Wer war Edith Melchior?

2. Mai 2007

Allgemeiner Bericht

1923 - 2003
Einen Menschen der im Jahre 2003 das 81. Lebensjahr erreichte und nicht ständig in Tekes gelebt hat, werden viele Tekeser, vor allem die jüngeren unter uns, nicht kennen. Weniger eine persönliche Freundschaft zu der gebürtigen Tekeserin, sondern vielmehr ihre Verdienste, die über die Grenzen von Tekes hinaus reichen, bewegen mich, hier mein Bedauern über ihren Tod zum Ausdruck zu bringen, und kurz über ihr Leben und Wirken zu berichten. Edith Melchior wurde am 18. Februar 1923 in Tekes geboren, als Tochter des Andreas Melchior und der Frieda Melchior, geborene Kirschner. Ihr Vater war gebürtiger Tekeser, eines der 10 Kinder des „reichen Melchior", (Rech Ondjersgarch).
Ihre frühe Kindheit und die ersten Schuljahre verbrachte sie in Tekes. Von da an verband sie eine enge Freundschaft mit der Lehrerstochter Irmgard Thot, verheiratete Rummel, die sie beide bis zu Edith Melchiors Tod gepflegt haben.
Weil ihr Vater als Notar von Tekes nach Kobor und später nach Calbor ging, musste sie sich von Tekes trennen. Von 1936-1940 besuchte sie das rumänische Mädchengymnasium in Fogarasch und von 1940-1944 das deutsche Mädchengymnasium in Hermannstadt, wo sie < immer zu den besten Schülerinnen gehörte, dank ihrer Gewissenhaftigkeit und geistigen Fähigkeiten. Sie blieb aber Tekes ewig verbunden, war in den Schulferien oft da zu Besuch und pflegte den Kontakt zu ihren zahlreichen Verwandten und ihren einstigen Schulfreundinnen. Entscheidend für ihren Weg zurück nach Tekes, für einen längeren Lebensabschnitt, war die Wende im Kriegsgeschehen, am 23.August 1944. Als Deutscher musste ihr Vater die Notärstelle in der rumänischen Ortschaft Calbor aufgeben und die ganze Familie kam nach Tekes, wo sie in ihrem Familienhaus im Niederwinkel lebten.
Weil die Listen für die Verschleppung der Sachsen nach Russland noch vor ihrem Umzug nach Tekes erstellt worden waren, und die Tekeser Behörden sie nicht nachträglich eingetragen hatten, entkam sie und ihr Bruder Günther diesem tragischen Ereignis. Als es nach dem Abtransport der Verschleppten hieß, dass an Stelle derjenigen, die sich versteckt hatten, jüngere oder ältere Sachsen genommen würden, habe ich mich einige Wochen bei der Familie Melchior versteckt aufgehalten und Gelegenheit gehabt, die harmonische Atmosphäre in ihrer Familie kennen zu lernen und ihre bedingungslose Bereitschaft, anderen in der Not zu helfen. Infolge der Russlandverschleppung des Lehrers Johann Schüller und der Lehrerin Irmgard Thot, blieb der Lehrer und Rektor Martin Thot mit 213 Schulkindern allein in Tekes. Edith Melchior, die gerne ein Hochschulstudium begonnen hätte, konnte sich dieses aus mehreren Gründen nicht leisten. So trat sie 1946, auf Bitten meines Vaters, in den Schuldienst und war eine wahre Stütze für ihn und die Tekeser Schule. Sie hatte keine pädagogische Ausbildung als Lehrerin, hat sich aber in kurzer Zeit ein gründliches pädagogisches, methodisches und psychologisches Grundwissen angeeignet, so dass sie 1953 die Schulleitung übernehmen konnte und hat bis 1959 in dieser Funktion Gewissenhaftigkeit und Kompetenz bewiesen. Sara Holdreich, verheiratete Schenker, Lehrerin in Tekes von 1955-1959 charakterisiert sie wie folgt: „Edith war nicht nur streng und anspruchsvoll, sondern selber sehr gewissenhaft, fleißig und bemüht, die Schule auf einem hohen Niveau zu halten. Bevor sie den Lehrern die Lektionspläne verlangte, legte sie die eigenen zuerst auf den Tisch. Sie ging immer mit bestem Beispiel voran und behandelte jeden mit pädagogischem Takt". Ich habe es selbst miterlebt, dass sie, trotz ihrer Strenge im Schuldienst, ihren Kollegen auch eine gute Freundin war. Öfter war ich im Sommer bei einem gemeinsamen Spaziergang oder einem gemütlichen Beisammensein dabei. Das hat ihr Lehrerkollektiv richtig zusammengeschweißt. Kein Wunder, dass zur Zeit, wo sie die Schule leitete, gründliche Arbeit geleistet wurde und die Schule wirklich Niveau hatte, trotz mancher Schwierigkeit, die eine Diktatur von damals mit sich brachte. In dieser Zeit ist durch das junge und tatkräftige Lehrerteam auch wertvolle Kulturtätigkeit geleistet worden. Als Abgeordnete vertrat sie Tekes auch auf politischer Ebene, und das mit guten Ergebnissen. So wurden die höheren Behörden auf sie aufmerksam. Weil es in höheren Ämtern an Vertretern der deutschen Bevölkerung fehlte, wurde sie 1959 nach Bukarest, in das Frauenkomitee, neben dem Zentralkomitee der KPR berufen. Sie hat diese Funktion angenommen, nicht weil sie Karriere machen wollte, und persönliche Vorteile anstrebte, sondern weil sie hoffte, auf diese Weise der wahren Demokratie zu dienen, was in ihren Augen Gerechtigkeit bedeutete. Sie hat viele Enttäuschungen hinnehmen müssen, dennoch nicht aufgegeben, bis sie 1987 oder 1988 in Rente ging. In Bukarest kaufte sie sich 1961 eine kleine Wohnung in einem Wohnblock. Nach dem Tod ihres Vaters Ende der sechziger, nahm sie ihre Mutter zu sich. Diese erkrankte schwer und wurde zu einem Pflegefall. Mit Hingabe hat sie diese mehrere Jahre gepflegt, bis zu deren Tod im Jahr 1975.
Sie hat mehrere Schicksalsschläge ertragen müssen. Nach dem verhältnismäßig frühen Tod ihres Bruders, hat sie dessen Frau und Kinder, die in Reps lebten, unterstützt, besonders ihre Nichte. Bei einem gemeinsamen Besuch in Deutschland 1992, wollte die Nichte unbedingt hier bleiben, starb dann aber hier nach zwei Jahren auf eine tragische Weise. Solange ihre Verwandten in Tekes lebten, hat sie ihr Heimatdorf immer wieder aufgesucht. Als im Jahr 2000, nach einem Beinbruch sich langsam die Parkinson-Krankheit bei ihr bemerkbar machte, und auch ihr Herz immer mehr den Dienst versagte, war sie immer mehr an das Haus gebunden. Jahre hindurch hat sie rumänischen Kindern Privatunterricht erteilt, hauptsächlich für die deutsche Sprache. Das gute Verhältnis mit ihren Wohnungsnachbarn hat dazu geführt, dass diese sie, bis zum letzten Augenblick ihres Lebens, beispielhaft unterstützt haben. Alle Schicksalsschläge, einschließlich ihrer schweren Krankheit, hat sie mit einer bewundernswerten Würde ertragen und ist am 16. November 2003 durch Herzstillstand, ruhig aus diesem Leben geschieden. Edith Melchior ist eine Tekeser Persönlichkeit und verdient unser treues Andenken.

Erwin Thot (Beitrag im „Heimatblatt der HOG“, Ausgabe 9, Februar 2004)

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