Der "fromme" Hans

Meine Großmutter war eine sehr redselige Frau. Nun soll das nicht gleich heißen, dass sie ein Schlabrament(Frau mit gewaltigem Mundwerk) war, aber ich muss schon eingestehen, dass sie auch nicht weit davon entfernt war, eines zu sein... Der bedauernswerte Großvater kam nur dann zu Wort, wenn sie es erlaubte, aber auch dann musste er sich ganz kurz fassen, denn danach war er gezwungen, sich den kaum noch enden wollenden "Kommentaren" des wahren Hauschefs zu unterwerfen. Darum zog er es vor, nach Möglichkeit nichts zu sagen. So war es kein Wunder, wenn er sich mehr im Hof herumtrieb und die Stube nur dann zu betreten, wenn es sich anders nicht machen ließ. Es kam sogar vor, dass er sich das Båflisch (Speck), Zwiebeln und Brot mit nach außen nahm und auf einem Grumpes ( abgesägter Baumstamm) verzehrte. Das gefiel der Mai - so hieß sie - zwar nicht, aber, wie das nun mal so ist, erlaubte sie ihm im Laufe der Jahre auch manche Freiheiten...



Dank des "diktatorischen Hausregiments" wurde der Hans immer introvertierter sprich, er zog sich aus der Dorfgemeinschaft immer mehr zurück. Zwar setzte er sich an Feiertagen auch auf den Grumpes vor dem Haus und plauderte mit den hinzu gekommenen Bekannten über Gott und die Welt, aber vom Besuch des Gottesdienstes entfernte er sich immer mehr. Wenn er dem Ortspfarrer begegnete und der ihn darauf ansprach, hatte der nun fast schon ruppige Geselle anfangs stets eine plausible Antwort parat, doch im Laufe der Jahre entwickelte er eine viel einfachere Methode, die darin bestand, dem Gottesvertreter aus dem Weg zu gehen. Ich jedenfalls glaube, dass es der Hans mit der Frömmigkeit nicht so genau nahm. Wer weiß, vielleicht hatte er ja irgendwo im Hinterhof seine eigenen Götzen... Wie dem auch sei, eines habe ich schon bemerkt: Er erledigte die Männerarbeit immer besser und auch mit mehr Hingabe, wenn er allein war. Dazu gehörte auch das Mähen.



Eines Morgens machte sich unser "Held" in aller hergottsfrüh auf die Socken. Neben dem Ritschtechbiasch (Name eines Waldes oberhalb des Dorfes) besaß er eine Wiese. Das Wetter war prima. Im Geäst zwitscherten die liebestollen Vöglein, und hinter dem Tutner Reech (Berg)zeigte sich die allgeliebte Sonne in voller Pracht. Am Wegesrand glitzerte der Morgentau, und im Gras zirpten die frechen Grillen. Er selber pfiff eine drollige Volksweise und schaukelte zwischendurch derart unrhythmisch, so, als hätte er schon einige Stamperl Pali (Korn, Schnaps) genossen.



Auf dem Weg zum Ziel überquerte er einen Bach, über den jemand als Brücke irgendwann einen Baumstamm gelegt hatte. Das Wasser des ruhig dahin plätschernden Gewässers war nur einige Zentimeter tief, sodass die kleinen Fische in ihrer Bewegung Mühe hatten. Doch das interessierte Hans nicht. Er überquerte den winzigen Flusslauf ohne auch nur aus der Wimper zu zucken und beeilte sich in Richtung des anvisierten Zieles.


Als er die Wiese erreicht hatte, machte er es sich erstmals bequem, um danach das Frühstück auszupacken und es gierig zu verzehren, denn anschließend war viel Kraft nötig.


Nach dem saftigen Essen - es war eigentlich immer das gleiche(siehe oben) -, kippte der recht kräftig Gewachsene einen kräftigen Schluck Pali in die gar breit geratene Gurgel, spuckte einige Male in die Hände, um sich Mut einzuflößen, und ab ging die Post.



Langsam verdunkelte sich der Himmel, denn es zogen Gewitterwolken auf. Das führte dazu, dass Hans den Arbeitsrhythmus noch einmal anhob, da ihm derartige Vorboten mehr als bekannt waren. Er ließ sich von der Arbeit auch dann noch nicht abbringen, als die Regentropfen immer mehr und größer wurden. Erst als sich Donner und Blitze intensivierten, zog er sich unter eine dicke Eiche zurück, denn die Sense hatte schließlich auch einen metallenen Teil und der konnte gefährlich werden...



Das Unwetter zog sich in die Länge, also blieb dem Mäher nichts anderes übrig, als unter dem Baum auszuharren und auf Besserung zu hoffen. Dabei zurpte er wiederholt aus der mitgebrachten Flasche und fing an zu philosophieren. So fragte er sich, weshalb die Menschen unterschiedliche Hautfarben haben. Wären sie nämlich gleich getüncht, gäbe es keinen Rassismus. Es gefiel ihm auch nicht, dass die Kinder aus Mischehen zwischen Weißen und Schwarzen meist dunkelhäutig waren. Nach seinen Vorstellungen sollten sie weiß-schwarz - oder umgekehrt - gestreift sein, wie die Zebras. So wäre der Gerechtigkeit Genüge getan. Auch die Flossen der Fische erschienen ihm blödsinnig, weil sie mit Füßen doch besser laufen könnten. Unsinnig erschien ihm auch die Sonne, denn am Tag sei es ja sowieso hell, dafür würde der Mond viel wichtiger sein, denn er würde nachts bei Dunkelheit leuchten. Einverstanden war er damit, dass die Frauen zierlicher seien. So müssten sie sich wenigstens von den schwereren Arbeiten fernhalten und die Männer hätten demzufolge wenigstens dann ihre Ruhe, denn das Mundwerk der Weiber sei eh zu giftig geraten.


Als er so weiter überlegte, blickte er nach oben und sah die Früchte der Eiche, was ihn fast in Rage brachte:
" Welche Vernunft kann bloß dahinter stecken, ein so kräftiges Gewächs mit derart kleinen Früchten auszustatten, während der arme Kürbis praktisch bloß Ranken hat, sich jedoch durch riesige "Absonderungen" vermehrt. Nein, nein und wieder nein! Lieber Hergott - sollte es Dich denn überhaupt geben - und Du die Welt in sechs Tagen erschaffen haben, so warst Du in dieser Hinsicht verlassen von allen guten Geistern, denn mit Logik hat das Ganze nichts mehr zu tun. Ich habe in meinem Leben auch so Manches falsch gemacht, aber dies übertrifft all meine Vorstellungen!"


Da der Regen nicht nachließ, nickte unser Denker ein. Wovon er träumte, weiß ich nicht, aber eines weiß ich: Irgendwann fiel ihm eine Eichel auf die Nase und weckte ihn. Er nahm sie zu sich, drehte sie um und sprach dann: "Herr, vielleicht hattest Du ja mit Deinen Überlegungen gar nicht so Unrecht. Man stelle sich vor, auf mich wäre ein Kürbis herunter gedonnert..."



Liebe Leute, wie ihr wisst, verdrückt sich auch das schwerste Unwetter und dazu gehörte auch dieses. Der Hans erhob sich etwas schwerfällig aus seinem "Sessel" und bearbeitete das noch übrig gebliebene Stück Grasland. Inzwischen strahlte auch der "unnötige Himmelskörper" wieder, und auch die kleinen Piepser flatterten von neuem munter durch die Lüfte. Der Landwirt packte seine Siebensachen und machte sich auf den Rückweg.



Der enge Pfad führte ihn stracks zum Bach. Diesmal ging es flott, denn der Weg führte abwärts. Leider erwartete ihn dort eine mehr als unangenehme Überraschung. Das vorher fast zum Rinnsal verkommene Gewässer hatte sich in einen reißenden Strom verwandelt. Das trübe Wasser schlug mit gewaltiger Wucht gegen die "Brücke" und drohte, diese jeden Moment zu zerstören. Dazu gesellte sich noch die Tatsache, dass Hans nicht schwimmen konnte. Was nun?



Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder er hätte sich in Richtung Quelle bewegt, aber die kannte er nicht und außerdem kam ja dieses Wasser nicht aus ihr oder er hätte angefangen zu beten... und dies war so eine Sache, denn da war unser Freund nicht sehr glaubhaft... Er versuchte es trotzdem mit der zweiten Variante, weil da die Chancen etwas besser standen. Also richtete er den Blick nach oben, faltete die Hände und fing an:



"Mein lieber Gott, ich muss wohl sagen,
hab` manchen Kirchgang unterschlagen.
War tätig, wenn es nicht erlaubt;
hab` ab und zu sogar geraubt!




Nun steh` ich da, ich armer Büßer,
der auch nicht selten war Genießer.
Der oft die eig`ne Frau betrogen,
und viele Menschen hat belogen.



Doch sollte man wohl nicht vergessen,
dass ich `nem Irrtum aufgesessen.
Ab heut` erfolgt ein Sinneswandel,
drum schlag ich vor Dir diesen Handel:



Lass` mich ans andre Ufer kommen,
so werd` ich gehen zu den Frommen.
Zu Dir zu beten, Dich zu loben,
Mein liebster Herr von ganz weit oben."



Jetzt fühlte sich der "Fromme" ganz stark. Er spuckte wiederholt in die Hände, um sich anschließend mit gezielten Schritten auf den Stamm zu zu bewegen. Er balancierte darauf wie eine Berufsänzerin, ohne auch nur den geringsten Hauch von Unsicherheit zu verbreiten. Dem ersten Schritt folgte der zweite, dem der dritte, usw., bis es zum nächsten Ufer nur noch einen gab.



Da fing unser Hans an zu grinsen, erhob sein Antlitz von neuem gen Himmel und fing an zu spötteln:



"Es war ganz recht, mich zu geleiten,
und ich nicht musst` ins Wasser gleiten.
So kam ich gut zu dieser Stelle,
wenn auch mit Vorsicht und mit Schnelle.



Doch eines solltest trotzdem wissen,
dass ich recht schlau bin und gerissen.
Vorbei ist vorgetäuschtes Bangen,
es wär` auch ohne Dich gegangen."



Kaum hatte der "Fast-Sieger" den letzten Vers ausgesprochen, rauschte eine Woge heran und riss "Ross und Reiter" mit. Der Nichtschwimmer hatte Glück im Unglück, denn er konnte sich an einen Ast klammern und so dem Ertrinken entgehen. Irgendwo konnte er sich dann ans rettende Ufer hinaufziehen und so einem zu frühen Ableben entgehen.



Nach einer Weile raffte er sich zusammen und schielte beschämt in die dem Boden entgegengesetzte Richtung:



"Jetzt steh` ich da, ich armer Tor
und bin noch blöder als zuvor!
Wollt` tricksen und Dich auch belügen,
hätt`s gern getan und mit Vergnügen.



Jetzt muss ich mich jedoch besinnen,
mich überzeugen von ganz innen,
schon morgen zu den Frommen geh`n,
denn Du kannst keinen Spaß versteh`n."



So, liebe Leute, nun wollt ihr bestimmt wissen, wie das Ende der Geschichte war. Ja, für den Opa Hans nicht ganz vorteilhaft: Zu Hause angelangt, musste er sich erstmals wegen seiner nassen Kleidung rechtfertigen und das dauerte eine ganze Weile. Wenn man dann bedenkt, dass die Frau des Hauses danach das Zehnfache brauchte, um ihren Saft dazu zu geben, dann muss ich wohl wenig hinzufügen. Jetzt werden bestimmt viele Männer den Hans bedauern, aber das sehe ich ganz anders: Bei uns in Donnersmarkt hat sich das Weib in den meisten Fällen durchgesetzt und das schon seit vielen Jahren. Hier gab es anscheinend schon seit eher eine Art Matriarchat - oder so ähnlich. Das heißt - hat mir mal ein Okosch (Angeber) aus Langenthal beigebracht -, dass es eine Gesellschaft ist, in der die Frauen das Sagen haben. Seien wir doch mal ehrlich: Überall herrscht Matriarchat, aber ihr Dummköpfe - Dummköpfinnen gibt es ja nicht - habt es noch nie gemerkt! Wie gut...



Aufgezeichnet von Walter Georg Kauntz









Erzählt von der Riedemaimaun

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