Der "vor dem Ertrinken" gerettete Mond

Du musst wissen, mein Junge, dass es im Laufe der vielen Jahre, seit denen wir uns hier ansässlig gemacht haben, viele Neckereien zwischen den Nachbardörfern gegeben hat. Warum das so war - und auch heute noch so ist -, weiß ich auch nicht, aber ich vermute, dass Alle dachten besser zu sein als die Anderen oder vielleicht war es auch Neid. Hauptsache ist jedenfalls, dass man den jeweils anderen Dörflern immer wieder Sachen angekreidet hat, um sie zu ärgern und provozieren. Selbstverständlich revanchierten sich die Angegriffenen auf gleiche Art. Was da wirklich passiert sein soll, ist heutzutage schleierhaft, aber man kann darüber richtig lachen. Der Hintergrund spielt da eine untergeordnete Rolle.

Natürlich gab es in jedem Dorf auch sogenannte "Paradiesvögel". Das waren fast immer Okoschpruestijen (Klugscheißer), über die man gerne spottete, aber, da sie ja dem eigenen Dorf zugehörten, wurden ihre Taten nicht selten auf die Bewohner der Nachbardörfer abgeschoben. Eine dieser Geschichten soll sich in Langenthal zugetragen haben:

An einem sternenklaren Sommerabend saß der Motzisunder allein am Küchentisch, den Kopf auf die Arme gestützt und dachte nach. Worüber, das war ihm egal. Er war erschöpft von einem langen und anstrengenden Tag auf dem Feld. Davor hatte er noch in Hof und Stall nach dem Rechten gesehen. Nun griff er von Zeit zu Zeit nach dem Glas und zurpte kleine Schlückchen Pali daraus. Der war "zweimal gedreht", also hochprozentig, und so kratzte er ein wenig im Hals. Um dem Abhilfe zu schaffen, drehte er sich zum Eimer mit einer Tasse und wollte den Halsbrand mit Wasser löschen. Da aber der Behälter leer war, nahm er ihn und ging zum Ziehbrunnen, um die Luft daraus zu entfernen.
Dort angelangt, ließ er den dort befestigten Kübel hinein, tauchte ihn unter und, nachdem ihm das typische Geräusch signalisiert hatte, dass er voll war, versuchte er ihn nach oben zu befördern. Das machte er schon seit vielen Jahren so, also hatte sich bei ihm ein Automatismus eingeprägt, den er ausführte, ohne viel nachzudenken.

Doch diesmal sollte es anders kommen: Der gefüllte Eimer wollte das Wasser nicht verlassen. Motzi, der schon etwas "getankt" hatte, wunderte sich nicht schlecht ob der neuen Situation und strengte sich mehr an, da er sein erstes Scheitern auf den Alkoholkonsum abwälzte, doch es klappte auch diesmal nicht.

Nun wurde der Bauer neugierig und sah nach. Als sein Blick in die Tiefe schweifte, traute er seinen Augen nicht: Da unten lag der Mond! Nun konnte er sich zwar erklären, weshalb er noch immer kein Wasser im daneben stehenden Eimer hatte, nicht aber, wie das Gestirn im Brunnenschacht gelandet war. Er erinnerte sich an die vielen treuen Dienste, die ihm der Erdtrabant im Laufe der Jahre erwiesen hatte und ab diesem Datum sollte er für immer darauf verzichten müssen, weil der Nachtbegleiter am Ersaufen war!

Da durfte nicht lange gewartet werden. Im Nu rannte er auf die Straße und fing lauthals zu schreien an: "Kommt alle schnell herbei, der Mond ist in meinen Brunnen gefallen!"

Es dauerte nicht lange und schon hatten sich über ein Dutzend Männer am Brunnen versammelt, um sich vom riesigen Unglück zu überzeugen. Stracks rannten alle zum Dorfschmied und baten ihn, einen dicken Haken zurecht zu biegen.
Der ließ auch nicht lange auf sich warten und stellte das etwas "andere" Werkzeug in Rekordzeit her. Nun wurde es in Windeseile an einer langen Stange befestigt und in den Brunnen gelassen. Doch anstatt sich am Mond einzuhacken, verfing sich der Haken an der gleichen Wurzel wie der Kübel, aber das wusste ja keiner...

Die Männer packten alle an der Stange an und zogen auf Befehl:"Eins und heirupp, zwei und heirupp, drei und ... fielen alle gleichzeitig auf den Arsch! Beim dritten Mal war nämlich die Wurzel gerissen, sodass alle Mannsbilder auf dem Allerwertesten - und damit auch auf dem Rücken - landeten. Da gingen die Augen nach oben und am Himmel schien der Nachtstern in all seiner Pracht - es war nämlich Vollmond.

Die Männer trauten ihren Augen nicht. Sie fielen sich in die Arme und beglückwünschten sich in einer noch nie dagewesenen Harmonie. Versteckte Feindschaften oder Eitelkeiten waren plötzlich alle vergessen. Als Dank lud der Sundermotzi sie alle auf ein Glas ein, aus dem noch einige mehr... wurden, denn die Orgie dauerte bis in die Morgenstunden, doch was machte das schon aus, schließlich handelte es sich um wahre Helden...

Aus "Zwischen drei Welten" von Walter Georg Kauntz

Erzählt vom Schmidejirkuihm

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