Kronstädter Tuch- und Modewarenfabriken Wilhelm Scherg & Cie. AG

Kronstädter Tuch- und Modewarenfabriken Wilhelm Scherg & Cie. AG
BrancheIndustrie - Textil
GesellschaftKronstädter Tuch- und Modewarenfabriken Wilhelm Scherg & Cie. AG
WertpapierartHistorische Werbung und Firmengeschichte
AusgabeortKronstadt
Ausgabedatum24.05.1936
DruckereiZeitungsbüro Elekes und Johann Gött's Sohn - Kronstadt
Abmessungen130 X 90 und 540 X 370

Die Pionierarbeit der Industrialisierung in Kronstadt leisteten zum größten Teil sächsische Handwerker, die in zäher Arbeit, unter schwierigen Verhältnissen ihre Werkstätten in Fabriken umgestalteten. Einer dieser Pioniere war Michael Scherg. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts erwachte ein neuer Geist des Fortschritts und der Initiative. Dieser befähigte bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts einen kleinen Teil der früheren Handwerker Kronstadts, aus dieser Stadt das bedeutendste Industriezentrum Siebenbürgens zu machen. Dieser Prozeß ging nur langsam vor sich. Im Jahre 1890 gab es in Kronstadt und Umgebung erst 17 eingetragene Fabriken, 1900 waren es 31, davon waren 22 sächsische Gründungen und in sächsischem Besitz.

Zu diesen wenigen sächsischen Gründerfamilien, denen es gelang, die Krise, die durch das Gewerbegesetz von 1872 ( Aufhebung der Zünfte und Einführung der vollen Gewerbefreiheit ) ausgelöst worden war, zu überbrücken und ihre Werkstätten in Industrieunternehmungen umzugestalten, gehörte auch die Familie Scherg. Besonders hervorzuheben ist, daß diese Umwandlung unter der Führung einer Frau geschah, der Meisterwitwe Katharina Scherg. Schon kurz nach dem Tod ihres Mannes Michael, wahrscheinlich 1874, hatte sie begonnen, ihre Werkstätte vom Hand- auf Dampfbetrieb umzustellen. Da sie bald erkannte, daß diese Umstellung nur mit Hilfe technisch ausgebildeter Fachkräfte zu bewerkstelligen war, schickte sie ihren Sohn Wilhelm zur Ausbildung in eine Fachschule für Textilindustrie nach Grünberg in Schlesien. Wilhelm Scherg wurde nicht nur in die Fertigkeit des Webens und die Leitung einer Tuchfabrik eingeführt, hier erkannte er schon früh das Wesentliche der kapitalistischen Produktion: "Gewinn durch Einsparnis vieler Hände !" und "Viel - schön - und billig. Ohne ersteres ist das letztere nicht möglich, und wenn die Ware äußerlich nicht schön ist, findet sie keine Abnahme!"

Als Wihelm Scherg im Jahre 1876 heimkehrte, ergriff er sofort die Initiative, seine erworbenen Kenntnisse anwendend, den Betrieb seiner Mutter zu erweitern und zu modernisieren. Er erwarb eine eigene Dampfmaschine mit 10 PS Leistung und sechs mechanische Webstühle. Diese Anschaffungen bedeuteten den eigentlichen Übergang von der alten Handwerkstätte zur Fabrik moderner Prägung.

An dem Unternehmen beteiligten sich, nach und nach, auch die Schwiegersöhne Katharina Schergs Josef Schreiber und Georg Schmutzler. So trat anstelle der alten Tuchmacherwerkstatt "Michael Schergs Witwe" die Firma "Wilhelm Scherg & Cie.", die am 01.04.1884 in das Kronstädter Handelsregister eingetragen wurde. Es entstand somit ein Familienunternehmen, das 64 Jahre lang, bis zu seinem Ende durch die kommunistischen Enteignungen des Jahres 1948, immer im Besitz der Familie blieb.

Zum Gedeihen der Fabrik trug wesentlich bei, daß die drei Schwäger ausgezeichnet zusammenarbeiteten und sich ergänzten. Wilhelm Scherg war seiner Ausbildung entsprechend der technische Leiter. Josef Schreiber, der als Wollhändler eine gute Kenntnis der Wolle und gute Beziehungen zu den rumänischen Schafzüchtern der Umgebung besaß, besorgte den Einkauf des Rohmaterials. Georg Schmutzler übernahm die kaufmännische Leitung des Betriebes und den Außendienst bzw. den Absatz. Es war für die Zukunft der Tuchfabrik Scherg charakteristisch, daß sich die Familie in der gesamten Entwicklung der Firma zum industriellen Großbetrieb ständig nur auf ihre eigenen Mittel stützte und dadurch vor Spekulationen und deren Gefahren bewahrt wurde.

Ein erweiterter Absatz der Erzeugnisse der Scherg`schen Tuchfabrik wurde durch eine radikale Umstellung der Produktion ermöglicht. Von den einfachen Bauern-Tuchwaren ging die Fabrik zur Erzeugung feiner Tuche und Modestoffe über. Diese waren in ganz Ungarn die ersten Tuchwaren dieser Art und fanden einen guten Absatz. Auch auf den neu erschlossenen orientalischen Märkten waren diese Tuche sehr beliebt und gefragt. Es kam sogar so weit, daß englische und deutsche Tuchfabriken die Scherg´schen Stoffe in Farbe und äußerer Form täuschend ähnlich nachahmten, sie mit der gleichen Bleiplombe versahen und sie unter dem Namen "Brassova" in die Türkei verkauften. Es gab also damals schon die kriminelle "Produkt-Piraterie" !

Ein für die damalige Entwicklungsphase der kapitalistischen Wirtschaft charakteristischer Zug war die Konzentration des Kapitals in den Händen von immer weniger großen Unternehmen durch Übernahme von kleinen Fabriken, die sich im Konkurrenzkampf nicht behaupten konnten. So konnte die Schergsche Tuchfabrik ihre eigenen Produktionsmöglichkeiten sowohl durch den Erwerb einiger kleinerer Unternehmen als auch durch Heranziehen einer großen Anzahl tüchtiger Fachkräfte und kontinuierliche Expansion bedeutend vergrößern.

Die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg waren Jahre der ruhigen, fruchtbaren Arbeit und der ständigen Erweiterung des Betriebes. Es zeugt von der Qualität der Schergschen Tuchwaren, daß die Bestellungen des Staates ( vor allem Aufträge für Uniformtuch für die k. u. k. Armee ) kräftig anwuchsen.

Als Rumänien an der Seite der Entente am 27.08.1916 in den ersten Weltkrieg eintrat, wurde Kronstadt mit einem Schlag zum Kriegsschauplatz. Vor den einrückenden rumänischen Soldaten flüchtend verließen die Familie Scherg und alle Arbeiter der Firma die Stadt; die Fabrik blieb mit allen Maschinen, den Rohstoffen und den fertigen Waren ihrem Schicksal überlassen.

Von Oktober bis November 1916 unternahm die Unternehmensleitung sowohl im Exil als auch vor Ort größte Anstrengungen, um den Wiederaufbau der durch Zerstörung und Plünderungen verwüsteten Fabrikshallen und die Inbetriebnahme der Tuchfabrik zu ermöglichen. Als Ende Februar 1917 der Schergsche Betrieb wieder zu arbeiten anfing, glich dieses Bemühen fast einem Neuanfang. In den letzten zwei Kriegsjahren folgten noch manche Rückschläge und Hindernisse so z. B. große Vermögenseinbußen durch den Verlust der Kriegsanleihen, die in großer Stückzahl gezeichnet und nicht mehr eingelöst worden waren.

Die politische Neuordnung in Südosteuropa nach dem Ersten Weltkrieg bot für die Entwicklung der siebenbürgischen Industrie, auch der Schergschen Fabrik, große Vorteile. Kronstadt war in den Mittelpunkt eines an Rohstoffen aller Art reichen Staates gerückt, dessen damals noch rückständige Gebietsteile gute Absatzmärkte boten. So gelang es der Firma Scherg in nur kurzer Zeit zur zweitgrößten Tuchfabrik Rumäniens aufzusteigen.

Im Jahre 1927 erfolgte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft, wobei die Aktien ausschließlich von Angehörigen der Familien Scherg, Schreiber, Schmutzler, Depner und Ganzert gehalten wurden. Nach der Kapitalerhöhung des Jahres 1938 betrug das gesamte Aktienkapital der Gesellschaft 240 Mio. Lei, aufgeteilt in 24.000 Aktien á 10.000 Lei.

Die zwanzig Jahre zwischen den beiden Weltkriegen bildeten den Höhepunkt in der Entwicklung des Schergschen Unternehmens. Es sind dies vor allem zwei Aspekte, die den Weg der Firma Scherg zum modernen Großbetrieb kennzeichnen: auf der einen Seite eine ständige Vergrößerung, auf der anderen Seite die Errichtung neuer Tochterbetriebe, die Fusion mit kleineren Firmen und die Beteiligung an anderen großen und lukrativen Firmen.

Im Jahre 1936 betrug die zur Verfügung stehende Motorkraft fast 2.000 PS, in den Webereien standen 320 Webstühle und die Zahl der Beschäftigten schwankte zwischen 1.400 - 1.900. In nur 13 Jahren, seit 1923, hatte sich die Zahl der Webstühle mehr als verdoppelt, die motorische Kraft sowie die Zahl der Arbeiter und Angestellten mehr als vervierfacht.

Zwei Jahre nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges trat Rumänien im Juni 1941 in diesen ein und nahm an der Seite Deutschlands am Feldzug gegen die Sowjetunion teil. Damit begann für die Firma Scherg eine schwere Zeit. Zahlreiche Arbeitskräfte mußten einrücken und fehlten nun im Betrieb. Als nach der Schlacht von Stalingrad und dem Vormarsch der Roten Armee nach Westen klar schien, daß der Krieg für Deutschland verloren war, wechselte Rumänien die Fronten.

Durch die Aushebungen und Deportationen der Rumänien-Deutschen vom Januar 1945 erlitt die Tuchfabrik Scherg erneut einen schweren Verlust. 134 deutsche Arbeiter und Beamte wurden ausgehoben. Die Firma Scherg kämpfte bis 1948, wie alle privaten Unternehmungen, unter schwersten Umständen um ihr Überleben. Ihre Besitzer und Leiter waren zahlreichen Verfolgungen, Repressalien und Schikanen durch die neuen Machthaber ausgesetzt.

Die nun folgenden Ereignisse sind - nicht zuletzt auch durch die Lektüre dieses Kataloges - sattsam bekannt: Rumänien, seit März 1945 auf dem besten Weg ein kommunistischer Staat zu werden, betrieb zunächst eine groß angelegte " Agrarreform " und die Kollektivierung der Landwirtschaft nach sowjetischem Vorbild. Am 30. Dezember 1947 dankte König Michael ab und verließ das Land durch Flucht ins Schweizer Exil. Rumänien wurde eine "Volksrepublik". Nun war der Weg für die Umgestaltung der Wirtschaft zu einer staatlich, zentralistisch gelenkten, frei.

Am 11.06.1948 wurden alle privaten Wirtschaftsunternehmen, Fabriken, Banken, Bergwerke, Handels- und Gewerbebetriebe sowie auch die Versicherungsgesellschaften entschädigungslos enteignet und verstaatlicht.

Die Geschichte der Tuchfabrik Scherg, die seit Gründung der Keimzelle durch Michael Scherg innerhalb der Kronstädter Tuchmacherzunft im Jahre 1823 über 125 Jahre lang im Besitz der Gründerfamilie gestanden hatte, fand hiermit ihr Ende.

Das Unternehmen existierte jedoch auch in der kommunistischen Ära fort und produzierte das gefragte Tuch, ein Großteil der Produktion wurde in zahlreiche Länder exportiert.

Die historische Firmenwerbung wurde dem "Wegweiser für Kronstadt und Umgebung", herausgegeben vom Zeitungsbüro Elekes - Kronstadt - entnommen.