Exodus – Zeitzeugen berichten
Das Ende des totalitären Ceaușescu-Regimes markiert einen epochalen Einschnitt in der Geschichte der rumäniendeutschen Minderheit der Siebenbürger Sachsen. Mit den komplexen Prozessen des Exodus hat sich der Historiker Prof. Dr. Hans-Christian Maner in seinem Beitrag „Das Ende der Geschichte? Siebenbürger Sachsen 30 Jahre nach dem Exodus“ in Folge 18 vom
10. November 2020, Seite 1 f., auseinandergesetzt. Die Redaktion der Siebenbürgischen Zeitung hat Zeitzeugen dazu aufgerufen, über ihre persönlichen Erfahrungen von Heimatverlust und neuer Existenzgründung zu berichten. Lesen Sie im Folgenden einige ausgewählte Zeitzeugenberichte.
Erinnerungen an meine Auswanderung aus Kronstadt/Burzenland.
An meine Auswanderung, die am 13.
Mai 1990 in Kronstadt stattfand, erinnere ich mich oft sehr gern und auch
etwas traurig zurück. Es war das Jahr
1989 und in Kronstadt, stand Weihnachten vor der Tür. Es war zwar sehr
kalt, aber es hatte in Kronstadt, noch
nicht geschneit. Wir, also unsere Familie, waren mit dem Dienst, Schule und
den Vorbereitungen vor und für Weihnachten, sehr beschäftigt und im Stress.
Man hörte in den Radionachrichten,
dass es Unruhen, der Arbeiter- und
Menschenmassen in Temeschburg/Banat, Bukarest, Kronstadt/Siebenbürgen und zuletzt im ganzen Land Rumänien gab. Die Revolution 1989 war im vollen Gange und der
Diktator Ceauşescu musste gestürzt
werden. Man hatte Angst und Sorgen,
wie man pünktlich und sicher in den
Dienst, in die Schule kommen soll, wie
man Sachen für die Weihnachtsfeiertage erledigen kann. Meine Eltern hatten erfahren, dass es große Unruhen in
der Innenstadt in Kronstadt gab. Die
Arbeiter aus dem Kronstädter Traktorenwerk, aus der Kronstädter Rulmentul-Fabrik,
die die Arbeit niedergelegt hatten, kamen zu Fuß in Richtung Innen- und Altstadt und
waren sehr aufgeregt und laut. Unter
ständigem Glockengeläute der Schwarzen Kirche, Ballerei der Schießgewehre, Schreien von Parolen erschreckten sich die Menschen, bekamen große Angst und verkrochen sich
in den Wohnhäusern. Es wurde auch in
dem Kirchenschiff der Schwarzen Kirche mit Gewehren geschossen, so dass
auch viele versteckte Menschen zum Opfer fielen.
Das Kronstädter Pfarrhaus befand
sich zwischen dem Honterus-Gymnasium und gegenüber von der Schwarzen Kirche, die vor dem Brand, Marienkirche hieß. In dieser Zeit war Herr
Matthias Pelger, der Kronstädter Stadtpfarrer, der von diesen Unruhen erfahren hatte und sich mit meiner Mutter in der
Purzengasse(st. Republici) getroffen hatte. Wir
wohnten damals im Patrizierhaus, in
der Katharinengasse (Constantin Bräncoveanu Str.) Nr. 64 in Kronstadt. Herr Pelger machte sich große
Sorgen, weil meine Mutter eine Nordmanntanne von ihrer Freundin gekauft
hatte und nicht wusste, wie sie lebend
nach Hause kommen sollte. Wir
schmückten in der Abenddämmerung, den Tannenbaum für
Weihnachten im großen Wohnzimmer,
erledigten noch andere Vorbereitungen, waren aber sehr traurig, dass wir
an Heilig Abend aus Angst nicht zum
Gottesdienst, in die Schwarze Kirche, gehen konnten. Wir hörten ständig die
Radionachrichten, den Lärm und das
Geschrei der Menschenmassen draußen, denn es hieß, dass das Diktatoren-Ehepaar Ceauşescu gefangen worden
sei. Erst als wir das tote Diktatoren-Ehepaar im rumänischen Fernsehen
sahen, konnten wir erleichtert, aufatmen. Wir weinten vor Freude, umarmten uns und waren glücklich, aber in
Gedanken bei Deutschland, jetzt endlich ausreisen zu können. Was machen
wir jetzt? Gehen oder Bleiben? Viele
Verwandte, Freunde von uns, waren bei
Nacht und Nebel schon verschwunden
und einfach weg. Unsere Vorfahren, die
in Deutschland lebten, hatten schon
unsere Ausreise in den 1960er Jahren
beantragt, von dem wir alles gar nichts wussten. Die Unterlagen befanden
sich seit dieser Zeit in der Deutschen
Botschaft in Bukarest, was wir damals
aber nicht wussten, nur ahnten.
Endlich war es soweit und wir konnten im Frühjahr, am 13. Mai 1990 wegfahren und ausreisen. Meine Eltern
hatten alles präzise geplant, wie wir
uns vom Hof, von unseren Hunden und
den anderen Tieren verabschieden
konnten und sollten. Es war in der
Abenddämmerung und mein Vater bestellte ein Taxi, das uns alle bis zum
Kronstädter Bahnhof brachte. Die
Hunde spürten, dass irgendwas nicht
stimmte, liefen dem Taxi bis zum Bahnhof hinterher. Wir fuhren abends dann
mit dem internationalen Zug „Wiener
Walzer“ ab und über Ungarn Richtung
Oberösterreich. In Wels/Oberösterreich angekommen,
begrüßte uns am Bahnhof unsere Verwandtschaft der Familie Scheipner, die
wir sehr lange nicht mehr gesehen hatten. Vor lauter Freude weinten wir
stark und waren sehr erleichtert, nicht
mehr dem Terror und den Gefahren in
Siebenbürgen ausgesetzt zu sein.
Am 14. Mai 1990 in der Früh kamen
wir endlich in Nürnberg/Bayern mit dem Zug
an. Wir weinten vor Freude, als ein
Couseng meiner Mutter mit Ehefrau uns
am Nürnberger Bahnhof herzlich begrüßten und uns Tee in einer Thermoskanne brachten. Es waren sehr viele
Verwandte gekommen und wir weinten
vor lauter Freude, nahmen uns in die
Arme und waren glücklich, in der Bundesrepublik Deutschland angekommen
zu sein. Es dauerte sehr lange, bis wir
in Nürnberg registriert wurden, und es
wurde sehr bald Abend. Wir packten
unsere kleine Depner-Oma in eine
warme Decke ein, zogen uns die warmen Männerunterhosen an, weil es in
der Nacht im Frühling, trotzdem sehr
kalt war. Im Morgengrauen wurden wir
dann in viele große Autobusse verfrachtet und nach Kalkar in Nordrhein-Westfalen in eine Militärkaserne gebracht. Auf der Fahrt dahin hörten wir
im Radio das Lied „Hallo, guten Morgen Deutschland, ich wünsch Dir einen
guten Tag …“. Jetzt war uns wirklich
bewusst, in Deutschland, sicher angekommen zu sein.
Nach ein paar Wochen Kasernen-Aufenthalt in Kalkar kamen wir dann
ins evangelische Paulushaus Schwäbisch Gmünd im Ostalbkreis in Baden-Württemberg. Es begann ein neues Leben in Frieden und Freiheit. Albert Terschanski, den ich seit 1990 kenne,
erfuhr, dass viele Siebenbürger Sachsen im Paulushaus wohnten und lebten. Er half uns mit vielen Tipps und
guten Ratschlägen, holte uns sogar zu
den Tanzproben der siebenbürgischen
Jugendtanzgruppe Schwäbisch Gmünd
immer ab. Seit diesem Zeitpunkt besteht diese innige und herzliche
Freundschaft mit Albert Terschanski,
Jutta Caplat, Renate Fritsch und anderen Landsleuten, die auch nach über
30 Jahren immer noch besteht.
D. Melzer, Schw.Gd.-SZ.25.11.2020 S.12
Mit dem Orient-Express, dann Wiener Walzer sind wir 1990 damals von Kronstadt/Rumänien nach Nürnberg/Bayern/Deutschland übersiedelt.
D.M./SZ v. 25.11.2020 S.12