Zentralafrika in Donnersmarkt

Meine Studienzeit habe ich in Bukarest verbracht. Am Anfang war es bestimmt nicht leicht, denn dort herrschte eine ganz andere Welt. Die Stadt war - aus meinem damals recht beschränkten Horizont gesehen - ein Molloch, in dem es praktisch keine Tageszeiten gab, und Begriffe, wie Ehre, Nächstenliebe, Pünktlichkeit oder Höflichkeit schienen Fremdwörter zu sein. In den Straßen herrschte das wahre Chaos. Ampeln schienen oft bloß eine dekorative Funktion zu haben; die Menschen in den öffentlichen Verkehrsmitteln hatten die Methode der "natürlichen Auslese" als Grundprinzip auserkoren - Ch. Darwin hätte seine helle Freude daran gehabt -, während an vielen Ecken Taschendiebe stets bereit waren, unachtsamen Fußgängern den Heimweg "leichter"... zu gestalten.

Auch die Sprache war anders: Viel schneller und "kondimentierter". Man begrüßte sich mit Schimpfwörtern, beim Vernehmen derer so manche siebenbürgische Bäuerin in Ohnmacht gefallen wäre...

Im Studentenheim herrschte ein Wirrwarr ohnegleichen. Die Belegschaft war so bunt, wie der Karneval zu Rio d.h., es waren Menschen aller Hautfarben anzutreffen - von hellblond bis dunkelschwarz. Dementsprechend waren auch ihre Verhaltensweisen, zweifelsohne auch ein Ergebnis ihrer kulturellen Herkunft. Dies konnte u.a. in der Kantine beobachtet werden, wo beim Zuschauen mancher Essgewohnheiten einem der Appetit schnell verging.

Trotz allem war es auch eine gute Erfahrung, denn man lernte viel Neues kennen und zog daraus seine Schlüsse; was man übernehmen konnte - gab`s auch `ne ganze Menge - und, was nicht - gab`s etwas mehr...

Wie jeden Anderen auch, packte mich in vielen Hinsichten die Neugier. Als Student des schönsten Faches der Welt (!!!) (Erdkunde), hatte ich schon viele Bücher in diesem Fachbereich verschlungen und nun sah ich endlich die Möglichkeit gekommen, die erworbenen Kenntnisse ins Praktische umzusetzen.

Die erste Gelegenheit ergab sich, als ich Abel kennen lernte. Er kam aus der Zentralafrikanischen Republik und bereitete sich auf das Medizinstudium vor, indem er dabei war Rumänisch zu lernen, verbunden mit Fachbegriffen aus seinem zukünftigen Bereich. Da auch er neu in der Hauptstadt war, stellten wir uns gegenseitig Fragen, von deren Antworten beide Seiten profitierten. Auf diese Art entwickelte sich zwar keine richtige Freundschaft zwischen uns, jedoch eine Interessengemeinschaft. Als dann die Winterferien nahten, sollte diese vertieft werden, indem ich den Diplomatensohn aus Bangui - der Hauptstadt seines Landes - nach Donnersmarkt einlud.

Nachdem er die Genehmigung von der Ausländerbehörde - ein "Ast der Krake" Securitate - erhalten hatte, setzten wir uns in den Rapid, einem Schnellzug, der Bukarest mit Klausenburg verband und fuhren gen Norden. Als die Karpaten in Sicht kamen, erschien auch der erste Schnee, für Abel, dessen Heimat sich in unmittelbarer Nähe des Äquators befand, ein Novum. Er starrte wortlos und ohne äußere Rührung in die für ihn faszinierende "weiße Welt".

Am frühen Abend betraten wir unangemeldet mein Elternhaus. Als meine Stiefmutter - sie stammte aus Scholten, einem sogar für regionale Verhältnisse etwas abgelegenen Dorf - den dunkelhäutigen Gast sah - Abel war wirklich pechschwarz -, veränderte sich ihre Mimik spontan. Es schien so zu sein, als wäre sie einem Herzschlag ganz nahe. Zwar reichte sie ihm die Hand, doch sank die schnell schlapp werdende, überraschte Frau für einige Momente auf den nächstbesten Stuhl.

Als sie sich einiger Maßen erholt hatte, wurde Vater, der sich - wie fast immer - in seiner Werkstatt aufhielt, herbei gerufen. Der war gelassener und neugieriger, denn in der folgenden Zeit durchbohrte er unseren Gast mit einem Haufen Fragen. Erst jetzt wurde mir bewusst, woher mein Interesse für ferne Länder herrührte...

Am folgenden Tag wurde eine Ortsbesichtigung vorgenommen. Das war meinerseits vorprogrammiert, denn ich war auf die Reaktionen meiner Landsleute mehr als gespannt und die ließen auch nicht lange auf sich warten. Als wir z.B. am Dorfladen vorbei kamen, hatten sich einige der Ratschtanten "zufällig" versammelt, denn die Nachricht war wie ein Lauffeuer durch das Kaff verbreitet worden. Um ihre Reaktionen einzufangen, taten wir so, als würden wir das Schaufenster bewundern:

" Der ist ja noch schwärzer als die Nacht", "So muss der Unreine aussehen, also macht, dass wir weiter kommen!", "Es gibt keine schwarzen Menschen, also muss das ein Gorilla sein", "Der hat sich bestimmt noch nie gewaschen", waren nur einige der Bemerkungen der "Spezialistinnen". Nur gut, dass Abel kein Sächsisch verstand und ich ihm die Äußerungen "wohlwollend" übersetzte: "Die Frauen bewundern deine Grazie, deinen Körperbau, deine Schönheit überhaupt. Die Zweite von links - das war die fette Mai mit ca. 150 Kg Gewicht - hat sich sogar die Frage gestellt, wie es denn mit Einem wie dir im Bett sei. Willst du es ihr nicht vielleicht zeigen?". Der fühlte sich zwar geschmeichelt, fing jedoch trotzdem "afrikanisch" an zu lachen, so laut und "metallisch", dass die Mehrenzikerinnen (Tratschweiber)erschrocken einen Schritt zurückwichen.

Irgendwie verdichteten sich in der Folgezeit auch die Besuche. Erschienen während meiner meist kurzen Aufenthalten in Donnersmarkt nur nahe Verwandte oder Bekannte, so waren es diesmal auch Personen, zu denen eigentlich kaum Kontakt bestand. Der Grund war wohl klar...

Am Abend des 31. Dezember wurden in Gech (Krautsuppe) gekochte Wurst, geräuchertes Fleisch sowie die Getränke eingepackt und zum Ort der Silvesterfeier marschiert. Dort stand Abel selbstverständlich im Mittelpunkt des Geschehens. Ich überließ ihn den Anderen und wandte mich meinen engeren Freunden zu, mit denen es so Manches zu besprechen gab. Dann wurde getanzt, herumgeblödelt und gekippt.

Als ich Abel nach ca. einer Stunde danach sprach, war er schon richtig betrunken. Dem armen Kerl wurde eingebläut, dass es bei uns Sitte und Brauch sei, als Gast mit jedem anzustoßen und das Glas auszutrinken. Dem war er nachgekommen und nun hatten wir den Salat.

Zur Jahreswende traf man sich vor der Kirche. Die Adjuvanten spielten speziell diesem Ereignis gewidmete Weisen, wonach man sich begrüßte, um Vergebung eventuell begangener Sünden bat und sich für die neue Periode alles Gute wünschte. Abel war nun "doppelfarbig"; außen schwarz, innen blau... In seinem Rausch versuchte er immer wieder der Herta, einer Blondine aus der Nachbarschaft, näher zu kommen, doch fiel er beim kleinsten Ausweichen der Angebetenen auf die Schnauze, denn Schnee war ja bekanntlich nicht unbedingt sein Element und sein Zustand erübrigte das Weitere. Viele amüsierten sich prächtig, mir aber war das Ganze eher peinlich, war ich doch meiner Sorgfaltspflicht nicht zur Genüge nachgekommen und nun konnte meine Wenigkeit kaum noch was tun. Das Einzige, was mir schließlich gelang war, ihn nach der Rückkehr ins Party-Haus für einige Stunden in einem Bett unterzubringen.

Am Tag danach bat er um Verzeihung. Ich vertröstete ihn damit, dass es nicht seine Schuld gewesen sei und es mir vielleicht im entgegengesetzten Fall vielleicht genauso ergangen wäre. Das sah er ein und beruhigte sich. Allerdings trank er nur noch Wasser - aus wenigstens zwei Gründen...

Zurück in Bukarest, trennten sich unsere Wege. Oft sah ich ihn in Begleitung von Blondinen - Gegensätze ziehen sich bekanntlich an -, aber gemeinsame Unternehmungen gab es keine mehr. Warum auch...?



Walter Georg Kauntz

Verkürzt und abgeändert aus :"Zwischen drei Welten" von Walter Georg Kauntz

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