erzählen", oder was noch kränkender ist, "Lob dich nicht wieder mit deinen Heldentaten aus dem Krieg".
Diese Menschen wollen nicht als Helden dastehen, müssen aber etwas loswerden, was sie mehr oder weniger belastet. Einen dritten Weltkrieg hat es nicht gegeben und wird es auch nicht geben. Aber seit 1945 sind noch viele Kriege geführt worden.
Es wurde und wird auch heute noch viel von Frieden gesprochen und einiges auch dafür getan. Dennoch wird in der Welt weiter Krieg geführt. Als einzelner Mensch können wir nichts dagegen tun. Vielleicht vergessen wir aber zu oft, dass der Frieden schon im engsten Menschenkreis, der Familie, der Verwandtschaft, oder im Freundeskreis beginnt. Und das sollten wir beherzigen.

Erwin Thot (Beitrag im „Heimatblatt der HOG“, Ausgabe 8, Februar 2003)

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