Der Schluckspecht

Du Puschke` walter, weißt du eigentlich, dass wir verwandt sind? Nein? Dann weißt du es jetzt, denn deine und meine Großmütter waren irgendwann zwei alte Frauen... Aber, Witz beiseite, du willst, dass ich dir eine "etwas andere" Geschichte erzähle und hast aufgezählt, welche dir schon bekannt sind. Dabei handelt es sich immer um Sachsen, aber bei uns leben doch auch Rumänen und, wer sagt, dass die nicht auch ihre "Persönlichkeiten" hatten - und haben? Die meisten von uns kennen sie kaum, weil unsere Kontakte zu ihnen ziemlich mager sind. Ich habe eine gute Freundin, die lele Mărie, und durch sie habe ich einiges über einen Zurper (Trinker) erfahren, das den normalen Rahmen sprengt - denke ich jedenfalls. Es handelt sich um den Niculiţă vom Cătran, ein Schluckspecht erster Kategorie.

Schon als Kind hatte er es nicht leicht. Sein Vater war ja auch einer dieser Saufbrüder. Wenn er im Winter Besuch erhielt und schon angetrunken war, schickte er seinen Sohn in den Keller, um Rebensaft zu holen. Da kam es vor, dass der Kleine nicht so richtig am Schlauch zog und sich verschluckte. Am Anfang schmeckte es für ihn widerlich, aber im Laufe der Zeit gewöhnte er sich daran, sodass er es kaum erwarten konnte, vom Alten nach unten... geschickt zu werden. Übung macht eben nicht nur den Meister oder Diebe, sondern auch Säufer. Von dem Zeitpunkt an war seine Zukunft vorprogrammiert.

In der Schule ging es bergab und endete mit deren Verlassen ohne Abschluss. Dann ging er in die Lehre zu deinem Mischonkel und wurde Maurer. Diese Mannschaft - es waren etwa sechs bis acht Mitglieder, vom Lehrling über die Gesellen, bis hin zum Maurermeister, der dein Onkel war - zog über die Dörfer und Städte und machte eben das, was dieser Beruf verlangte, nämlich Häuser bauen und da floss auch reichlich Alkohol.

Wenn sie etwas weiter von Donnersmarkt arbeiteten, mussten sie vor Ort übernachten und kamen erst am Wochenende nach Hause - dein Onkel war ja viele Jahre Kurator, also durfte er von keinem Gottesdienst fehlen. Die Burschen gingen dann ins Dorf und versuchten mit einheimischen "Prinzessinnen" anzubandeln. Nicht immer, aber des Öftern kamen sie auch auf ihre Rechnung, denn - ich darf es wohl sagen - überall gibt es auch Weiber, manchmal sogar verheiratete, die sich mit einem einzigen Mann nicht begnügen. Man kannte sie und so mussten die tagsüber fleißigen Maurer nicht selten auch eine "Spätschicht" schieben...

Niculiţă war da anders. Wenn die Romeos "auf Tour" waren, schlenderte er ins Lechiff (Kneipe) und ließ es sich schmecken. Er hielt es nach dem Liedestext:

`Die Flasche war mein bester Freund
in meinem traurigen Gescheh`n.
Von Liebe hab` ich nur geträumt,
drum musst` ich trinken geh`n.`

Hatte er sein Maß erfüllt - sprich, war er gefüllt... - torkelte er zur Schlafgelegenheit und haute sich auf`s linke Ohr.

Mit Hilfe der Eltern kam dann auch unser Freund unter die Haube. Dass er Trinker war, wusste jeder, aber da war er ja nicht der Einzige. Eigentlich trank jeder; der Eine nur abends, nachdem er sein Vieh versorgt hatte, der Andere hatte schon zum Mittagessen einen Schluck dabei und wieder Andere zurpten auch noch zwischendurch. Da wusste man halt nicht so genau, wer wie viel trank. Es waren halt schwere Zeiten und durch einen oder mehrere Schlucke vergaß man das Leid halt - oder versuchte es zumindest.

Die ihm Anvertraute Ana kam aus ärmlichen Verhältnissen und stellte so keine gehobenen Ansprüche an den Alltag. Tagsüber ging sie aufs Feld; danach versorgte sie das Vieh, kochte vielleicht noch eine Kleinigkeit und legte sich dann schlafen. Ihr Mann war eher selten zu Haus, für sie bestimmt kein Nachteil, denn er befand sich in den meisten Fällen in einem Rauschzustand und dann war er halt unberechenbar.

Eines Abends kam Niculiţă; zwar "drogiert", wie fast immer, aber diesmal ganz fröhlich nach Hause. Schon beim Eingang trillerte er eine ganz lustige Volksweise vor sich hin und küsste die Ana sogar auf die Wange, was er sonst nie tat. Die freute sich dementsprechend auf einen gemütlichen Abend. Der kleine Nikolaus - würden wir übersetzen - hatte einen Drei-Liter-Krug in der Hand, den er nach dem Fertigstellen eines Hauses geschenkt gekriegt hatte. Er setzte sich damit an den Tisch, nahm daraus einen kräftigen Schluck und wandte sich danach an seine Frau:

`Ana, schau, dass du ihn nach meinem Verlassen der Küche gut versteckst, denn morgen habe ich frei und will dann seinen Inhalt in vollen Zügen genießen.`
`Einen guten Zug hattest du schon immer!`, bemerkte sie gut gelaunt und nahm den Krug in Empfang, ohne zu ahnen, was ihr "geliebtes Schlitzohr" damit noch vor hatte.

Nach dem Abendbrot blödelten die beiden Turteltäubchen wie in besten Zeiten noch ein Weilchen, wonach der Maurer so tat, als sei er müde und beauftragte Ana, den Krug vor ihm in Sicherheit zu bringen. Er ging ins Schlafzimmer, zog sich aus und fing an zu schnarchen. Zwischendurch schob er kurze Pausen ein, um zu hören, ob sich im Nebenraum etwas tat. Als es so weit war, öffnete er die Tür einen Spalt, um zu spionieren. Tatsächlich hielt die Frau den Krug in der Hand und begab sich mit ihm in die Speisekammer. Niculiţă; folgte ihr heimlich, bis ihm "der geheime Ort" bekannt war. Dann schlich er sich unbemerkt ins Bett und wartete ab.

Als das erschöpfte Weib es ihm nach kurzer Zeit in Sachen "Schlafmusik" nachmachte, stand er leise auf und verließ das Schlafgemach auf Zehenspitzen in Richtung Speisekammer, nahm den Krug und stellte ihn auf den Tisch. Dann ging er vor die Eingangstür und rief die Katze herbei, die Ana vor dem Schlafengehen - wie immer - an die frische Luft gesetzt hatte:

`Miezekätzchen, piss, piss, piss, komm`, herbei, hab` keinen Schiss. Vater Nicu will dich streicheln und dir noch ein bisschen schmeicheln, weil du heute Nacht was tust, dass du ja nicht tuen musst. Schmusekätzchen, ai, ai, ai, komm` doch endlich mal herbei!`

Der alte Schnurrer ließ nicht lange auf sich warten, denn Niculiţă; hatte tatsächlich Einiges für ihn übrig. Er bekam Zutritt ins Haus und umkurvte sein Herrchen wiederholt unter`m Tisch, indem er es mit erhobenem Schwanz berührte.

Das war nun für den Schluckspecht zweitrangig. Er hatte sich ein Glas geholt, goss ein und ließ es sich schmecken. Seine Gedanken schweiften ohne Ziel. Er schloss die Augen und stellte sich vor, in einem Keller mit riesigen Fässern zu sein, die die edelsten Tropfen beinhalteten. Davon konnte er so viel trinken, wie er mochte. Er saß an einem Tisch neben einer vergoldeten Kanne, in der dunkelroter Wein auf ihn wartete. `Herz, was willst du mehr!`, hörte man ihn stöhnen.

Kurz vor Morgengrauen war der Krug leer. Der Benebelte trug ihn an den Ort des Verstecks, stülpte ihn um, schüttete Wasser daneben und ging schlafen.

Gegen Mittag wachte der Alkoholiker auf und trank anfangs die sich immer neben seinem Bett befindliche Wasserkanne leer. Dann dehnte er sich einige Male, stand auf, wusch das rötlich angelaufene Gesicht und marschierte in die Küche. Dort traf er die Ana, die an diesem Tag daheim geblieben war, um endlich etwas Zeit mit dem Ehegatten zu verbringen. Der begrüßte sie freundlich und bat sie auch gleich, ihm den Krug aus dem Versteck zu holen.

Als die gute Frau die Kammer betrat, schlug sie die Hände zusammen. Verzweifelt stürzte sie in die Küche und fing an zu jammern:

`Niculiţă, Niculiţă, eine Katastrophe ist geschehen! Der Krug ist vom Regal herunter gefallen und der Wein ausgeflossen."

Der spielte den Nichtswisser und fragte noch relativ ruhig:
`Wo ist die Katze? Du wirst doch gestern Abend nicht vergessen haben, sie herauszustellen, oder?` Tatsächlich lag der Mäusefänger unter`m Ofen und schlief.

`Gütiger Gott, die hab` ich doch vor die Tür gestellt, oder doch nicht? Ganz sicher bin ich mir da nicht mehr. Was machen wir nun, denn nur mit Wasser kommst du ja einen ganzen Tag nicht über die Runden.`

`Wer fehlt, der büßt`, meinte der "Unbescholtene" süffisant, `jetzt musst du halt dein Erspartes hernehmen und aus dem Krug die Luft entfernen, so Leid es mir auch tut.`

Das bedauernswerte Weib sah keinen anderen Ausweg und machte sich auf die Socken, Niculiţă aber grinste sich ins Fäustchen, wissend, dass ihn auch am folgenden Abend paradiesische Zustände erwarteten.

Aus "Zwischen drei Welten von Walter Georg Kauntz

Erzählt von der Fußenzirremaun

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