Wie du weißt, wohne ich schon seit meiner Geburt an der Kokel - du doch auch. Dieser Fluss - ich sage dir - hat so manches Geheimnis, aber die könnten ja nur uns, die wir an seinen Ufern wohnen, interessieren. Die Anderen, deren Gärten sich in Richtung Raubiasch ziehen, haben bestimmt ganz andere Sorgen. Die können ja nichtmal schwimmen - ich auch nicht, aber das müssen die nicht wissen... und du verrätst mich nicht, sonst verfluche ich dich bis ins tausendste Glied!

Mir ist mal folgendes passiert: Eines Abends musste ich noch schnell in den Garten huschen, um etwas Gemüse für`s Lawend (Suppe) zu holen. Da sah ich am Kokelufer ein Licht, das sich scheinbar auf mich zu bewegte. Schnell holte ich mein Grünzeug und eilte in die Küche. Anmerken ließ ich mir nichts.

Als Alle schliefen, habe ich mich zusammengerissen, habe meinen ganzen Mut gesammelt und bin nochmal in den Garten gegangen. Stell` dir vor, vom Kokelufer her bewegte sich das gleiche Licht auf mich zu.
Zu den Zeiten trugen wir Frauen noch keine Unterhosen. Aus diesem Grund kann ich dir jetzt auch nicht sagen, ob ich mich angepinkelt habe, aber Eines weiß ich: Am darauf folgenden Morgen waren keine Spuren davon vorhanden...

Wie dem auch sei: Ich bewegte mich in seine Richtung und tatsächlich wich es zurück, also gingen wir Beide in Richtung Kokel.
Als ich am Ufer angelangt war, befand sich die Lichtquelle schon im Fluss. Erst da ging mir ein Licht auf: Es war ein Irrlicht! Damit meine ich, dass es ein Licht war, das es eigentlich überhaupt nicht gab! Jetzt wirst du fragen, wieso ich es dann gesehen habe. Darauf kann ich dir keine Antwort geben; ich kann nur sagen, dass es so war.

Es wird insgeheim erzählt, dass so ein Irrlicht mal einem alten Bauern aus unserem Dorf begegnet ist. Den Namen weiß ich nicht mehr; den weiß keiner mehr, aber es wird trotzdem erzählt. Jedenfalls soll er so einem eigentlich nicht vorhandenen Licht gefolgt sein und im Fluss ersoffen sein. Ich war damals noch im Raubiaschgrowen ( noch nicht geboren) und so kann ich mich dazu nicht äußern.

Erzählt von der Fichemaun, aufgezeichnet von W.G.Kauntz