Der Stabhochspringer

Unser aller liebstes Heimatdorf war lange Zeit ein bedeutender Marktflecken. Jeden Donnerstag trafen sich im Ortszentrum viele Leute von Nah und Fern und feilschten mit allen möglichen Waren - von der Nähnadel bis hin zum Ochsen. Daher stammt ja auch der Namen. Donnersmarkt hatte - im Unterschied zu den meisten Sachsen-Dörfern in Siebenbürgen - den Vorteil, dass es breit ausgerichtet war - und ist -, da es sich an einem großen Fluss - der Kiakel (Kokel)- befindet. Dadurch haben unsere Leute einen weiteren Horizont als viele Andere Unseresgleichen. Die müssen doch eingeengt in engen Tälern leben, die Armen. Dies habe ich mal einer Langenthalerin gesagt, worauf die mich lange Zeit danach nicht mehr gegrüßt hat, weil sie meinte, ich würde sie als dumm darstellen. Nun, vielleicht habe ich es ja auch so gemeint... Erst später wurde dann der Wochenmarkt nach Blasendorf verlegt, weil das viel günstiger lag und auch ausgedehntere Flächen dafür bot.

Sicher ergaben sich für einen Ort, der einen Markt organisierte, Vor- und Nachteile - hängt immer von der Sicht der Dinge ab. Stell` dir mal vor, du wohnst in der Nähe des Getümmels. Dann hast du vielleicht den Vorteil, dass du am Markttag ohne Zeitverlust so oft hingehen kannst, so oft du willst, bist aber auf der anderen Seite dem ganzen Lärm und dem Gescheiß` und dem Geblärr` der Tiere ausgesetzt, von den vielen Düften mal ganz abgesehen.

Nun, um ganz ehrlich zu sein, so viel hat das Volk unserer Gemeinde in finanzieller Hinsicht von diesem Markt auch nicht profitiert. Durch die erhobene Marktsteuer floss zwar etwas Geld in die Gemeindekasse, doch was damit gemacht wurde, wusste keiner so recht. Man hielt zwar die Wege und Straßen in Stand, baute auch einige Brunnen auf dem Hattert, aber sonst... Ich glaube eher, die Geldeintreiber haben große Teile in die eigene Tasche gesteckt, denn sie hatten die größten Häuser, das fetteste Vieh und sogar die schönsten Frauen. Glaubst du vielleicht, dass das reiner Zufall war? Nein, nein, da stank was kräftig gen Himmel, aber jeder rümpfte nur die Nase und tat so, als würde er Parfüm riechen, obwohl alles nach Draak (Scheiße) roch. Sei mir nicht böse, wenn ich das so direkt ausspreche - ich habe gehört, dass man zum Draak neuestens Eskremänti, oder so ahnlich, sagt, aber ich bleibe bei meiner Ausdrucksweise, denn die ist einfacher zu verstehen und außerdem stinkt es immer gleich egal, ob man nun dazu Gescheiß, Draak oder Eskrömento - hol mich der Gutta, dieses Wort verknotet mir noch die Zunge -, sagt.

Aber kommen wir zurück zu unserem Markt. Da soll sich mal eine ganz drollige Geschichte zugetragen haben, die bestimmt ihresgleichen sucht. Für uns Donnersmarkter hatte sie auch den Vorteil, dass sie unser Ansehen in der Umgebung etwas aufpoliert hat( Merkst du nicht, dass ich auch moderne Wörter beherrsche... Ich bin nun mal eine alte Schlawinerin - schon wieder so ein Wort, dass mich der Schlag treffen solle, ich werd` ja immer gebildeter und gescheiter!)Das hatten wir auch dringend nötig, denn einige Dorftrottel, wie der Zächel, dêt Biaschhiënkeln, der Guales und noch ein paar andere "Paradiesvögel" dieser Kategorie haben uns viel Spott bei den Nachbargemeinden eingebracht. Weißt du, so etwas bringt mich zur Weißglut: Sicher hat jedes Dorf seine eigenen Dummköpfe, aber die bleiben wenigstens zu Hause und blamieren nicht das ganze Dorf. Unsere Okoschpruestijen (Klugscheißer) müssen ja auf allen möglichen Wochenmärkten auftauchen und uns alle zum Gespött machen. Diesen Sapern (Ungehobelte) könnte ich allen den Hals umdrehen oder sie erschießen, aber das bringt ja auch nichts, denn die sterben ja nie aus. Wie sagte nur die Pitroleschmaun: `Wenn in den nächsten hundert Jahren keine Dummköpfe mehr zur Welt kommen, gibt es noch immer zu viele von der Sorte.` Und Recht hat sie gehabt. Nur gut, dass es auch den Huenz gab, der unseren Stolz etwas zurückgebracht hat. Also:

Ich muss gleich am Anfang betonen, dass der Huenz auch seine Marotten hatte. Das muss ich sagen, weil ich ehrlich bin und nie lüge; na ja, manchmal gibt`s von mir auch Unwahrheiten zu hören, aber bestimmt keine Lügen... So z.B. ließ er an Markttagen seine Frau, die Trenj, und die Kinder allein auf dem Feld schuften, während er sich herumtrieb, allerdings fast immer mit Erfolg, denn er war ein ganz raffiniertes Schlitzohr und kannte sich in Sachen Schummeleien ganz gut aus. Oft kaufte er das eine oder andere Stück Vieh zu einem billigen Preis ein und verkaufte es dann mit ziemlich hohem Gewinn weiter. Die Fachleute nennen so etwas Handelsgespür, aber für mich ist es keine ehrliche Sache, denn da wird ja immer einer geprellt, aber, wie gesagt, in solchen Sachen kenne ich mich nicht so sehr aus. Den Haupttreffer - und darauf sind wir alle hier stolz - landete unser Schlitzohr allerdings mit seinem Weltrekordversuch im Stabhochsprung:

Er ließ in der ganzen Umgebung verkünden, dass er an einem bestimmten Tag mit einem Wunderstab über den Kirchturm zu Donnersmarkt springen wolle.

Natürlich verbreitete sich diese Nachricht wie ein Lauffeuer, sodass zum angekündigten Datum hunderte von Zuschauern auf dem Marktplatz erschienen, um dem Wunder beizuwohnen. Der geschäftstüchtige Huênz ließ eine Menge Kleinigkeiten backen oder braten, die dann auch gegen Zahlen einer "Kleinigkeit" unter`s Volk gebracht wurden. Schon zuvor hatten seine Leute die Eintrittsgelder kassiert, denn der "Sportler" hatte laut eigenem Bekunden hohe Ausgaben für die Anschaffung des "Wunderstabes" und eines Spezialtrainers gehabt.

Schon geraume Zeit vor dem "Weltrekordversuch" spielte die Blaskapelle auf, sodass die Stimmung prächtig war und der Umsatz dementsprechend auch. Dann wurde der "Held" mit riesigem Tamtam angekündigt.
Umrahmt von einer "Trainermannschaft" und Beschützern, marschierte der Huenz mit breiter Brust an der wartenden und nun laut applaudierenden Menge vorbei. Er hatte kurze Sporthosen, ein neues Unterhemd und Sandalen an und trug in der Hand einen recht dicken, aber geraden Ast von etwa zwei Metern Länge. Dann kletterte er auf eine improvisierte Bühne und fing an zu sprechen:

`Liebe Gäste,

heute habt ihr die Gelegenheit, einem Versuch beizuwohnen - es könnten auch drei werden -, bei dem es um einen Weltrekord geht. Der sich vor euch erhebende Kirchturm ist 38 Meter hoch. Den will ich heute überspringen. Drückt mir dabei die Daumen - wenn es sein muss, ballt die ganze Faust. Davon werdet ihr im Nachhinein noch euren Enkeln und Urenkeln berichten können. Und nun, lange Rede, kurzer Sinn, geht`s los!`

Er ging in eine Ecke, in der der Ast - sprich Stab - aufbewahrt wurde, spuckte kräftig in die Hände, rieb den Speichel am geglätteten Holz ab und nahm den ersten Anlauf. Als er in Turmesnähe angelangt war, hüpfte der "Meister" einige Zentimenter in die Höhe, wonach er zum Auslaufen ansetzte.

Durch die Menge ging ein dumpfes Raunen, doch niemand kommentierte den Vorgang. Anschließend wiederholte Huenz seinen Versuch - wie versprochen - noch zwei Mal, wonach er von neuem die Bühne betrat und zu den größtenteils stumm gewordenen Menschen sprach:

`Liebe Gäste,

wie angekündigt, wollte ich heute über den Turm springen und einen neuen Weltrekord aufstellen. Leider ist es mir nicht gelungen. Ich danke euch trotzdem für euren Glauben an mich und verspreche euch fest, dass ich noch in diesem Jahr drei weitere Versuche unternehmen werde, zu denen ich euch alle schon jetzt herzlich einlade. Auf wiedersehen.`

In der Menschenmasse brach ein großes Durcheinander aus. Viele ballten nun tatsächlich die Fäuste, aber bestimmt nicht, um dem Draufgänger zum Erfolg zu verhelfen; andere wiederum kugelten sich vor Lachen, weil sie dermaßen veralbert worden waren.

Und der Huenz? Der hatte sich nach seiner letzten Ansprache schleunigst aus dem Staub gemacht, weil ihm bekannt war, dass es unter den Anwesenden auch einige... Neider geben könnte und Recht hatte er, denn die gab es zuhauf...

Aus "Zwischen drei Welten" von W.G.Kauntz

Erzählt von der Pribaneschmaisiaster

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