Die Truden (?) der Maimaun

Unsere Vorfahren waren einfache Leute. Tagsüber bearbeiteten sie ihre Felder, abends versorgten die Männer das Vieh, während die Frauen sich ums Essen kümmerten und danach brachten sie die Kinder zu Bett. Man schlief meist tief, sehr tief, sodass nichtmal das Schnarchen des einen Ehegatten den oder die Andere störte. Sie hatten schwere Stunden hinter sich, denn nach dem Abrackern war man so kaputt, dass Flöhe - und manchmal sogar Wanzen - zu ihrem Recht kamen, ohne dass sich Angezapften gestört fühlten.
Es kam aber auch vor, dass man von den vielen Strapazen nachts aufwachte, einfach, weil man übermüdet war. Um dann die zweite Person nicht zu stören, hing man sich etwas um und begab sich ans Fenster oder verließ das Schlafzimmer in Richtung Hof oder auch Garten. Einige trauten sich sogar ans Kokelufer, wo sie sich eine Weile - vielleicht auch länger - aufhielten. Da konnte es schon vorkommen, dass man Geister sah, bzw. sie zu sehen glaubte. Geh doch mal in der Dunkelheit bei Vollmond an den Fluss. Du wirst bemerken, dass sich über dem Wasser Nebelschwaden bilden, bei deren Entwicklung man mit etwas Fantasie übersinnliche Gestalten erkennen kann. Sie scheinen helle Gewänder zu tragen, sind spindeldürr und bewegen sich - auch mit ein bisschen Einbildungskraft - in einem bestimmten Rhythmus.

Mit solchen "Kreaturen" konnten unsere Ahnen nicht viel anfangen. Ihre "Gestalt", Bewegungen und "Mission" verleitete die "Tageswesen" zum Aberglauben. Ursprung, Sinn und Ziel der "fremden Mitbewohner" konnten nicht erklärt werden, also versuchte man, ihnen magische Kräfte zuzschreiben, deren Auswirkungen das Los der "Normalen" bestimmen konnten. Vergiss nicht, dass das damalige Wissen recht begrenzt war. Es reichte schon, wenn irgend jemand etwas gesehen haben sollte. Eine derartige Nachricht war doch für die damals stark eingeschränkte Welt eine kleine Sensation! Wie gut nur, dass es auch Menschen gab, die das Erzählte steigerten. Durch Mundpropaganda entwickelte sich auf diese Art eine irreale Welt, vor der man sich fürchtete.
So entstanden Märchen und Legenden, von denen unser Volk reich beschert wurde. Zu den "Hauptpersonen" zählten auch die Truden. Sie sollen auf Friedhöfen zu Ehren der Verstorbenen Reigen aufgeführt haben, die nichtsnützigen Bauern um die Milch ihrer Kühe gebracht haben, indem sie diese nachts aus den Tiereutern heraussogen, sie sollen Frauen zu Missgeburten verleitet haben, wenn diese fremd gingen und weiß der Gutta, was sie noch alles angestellt haben sollen. Daraus kannst du deine Schlüsse ziehen: Man mag die Truden oder man mag sie auch nicht. Ich selber kann mich ja auch nicht entscheiden, denn das Seltsame an diesen Gebilden ist, dass sie mal menschenfreundlich und mal -feindlich auftreten. Da frage ich mich, ob sie nicht vielleicht eine pure Erfindung sind und so verwendet werden, wie man sie eben braucht; mal so und mal so.

In anderen Gegenden soll es Zwerge geben, in anderen Riesen, in vielen Hexen und bei uns Truden. Wo ist da der Unterschied? Glaube mir mein Junge, den gibt es nicht! Keiner konnte die Existenz dieser sogenannten Wesen auch nur einmal beweisen, also - denke ich - gab es sie auch nie und wird es sie auch nie geben. Sag` das aber nicht weiter, denn es gibt bestimmt Viele, die mir dies übel nehmen würden. Eigentlich sollte ich so was auch nicht behaupten, denn jeder Mensch muss ja schließlich an etwas glauben - außer unserem lieben Herrgott selbstverständlich. Aber schau mal, ich habe irgendwo gelesen, dass die Missonäre - oder so - den Wilden in Amerika und Afrika den wahren Glauben beigebracht haben, aber die insgeheim noch immer Steine, Krokodile und Vögel anbeten. Genau so ist das ja auch bei uns: Lass` doch Gott Gott sein, aber lass` die Leute doch auch ihre Fantasie ausleben. Die braucht man oft, glaube mir.

Schau, ich habe vor vielen Jahren meinen Mann verloren. Den kennst du nicht. Ist auch gut so, denn sein Tot war für mich wie eine Erlösung. Der Grobian hat mich oft geschlagen und dazu mich auch nur dann "genommen", wenn er Lust hatte. Nach der Meinigen hat er nie gefragt. Das Essen musste immer lauwarm auf dem Tisch stehen, wenn er Hunger hatte. Einen freundlichen Blick hat er mir nie gewidmet, von physischen Streicheleinheiten keine Spur! Und trotzdem hab` ich an seinem Grab geweint. Nicht wegen seinem Ableben, nein, mir ging es nur um das Stopfen der vielen Münder.

Wenn meine sechs Kinder endlich alle schliefen, bin ich ans Kokelufer gegangen und habe gehofft, dass die Truden erscheinen und mir helfen. Gebetet habe ich nicht, denn das macht man in der Kirche, aber in die habe ich auch kein Vertrauen mehr, weil der Pfarrer immer sagt, dass die Sünden vergeben werden, wenn man betet. Mein Mann war ein fleißiger Kirchgänger und hat mich und die Kinder trotzdem missachtet und missbraucht. Wenn der in den Himmel gekommen ist, dann möchte ich lieber in der Hölle landen, um ihm nicht zu begegnen...

Mir ist zu Ohren gekommen, dass du lustige Geschichten sammelst. Das von mir bis her Erzählte - hast du gehofft -, sollte nur eine kleine Einleitung zum Hauptteil sein. Nein; ich bin fertig. Vielleicht gibt es unter uns auch Welche, die über die Truden Witziges berichten können. Ich kann es nicht. Sei mir bitte nicht böse.

Anmerkung: Während der Erzählung sah mich die Maimaun wiederholt und irgendwie fragend an. Es hatte sich in der Zwischenzeit herumgesprochen, dass ich humorvolle Erzählungen bevorzugen würde. So hatte sie Angst, dass ihre Aussagen nicht veröffentlicht würden. Beim Abschied habe ich ihr mein sächsisches Ehrenwort gegeben, sie im Falle der Veröffentlichung nicht zu übersehen. Hiermit löse ich mein Versprechen ein. Sie selber ist schon etliche Jahre "in ihrer Hölle", wo es ihr hoffentlich besser geht, als auf Erden. Allerdings bezweifle ich, dass es zwischen ihr und dem Vater ihrer Kinder - damals konnte man in den meisten Fällen schon noch davon ausgehen, dass das auch so war - nie zu einem Wiedersehen gekommen ist. Vielleicht treffen wir Beide uns noch einmal...

Walter Georg Kauntz


Erzählt von der Muazemaimaun

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