Der Wunderheiler

Der alte Fussenmisch hatte einen mehr als faulen Sohn, der auf den Namen Sam hörte. Vater und Mutter - wie übrigens die ganze Familienbelegschaft, zu der noch weitere vier Kinder zählten - mühten sich jahrein jahraus auf den Feldern, um einen gewissen Lebensstand zu behalten - reich war ja damals keiner. Nur der Sam machte da nicht mit. Er jammerte ständig über Beschwerden an allen möglichen Organen und blieb so aller körperlichen Anstrengung fern. Mal juckte der untere Ohrlappen, mal die linke Zehe, mal Teile des Oberkörpers und wieder mal die zwölfte Bandscheibe... So war er tagsüber allein zu Hause, legte sich in den Schatten und döste dahin.


Man suchte Ärzte auf, doch niemand konnte sich die Leiden erklären, also erbarmte man sich seiner immer mehr und zeigte sich sogar erkennbar, indem er bei Tisch immer die besten Happen bekam.

Das gefiel dem Sam umso mehr, also wurden seine Klagen auch immer stärker. War er jedoch allein, so lachte er sich ins Fäustchen und verspottete insgeheim all seine Gönner. Besser hätte es nicht laufen können!

Eines Tages - alle Anderen waren auf dem Feld - betrat der Kokinten Tummes den Hof, um sich wegen eines Schadens im Stall zu erkundigen. Dabei sah er den Sam in einem Sessel, der sich bräunen ließ. Als er ihn ansprach, fing der gleich an, sich über seine Wehwehchen zu beklagen. Allerdings machte er einen kleinen Fehler, indem er sich über das linke Auge beklagte, aber auf die Schulter zeigte... Da ging dem Tummes ein Licht auf.

Abends kam er wieder und berichtete dem alten Fuss vom Gesehenen, bot aber auch gleich Abhilfe an, indem er behauptete, den Sam umgehend von seinen Qualen zu befreien. Der verblüffte Vater brauchte einige Zeit, um sich von der Aussage zu erholen, hatte er es doch bei so vielen Spezialisten versucht.

"Fuss", legte der selbst erwählte Doktor los, "es ist so: Mir ist ein ähnlicher Fall aus Mediasch bekannt. Ich kenne den Arzt und weiß auch, wie er dem Erkrankten geholfen hat. Das Geheimnis hat er mir auf dem Sterbebett verraten. So du mir zehn Liter Wein und einen Sack Kartoffeln gibst, will ich den Sam heilen. Wie ich das schaffe, ist ganz mir überlassen."

"Du kannst auch das Doppelte haben", erwiderte der Hausherr, "Hauptsache, du kriegst ihn wieder hin."

Bevor sich der "Wunderarzt" verabschiedete, stellte er noch klar, dass ihm das Vereinbarte erst dann zustehe, wenn der Sam von sich aus behaupte geheilt zu sein.

Als am folgenden Tag schon alle außerhalb des Stammgebietes waren, erschien der Selbstbeauftragte beim "Kranken". Der lag - wie immer - in der Sonne und pries den Herren, weil der ihm die Gabe - aus seiner Sicht - verliehen hatte, alle Anderen zu hintergehen:

"Und, Sami, wie geht`s uns denn heute so?" Da die Frage rethorisch war, wurde sie auch gleich beantwortet: "Schlecht, schlechter und noch schlechter. Aber darum bin ich doch da, um dir zu helfen."

"Mir kann kaum jemand helfen", beeilte sich der Angesprochene zu erwidern, "weil ich anscheinend einer unheilbaren Krankheit ausgesetzt bin, ich Armer!"
"Sei doch nicht so traurig. In naher Zukunft wirst du geheilt sein. Ob es dir dann auch noch besser oder schlechter geht, ist nicht mein Problem."

"Wie meint Ihr das, Onkel?", wollte der "Totkranke" gleich wissen.
"Es geht hier nur um die Ernährung! Du isst falsch."
"Ich esse das Gleiche, wie meine Eltern und Geschwister und bin trotzdem krank."
"Ja, meiner lieber Sami, genau darum geht`s. Du musst umstellen."
"Auf was denn, lieber Onkel?"
"Auf Balutschen(Regenwürmer), aber die kannst du nur erreichen, wenn du den ganzen Mist aus dem Hinterhof in den nächsten Tagen auf euren Wagen lädst und ihn auf eure Felder fährst. Dort soll dein Vater umgraben - es war Frühling - und du verstreust die ganze Kuhscheiße und holst dir danach die Balutschen heraus. Die solltest du dann roh verzehren."
"Aber das hab` ich doch noch nie gemacht. So etwas ist doch unmöglich!"
"Willst du geheilt werden oder nicht?", fuhr ihn der Alte plötzlich an. "Wohl nicht, sonst würdest du meinen Rat befolgen. Aber auch da habe ich eine Lösung: Sollte es dir nicht möglich sein, die Balutschenvariante zu wählen, dann fährst du ab morgen immer mit deinen Angehörigen mit und schuftest auch mit. In diesem Fall müsstest du keine Balutschen essen."

Der Sam war wie vom Schlag getroffen, denn beide Varianten waren für ihn unzumutbar, also musste er abwägen, für welche er sich entschließen sollte. Nach langem Hin und Her wandte er sich zum "Wunderarzt" und fragte:

"Gibt es denn keine dritte Möglichkeit?"
"Leider nicht, aber du hast ja noch bis heute Abend Zeit, denn dann komme ich wieder und teile das Ganze deinem Vater mit." Damit verließ unser "Arzt" den Hof.

Im Spätherbst erhielt der Tummes Besuch. An der Tür war der Sam und lud drei Säcke Krumpiren(Kartoffeln)ab. In seiner Hand hielt er einen enormen Krug, aus dem eine braune Flüssigkeit hervorsah. Dahinter stand der alte Fuss.

"Lieber Tummesonkel, hier habt Ihr Eure Bescherung. Ich bin voll geheilt und will mich für die von Euch verordnete Medizin... bedanken. Ich habe die Variante ohne Balutschen ausprobiert. Sie hat hervorragend funktioniert!"

Als der Sohnemann weg war, näherte sich der Fuss und fragte: "Ich kenne zwar deine Heilkunst nicht, Tummes, aber vielleicht kannst du mir wenigstens einen Teil davon verraten." Der Angesprochene legte sich den Schnurrbart zurecht, öffnete den Krug, goss in zwei Gläser ein, prostete mit seinem Freund und bemerkte so zwischendurch:

"Wir hatten ausgemacht, dass ich erst dann belohnt werden soll, wenn`s klappt. Das hat es. Ich kann mich aber nicht erinnern, dass in unserer Vereinbarung etwas vom Lüften von Geheimnissen erwähnt wurde. Demzufolge bleibt es auch weiter eins. Und, weißt du auch, warum? Weil es ein Geheimnis ist. Fertig!" Darauf saßen die Beiden noch lange zusammen und genossen den goldnen Rebensaft. Grund zur Genugtuung hatten sie doch, oder...?

Aufgezeichnet von Walter Georg Kauntz

Erzählt von der Fusselisesiaster

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