Erinnerungen an das Schicksal von Rudolf Höhr

Achtung vor der Menschenwürde
Erinnerungen an das Schicksal von Rudolf Höhr
Der 23. August 1944 war auch für den Landsmann Rudolf Höhr, einst Rektorlehrer in der Ortschaft Pruden, 1943/44 dann als rumänischer Reserveoffizier im Militärdienst, schicksalsträchtig. In einem Gefangenenlager mit 3 000 russischen Soldaten begegnete er den Insassen mit Respekt und Achtung vor der Menschenwürde. Die Russlanddeportation blieb ihm freilich nicht erspart. Sohn Helmut Höhr erinnert an das Schicksal seines Vaters.
Der Bericht über den 90-jährigen Hotelmanager Erich Haas („Wir Siebenbürger sind nun mal Pioniere“, Siebenbürgischen Zeitung, Folge 14 vom 15. September 2009, Seite 8) hat mich sehr fasziniert, vor allem sein Mut, den deutschen Gesandten in Bukarest, kurz vor dem 23. August 1944 warnend über den bevorstehenden Umsturz zu informieren. So möchte ich mich seinem Bericht anschließen und ergänzen.
Rektor Rudolf Höhr mit seinen Schülern in Pruden ...
Rektor Rudolf Höhr mit seinen Schülern in Pruden
Mein Vater Rudolf Höhr war Rektorlehrer in der Ortschaft Pruden, Bezirk Schäßburg, und in den Jahren 1943 bis Ende 1944 als rumänischer Reserveoffizier im Militärdienst in Bukarest. Auf der Ekatarina-Straße im Zentrum von Bukarest gab es ein kleines Gefangenlager mit amerikanischen und englischen Fliegeroffizieren, deren Flugzeuge beim Bombardieren von Bukarest und Umgebung abgeschossen worden waren. In der Vorstadt von Bukarest (Genscha) war ein großes Gefangenenlager mit etwa 3 000 russischen Soldaten. In beiden Lagern war er in der Verwaltung und im Wachdienst tätig. Den Gefangenen gegenüber respektierte mein Vater die menschliche Würde, dafür blieb später die Anerkennung für ihn nicht aus. Es war der 22. August 1944, mein Vater wurde für zwei Wochen in den Urlaub geschickt. Den Grund konnte er sich denken. Er wusste zu viel von den Vorbereitungen für den Umsturz in Rumänien. Als er sich von einem amerikanischen Gefangenen verabschiedete, den er zufällig auf dem Lagerhof traf, kam die Bemerkung: „Leutnant Rudolf, bis du zurückkommst, sind wir nicht mehr da.“ Diese Bemerkung gab meinem Vater keine Ruhe und er musste handeln. Auf dem Weg zum Bahnhof ging er zuerst zur deutschen Gesandtschaft und überbrachte dem Gesandten Baron Manfred von Killinger die letzten Informationen über die Vorbereitungen zum Umsturz in Rumänien. Diese Nachrichten wurden vom Gesandten nicht ernst genommen. Am nächsten Tag, am 23. August 1944, musste dieser ein bitteres Geschehen zur Kenntnis nehmen, nahm sich das Leben und die deutschen Soldaten gerieten in rumänische Gefangenschaft. Nach seinem Urlaub fand mein Vater im kleinen Gefangenenlager, wo vorher amerikanische und englische Fliegeroffiziere waren, deutsche Frauen, ehemalige Angestellte beim deutschen Heer, und im großen, wo vorher russische Gefangene waren, deutsche Soldaten. Diese sollten in ihrer Sommerkleidung nach Russland abtransportiert werden. Aus Mitgefühl gab er jedem von ihnen eine Decke, woraus sie sich eine warme Kleidung anfertigten. Der Geldwert betrug über eine Million Lei, die meinem Vater später im Inventar fehlten, sodass er daher verpflichtet wurde, sie zu ersetzen. Wie dies geschah, erfährt der Leser am Ende dieses Berichtes. Eines Tages, nach dem 23. August, als mein Vater vom großen zum kleinen Lager ging, holte ihn ein russischer Feldwagen, darin ein russischer Oberst saß, der ihn aufforderte einzusteigen. Der Wagen fuhr in Richtung Stadtmitte und blieb vor einem Restaurant stehen. Der Oberst stieg aus, nahm meinen Vater mit und bestellte für beide das Mittagessen. Obwohl das Mittagessen vorzüglich schmeckte, gingen meinem Vater immer noch unruhige Gedanken durch den Kopf, indem er sich fragte: „Was hat dieser Oberst mit dir vor?“ Er konnte sich an einen Fall erinnern, als rumänische Offiziere vor ihrer rumänischen Mannschaft erschossen wurden. Sie hatten noch nicht fertig gegessen, sah der Oberst meinen Vater an, fragte in rumänischer Sprache: „Leutnant Rudolf, kennst du mich? Ich war dein Gefangener.“ Nach einigen Hinweisen auf das Lager in Gentscha konnte mein Vater sich an ihn erinnern. Der Oberst brachte meinen Vater ins kleine Lager, wo die deutschen Frauen interniert waren. Beim Verabschieden dankte mein Vater für die freundliche Begegnung und lud den Oberst ein, ihn im Gefangenenlager noch zu besuchen. Als Antwort kam: „Du musst mich nicht einladen, denn ich bin dein Vorgesetzter als Kommandant der russischen G.P.U. (Geheimpolizei) von Bukarest und morgen 8.00 Uhr meldest du dich beim Oberkommando des russischen Heeres in Bukarest.“ Am nächsten Tag, beim Oberkommando, wurde er den hohen Generälen vorgestellt, die zu ihm freundlich waren und ihm eine Bestätigung überreichten: „Die russische Armee wird gebeten, Leutnant Höhr Rudolf und seiner Familie, sollten sie einmal in Not sein, zu helfen. Er hat sich den russischen Gefangenen gegenüber menschlich verhalten.“ Mit der Bemerkung vom Oberst: „Vielleicht kann dir diese einmal behilflich sein“, verließ er das russische Oberkommando. Am 27. Dezember 1944 wurde mein Vater aus dem Militärdienst entlassen und seine rumänischen Kollegen, zu denen er in einem freundschaftlichen Verhältnis stand, sagten: „Wir müssen dich entlassen, weil die Volksdeutschen aus Rumänien zum Wiederaufbau nach Russland geschickt werden.“ Als ihn rumänische und russische Soldaten von zuhause am 14. Januar 1945 abholten, half ihm die Bestätigung vom russischen Oberkommando nichts. Er kam nach Kungur ins südliche Uralgebiet, wo er nach drei Jahren schwerer Arbeit den Hungertod starb. Vor der Abfahrt nach Russland sagte mein Vater noch zu mir, dass wir hinter ihm viel zu bezahlen hätten und wies auf die Decken hin. Tatsächlich besuchten uns im März 1945 zwei staatliche Finanzvollstrecker, um den Geldbetrag der Decken einzukassieren. Etwa einen Monat vorher hatten die Kommunisten, weil wir Deutsche waren, unseren sämtlichen Besitz bis auf das letzte Weizenkorn aus dem Kornspeicher weggenommen. Wir mussten sogar aus dem Lehrerhaus ausziehen, ein rumänischer Notar, ein Flüchtling aus der Bukowina, zog ein, unsere ganze Möbeleinrichtung mussten wir zurücklassen. Meine Mutter hatte nur noch ihren neun Jahre alten Sohn und mich im Alter von 14 Jahren, die wir nun bei unserer 73 Jahre alten Großmutter wohnten. „Wo nichts ist, konnte man auch nichts nehmen“, dieses alte Sprichwort gilt auch heute noch. Helmut Höhr
Siebenbürgische Zeitung vom 31. Januar 2010, Seite 11
Bildtext: Rudolf Höhr, 1943

Helmut Höhr

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