Der "pünktliche" Schuster

In der Obergasse, etwas entfernt vom Dorftrubel, wohnte in einem älteren Haus ein in die Jahre gekommener Mann von zierlichem Wuchs, der Gualesjirku. Vater, ein guter Freund des Sonderlings, behauptete immer, er sei ein "altes Kind". Seine Stimme klang stets melodisch und gezogen, dazu hoch, also recht ungewöhnlich. Er hatte den Beruf eines Schusters erlernt, übte ihn jedoch nur sporadisch aus und das nur dann, wenn er in akutem Geldmangel steckte oder dazu - wie sich noch herausstellen sollte - gezwungen wurde... Ansonsten döste er tagelang in seiner Wohnung dahin oder marschierte zur Kokelbrücke, in der Hoffnung per Anhalter irgend wohin gefahren zu werden. Die Richtung war dem seltsamen Kauz egal, denn er frequentierte alle möglichen Sekten. Nur die Kirche betrat er nie, weil es anscheinend irgendwann eine Auseinandersetzung mit dem Pfarrer gegeben haben soll, aber so genau wusste dies keiner mehr - und er selber auch nicht.

Seine Frau, die Kathi, war zwar viel voluminöser als der Zwerg, doch im Gemüt waren sich die Beiden recht ähnlich, denn auch sie liebte das "weniger Tun". Eine Uhr gab es im Haus nicht, denn schließlich hatte der liebe Herrgott ja die Erde mit Tag und Nacht gesegnet und das musste reichen. Den paar Hühnern konnte man die Körner zu jeder Tages- oder Nachtzeit hinwerfen, denn die hatten ja auch keinen Zeitmesser und einen Hahn auch nicht, denn der hätte ja nur "gedrehte" Eier gelegt, die wohl kaum essbar waren.

Eines Tages - es könnte so Mitte August gewesen sein - erschien der Raitatummes mit ein Paar Winterschuhen, die neu besohlt werden mussten. Jirko gab ihm einen "fixen" Abholtermin für den folgenden Monat, doch der verging ohne Fertigstellung der Ware, was nicht wunderte, denn der Schuster war wegen seiner "Pünktlichkeit" bekannt. Der kräftig gewachsene Tummes schaute noch ab und zu vorbei und wurde immer wieder auf ein neues "Fixdatum" vertröstet. Er nahm es gelassen hin, denn bis zum Winter waren es ja noch ein paar Wochen.

Das sollte sich unverhofft ändern, als Mitte November die Temperaturen plötzlich unter den Gefrierpunkt fielen. Da suchte der Tummes seinen "Wohltäter" schleunigst auf, um ihm den Ernst der Lage beizubringen. Der versprach nun hoch und heilig, das Schuhwerk bis nächsten Tag in Ordnung zu bringen, doch vergaß er sein Versprechen kurz danach und schlenderte von neuem zur Brücke, um seine Glaubensbrüder in Nah oder Fern aufzusuchen. Dabei wurde er zufällig vom Tummes gesehen. Wutentbrannt sann dieser auf Rache.

In der Dunkelheit des folgenden Abends schlich er sich zum Haus des Schuhflickers, postierte sich unter dem Fenster und rief auf rumänisch mit verstellter Stimme: "Bruder Jirku, Bruder Jirku, komm mal her." Der immer höfliche Alte ging hin, öffnete und ragte den Kopf hinaus, um nachzusehen, wer ihn zu einer so späten Stunde noch stören wollte. In diesem Moment donnerten fast gleichzeitig zwei schallende Ohrfeigen auf seine Wangen. Instinktiv wollte der Geschädigte den Kopf einziehen, stieß jedoch mit voller Wucht an den Rahmen der viel zu kleinen Lichtöffnung.

Die mollige Kathi schreckte auf, erhob sich mühsam aus ihrem Nest - sprich Bett - und fragte aufgeregt:

" Was hast du, lieber Jirko?"

"Zwei Platschen (Ohrfeigen)liebe Kathi!"

Von draußen ertönte noch eine ernstzunehmende Drohung des "Rumänen": " Wenn du bis morgen nicht all die Schuhe reparierst, die bei dir herumliegen, komme ich noch einmal und dann gibt es das Vielfache!"

"Was mach ich nun, liebe Kathi", wandte sich der Geschlagene hilfesuchend an seine Gemahlin.

"Ich würde mich in deiner Stelle an die Arbeit machen", meinte sie, "denn das klang ziemlich ernst, was dieser Rumäne da geplappert hat."

Jirko befolgte den Rat und arbeitete die ganz Nacht und den ganzen folgenden Vormittag durch, bis das Soll erfüllt war. Als dann gegen Abend der Tummes kam, empfing ihn der Hausherr zwar müde, aber mit einem strahlenden Lachen:

"Hier Tummes sind deine Schuhe. Wie du siehst, ist auf mich immer Verlass!". Der "Rumäne" verbarg sich ein offizielles Grinsen, drehte kurz am Schnurrbart und entgegnete:

"Woher diese plötzliche Wandlung? Ist vielleicht was vorgefallen, von dem ich nicht weiß?"

"Aber nein, lieber Tummes, ich dachte nur, dass man die Leute bei der Kälte nicht in Sommerschuhen herumlaufen lassen darf."

"Mir ist aber zu Ohren gekommen, dass Ihr gestern Abend Besuch hattet. Könnte es vielleicht sein, dass da jemand ein bisschen nachgeholfen hat?" Jirkos Stimme verstummte für einen Moment, doch dann gab er zu:

"Nun, etwas ist an der Sache schon dran, doch sollte nicht vergessen werden, dass jetzt alle Schuhe fertig sind, also, solltest du den Urheber dieser Begegnung vielleicht kennen, so bestelle ihm bitte, dass ich ihm im Nachhinein für seine Tat danken möchte", bemerkte der Schuster mit Stolz und Anerkennung. Tummes musste sich von neuem ein Schmunzeln unterdrücken, riss sich zusammen und entgegnete fest:

"Mache ich liebend gerne, Jirkoihm" und verschwand im Dunkel der Nacht.

Aus "Zwischen drei Welten" von W.G.Kauntz

Walter-Georg Kauntz

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