Kontinuitätstheorie versus Migrationstheorie

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aurel
schrieb am 17.02.2011, 07:56 Uhr

@seberg
"ICH und ihr"


Es klingt schon besser.
seberg
schrieb am 17.02.2011, 08:08 Uhr
getkiss
schrieb am 17.02.2011, 08:25 Uhr
@slash:"So, das Leben ist zu kurz, um meinen Kaffee zu vernachlässigen! Viel Spaß noch"

Klar, ist doch viel besser, als: anstatt über konkrete Zitate - mit banalen Weisheiten über Internet-Technologie - ausweichend zu debattieren!
Manche meinen dies sei das Florett in der Debatte, dabei ist es nur das befolgen des Sprichworts:"Das weglaufen ist beschämend, aber gesund!"
Und das meine ich strikt individuell, nicht als so genannte "Nationalcharakteristik"....
grumpes
schrieb am 19.02.2011, 13:52 Uhr
Wochenendlektüre
Im August 2010 war Regisseur Bernhard Mikeska mit Dramaturgin Hannah Schwegler, Bühnenbildnerin Dorothee Curio und Autor Lothar Kittstein in Sibiu. Lothar Kittstein schrieb den folgenden Text:

Johann, der nur mit Badehose bekleidet, im kanalisierten Dorfbach steht und eimerweise Wasser auf die staubige Dorfstraße vor seinem Haus schüttet.

Hans, der im Wohnwagen am Fuß des Burgbergs haust, fünf Katzen, Meerschweinchen, einen Hund, Ziegen und eine Kuh sein eigen nennt und trotz kaputter Hüfte täglich quer durchs Dorf auf einen Berg zu seinem Feld geht.

Brennend-saurer Wein aus Plastikflaschen.

Die alte Frau Teutsch, ihre Augen groß hinter den dicken Brillengläsern, als ob sie ständig darüber staunte, noch hier zu sein – Jahrzehnte nach ihrer Deportation ins russische Kohlebergwerk. Ihre knotigen, verkrümmten Hände, mit denen sie in ihrer niedrigen Küche Birnen schält.

Die Dörfer, wehrhaft gegen die eigenen Hauptstraßen abgeschottet, die Häuser dicht an dicht, aneinandergedrängt, kein Vorgarten, kein Bürgersteig. Schweigende Fassaden in der Mittagshitze.
Konstantin, der Musikmanager, der im deutschen Restaurant von Sibiu auf die Deutschen schimpft:

“Ihr seid tot, ihr seid impotent, ihr werdet aussterben. Ihr habt keine Zukunft, weil ihr keinen Sex habt, ich sage, fuck you! Fuck you, Deutschland!”

Das sind die ersten Bilder, die hochkommen, wenn ich mich an die Zeit in Sibiu zurückerinnere.

Die herausgeputzte Innenstadt, ein Überbleibsel der europäischen Kulturhauptstadt 2007. Touristenkünstlichkeit. Aber schön. Noch nie so viele Geldautomaten auf einer so kurzen Strecke gesehen. Die Sisters of Mercy auf dem Großen Platz in einer stickig heißen Sommernacht, ein seltsames Relikt aus den 80ern, das sich in Nebelschwaden versteckt.

Auf einem Höhenrücken außerhalb der Stadt ein altes Denkmal. Wir liegen im Schatten des wuchtigen Ziegelturms, der den besten Aussichtspunkt markiert. Hier sollen die Nazis einen kolossalen Reichsadler errichtet haben. Im ersten Weltkrieg kamen hier hunderte deutscher Soldaten ums Leben – “aus allen Gauen des Reichs”, wie die inzwischen nach Michelsberg verlegte Gedenktafel informiert. Etwas weiter steht noch ein Denkmal für einen österreichischen General, der von hier aus, von wo man die ganze Senke, in der Sibiu liegt, übersehen kann, kurz zuvor eine andere Schlacht geleitet hat. Warum bist du nicht gestorben, Drecksack, denkt man. Aber jetzt ist er ja auch tot, macht es einen Unterschied?

Gemeindetreffen in Amnas/Hamlesch. Die Kirche wird nur alle zwei Jahre genutzt. Vier Gemeinden treffen sich hier, es sind 60 Leute. Wir sind die jüngsten. Zwei Jugendliche, die dazukommen, stellen sich als Besuch aus Deutschland heraus. So ist es fast immer – wer jung ist, kommt nur zu Besuch. Zwei Fahnen hängen über den halbleeren Reihen, die eine sagt stolz: “Männergesangsverein Hamlesch 1938”.

Fuck you, sagt Konstantin, er hat sie alle gehabt. Er konnte jede deutsche Touristin haben, als er in den 80er Jahren als Animateur an der Küste, fern von Sibiu, die Deutschen beglückte. Fuck you, sagte er, dass sie alle gleich nach der Wende panikartig in dieses sterile, impotente, zum Untergange verurteilte Scheißdeutschland abgehauen sind. Fuck you, er hat mal bei einem deutschen Architekten im Garten gearbeitet, und der erkannte seinen Garten erst nicht wieder, als er heimkam, aber dann hat er geweint. Er hat Konstantin angesehen und geweint, weil er merkte, wie sinnlos sein verschissenes kleines Leben war. Und dann haben sie Champagner getrunken und Zigarre geraucht.

Die Tränen in den Augen von Frau Teutsch, als sie vom Tod ihres Mannes berichtet. Krebs. Und dabei war er immer so ein starker Kerl gewesen. Der den Hof in Ordnung hielt. Jetzt kommt alles herunter, da sind sich viele einig. Rumänen und Zigeuner können es nicht. Schafe züchten, das kriegen die Rumänen hin, sagt einmal jemand.

Eine 50jährige Schauspielerin, die in Deutschland mit den ganz Großen gearbeitet hat, lebt jetzt im Dorf. Das Bad wird mit Holzofen beheizt. Es starrt vor Schmutz, sie hat drei Hunde. Eine alte Deutsche lädt uns in ihr Haus ein, das mit Trachten vollgestopft ist – jede Ecke, jede Schublade voll mit Trachten, selbstgenäht für eine Enkelin, die nie kam. Die Söhne sind alle in Deutschland.

Es ist eine seltsame Halbwelt, an die ich mich erinnere. So wenige, die übrig blieben. Eine tapfere Gemeinschaft. Nicht isoliert, sie alle sprechen Rumänisch, sie haben alle Kontakte, die meisten stehen mitten im Leben, und dennoch ist es für uns als Außenstehende ein merkwürdiges Gefühl von Wehmut, das diese Gegend durchdringt. Ich habe mich immer über die Vertriebenenverbände aufgeregt – und tue es noch. Trotzdem, vor Ort bemerkt man, spürt man, wie tief der Verlust sein kann, selbst wenn man, wie hier viele, freiwillig ging, sobald es möglich war. Jetzt sind es die Rumänen, die die deutsche Sprache weiterpflegen. Deutsche Schulen sind beliebt, es gibt rumänische Tanzgruppen, die deutsche Traditionen pflegen, ohne einen einzigen Deutschen. Das ist karrierefördernd, zu einer guten Ausbildung gehört es, Deutsch zu sprechen, dann schafft man vielleicht den Sprung nach Westeuropa, kann Fuß fassen. Raus aus der Armut, die in Sibiu nicht so sichtbar wie in Bukarest, aber vorhanden ist. Kaum einer kann von einem Beruf leben. Und dann gleich wieder der Zweifel – ist das nicht eine seltsam imperialistische Kulturpolitik, die mit deutschem Geld deutsche Schulen in einer Stadt fast ohne Deutsche fördert? Dann wieder das Altersheim, das mit Mitteln des Bundesinnenministerium für deutsche Senioren gebaut wurde, und man denkt: Es sieht grauenhaft, klaustrophobisch aus, aber vielleicht ist es für die Übriggebliebenen tatsächlich die schönste Art, den Lebensabend zu verbringen? Miteinander, Volkslieder singend? Dann wieder das Bild vom Gemeindetreffen – wo, als der Pfarrer die Lieder anstimmte, plötzlich Gesangsbücher verteilt werden mussten, weil kaum jemand noch die bekannten Volkslieder auswendig singen kann.

Fast jeder, den man in Sibiu auf der Straße trifft und der Deutsch spricht, kommt zu Besuch. Viele, die ihre Angehörigen sehen wollen. Viele, die nur die alte Heimat besuchen, in der schon niemand mehr lebt, für den es noch Heimat ist. Aber was ist Heimat? Die aktuelle, in der man lebt, und in der man, wie der Kosmopolit Konstantin, Deutschland wie auch Rumänien ein trotziges Fuck you! entgegenschreit? Oder eher die Erinnerung? Oder die wiederentdeckte der Rückkehrer, die es auch gibt? Wie für den Manager, der arbeitslos wurde und jetzt einen Vertriebsposten für Rumänien bekommen hat – während er erfolglos versucht, den alten Weinberg der Familie, den die Kommunisten enteignet hatten, wiederzubekommen, der direkt vor dem Haus liegt. Wir sehen den Berg. Ich wäre nie darauf gekommen, dass hier mal Wein wuchs. Wildnis sehe ich. Und es sieht schön aus. Für diesen Mann ist es eine Wunde, die sich nicht schließen will. Vielleicht ist das Heimat in Siebenbürgen. Eine Wunde, die sich nicht schließt. Und die auch keiner schließen will. Die sich aber schließen wird. Denn in wenigen Jahrzehnten, da sind sich fast alle einig, lebt hier keiner mehr, der deutsch ist. Wir erleben eine untergegangene Welt, die weiter untergeht, ein jahrzehntelang hinausgezögerter Untergang. Vielleicht ist das Heimat. Das, was untergeht. Was vergangen ist, was immer aufs Neue täglich vergeht und nie wiederkommt und doch immer bleibt.



Gruß
grumpes
seberg
schrieb am 19.02.2011, 14:37 Uhr
Na hoffentlich liest das der Lucky nicht!

Oder er liest es und rückt es zurecht, ins richtige Licht!

Friedrich K
schrieb am 19.02.2011, 16:07 Uhr
Na hoffentlich liest das der Lucky nicht!
Wer iste lucky ?!?
rhe-al
schrieb am 19.02.2011, 16:36 Uhr
seberg:
Oder er liest es und rückt es zurecht, ins richtige Licht!


...oder "richtige" Projektion. :-))
grumpes
schrieb am 19.02.2011, 20:06 Uhr (am 19.02.2011, 20:07 Uhr geändert).
Der obige Beitrag des Herrn Kittstein, ist mit Sicherheit nicht das Maß aller Dinge.
Interessant für mich war nur die neutrale Momentaufnahme der Situation in Hermanstadt und Umgebung.

Gruß
grumpes
Mynona
schrieb am 19.02.2011, 20:09 Uhr
Eine heftige Momentaufnahme,mal sehn was unser Südafrikaner dazu sagt.Sieht ihm nach ,das doch alles so ganz anders aus....
grumpes
schrieb am 19.02.2011, 20:17 Uhr
@Mynona,
es gibt bestimmt noch eine "Vuvuzela" im Souvenirgeschäft. Damit kann alles "übertönt" werden.
Fairerweise sollten wir jetzt nicht in seiner Abwesenheit über Ihn herfallen. Warten auf die "Vuvuzela".
Gruß
grumpes
Mynona
schrieb am 19.02.2011, 20:29 Uhr (am 19.02.2011, 20:30 Uhr geändert).
Na ich hoffe die goldenen Manschettenknöpfe hat er dann noch ;-)
Hab ne Freundin in SA und da sieht's ungefähr so aus:

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lucky_271065
schrieb am 19.02.2011, 23:52 Uhr
@ Grumpes
@ Seberg
@ Rhe-al

Wir erleben eine untergegangene Welt, die weiter untergeht, ein jahrzehntelang hinausgezögerter Untergang. Vielleicht ist das Heimat. Das, was untergeht. Was vergangen ist, was immer aufs Neue täglich vergeht und nie wiederkommt und doch immer bleibt.

Ich finde das schön formuliert. Ich denke, jeder hat das Recht auf seine eigene "Brille". Auf seine eigenen "Projektionen", meinetwegen.

Was ich mich frage ist, ob Ihr Euch dessen bewusst seid, dass dieser Untergang auch der Eurer Gemeinschaft ist. Der Gemeinschaft, die auch Euch geprägt hat (zumindest bis zu einem gewissen Punkt). Auch wenn Ihr vielleicht meint, diesen Untergang locker aus der Ferne beobachten und (zum Teil spöttisch?) kommentieren zu können.

Das ist es ja, was ich Euch zu sagen versuche: wenn wir diesen Untergang noch eine Zeitlang hinausschieben wollen, brauchen wir uns gegenseitig. Die "hier" und die "dort".

Vorerst gibt es im September ein "Sachsentreffen" in Kronstadt. Wann wart Ihr zum letztenmal dort?

Jenes in Bistritz im letzten Jahr soll sehr gelungen gewesen sein.

Gruss aus der Altstadt von Cape Town.

Muss noch einen passenden Adapter besorgen.

P.S. Friedrick K
Lucky ist jemand dem Du in den letzten drei Monaten erstaunlich viel Aufmerksamkeit geschenkt hast.
lucky_271065
schrieb am 20.02.2011, 01:38 Uhr (am 20.02.2011, 01:39 Uhr geändert).
@ Mynona

Also, wo ich mich gerade aufhalte, sieht es etwa so aus:

www.pepperclub.co.za/

Eigentlich schade, dass ich das schöne Zimmer und das riesige Bett für mich alleine habe.

P.S. Es stimmt, es wird einem dringend empfohlen, Geld und Wertsachen im Safe abzulegen. Und lieber nicht alleine nachts durch die Gegend herumzulaufen ... Das Vergnügunsviertel ist gleich um die Ecke.. "Long Street". Falls Sich jemand von den Herrschaften mal her verirren sollte. Ich selber bin natürlich nur zur Arbeit hier.
grumpes
schrieb am 20.02.2011, 01:58 Uhr (am 20.02.2011, 02:16 Uhr geändert).
Das ist es ja, was ich Euch zu sagen versuche: wenn wir diesen Untergang noch eine Zeitlang hinausschieben wollen, brauchen wir uns gegenseitig. Die "hier" und die "dort".

@Lucky,
wir brauchen "DORT" nicht mehr, und den Untergang haben wir schon akzeptiert, das ist die Wahrheit.
Gruß
grumpes
P.S. Lucky,wenn Du in einer fremden Stadt bist, und etwas erleben willst: Frag grundsätzlich die Taxifahrer, die kennen die besten Plätze.
Und wenn Du dich länger dort aufhälst kann ich dir eine Adresse von Freunden geben.

........und wenn ich jetzt in Südafrika wäre, ja , dann ginge mir Siebenbürger.de am Hintern vorbei, dann würde ich mich eher für dieses Land interessieren.
lucky_271065
schrieb am 20.02.2011, 02:33 Uhr (am 20.02.2011, 02:53 Uhr geändert).
@ Grumpes

Tja, vielleicht ist es einfacher so. Den Untergang zu akzeptieren, noch bevor er stattgefunden hat. :)

Aber manchmal gilt auch: "Totgesagte leben länger."

Wenn ich recht verstanden habe, kommst Du aber trotzdem noch ganz gerne ab und zu nach Hermannstadt. Und zeigst auch Deinen deutschen Freunden, dass wir hier nicht "auf den Bäumen gelebt haben". Bzw noch leben.

Viele Ausländer, die ohne Vorurteile herkommen, sind nach wie vor begeistert von Hermannstadt. Zu empfehlen ist unter anderem aus kulinarischer Sicht neben dem sächsischen Lokal "Hermania" (Filarmonicii Str) auch ein Grieche mit seinem "Akropolis" (Abatorului Str, vom Bahnhof Richtung Zibin) und ein Irischer Pub (Felinarului Str).

Bin gerade durch die Altstadt von Cape Town spaziert. Starke Kontraste: Viktorianische Häuser mit ihren schicken Balkons und daneben "Wolkenkratzer". Sehr viel los, Samstag abend, auf der "Long Street". Habe mir auch schon verschiedene Links zu Südafrika und speziell Cape Town zu Gemüte geführt.

Ja, siebenbürger.de scheint ganz, ganz weit weg, von hier aus betrachtet. Trotzdem, auch in der Ferne denkt man manchmal an seine (virtuellen) Freunde. Und inzwischen habe ich wohl doch ein paar hier.

P.S. Bin für eine Woche hier in Cape Town und habe immer gerne ein wenig Kontakt auch zu "Einheimischen". Bin übrigens gleich um die Ecke von der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche.

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