Erlebnisse aus dem Krieg nicht ganz verarbeitet

2. Mai 2007

Sonstiges

Heimat, Sehnsucht, Heimweh
Mit den folgenden Beiträgen, deren Niederschrift, zum Teil, viele Jahre zurück liegt, will ich dieses Thema, wo es um geistige und seelische Beziehung zur Heimat geht, abschließen, um uns in Zukunft mehr mit unserer Gegenwart und Zukunft zu beschäftigen. Bei der Veröffentlichung dieser Beiträge geht es mir nicht darum, bei den Lesern eine gewisse Sehnsucht nach der Vergangenheit zu wecken, sondern das Verständnis für das Schicksal und die Gefühle von Menschen, die in einer Zeit und unter Bedingungen gelebt haben, welche die meisten von uns nicht kennen. Aber Beiträge über gegenwärtige Beziehungen jeglicher Art zur alten Heimat, sollen ihren Platz auch weiterhin in unserem Heimatblatt finden. Erwin Thot
Nach 3 Jahren Russlandverschleppung auf dem Weg in die Heimat Johann Müller
Lieber Bruderund Liebe Schwägerin! ...den22.2.1948 .. .aus Deutschland haben wir uns aufgemacht, um in die liebe Heimat zu kommen. Aber es ist uns noch nicht gelungen. Wir sind bis nach Wien in Niederösterreich gekommen und leben in einem Dorf, 12 km von Wien entfernt, bei Bauern, bei sehr guten Leuten. Wir haben sehr gute Verpflegung. Ich und der Bruder wohnen zusammen. Faff 97 und Müller 99 sind auch in diesem Dorf, nicht weit von uns. Wir kommen jeden Abend zusammen. Wir wollten uns aufmachen, um schwarz über die ungarische und rumänische Grenze endlich nach Hause zu gelangen. Welche die sich aufgemacht hatten, kamen aus Ungarn zurück und sagten uns, die Ungarn hätten einige, die keine Reisebewilligung gehabt hätten sogar für zwei Monate eingesperrt. Wir haben gehört, dass auch der Bischof Dr. Müller aus Hermannstadt eine Warnung an die Heimkehrer gerichtet hat, nicht ohne Reisebewilligung zu versuchen, schwarz über die Grenzen zu gehen. Wir warten noch bis zum 10. oder 15. März auf die Reisebewilligung. Wenn man sie uns bis dahin nicht schickt, machen wir uns schwarz auf, ganz gleich wie es uns dann geht. Der liebe Gott wird uns ja nicht verlassen. Hier verdienen wir uns noch etwas Geld für die Reise. Dann wie Gott will...... Nun lieber Bruder und Schwägerin ich schicke euch hier ein kleines Gedicht, in dem ich geschrieben habe, wie wir uns nach der Heimat sehnen, nach Hause kommen wollen und nicht können.
Glocken läuten hell... Glocken läuten hell den Sonntag ein, jenseits der Berge muss die Heimat sein. Doch man lässt uns nicht zurück! Wo finden wir ein neues Glück? Ihr Wolken, die ihr da oben zieht, traget nach Hause der Sehnsucht Lied, einen Gruß an unser Heimatland, das so ferne liegt, in fremder Hand.
Den schönsten Platz, den ich auf Erden hab, ist die Rasenbank an meiner Eltern Grab. Auch diese ist mir nicht mehr vergönnt, weil ich so weit, so weit von ihr getrennt. Wir mussten ziehn aus unserm Heimatort, verlassen Haus und Hof und alles dort. Schuldlos, verarmt treibt man uns hin und her, es findet der eine den ändern nicht mehr. Manch alter Vater und altes Mütterlein stehen ganz auf dieser Welt allein. Der einzige Sohn war Stütze einst und Glück, aus der Gefangenschaft ist er noch nicht zurück. Einsam und verzweifelt irrt er umher, kann nicht nach Hause hat keine Heimat mehr. Geht er zur Grenze und versucht da sein Glück, weist ihn der Posten erbarmungslos zurück. Ist das der Lohn für seine Tapferkeit? Herr mach Schluss, beende diese Zeit. Schenk uns wieder unser schönes Heimatland, wo einst die Wiege unserer Väter stand, denn nur die Hoffnung ist's die manchen hält, dass er der Verzweiflung nicht zum Opfer fällt. Auch in die tiefste Dunkelheit kommt Licht, drum liebe Flüchtlinge verzaget nicht. Gibt's in der Heimat wohl ein Wiedersehn? O Gott, höre unser täglich Flehen. Führ uns zurück an deiner lieben Hand, in unser geliebtes Heimatland.
Johann Müller, Nr. 45/120-|, geboren 1900 in Tekes, gestorben 1993 in Böblingen, gehörte zu den ältesten, die 1945 nach Russland verschleppt wurden. Von dort wurde er, wie auch andere 1948, nicht nach Rumänien, sondern nach Deutschland zurück geschickt. Zurzeit, als er diesen Brief und das Gedicht schrieb, in denen Heimatliebe, Sehnsucht nach der Heimat, ein Hauch Verzweiflung, und letztlich Gottvertrauen zum Ausdruck kommen, befand sich sein Sohn in englischer Gefangenschaft, und seine Tochter Sara noch in Russland.
Heimweh (gekürzt) Johann Mathiä
Honnes (Johann) hatte die sieben Volksschulklassen in Tekes hinter sich, am Peter- und Paulstag hatte er auch die Abschlussprüfung bestanden. Sein Klassenlehrer hatte ihnen beim Abschied gesagt, dass sie die Schule wohl hinter sich hätten, aber erst jetzt viel Neues und Schweres auf sie zukommen würde. Er wünschte ihnen viel Glück und verabschiedete sich. Es herrschte Stille, bloß Martin, mit Tränen in den Augen, sagte leise zu Honnes: "Es war doch schön in der Schule". Im kommenden Frühjahr sollten alle Absolventen konfirmiert werden. In Tekes war das Geld dünn gesät, wurde aber sehr gebraucht. Die meisten Schulabsolventen mußten sich das Geld für die Konfirmationskleider selber verdienen, so auch Honnes. An einem Sonntag ging sein Vater in das ungarische Nachbardorf Halmajen, zu seinem Kriegskameraden Miklosch. Dessen Kinder waren früh gestorben und er lebte mit seiner Frau allein auf einem Bauernhof. Honnes wurde, ohne vorher gefragt zu werden, bei Miklosch, für die Zeit bis zur Konfirmation als Helfer "verdingt" (vertraglich verpflichtet). Schon am Sonntagabend packte seine Mutter die nötigen Kleider in einen "Eissack" (zwei miteinander verbundene Hängetaschen, die auf einer Schulter getragen wurden). Über den, mit Wald bedeckten Berg gingen, Montag in der Früh, Vater und Sohn nach Halmajen. Beide schwiegen, bloß Honnes kam es irgendwie vor, als sei er das Kalb, dass bei der Konfirmation geschlachtet werden sollte. Mit einem herzlichen "Joregel kiwanok" begrüßte sie in Halmajen Frau Miklosch. Der Vater sprach gut ungarisch, aber Honnes verstand kein Wort davon. Eine kleine Kammer, mit einem Bett und einem Schrank sollte sein neues Heim sein. Frau Miklosch hatte den dunkelhaarigen Honnes bald in ihr Herz geschlossen, bloß mit der Verständigung haperte es, denn Honnes konnte nicht Ungarisch und Frau Miklosch nicht Rumänisch. Sie hatte sich aber vorgenommen Honnes in kürzester Zeit die ungarische Sprache beizubringen. Als neun Uhr Herr Miklosch nach Hause kam verabschiedete sich der Vater, und Honnes ging mit Herrn Miklosch und einem Nachbarn ans Altufer, Gras mähen. Honnes, der das Mähen schon früh gelernt hatte, konnte mit den beiden Männern Schritt halten, worüber Herr Miklosch sich sehr freute. Als gegen Abend die Hirten das Vieh in Dorf trieben, kehrten auch sie Heim. Honnes hatte den ersten Tag in seinem Leben bei fremden Leuten verbracht. Nach einem anstrengenden Tag ging Honnes nach dem Abendessen in seine Kammer. Er schlief nur kurze Zeit. Dann wachte er auf. Da kam es! Er dachte an zu Hause, an die Eltern, die Geschwister, die gute Trenjenina (Tante Katharina), besonders aber an seine kleine Schwester Sofia, seinen Liebling. Er schlief nochmal ein, aber es war ein Zustand zwischen Schlaf und Wachsein. Er hörte die Turmuhr schlagen und zählte die Stunden. Glücklich war er, als Herr Miklosch an die Tür klopfte und ihm einen guten Morgen wünschte. Honnes schlüpfte in die Kleider, half bei den Arbeiten im Stall, und nach dem Frühstück ging es wieder aufs Feld. Bei einem guten Gulasch zu Mittag, hatte Honnes richtig zugelangt, und sein nächtliches Heimweh hatte für eine Zeit die Macht über ihn verloren. Etwas müde kam er abends heim, und es folgte die zweite, lange Nacht. Nicht die schwere Feldarbeit bereitete ihm Schwierigkeiten, sondern die langen Nächte, wenn er allein war, die Stunden zählte, und das Heimweh wie eine Kralle nach seinem Herzen griff. Am dritten Tag war Herr Miklosch in die Stadt gefahren, und Honnes half Frau Miklosch bei Arbeiten in Hof und Garten. Zu Mittag gab es geriebene Bohnen mit Zwiebelspeck. Honnes war schon satt und mit seinen Gedanken in Tekes. das Heimweh hatte ihn wieder fest im Griff. Frau Miklosch, die ihm gerne einige ungarische Wörter oder Ausdrücke beibringen wollte, sagte zu ihm: "Mundo Janos Fusoikat". Honnes reagierte nicht. Erst als sie ihn zum zweitenmal ansprach, versuchte er zu verstehen, was sie sagen wollte. Dass Janos Johann, und Fusoikat Bohnen bedeutete wußte er, aber das Wort Mundo erinnerte ihn irgendwie an das sächsische Wort "monjen" (rühren). Aber Honnes hatte genug von Bohnen, und das aufgestaute Heimweh machte sich plötzlich Luft. Laut schrie er auf sächsisch: "Monj se der, wun te se fresse walst" (Rühr sie dir, wenn du sie fressen willst). Er sprang auf vom Tisch und rannte zu seiner Kammer, wo sein Strohhut und die Schuhe lagen. Die war aber verschlossen und die Schlüssel bei Frau Miklosch, die wie entgeistert im Hof stand und nicht wußte, was mit Honnes los war. Honnes rannte einfach, ohne Strohhut und barfuß auf die Straße und von hier in Richtung Tekes. Das Schreien von Frau Miklosch, umzukehren, berührte ihn nicht. Er wollte nur nach Hause, nach Tekes. Bald stand er am Waldrand, auf der alten Fogarascher Straße und hatte das langersehnte Dorfbild von Tekes vor sich. Die Fußsohlen schmerzten, aber er fühlte den Schmerz nicht. Seine wirren Gedanken begannen sich langsam zu klären und er überlegte was zu tun sei. Gleich nach Hause zu gehen, wäre falsch gewesen, denn auf dem Feld und in dem Dorf hätte er Leute getroffen, und das hätte nachher Gerede gegeben. Das wollte er sich und seinen Eltern ersparen. So wartete er bis gegen Abend, umging das Dorf von der Ostseite aus, und kam über den hinteren Gartenzaun durch den Garten in den Hof seines Elternhauses, Dort rührte sich nichts, und in der Stille spürte er sein Herz bis zum Halse schlagen. Die Türe der Sommerküche, die direkt in den Hof führte, war nur angelehnt. Vorsichtig öffnete Honnes die Tür. Auf der Sitzbank stand Sofia, die kleine Schwester, und stopfte übriggebliebene Kartoffeln in ihren Mund. Ein Freudenschrei gellt durch die Stille, Sofia springt von der Bank, umfaßt die Knie ihres Bruders, Tränen rollen über ihre Wangen, und sie sagt nur den einzigen Satz: "Bast te wedjer hiemen kun" (bist du wieder Heim gekommen). Bei Honnes war das Eis gebrochen und er konnte weinen. Ein Vogel war zu früh aus dem heimatlichen Nest gestoßen worden. Heimgekehrt, nach einem kleinen Irrgang, hatte er die nötige Nestwärme wiedergefunden.
Die Verbundenheit mit der alten Heimat, die Sehnsucht danach einerseits und die traurige Feststellung andererseits, dass man dort bereits ein Fremder oder Unbekannter ist, kommt in den einfachen Versen unseres Landsmannes Georg Lutze Nr. 96/77, aus Backnang zum Ausdruck.
Der unbekannte Sachse Georg Lutze
Was fusf du Herz in stiller Ruh?, Was tut dich so bedrücken? Es ist vielleicht die rote Kuh, die ich gelassen drüben? Istes vielleicht der graue Hund, der traurig sah zu sehen als ich, zu selben Stund wohl Abschied tat nehmen? Es istwohlnichtdas Schicksal dein, das dich so schwer getroffen. Oh nein, das kann es gar nicht sein, des' bin ich nicht betroffen. Ich fahrvielleichtnoch dieses Jahr dahin, um mich zu überzeugen, wie es jetzt ist, und wie es war, um manchem vorzubeugen. Wie ich mich nähere meinem Haus, lehnt sich der Fremde zum Fenster heraus. Am liebsten möchte er mir sagen, ich soll mich gleich vertagen. Möcht steigen hoch zu manchem Berg und schauen in die Täler, wo ich schon war, als kleiner Zwerg, mit Schafen und mit Kälbern. Möcht setzen mich auf kühle Erde. Ich mein es nicht im Scherz. Möcht sehen dort den Hirten mit der Herde, um zu erfreuen mir mein Herz. Doch, nach drei Tagen Michumsehen, möcht ich doch lieber wieder gehen nach unserem lieben Mutterland, wo heut regiert die ruhige Hand. Der Fremde steht am Wegesrand, er reicht mir seine dunkle Hand. Er weiss noch wie ich heisse, und wünscht mit gute Reise.

(Beiträge im „Heimatblatt der HOG“, Ausgabe 8, Februar 2003)

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