Die "Pinguine" des Heltner Mischbrauder

Die Heltnerischen waren eigentlich zwei Familien, die schon vor meiner Geburt nach Donnersmarkt einwanderten. Dem Spitznamen nach müssten sie von Heltau gekommen sein, doch das weiß ich nicht so genau. Die älteren Mitglieder der Sippe sprachen unseren Dialekt nur mit Einschränkungen, während die Jüngeren in allen Hinsichten voll integriert waren. Dazu zählten z. B. die Liso und der Misch, ein Draufgänger ohnegleichen, von dem noch die Rede sein wird.

Wie viele andere Landsleute auch, hielten unsere Nachbarn auch Gänse, ein Federvieh der besonderen Art. Der Vorteil dieser Kleinviehhaltung bestand darin, dass sie zu großen Teilen auf sich selber angewiesen waren. Morgens entließ man sie in die Freiheit sprich, auf die Straße und nach Hause kamen sie erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Wie ihre Artgenossinnen auch, wackelten sie dann die Straße entlang zu ihrem täglichen Ziel, der Kokel. Ihr schwankender Gang erinnerte stark an einen Betrunkenen oder aber - aus heutiger Sicht - an "Damen des horizontalen Gewerbes", denn ihre Ärsche unterlagen derart sexistischen Bewegungen, dass man sie fast wegen Provozieren öffentlichen Ärgernisses hätte einbuchten können. Glücklicherweise wussten sogar die Kommunisten, dass sie es unabsichtlich taten, was ich persönlich eher nicht glaube, denn damit wollen sie bis heute ihren Pascha, den Gänserich, zu sexuellen Handlungen animieren, aber das ist nun wiederum ein Gänseproblem, das sie selber untereinander lösen müssen...

Es war Ende November. Am Dorfeingang, dicht neben der Kokel, befand sich die Dorfschnapsbrennerei und die lief zu dieser Zeit auf Hochtouren. Der Hochprozentige wurde aus Resten von gekelterten Weintrauben gewonnen, und zwar nach einem oder mehreren Destillationsprozessen. Deren Anzahl bestimmte auch den Alkoholgehalt. Danach warf man das nun unbrauchbare Material einfach in den Fluss, damit auch die Fische noch ihren Rauschzustand haben konnten. Man war eben sehr tierlieb und altruistisch sowieso...

Da das Ausschütten nicht immer ganz genau vorgenommen wurde, sammelten sich zu der Zeit ganze Haufen dieses alkoholisierten Rohstoffes am Ufer und verbreitete einen für die Einen abstoßenden für die Anderen eher anziehenden Geruch.

Zu den "Anderen" gehörten auch die "Sexgänse" des Heltner Mischbrauder. Es fiel auf, dass sie es in dieser Jahreszeit in der Früh ziemlich eilig hatten. Deshalb schnatterten sie auch viel lauter als sonst, doch das merkte keiner , aber im Nachhinein ist man ja bekanntlich immer schlauer.
Die schwankenden Damen fraßen sich regelmäßig voll mit den ausgepressten Schalen und hatten demzufolge auch jeden Abend ihren Rausch, doch auch dies fiel nicht auf, da ja ihr Gang schon recht "besoffen" aussah und mehr als wanken kann man ja in diesem Zustand ja nicht...

Eines Abends erschienen die Gänse nicht vor ihrem Nachtquartier und so machte sich der Heltner Senior auf die Suche nach ihnen. Schließlich fand er sie "tot" auf einem der beschriebenen Haufen neben der Schnapsbrennerei. Da er noch wenigstens die Federn retten wollte, ging er nach Hause, nahm zwei Säcke und eine Schere zu sich, marschierte an den "Sterbeort" und verrichtete sein Vorhaben. In der darauf folgenden Nacht war die ganze Familie damit beschäftigt, die Federn zu Daunen zu verarbeiten, eine mühselige Arbeit, die sich bis in die Morgenstunden hinausschob.

Als man endlich damit fertig war und ein Nickerchen machen wollte, kam ein mehr als lautes Geschnatter auf. Es waren die gerupften Tiere, die sich von ihrem Vollrausch einigermaßen erholt hatten und nun auf ihre Art um Einlass baten.

Was nun? Die Temperaturen bewegten sich schon im Minusbereich, sodass die geliebten Schnatterer der Gefahr des Kältetodes ausgesetzt waren.
Da hatte der Misch Junior eine glänzende Idee: Man könnte den Bemitleidenden doch Winterkleidung anfertigen; schließlich sei es doch bei Menschen auch nicht anders. Darauf begab sich der alte Misch zum Dorfladen und holte einen ganzen Ballen Filz. Daraus fertigten die Frauen des Hauses - davon gab es reichlich - für jede Ganz einen Anzug an.

In den ersten Minuten nach dem Anlegen des neuen Fracks schüttelten sich deren Besitzer wiederholt, verständlich, wenn man bedenkt, das das Zeug auch zienlich kratzt, doch schön langsam fanden sie sich mit der neuen Situation ab. Wärme ging halt vor Gemütlichkeit...

Als die Bande von neuem auf der Bildfläche erschien, staunten die Dorfbewohner nicht schlecht. Einige zeigten Mitleid mit den bedauernswerten Geschöpfen Andere wiederum lachten sich kaputt. Schließlich schrie die kleine Roswitta voller Begeisterung: "Mama, das sind ja Pinguine! Was suchen die bei uns?" Tatsächlich gab es mit ein bisschen Fantasie gewisse Ähnlichkeiten.

Der neue Begriff verbreitete sich im Dorf wie ein Lauffeuer und so wurden die fast Neugeborenen danach nur noch als "die Pinguine vom Heltner" genannt. An einem der folgenden Tagen erschien ein Reporter von der regionalen Zeitung, erkundete sich über die Umstände der "Pinguinumwandlung" und schoss auch ein paar Bilder. Tags darauf erschien in der Presse auf Seite eins ein großer Artikel mit der Überschrift: "Die `Pinguine` von Donnersmarkt." So gelangte unser kleines Nest zu Berühmtheit.

Noch nach Jahren wurden die Donnersmarkter auf ihre "Pinguine" angesprochen. Irgendwann merkte ich, dass dieser Ruhm auch seine Kehrseiten hatte; gemeint war nämlich, dass Unsereiner nicht unbedingt zu den Intelligentesten zählte. Was soll`s, wir haben`s alle ohne erkennbare Hirnschäden überlebt...

Walter Georg Kauntz

Weitere Anekdoten, Geschichten, Erzählungen »