Die Schreckensbotschaft

Etwas am Rande von Donnersmarkt lebte vor vielen Jahren eine sonderbare Jungfrau, die bei allen als "dot verriakt Sus" (die verrückte Sus) bekannt war. Die eigenwillige Maid trug selbstverständlich mit immer neuen Eskapaden dazu bei, um ihrem Spitznamen alle Ehre zu machen - wenn meist ungewollt, aber wer weiß das so genau. Det Susken, wie, sie manchmal auch liebevoll genannt wurde - sie hatte nämlich auch gute Seiten -, stammte aus gutem Haus. Ihre Eltern, die beide recht früh verstarben, hinterließen ihr ein respektables Anwesen, nebst einigen Grundstücken, doch die Sus war nicht für die Arbeit geschaffen und so verkaufte sie alles, außer dem Haus und dem Garten, was ihr ein gutes finanzielles Polster bescherte.

Ihr Tagesablauf verlief sehr unregelmäßig. Irgendwann stand sie auf und fütterte anfangs die Katzen. Dann nahm sie ihre Lieblinge mit ins Bett - die Küche war der einzige von ihr benützter Raum - und streichelte sie. Wie lange, wusste sie selber nicht. Wurde es ihr langweilig, oder packte sie der Hunger, zog sie sich etwas dezenter an - zu Hause hatte sie immer den gleichen Rock und dieselbe Bluse an - und ging auf Wanderschaft sprich, sie erstattete den Frauen Besuche, die kleine Kinder hatten und so nicht aufs Feld gehen konnten. Dort verblieb sie dann so lange, bis es Essen gab. In dieser Beziehung zeigte unsere "Heldin" ein immenses Aushaltungsvermögen, denn Zeit hatte sie ja genug...

Während der Mahlzeiten achtete sie immer darauf, dass auch für ihre Lieblinge was heraussprang. Dafür hatte sie stets eine kleine Tasche dabei, in der dann so manche Essensreste verschwanden.

Das Essen erkämpfte sie sich durch das Verbreiten von "Nachrichten" über andere Dorfbewohner, die das mit einem enormen Mundwerk ausgestattete Weib mächtig übertrieb, aber das wussten die Anderen und nahmen sich ihr Teil heraus, denn die Sus war halt immer auf dem Laufenden.

Das Ganze verlief über viele Jahre in mehr oder weniger akzeptablen Rahmen, bis sie es beim Glosermisch einmal übertrieb. Der hatte nämlich eine Liebelei mit einem weiblichen Gast aus Bukarest, der sich in den Ferien im Heimatdorf seiner Eltern aufhielt. Die beiden Turteltäubchen verbrachten viel Zeit miteinander, doch passiert war da eigentlich nichts Außergewöhnliches. Nicht so bei der Sus. Sie verbreitete die Mähr, dass die Monika schwanger sei - sie hätte die Zeugung mit eigenen Augen erlebt -, was nun auch beim ansonsten so ruhigen Misch dem Fass den Boden ausschlug. Nun war Rache angesagt!

Der versammelte seine Klique, deren Anführer er war, und arbeitete einen heimtückischen Plan aus, der ihn danach weit über die Grenzen des kleinen Nestes berühmt machte:

Eine Zeit lang beobachtete er den Tagesablauf des Tratschweibes und der war eigentlich eintönig: Nachdem es seine "täglichen Meldepflichten" beendet hatte, kehrte es heim, wo es von den Schnurrern mit viel Gemiaue empfangen wurde. Die Mäusefresser schlichen um ihre Herrin herum und streichelten sie liebevoll mit ihren hoch gehobenen Schwänzen und das tat der fast Eremitin besonders gut, waren es doch die einzigen Wesen, die sie umwarben, wenn auch nur aus recht egoistischen Gründen...

Nach dem gemeinsamen Essen - sie knabberte auch noch an dem einen oder anderen Stück, bevor sie diese den Endverbrauchern überließ -, ging sie bei akzeptablem Wetter noch in den Garten, der einen recht "urigen" Zustand aufwies, setzte sich auf eine Anhöhe und betrachtete das Dorfleben. Das war nun auch nicht sehr abwechslungsreich, denn außer der Heimkehr der Kühe und dem Fluchen mancher Bauern gab es kaum Außergewöhnliches zu vermerken, aber auch das war immerhin aufregender als die Monotonie in ihrem "Palast".

Manchmal setzte sie nach dem Einbrechen der Dunkelheit ihre Gaslampe in Funktion und blätterte in den Büchern herum, die sie sich von den besuchten Frauen ausgeliehen hatte, doch das dauerte nie lang, denn meist überkam sie schon nach wenigen Minuten eine tiefe Müdigkeit - nach dem "plagend schweren Tagewerk" wohl verständlich..., also verschwand sie unter der Decke und fing schon nach einigen Momenten so laut an zu schnarchen, dass der Eindruck entstand, man befinde sich in einem Sägewerk... Ja, ja, die Sus hatte einen sehr gesunden Schlaf, um den sie zu beneiden war.

Eines Abends erhielt unsere Hauptperson Besuch. Der Misch und die Seinen verschafften sich vom Garten her Zutritt und näherten sich dem Domizil der Außenseiterin. Da es eine laue Sommernacht war, stand die Küchentür einen Spalt offen, um den Katzen den Zugang zu ermöglichen.

An diesem Spätabend schien alles etwas anders zu sein als sonst. Im Raum herrschte tiefe Stille, die nur von einem unregelmäßig wiederkehrenden Stöhnen unterbrochen wurde. Vielleicht war es ein Albtraum, vielleicht eine Wahrsagung, ein Fluch... Jedenfalls schmiss sich die Sus mehrere Male hin und her, sodass das antike Bett dermaßen quietschte, dass man hätte annehmen können, es gehe für immer auseinander. Oder hatte der weibliche Dorfspion eine Vorahnung auf das, was sich in Kürze zutragen sollte...? Jedenfalls mussten die Jungs für eine Weile etwas Geduld aufbringen. Sie setzten sich in die Nähe des Eingangs und warteten ab.

Irgendwann kehrten die vom Misch wohl bekannten Geräusche zurück, denn das "Sägewerk" wurde angelassen, also konnte der ausgehegte Plan endlich umgesetzt werden: Er schlich in die Stube und legte sich unter`s Bett der Hauseigentümerin. Als er sich versichert hatte, dass alles nach Plan verlief, legte er mit tiefer Stimme, um nicht erkannt zu werden, los. Kurz davor wieherten der Hans und der Sam so lange, bis die Unglückselige aufgewacht war:

"Kläse`sus, Kläse`sus, ich bin gekommen, um dich abzuholen. Du stehst auf meiner Liste ganz oben." Dabei wetzte er wiederholt die mitgebrachte Sense an einem Schleifstein und erzeugte ein so makaberes Geräusch, dass der Eindruck entstand, es handele sich tatsächlich um den Sensemann. Die keinesfalls beneidendswerte Frau sprang auf ihrem Strohsack hoch und fragte außer sich vor Angst: "Wer bist du, wer bist du? Sag` doch endlich, wer du bist!"

"Denk` doch mal nach. Wer könnte dich um diese Zeit schon mit der Sense abholen?" Die Stimme vom Misch klang sehr überzeugend; schließlich hatte man die Szene Wochen lang geübt...

"Du bist doch nicht vielleicht der..." Beim letzten Wort verschlug es sogar der sonst so Wortgewaltigen die Sprache. Im Strohsack machte sich ein leises Rieseln hörbar, von dem einige Tropfen genau die Schläfe des Abschied Bringenden erreichten. Gleichzeitig machten sich Düfte breit, die man sonst nur vom Abort her kennt und aus einer anderen Öffnung kamen. Damit hatte Misch zwar nicht unbedingt gerechnet, doch vernahm er aus dem tiefsten Inneren eine sich immer mehr ausbreitende Schadensfreude, was ja schließlich auch Zweck des Ganzen gewesen war.

Draußen ahmten die Erwähnten die Pferdelaute erneut nach, während andere in den Boden stampften so, als seien die Zugtiere ungeduldig geworden. "Hörst du, Kläse`sus, mein Gespann hat´s eilig, denn bis zum Ziel, das sich weit unten befindet, liegt noch eine große Entfernung."

Die verzweifelte "Abzutretende" kam langsam zu sich. Auf einmal vergaß sie ihre ganze Angst und fing an, wie in Trance zu reden, wobei auch ihr Schlabrament (Frechheit) zurückkam:

"Woher willst du denn wissen, dass ich in die Hölle komme, du ungebetener Schuft? Vielleicht hast du dich ja in der Adresse geirrt, denn ich habe ein Leben lang nichts Böses getan. Vielmehr habe ich die Frauen stets mit den neuesten Nachrichten versorgt und so bei ihnen für Abwechslung in diesem sonst so beschissenen Dorf gesorgt und das Ganze auch noch ohne Bezahlung. Und da wäre noch was: Ich bin erst Vierundfünfzig. Warum nimmst du nicht die Tschiambrigritz, die Pale`mai oder den Schuestersam mit, denn die sind alle über Siebzig. Nein, nein, entweder, du hast dich bei der Hausnummer vertan, oder vielleicht bist du ja Analphabet, du altes Miststück, also schau, dass du weiter kommst!"

Der Misch wusste wohl, dass der Egomanin viele Haare auf der Zunge gewachsen waren, aber deren kurze Ansprache hatte ihn trotzdem überrascht. Er behielt die Ruhe und ging dann auf ihre Anschuldigungen ein:

"Kläse`sus, ich bin nicht hier, um deine Entschuldigungen zu hören. Außerdem habe ich mich über dich vorher informiert und weiß deshalb, dass an deinen Aussagen so Manches nicht stimmt: Mag sein, dass die von dir Erwähnten etwas älter sind, aber die mussten ein Leben lang schwer arbeiten und darum sollen sie jetzt auch einige schöne Jahre genießen, du aber hast den ganzen Tag dahin schmarotzt und so manche Lügen verbreitet. Schau dir nur deinen Garten an. Der sieht ja aus, als hättest du geradewegs den afrikanischen Urwald nach Donnersmarkt geholt! Das kostet dich nun dein Leben."

"Gib mir auch nur ein Beispiel, du Halunke!", empörte sich die Zungenhaarige.

"Kann ich tun. Sag` mal, wie war denn das mit der Schwangerschaft der Bukaresterin und dem Misch. Du sollst ja dabei gewesen sein! Ich verspreche dir, wenn du auch jetzt lügst, nimm ich dich auf der Stelle mit, du Giftschlange!"

Der Sus stockte für einige Momente der Atem. Der "Alte aus dem Jenseits" war anscheinend über sie bestens informiert und seine Drohung schien mehr als ernst zu sein. Auf einmal wurde sie unterwürfig und änderte den Ton um hundertundachtzig Grad. Aus dem kurz zuvor frechen Luder wurde nun eine sanfte Frau mit flehender Stimme:

"Du hast ja Recht. Einige Male bin ich schon zu weit gegangen. Könnte ich vielleicht noch eine Chance haben? Denk` dabei nur an meine Kätzchen. Wer soll sie denn nach meinem Abdanken noch pflegen. Die werden elendig verrecken!"

"Aha, Suske`, so kenn` ich dich gar nicht. Du scheinst ja in deinem Inneren sogar so etwas wie Reue zu verspüren und das ist gut so. Lass` mich mal nachdenken."
In der Küche herrschte für ein paar Sekunden Totenstille, ehe sich der "Sensenmann" wieder hörbar machte:

"Pass` auf Suske`, du erhältst noch ein ganzes Jahr Aufschub. Dafür gehst du morgen zur Monika und zum Misch und entschuldigst dich bei ihnen. Dazu begibst du dich zum Pfarrer und bittest ihn, dass er nach der Predigt am kommenden Sonntag deine Entschuldigung für alle Lügenmärchen kundtut, die du im Laufe der Jahre verbreitet hast. Selbstverständlich musst du auch anwesend sein und alles bejahen, damit es auch alle glauben. Na, ist mein Angebot akzeptabel?"

Eine größere Demütigung hätte es für die "Dorfbotschafterin" nicht geben können. Sie biss auf die Lippen, seufzte wiederholt ohne zu antworten, also musste nachgeholfen werden. Der Misch fing von neuem an seine Sense zu wetzen, während von draußen die bekannten Töne wieder auftauchten.

"Schon gut, schon gut", drang es ihr über die Lippen, "aber nun schau`, dass du weiter kommst."

"Noch etwas, liebe Suske`, in einer Woche schau` ich nochmal vorbei. Wenn du auch nur eine der Bedingungen nicht erfüllt hast, nehme ich dich mit. Ausreden gibt`s ab jetzt keine mehr. So, und nun, nachdem ich deinen Hof verlassen habe, wärmst du dir einen Eimer Wasser auf und wäscht dich überall, denn hier stinkt es ja noch schlimmer als in der Hölle! Und nicht vergessen: Mit den Lügengeschichten ist Schluss."

Am späten Nachmittag des darauf folgenden Tages erschien die Sus beim Misch. Als der sie sah, musste er ihr kurz den Rücken zuwenden, da er sich ein schadenfrohes Schmunzeln nicht verkneifen konnte. Dann zeigte er sich ihr und fragte unschuldig:

"Na Suse`maun (Sustante), was führt denn Euch zu mir?" Die sah ihn reumütig an und entschuldigte sich mit leiser Stimme. Misch legte nach:

"Woher plötzlich dieser Sinneswandel? Hattet ihr vielleicht ungebetenen Besuch?" Die fast bekehrte Frau blieb für einen Moment stutzig. In ihrem Kopf kamen Fragen auf. So z.B. hatte sie am Morgen im Hof keinerlei Wagen- oder Pferdespuren entdecken können und nun hatte auch dieser junge Lackel vielleicht eine Eingebung. Doch sie verdrängte alles und erwiderte:

"Der Mensch darf ja auch noch manchmal fehlen, oder? Zeig` mir mal denjenigen, der nie einen Fehler begangen hat. Der Unterschied zwischen denen und mir ist aber, dass ich solche eingestehe, die jedoch nicht", bemerkte sie siegessicher. Misch hackte nach:

"Wollt ihr vielleicht auch in Zukunft keine mehr machen?", wollte er wissen.

"Du sprichst ja, wie der...", entkam es ihr, bevor sie sich noch rechtzeitig bremsen konnte.

"Wie wer?", kam es gleich zurück.

"War nur so eine Idee", ruderte die Mehrenziekerian (Märchenverbreiterin)zurück und verabschiedete sich.

Nach einer Geschichte aus "Zwischen drei Welten" von W.G.Kauntz

Erzählt von der Fichentrenjemaun

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