Der Kabesch

Der Krieg hat bei uns die Dorfgemeinschaft kräftig durcheinander gewirbelt. Dazu kam noch die Kollektivierung der Landwirtschaft, infolge derer alle Sachsen ihre Grundstücke und andere Arten von Eigentum verloren. Armut machte sich breit.
In diesen schweren Zeiten suchten viele unserer Landsleute ihr Heil außerhalb des Dorfes. Die Einen verdingten sich als Handwerker auf verschiedenen Baustellen, von denen manche recht fern des kleinen Nestes waren, während andere eine neue Bleibe in Blasendorf, Mediasch oder Hermannstadt suchten - und fanden. Da ihre Ausbildung nicht immer die beste war, bekleideten sie oft Posten mit geringerem Einkommen, sodass nicht selten auch die Ehefrauen aktiv wurden, denn schließlich musste die Miete bezahlt werden oder man sparte für eine eigene Wohnung. Durch viel Fleiß und Durchhaltevermögen gelang es den meisten dann auch, in der neuen Heimat Fuß zu fassen. Zu verschiedenen Anlässen besuchten sie die im Dorf Hinterbliebenen, immer ein Anlass zur Freude. Man schlachtete ein Huhn - oder auch zwei - und feierte bei einem Glas Wein das immer freudige Wiedersehen. Man lebte zwar in der Stadt, vergaß jedoch nicht seine Wurzeln!

Nicht so die Tschiamber Katt. Schon als Kind fühlte sie sich den anderen überlegen, obwohl ihre schulischen Leistungen sehr zu wünschen ließen, denn das Klassenziel erreichte sie immer nur deshalb, weil - so munkelte man - ihre Mutter mit manch Flatterer, Eiern, Fleisch und Obst nachhalf. Dafür war sie recht hübsch und dementsprechend von sich selber sehr angetan.

Irgendwann heiratete sie den Gloser Misch, der zwar kein Adonis war, dafür fleißig und hörig, ein wunderbarer Ausgleich zur Katt, die es übrigens auch mit der Arbeit nicht so ernst und genau nahm. Die Beiden zeugten zwei Kinder, die Anna und den Marz, mit denen sie Anfang der sechziger Jahre nach Mediasch auswanderten und dort eine Blockwohnung in der Gura Cimpului bezogen, einem Neubauviertel am rechten Ufer der Kokel. Der Misch arbeitete in einer Textilfabrik, während "die Dame des Hauses" als Putzfrau unterwegs war. Das tat sie bei Wohlhabenden, von denen sie sich so Manches in Sachen Manieren abschaute, sodass sie sich im Laufe der Jahre mehr und mehr zur "Städterin" entwickelte. Sie fing an sich zu schminken, trug hohe Stöckelschuhe und wedelte mit dem Hintern, der in einen engen Minirock eingeklemmt wurde, obwohl sie recht mollig war, so krass, dass der Eindruck entstand, sie sei eine der Damen des "horizontalen Gewerbes". So meinte der Pitrolesch Misch mal: "Wenn die Katt ihren Minirock noch mehr kürzen möchte - und das will die bestimmt -, muss sie zuvor zum Elektriker geh`n, dass der ihren Stecker etwas nach oben versetzt!"

Wenn sie ab und zu ihre Verwandten besuchte, waren ihre Kleidung und Benehmen besonders auffällig. Auch sprach sie nur noch "mediascherisch", obwohl sie diesen Dialekt kaum beherrschte, aber die Bauerntrottel merkten das ja nicht - dachte sie. Den Pendlern im Zug begegnete sie mit besonderer Arroganz und Missfallen, indem sie sich abfällig zu deren Lebensweise äußerte und ihnen verachtende Blicke zuwarf. Die revanchierten sich, indem sie den Zigarettenrauch absichtlich in ihre Richtung pusteten, sie zum Fuselsaufen einluden und so manchen Darmwind auf ihr Wohl "musizieren" ließen, bis die Genervte das Abteil verließ und den Rest der Fahrt auf dem Gang verbrachte. Der Misch - ihr Mann - stand bei solchen Fahrten schon von Anfang an auf dem Korridor, weil er "seine Liebste" nur zu gut kannte und daher wusste, dass sich ihre Wege für nur einige Minuten trennen würden.

Eines Samstags war es wieder so weit. Die "städtische Familie" stattete dem Geburtsort einen Besuch ab, da ein Fest anstand: Ihr Vater, der alte Tschiamber, wie er von allen genannt wurde, hatte seinen siebzigsten Geburtstag erreicht.

Auf dem Weg vom Bahnhof bis zum Dorf hatte die "Städtische" immer wieder etwas auszusetzen: Mal war der Weg zu holprig, mal der Berg zu steil, mal der Wind zu stark, usw. Als sie am Biërk - ein Wäldchen - vorbei kamen, begegnete ihnen eine kleine Gruppe Ziegen, deren Pascha sich rein zufällig der Katt näherte und sie beschnupperte. Vielleicht war es ja ihr Minirock, der beim Bock das Blut wallen ließ... Die von ihm ausgestrahlten Düfte ließen die im Mittelpunkt Stehende laut aufschreien und sie zu einigen "saftigen" Ausdrücken verleiten, die eines Stadtmenschen unwürdig waren, aber das vergaß die "Umworbene" schnell, denn hier ging es um ihr Überleben - dachte sie jedenfalls. Der Misch griff nicht ein und lachte sich schadenfroh Eins ins Fäustchen - wie übrigens auch die beiden Sprösslinge.

Zu Hause erfolgte eine innige Begrüßung seitens der Verwandten-Schar, die die Ankunft der "Städter" vielleicht nicht unbedingt herbeisehnte, aber zu diesem Anlass richtig essen und trinken konnte, was ja nicht alle Tage geschah. Man nahm am festlich dekorierten Tisch, der eigentlich eine Tafel war, Platz und ließ den "Ehrengast" vom neuen Domizil berichten. Der (die) berichtete mit viel Pathos über die Stadt, ihre Vorzüge u.v.a.m. - selbstverständlich im neu erlernten Dialekt. Zwischendurch erfolgten immer wieder versteckte Seitenhiebe auf die primitiven Zurückgebliebenen aus dem Kaff, allerdings wurden sie derart gebracht, dass sie auch der Dümmste hätte verstehen können.

Um ihre Überlegenheit nochmal hervorzuheben, kippte die Katt innerhalb kurzer Zeit mehrere Stampel Pali, eine zu der Zeit für Frauen total ungewöhnliche Verhaltensweise, worauf sie noch redseliger wurde, sodass fast nur sie zu Wort kam. Die anderen Anwesenden in der Runde unterbrachen das Schlabrament kaum, denn sie war ja schließlich Gast.

Irgendwann drückte die Blase, also verließ die Wortgewaltige den Raum, um sich zu entleeren. Inzwischen waren die beiden Kühe aus der Herde zurückgekehrt und hatten - wie immer - im Hof ihre Hinterlassenschaften abgelegt. Anscheinend war dieser Teil der Wohnanlage von ihnen speziell dazu auserkoren worden, ihr Geschäft dort zu verrichten. Die genauen Gründe waren unbekannt; wer kann schließlich die Logik des Rindviehs verstehen...?

Auf einmal vernahmen die Anwesenden aus dem nächtlichen Dunkel einen sich bis in die tiefsten Gehirnzellen einbohrenden Schrei. Alle liefen hinaus, um sich zu erkunden. Da lag die Katt mitten in der Kuhscheiße und fluchte so ordinär, dass Einem bange wurde. Schließlich zeigte sie auf ihre unmittelbare Umgebung: "Der Kabesch, der Kabesch, dot ian der Schloch treefen siil, Kabesch, uch hia zem Gutta gähn siil!" (Der Kuhfladen, der Kuhfladen, dass ihn der Schlag treffen sollte, Kuhfladen, und er zum Unreinen gehen solle). Ihr ganzes Gesäß war voll von den Viehexkrementen, nebst Strümpfen und Teilen der Bluse.

"Aber, Katt, du sprichst ja wieder unseren Dialekt! Herzlich willkommen in Donnersmarkt!", rief ihr die Trengenmaun, ihre ehemalige Nachbarin, zu. Dass die "Mediascherin" voll besudelt war, schien der älteren Bäuerin scheißegal zu sein. "Kamm zau mir, ech gian der menjen besten Piandel." (Komm` zu mir, ich gebe dir meinen besten Bauernrock). Ohne nach ihrem Befinden zu fragen, packte sie die Verunglückte und führte sie zu sich nach Hause.

Nach einiger Zeit erschien in der Türschwelle eine geläuterte Katt. Sie war ortsüblich gekleidet, zeigte Reue und Demut und sprach von dem Zeitpunkt an nur noch donnersmarkterisch. Was so ein Kabesch alles bewirken kann...

Walter Georg Kauntz

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