Der letzte Prudner

Hans Lang, der letzte Prudner Sachse (Der "Stumme") Ich bin ein halber Prudner. Meine Mutter, eine geborene Zakel, hatte ihre kinderlose Tante Schwarz aus Dunnesdorf als Kind aufgenommen. Sie hatte auch einen Dunnesdorfer geheiratet, und hat dort gelebt. In Pruden hatten wir sehr viele Anverwandte: Die Zakel, Tatter, Welther, Keul, Lang und andere. Vor dem zweiten Weltkrieg fuhren wir sehr oft mit dem Pferdewagen oder -schlitten sonntags nach Pruden, wo wir bei Tatters gut bewirtet wurden und mein Vater mit seinem Schwager kräftig becherten. Schwein hatte man ja geschlachtet und guten Wein gab es auch. Ich habe Pruden immer sehr gerne gehabt, es lag mir immer am Herzen. So habe ich mich auch als Schulinspektor dafür eingesetzt, dass die deutsche Schule ein Jahr lang (illegal) weiter funktionierte, auch als die vom Gesetz verlangte Schülermindestzahl nicht mehr vorhanden war. Es waren nachher noch einige Jahre genügend Kinder, die Schule musste aber dann doch wegen Kindermangel aufgelöst werden. Nach der Wende, ich glaube, es war 1991, hatte ich als Bezirkskirchenkurator im Schäßburger Kirchenbezirk war, erfuhr ich, es gäbe in Pruden einen Sachsen, der in schlechten Bedingungen lebe. Wir fanden den Armen in fürchterlichem Zustand: Er war stumm, taub und blind. Wir konnten mit ihm nicht kommunizieren. Eine Rumänin "besorgte" ihn: Er hauste in einem leeren Raum mit Erdfußboden. Nur ein Bett und ein Ofen ohne Feuer standen drin. Es war erheblich kalt. Als Belohnung für diese Pflege sollte die Rumänin das Weltherische Haus an der Ecke bekommen. Von dem war nicht mehr viel übrig. Ich bin aber so drauf gekommen, dass dieser arme Mensch, der "Stumme", der Mann von der Fikatante, einer Cousine meiner Mutter, zu der wir gute Beziehungen hatten, war. Die Familie Lang war kinderlos, besorgte aber drei Kinder aus der Familie Keul, aus der beide Eltern nach Russland deportiert worden waren. Hans Lang hatte ich ja gut gekannt. Er war ein guter Schuster gewesen. Er stammte aus Großalisch. Dort hatte ihn eine Lehrerin als Kind zur Strafe in einen Keller gesperrt und über Nacht dort vergessen. Vor Angst war er stumm geworden und ist es sein ganzes Leben geblieben. Wir nannten ihn in der Familie nur den "Stummen". Man konnte sich mit ihm aber gut verständigen. Wir haben dann die Verbindung verloren. Zwischenzeitlich war er (er war auch vorher schwerhörig gewesen) auch noch taub geworden und erblindet. Die Bedingungen, in denen er lebte, hätte man keinem Tier zumuten können. Ich habe dann sofort einen Platz in dem Altenheim von Hetzeldorf, das zum Mediascher Diakonieverein gehörte und von dem Ehepaar Pitters vorbildlich verwaltet wurde, erwirkt. Als wir ihn in das Auto einluden (er hatte ja überhaupt noch nur das, was er auf dem Leibe trug), freute er sich sehr. Wir hatten den Eindruck, er glaubte, nach Deutschland gebracht zu werden. Er war in Hetzeldorf sehr gut aufgehoben. Wir konnten das Heim mit Spenden unterstützen. Es habe sich dann auch die Keulischen Kinder gemeldet und Geld für ihn geschickt. Hans Lang, der "Stumme", hat noch einige Jahre gut besorgt in Hetzeldorf gelebt und ist dort gestorben. Leider habe ich das auch nur später erfahren, so dass ich bei seiner Beerdigung nicht dabei sein konnte (zwischenzeitlich waren auch die guten Pitters gestorben). Hermann Baier

Hermann Baier

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