Der Kampf mit dem Wildschwein

Es war im Winter 1940/41. Mein Bruder Franz und ich waren beim Holzmachen im Bunjdel (ich schreibe den Namen in unserer sächsischen Mundart). Wir waren fast ganz hinten im Winkel, dort wo die Jugend immer das Immergrün holte. Wir waren dort ganz allein, aber weiter vorne, etwa 200 m von uns, waren noch mehrere am Holzmachen, die wir nur hören, jedoch nicht sehen konnten, weil dort der Wald einen Bogen macht.
Das Wildschwein erscheint
Plötzlich brach bei denen ein großes Geschrei aus. Wir ahnten etwas Ungewöhnliches. Nachdem das Getöse etwa eine Minute gedauert hatte, sahen wir auch schon ein Wildschwein, welches das Tal in Richtung „Breite“ durchqueren wollte, hinterher etwa 6-7 Mann und ein Hund. Der Hund gehörte Hans Botschner, der neben der Kirche wohnte. Er selber war auch dabei und außer ihm noch mein Cousin Franz Menning und der Paul Michael. Die anderen habe ich vergessen.
Wir greifen ein
Sobald wir das Wildschwein sahen, liefen wir auch hin. Mein Bruder hatte seine Axt fallen lassen, aber ich nahm meine mit. Wir kamen in die Nähe, etwa 50 m von Michael Keuls Hütte. Einen Stecken brach sich mein Bruder ab und ging das Schwein von der Seite an. Als er ihm zu nahe kam, gab das Schwein einen Laut von sich und ging mit offenem Maul auf ihn zu. Doch als mein Bruder zwei Schritte zurückwich, ließ es wieder von ihm ab und lief seinen Weg weiter.
Die Erlegung des Schweins
Es hatte ihm noch keiner einen Schlag gegeben. Am wenigsten traute sich der Hund ran. Der machte den größten Bogen um das Schwein, das inzwischen nur noch 5 m vom Waldrand entfernt war. Dort war Gestrüpp, es durfte uns also nicht dorthin entwischen. Deshalb setzte ich zu einem Spurt an und dann verlief alles genau so wie ich es mir vorgestellt hatte: Den ersten Schlag mit der Axt versetzte ich ihm aufs Kreuz. Das Schwein gab einen gräßlichen Laut von sich und drehte sich um, so traf ich es mit dem zweiten Schlag auf die Stirn und es brach zusammen. Damit es ausblutete hieb ich ihm die Kehle durch. Nun muß ich unseren Freund, den Michael Paul , noch einmal extra erwähnen. Als wir nun so um das Schwein herumstanden - wir waren 8 oder 9 Mann - da trat er auf mich zu, griff nach meiner Axt und sagte: „Lass mich doch die Balmung ( Siegfrieds Schwert ) einmal ansehen!“ Das Schwein wurde dann auf einen niederen Schlitten geladen und beim Bürgermeister Keul abgeliefert. Dort übernahm es der Jäger Fritz Weprich und verwertete es, ich erhielt ein Stück davon.
Erinnerung an Michael Paul
In der Annahme, daß unser Freund Michael Paul unsere „Prudner Nachrichten“ auch erhält, möchte ich ihn, aber auch alle anderen Landsleute an das Lied erinnern, das sein Bruder Franz Paul aus Heltau nach Pruden gebracht hatte und es auf dem Schifferklavier spielte. Sie sangen dann beide dazu. Die zweite Strophe begann so:
Nach England angelangt nahm ich gleich zur Hand Bleistift und Papier schrieb dies Brieflein Dir usw.
Lieber Michael, damals hat niemand geahnt, daß Du einmal in England landen würdest. Und niemand hat geahnt, daß wir, die wir damals einen so kleinen Kreis um das Wildschwein bildeten, einmal so weit auseinandergeraten würden. Du in England, der Hans Botschner am Chiemsee, der Franz Menning noch in Rumänien, ich in der Frankfurter Gegend. Mein Bruder liegt auf einem Heldenfriedhof in Italien, auf einem Berg über 900 m hoch unter fast 32. 000 Gefallenen, zwischen Bologna und Firenz. Dies zur Information der Landsleute, die noch nicht wußten, wo mein Bruder geblieben ist.
Herzlichen Gruß an alle Prudner von
Alfred Tatter

Bearbeitet: Lukas Geddert

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