Die alte und die "neue" Lori

Unser kleines Nest liegt irgendwie am Rande des Sächsischen. Dies zu begründen, stößt vielleicht bei Einigen auf Stirnerunzeln, aber etwas ist schon dran. Man bedenke z.B., dass sich unterhalb von Donnersmarkt kein einziges sächsisches Dorf befindet, was geographisch den nackten Tatsachen entspricht: Die Große Kokel vereint sich bei Blasendorf mit ihrer kleineren "Schwester", fließt anschließend in den Mieresch, der in die Theiß, die in die Donau und die wiederum mündet ins Schwarze Meer. Nirgends unterhalb unseres Dorfes wird noch sächsisch gesprochen, also habe ich Recht.
Natürlich bin ich als Donnersmarkter stolz darauf in einem derartigen Grenzgebiet zu leben und möchte sogar behaupten, dass ich mich als Nachfahre ritterlicher Sachsen fühle, die sich im Laufe unserer über acht Jahrhunderten andauernden Geschichte so vielen Invasionen aus dem Westen widersetzt haben. Dass von deren Schlössern und Ausrüstungen auf unserem Hattert bis jetzt keine Spuren gefunden wurden - und die historischen Dokumente diesbezüglich auch nichts bestätigen -, soll noch lange nicht heißen, dass ich einer Traumwelt unterliege. Könnte ja sein, dass man sie alle gestohlen hat, denn bei uns sind ja so viele Halunken vorbei gezogen, dass man so etwas locker vermuten kann. Sollten auch in naher Zukunft keine Beweise in dieser Richtung auftreten, so müssten unsere Dorfvorsteher - soweit sie noch ein Fünkchen Lokalpatriotismus aufweisen - doch welche "auf sonst bekanntem Weg..." besorgen. Ein Schalk, wer dabei Böses denkt.

Aber lassen wir das. Bevor ich dir Konkretes erzähle, kleiner Puschkê, ist es vielleicht angebracht, dich daran zu erinnern, dass ich bloß ein einfacher Bauer bin und du viele Schulen hast, aber ich bin dir trotzdem in zwei Sachen überlegen: Die Eine ist, dass ich ohne deine Bildung weiß, wo die Kokel ihr Wasser hin bringt und zum Zweiten ist es die Dorfgeschichte, die in keinem Buch zu finden ist. Die handelt nämlich um "Eigengewächse", von denen ich dir im Folgenden zwei Fälle eines Einzigen darstellen möchte, die uns nicht unbedingt mit Ruhm bekleckern, jedoch Teil unseres Dorflebens sind. Doch bevor ich dir die beiden Ereignisse erzähle, solltest du noch wissen, dass euer Spitzname "Puschkê" von einem Eurer Vorfahren stammt, einem nicht allzu treffsicheren Jäger, den die Rumänen, die bei ihm als Treiber tätig waren, ironisch so betitelt haben (Anmerkung: "Puschka" heißt auf Rumänisch "Büchse" im Sinne von "Gewehr"). Das ist allerdings nicht als Herabsetzung deines Stammes gedacht, in dem es zwar viele Hochnäsigen gab, aber dafür kannst du ja nichts. In meinen Augen scheinst du mehr nach deiner Mutter zu kommen, aber die kennst du ja nicht, Entschuldigung! Die gute Frau war so was von Barmherzlichkeit, Nächstenliebe und Gottestreue. Diese Deppnerischen waren eigentlich alle so. Schade nur, dass die arme Seele so früh aus dem Leben scheiden musste. Sei mir nicht böse Junge, wenn ich die gute Kathi deinem Vater vorziehe. Der ist auch ein guter Mensch, bibeltreu und menschenfreundlich. Letzteres heißt, dass er jedem Wesen menschlicher Natur helfen möchte. Bedenke dabei auch, dass er euch fünf Kinder allein aufgezogen hat. Aber, mein Junge, darum bist du ja nicht zu mir gekommen. Dich interessieren Ereignisse, die sich vor deiner Zeit zugetragen haben. Dass man dich zu mir geschickt hat, wundert mich überhaupt nicht, denn mir sind viele Geschichten bekannt. Ich weiß nicht, ob ich sie dir so anvertrauen kann, denn wir leben ja in einer Zeit, in der jeder jeden bespitzelt und keiner weiß, was er noch sagen darf, ohne danach "die Sonne im Quadrat" zu sehen. Du weißt schon, was ich damit meine... Aber nun genug des Allgemeinen, denn du willst ja konkrete Sachen hören.

DES ZÄCHELS KUH (Anmerkung: Wurde meinerseits in den o.g. Titel verändert)

Auf dem Anwesen, in dem du das Licht der Welt erblickt hast, lebte vor vielen Jahren ein ziemlich seltsamer Mitbürger. Seinen korrekten Namen wusste eigentlich niemand - anscheinend er auch nicht - Hauptsache war jedenfalls, man ging davon aus - er auch -, man gehöre dazu.

Nun stellt sich natürlich die Frage, wer zu wem gehört? Wir, die Anderen, kannten ungefähr unseren Stammbaum, aber den von Zächel eigentlich keiner. Wie - und wann - er in unsere Gesellschaft eingedrungen war, weiß bis heute niemand, doch das scheint im Moment nicht ganz so wichtig zu sein. Viel wichtiger ist allerdings, was dieser Trottel über uns Donnersmarkter gebracht hat. Dafür schäme ich mich auch heute noch, weil die Sachsen der Nachbardörfer wiederholt uns die blöden Ausraster dieses Dummkopfs als "Eigengewächse" vorhalten. Und nun zu seinen "Heldentaten" :

Der Zächel lebte eigentlich in einer "harmonischen" Ehe. Fragt sich bloß, aus welchem Blickwinkel her gesehen... Aus dem seinigen bestimmt, denn er durfte walten und verwalten, während seine Frau, die Lis, eventuell nicken durfte... Das Unanständige an der ganzen Sache war nur, dass die Lis in ihrer Jugend trotz ihrer verblüffenden Schönheit sich keinem Jüngling hingeben durfte, weil sie aus recht ärmlichen Verhältnissen stammte und die Eltern wussten, dass ihre Jungfräulichkeit ihr einziges Kapital darstellte, während der Zächel trotz seiner überproportionalen und auch krummen Nase - von den Flätschzähnen ganz abgesehen - sich so manchen "Ausrutscher" erlauben konnte. Sicher findet dies Unsereiner ungerecht, aber jeder biegt sich halt das Leben so hin, wie er es eben kann - oder muss. Um das Ganze etwas abzukürzen, sei erwähnt, dass die Ehe zwischen den beiden Ungleichen offiziell normal verlief. Damit soll gemeint sein, dass er die Entschlüsse fasste und sie diese abnickte...

Ihr einziges gemeinsames Interesse galt der Lori. Die war eine recht brave Kuh, die in den Augen der Eigentümer noch mehr an Prestige gewann, als sie ein Kalb zur Welt brachte. Anfangs war die Freude beiderseits groß: Die Kuh gab mehr Milch und das Kalb hätte auch mehr Geld eingebracht - bei seinem Verkauf, selbstverständlich. Problematisch war allerdings, dass das Kalb den Verkauf der Milch immer mehr unterband, weil es mit fortschreitendem Alter höhere Ansprüche gegenüber der Milchproduktion seiner Mama stellte, was natürlich in den Augen von Zächel eine Frechheit darstellte: Nach seiner Logik sollte sich das Kalb den Interessen des Hausherren fügen, die darin bestanden, dem kleinen Vierbeiner so rasch, wie nur möglich das Verzehren vegetarischer Nahrung beizubringen, während das Kleine anscheinend die "Bitte" des Herren nicht verstehen wollte und darauf bestand, die Muttermilch auch weiter zu genießen. Dazu sei noch erwähnt, dass das Kalb auch noch den Nachteil besaß, nicht rechnen zu können. Genau deshalb "verschwendete" es ohne Wenn und Aber ohne auch nur aus der Wimper zu zucken die Muttermilch.

Zächel stand vor einer kaum lösbaren Aufgabe. Sollte er dem Kalb das frühe vegetarische Essen beibringen, würde die Lori weniger Milch - vielleicht keine mehr - geben, im Gegentrend würde der Nachwuchs in Kürze immer mehr für sich in Anspruch nehmen, also war dann seine Geschäftsfähigkeit dahin. Nach langem Nachdenken wurde seitens des Eigentümers der Entschluss gefasst, das Kalb zu verkaufen.

Der darauf folgende Donnerstag wurde zum Schicksalstag für Mutter und Kind: Der ungehobelte Bauer holte schon vor Sonnenaufgang die beiden weiblichen Vierbeiner aus deren Schlafstätte, fütterte sie diesmal besonders gut... , verpackte eine Flasche Wasser nebst einer mit etwas "stärkerem Inhalt" und machte sich mit seinen "Damen" auf die Reise.

Der Fleiß der Drei wurde belohnt, denn bei Marktbeginn befanden sie sich in einer ziemlich geeigneten Lage. Da konnte doch nichts schief gehen...
Der Zächel war von sich schon immer überzeugt, also verkaufte er seine "Frauen" zu - aus seiner Sicht - respektablen Preisen. Mit einem fetten Büschel Banknoten begab er sich in die nächstbeste Kneipe und ließ es sich gut gehen. Da waren die berühmten Blasendorfer Würstchen, der Schnaps und dann das Bier. Man gönnte sich ja sonst nichts...

Irgendwann besann sich der "Kuhhändler", dass er eigentlich nur das Kalb loswerden wollte, nicht aber die Lori. Die hatte ihn beim Verkauf sowieso recht traurig angesehen so, als wollte sie fragen: `Willst du mich wirklich loswerden?" Da war es nur nachvollziebar, dass eine neue Lori gekauft werden musste, die natürlich der alten wenigstens ähnlich aussehen sollte.

Einfach war es bestimmt nicht, denn die alte Lori war immer brav und treu, dazu auch noch so hübsch: Ihr hellbraunes "Gewand" hatte schon so manchen Fremden begeistert, aber nun war sie so einfach weg und das Ganze nur, weil sich der Zächel eine momentane Unüberlegtheit erlaubt hatte. Also packte ihn die Reue.

In der Zwischenzeit funktionierte auch die Vernunft einiger Maßen wieder und dementprechend musste eine neue Lori her und die wurde auch ziemlich rasch gefunden: Genau an dem Platz, an dem er seine "Damen" verkauft hatte, stand nun eine "neue Dame", die der alten verblüffend ähnlich aussah. Ihr weiterer Vorteil war, dass sie kein Kalb hatte.

Da war eigentlich noch etwas: Die Stimme des Käufers glich der des jetztigen Verkäufers in allen Hinsichten, doch kann es auch "doppelte Zufälle" geben ..., dachte jedenfalls der Nichtsnutz. Man übersah einfach alles vorher Geschehene und schloss einen neuen Vertrag ab, der jemanden... benachteiligte. Zächel legte noch einige "Blaue Scheine" (100-Leu-Banknoten)dazu, nahm die "neue" Lori in Empfang und machte sich auf den Heimweg.

Das gute Tier legte am Wegesrand wiederholt Pausen ein, um zu grasen, was dem "neuen" Eigentümer nicht missfiel, denn so sparte er Heu. Dann setzte er sich in den Baumschatten und nippte an seiner Flasche mit dem "Starken".

Als sie zur Gabelung nach Donnersmarkt angekommen waren, bog der Wiederkäuer nach rechts ab, was den alten Lümmel sehr wunderte:`Da schau her, die weiß sogar, wo mein Dorf liegt!`, bemerkte er süffisant und klopfte sich auf die Schulter: `Hast `nen guten Handel gemacht, alter Bursche`, und nahm einen kräftigen Zug vom Obstler.

In der Ortsmitte bog das Tier nach links in die Mühlgasse ab, was noch mehr Erstaunen hervorrief: `Dass mich der Schlag treffe, die kennt sogar die Straße! Bleibt nur noch, dass sie auch weiß, wo ich wohne!` Tatsächlich wusste das kluge Tier auch das. Es hielt vor dem Tor an und fing laut an zu Muhen. Anscheinend suchte sie jemanden...

Beim Öffnen des Tores ging die hübsche Kuhdame stracks in den Stall und gab wiederholt verzweifelte Laute von sich. Zächel war sprachlos! Noch nie hatte er eine so intelligente Kuh gekauft. Das Ganze grenzte fast an Zauberei! Dies musste der herbei geeilten Lis erzählt werden. Die hörte sich alles in Ruhe an, ging dann in den Stall, streichelte das Tier und fragte es: `Na, Lori`, wie war es denn auf dem Viehmarkt?` Die Frage nach dem Kalb stellte sie aus Respekt vor der Kuhmutter nicht. Dann verließ sie die Tierherberge, warf ihrem Mann einen verächtenden Blick zu und verschwand im Garten, um den Blumen ihr Leid zu klagen.

So, mein Lieber, nun weißt Du, weshalb die Langenthaler, Schergieder usw. alle über uns lachen. Wegen solch einem Trottel sind wir zum Gespött der ganzen Umgebung geworden. Das ihn der Gutta holen sollte!!!

Aufgezeichnet von Walter Georg Kauntz











Erzählt vom Gogeschmisch

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