Der eigenwillige Dick

Im Laufe der Jahre hat es auch bei uns einige Eigenbrötler gegeben. Die waren bestimmt auch woanders anzutreffen, aber die kennen wir nicht. Ich bin in meinem Leben auch nicht viel herumgekommen. Einmal war ich in Mediasch, einige Male in Eibesdorf, weil der Mann von meiner Maio von dort kommt, sonst eigentlich nur in Blasendorf. Dafür kenne ich alle unsere Donnersmarkter sehr gut und sogar deren Eigenarten und Marotten. Ich muss schon sagen, beim Einen oder Anderen muss man schon den Kopf schütteln, manchmal so stark, dass er richtig weh tut. Was soll`s, sage ich immer, der liebe Herrgott kann ja nicht jedem viel Hirn geben, denn dann werden alle zu gescheit und wollen nur noch befehlen und nicht mehr arbeiten. Dann würden wir alle vor die Hunde gehen.
Weißt du, bis her ist es ja gut so, aber es kommt manchmal vor, dass Einem sowohl viel Verstand, als auch viel Dummheit verliehen wurde. Dann, mein Lieber, kann es gefährlich werden, weil man nie weiß, wie man mit denen umgehen soll. Eine Zeit lang unterhältst du dich mit ihnen ganz normal und im nächsten Moment hast du den Eindruck, vor dir stünde ein ganz anderer Mensch. Dann ist es vielleicht am besten, wenn du einen Vorwand suchst und so schnell, wie nur möglich das Weite suchst. Glaub` mir ich hatte schon immer diese Taktik und bin damit bis heute sehr gut gefahren. Solltest du auch machen.

Zu diesen recht seltsamen Kreaturen zählte auch der Dick. Wie auch der Zächel, von dem du schon bestimmt gehört hast (Anmerkung des Aufzeichners: Über den sind weiter oben gleich zwei außergewöhnliche Geschichten zu finden), war auch der Dick ein Sonderling, der jedoch auf eine ganz andere Art fråft (verrückt) war. Von ihm kenne ich zwei Begebenheiten, die du hören und weiter erzählen sollst, denn du bist ja viel jünger als ich und interessierst dich für so etwas. Gut, dass es auch noch unter unseren Jugendlichen solche, wie dich gibt.

Die erste Geschichte handelt von einer Auseinandersetzung unseres Landsmannes mit dem Pfarrer Müller. Einen Titel dafür habe ich nicht, aber du wirst bestimmt einen passenden finden. Wenn du das Ganze aufgeschrieben hast, musst du es mir vorlesen, damit ich sehe, ob es auch stimmt, aber ich interessiere mich auch für die Überschrift.

In Sachen Religion hatte der kleinwüchsige Dick eine ganz eigene Auffassung, nicht, dass er gottlos gewesen sei, nein, der schien schon fromm zu sein, denn aus seinem Mund kamen nie Gotteslästerungen oder Ähnliches hervor, aber ich habe den Eindruck, der konnte es nicht so mit den Pfarrern... Er vermutete nämlich, dass die Gottesmänner einen Teil der Kirchensteuern für sich behielten und deshalb entschloss er sich, keine mehr zu zahlen! Das musst du dir mal vorstellen. Jeder Sachse in unserem Dorf erledigte sich dieses Opfers ohne Murren oder Nachdenken, denn die Prediger des Gotteswortes genossen untadeliges Ansehen. Was in den Dick gefahren war, um diesen Schritt zu tun, weiß keiner. Wenn man ihn darauf ansprach, erwiderte er immer nur: `Ich hab` schon meine Gründe`, und das war`s dann.

Da er der Einzige war, der seinen christlichen Pflichten in dieser Hinsicht nicht nachkam, ließ es der ehemalige Pfarrer, Gott sei ihm gnädig, sein, denn er kannte Dick schon seit vielen Jahren und wusste, dass jeder, der sich mit ihm anlegte, fast immer zweiter Sieger war. Traf man sich, was sehr selten der Fall war, denn der Eigenbrötler mied die Gesellschaft, grüßte man sich und ging seine Wege.

Das änderte sich, als Pfarrer Müller den verstorbenen Altpfarrer ersetzte. Der Neue wollte, dass alle Schäfchen seiner Gemeinde seinen Anordnungen Folge leisten sollten, aber wirklich ALLE! Als er von der Sache mit Dick Wind bekam, begab er sich zu ihm, um ihn zur Rede zu stellen, doch der hatte entweder keine Lust dazu oder seine Hausordnung erlaubte es nicht, einen so hohen Gast zu empfangen. Jedenfalls rief er durch die Tür, er könne am folgenden Abend ins Pfarrhaus kommen, um eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden. Der Pfarrer musste sich damit zufrieden geben und verließ das Anwesen.

Wie versprochen, erschien der Bucklige am besagten Abend bei seinem Gastgeber. Anfangs unterhielt man sich über Banalitäten, aber irgendwann kam es zu heißen Diskussionen, im Laufe derer die Meinungsverschiedenheiten immer größer wurden und auch der Ton an Stärke zunahm. Jeder der Beiden vertrat seine Meinung so vehement, dass aus dem Dialog zwei Monologe entstanden. Schließlich hielt Dick inne, sah den Gottesvertreter mitleidig an und meinte etwas nachdenklich:

`Wissen Sie, Herr Pfarrer, es gibt ein Sprichwort, das da sagt, dass der Klügere nachgibt. Auf Nimmerwiedersehen!` Er nahm seinen Hut, wünschte der Frau des Hauses noch einen schönen Abend und machte sich auf den Heimweg.
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Bei der zweiten Geschichte wirst du bestimmt staunen, denn sie ist eigenartig im ganzen Sachsenland!

Der Dick kam aus reichem Hause. Irgendwann war auch für ihn die Zeit gekommen - vom Alter her -, um sich nach einer Braut umzusehen. All` seine Jugendkameraden schlossen den Bund der Ehe, nur er nicht. Wenn ihn die Eltern darauf ansprachen, antwortete er immer wieder, dafür gäbe es noch genügend Zeit, denn er wolle seine Jugendjahre noch so lang wie möglich ausnützen, denn danach hätte er noch Zeit genug, sich der Familie zu widmen. In Wahrheit fürchtete er sich vor den Mädchen, wie der Teufel vor dem Weihwasser. Außerdem zählte er mit seinem Buckel und dem nicht allzu stattlichen Wuchs nicht unbedingt zu den männlichen Schönheiten; kurz und bündig: Er hatte sich noch nie einer Maid genähert - und die bekriegten sich gegenseitig auch nicht unbedingt, um an ihn heran zu kommen.

Irgendwann mussten die Eltern eingreifen, indem sie sich im Dorf umsahen und schließlich eine fürs Heiraten auch ziemlich in die Jahre gekommene weibliche Person fanden. Es war die Trenjensiaster, die du ja kennst. Deren Eltern waren für unsere Verhältnisse auch wohlhabend, also stand der Heirat nichts mehr im Wege. Du wirst dich vielleicht wundern, aber das war zu unserer Zeit gang und gäbe, dass die Eltern bei der Auswahl des/der "Liebsten" ein gewichtiges Wort mitzureden hatten. Auch in diesem Fall wurde das Arrangement den "Heiratswilligen" einfach mitgeteilt.

Am Morgen des Hochzeitstages erschienen zahlreiche Gäste im Hause des Bräutigams aus Nah und Fern. Man begrüßte sich nach sogar vielen Jahren der gegenseitigen Abwesenheit, aß die Tokana (Gullasch), trank einen starken Pali und erzählte Neuigkeiten. Das Brautpaar erschien kurz, wonach es sich zurückzog. Vielleicht eine Einführung auf das, was kurze Zeit danach folgen sollte...

Nach dem ersten Glockenläuten versammelten sich alle Hochzeitsgäste im Hof, um sich in Paaren aufzustellen. Nur der Dick fehlte noch. Als seine Mutter ins Haus zurückging, um ihn heraus zu bitten, machte sich beim Gefeierten panische Angst breit. Pfeilschnell schoss er vor versammelter Mannschaft durch die Tür und floh wie ein Wirbelwind in Richtung Garten.

Dick`s Vater beauftragte zwei Jungen, den Ausreißer einzufangen und ihn mit Gewalt an die Spitze des Hochzeitstrecks zu "bitten".
Hinter der Scheune war das Stroh zu zwei riesigen Anhäufungen aufgeschichtet worden. Hinter ihnen versuchte sich der Angsthase zu verstecken und, als man ihn aufspürte, sein Heil im Umrunden der beiden Halmaufschüttungen zu suchen. Schließlich wurde er eingefangen und an seinen Platz verwiesen. Die zwei "Retter" wurden direkt hinter das Hochzeitspaar platziert, um eventuelle neue Fluchtversuche schon im Keim zu unterbinden.

Auf dem Weg zur Kirche versuchten die meisten der in Festkleidung Befindlichen ihre Hälse zu dehnen, um ständigen Blickkontakt zur Spitze zu haben, denn es hätte ja sein können, dass... und so etwas wollte man sich nie und nimmer entgehen lassen! Doch es geschah vorläufig... nichts Besonderes.

Als die "Verliebten" vor den Trau(er...)altar traten, wird sich der Pfarrer gedacht haben: `Hochzeit ist eine hohe Zeit, aber bei euch war es höchste Zeit!`, doch er behielt die Nerven und zog das ganze Programm durch.

Als er nach der Einwilligung des zukünftigen Ehegatten fragte, antwortete dieser mit einem lauten - auch aus der hintersten Ecke des Gotteshauses hörbaren - NEIN!

Allen Anwesenden verschlug es die Sprache. Auch der Pfarrer blieb für einige Momente, wie angenagelt stehen, ohne auch nur eine Silbe über die Lippe zu bringen. Man hätte in der geräumigen Kirche sogar den Aufprall einer fallenden Stecknadel hören können; so still war es!

Doch es musste weiter gehen. Der "Trau(er...)vater erklärte die Eheschließung für ungültig und verschwand in einem Nebenzimmer. Der Hochzeitszug wurde aufgelöst und niemand wusste, wie es weiter gehen sollte. Im nun geschaffenen Durcheinander gingen die Eingeladenen in Grüppchen, Gruppen oder Einzeln zum Festhaus.

Es folgte die übliche Bescherung, das letzte Mal, wo die Nichteheleute nebeneinander auftraten. Danach begaben sie sich in ein Zimmer, teilten Geld und andere Geschenke "brüderlich" und verschwanden von der Bildfläche. Das Fest jedoch konnte nicht unterbrochen werden - aus Pietäts-, aber auch finanziellen Gründen -, also amüsierte man sich auch ohne die Hauptpersonen köstlich. Einige sollen danach sogar behauptet haben, der schönsten Hochzeit ihres Lebens beigewohnt zu haben!Darauf kannst du Einen lassen...

Aus "Zwischen drei Welten" von Walter Georg Kauntz

Erzählt von der Kokintesusemaun

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