Müller vs. Patapievici

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getkiss
schrieb am 07.08.2008, 17:04 Uhr
In der Frankfurter Rundschau ist eine kontroverse Debatte zwischen Herta Müller und H.R. Patapievici (Direktor des RKI) über die Beteiligung ehemaliger Securitate-Zuträger an einem Seminar in Berlin, das vom R(umänischen)K(ultur)I(nstitut) organisiert wurde.
getkiss
Misch 39
schrieb am 13.08.2008, 14:40 Uhr (am 13.08.2008, 18:58 Uhr geändert).
In der rumänischen Presse hat der Offene Brief H. Müllers eine Kampagne gegen Patapievici ausgelöst und der Senat hat eine Untersuchungskommission, unter dem Vorsitz von Adrian Păunescu eingesetzt, um die Aktivität des ICR und dessen Direktor Patapievici zu untersuchen. Daraufhin hat H. Müller zur Verteidigung Patapievici Stellung bezogen und kritisiert Păunescu. Schauen sie hier
getkiss
schrieb am 14.08.2008, 11:55 Uhr (am 14.08.2008, 12:10 Uhr geändert).
@Misch39:
Kontroverse Debatte gibt es eher hier, als Kommentaren zu dem Art. "Spitzelaffäre".
Da geht es um angebliche Dissidenten der Aktionsgruppe Banat, die nach eigener Erkenntniss Anfang der 70´er der Auswanderungswelle kritisch gegenüber standen und gleichzeitig -sh. Bekenntnisse von Richard Wagner- durch Rückgriff auf originär marxistische Thesen, das "sozialistische" System von innen reformieren wollten.

Die leichte Liberalisierung, von Ceausescu ab 1968 eingeleitet, mit dem Hintergrund des Erhaltens westlicher Kredite einerseits und dem Grund des Außschaltens moskautreuer Kommilitonen andererseits, hat die damals 20-jährigen Mitgliedern der Gruppe in den Irrglauben versetzt, diese Reformierung wäre möglich.

Auch der "Aufstand" gegen die Denkweise der "Alten" war ein Hintergrund - typisch halt für alle jugendlichen. War bei mir und anderen auch nicht anders, in dem Alter. Gegen die Auswanderung zu sein, war halt auch politisch "inn". Die alte Parole der Kommunisten über die "Wegbegleiter", die es (aus)zunützen gilt wurde nicht wahrgenommen.

So kam es dann dazu, dass die meisten Mitglieder der Gruppe, die "Angebote" angenommen haben, den Landsleuten zu folgen und auszuwandern in die Bundesrepublik. Interessanterweise, nicht in die DDR des Vorbilds Brecht...

Ohne mit allem einverstanden zu sein, was Don Carlos schreibt, in einem hat Er recht: Wahre (politische)Gegnerschaft zum System und Dissidententum kann ich auch nicht erkennen. Es war eher so, wie auch bei mir: Das, was ich, die Familie und die Landsleute unter den Kommunisten erlebten hat uns nicht zu Fans des Systems gemacht, aber die Traute von Leuten wie Gibson hatten wir nicht; die Familie und relative Freiheit war da doch wichtiger und Free Europe und Berlin zu hören, mehr oder weniger im verborgenen, mehr Wert als im Kittchen zu sitzen...
Da stand mann schon lieber in der Nacht in der Reihe für Milch und Rahm und vor der Miliz um Formulare - was ja genau genommen auch keine Loyalitätserklärung zum Regime war und deshalb Familienzusammenführung hieß....
getkiss


Johann
schrieb am 15.08.2008, 20:50 Uhr (am 15.08.2008, 20:59 Uhr geändert).
@ Elsi "woran willst du festmachen, dass "die Anonymen" mehr zur Zerstörung beitragen als die...anderen? "
Aus den vielen Ausfällen, die Anonyme im Gegensatz zu den anderen produziert haben.

Ich bin bzw. eher war ja auch der Ansicht, dass eigentlich nur das Argument zählen sollte. Leider wirkt, wie man im Internet in allen Foren beobachten kann, die Anonymität auf die Menschen genauso zerstörerisch wie die Masse. Elias Canetti läßt grüßen!

Warum sollte ich mich bei dir entschuldigen, weil ich über die EU und Algerien etwa eine andere Meinung vertreten hatte?
Womit habe ich dich den persönlich angegriffen?

@bankban Finde die Entschuldigung an Don Carlos in Ordnung und hoffe auf weitere inhaltlich Stellungnahmen. Glaube nicht, dass deine Wortwahl in einer face-to-face Situation auch nur im geringsten so ausgefallen wäre.

@The history of Igor
"Normal" ist, zumindest nach demokratischen Verständnis, das, was die Mehrheit tut. Die überwiegende Mehrheit über 80 % der Bevölkerung war weder in der Partei noch hat sie Spitzeldienste bei der Securitate abgeliefert.

Natürlich versuche ich das differenziert zu sehen. Wer in der 30ern Jahren des 20. Jahrhunderts Parteimitglied in der RKP wurde, hat meine Hochachtung. Mit der Machtergreifung und den vielen Säuberungen, die die Kommunisten skrupellos durchführten, beginnt gelinde gesagt eine Grauzone.
Spätestens nach 1968 wusste jeder, dass diese Partei eine Verbrecherorganisation war.

Niemand will ja alle ehemaligen Parteimitglieder nach Sibirien verbannen.
Es fällt aber keinen ehemaligen Parteigenossen ein Zacken aus der Krone, wenn er zugibt, dass er in einer Verbrecherorganisation war und sich für sein opportunistisches Handeln entschuldigt.
Dies ist aber das mindeste, was meiner Meinung nach eine moralisch integere Person tun sollte.

Zwei Gründe sprechen dafür:
1. Erstens sollen wir und unsere Kinder ja aus der Vergangenheit lernen. Dafür muss Unrecht auch als solches benannt werden und jeder sollte zu seinen Fehlern stehen, d.h. ja nur dass man die Verantwortung übernimmt, nicht die Haftung!!
2. Aus Respekt vor Personen, die sich offen gegen dieses verbrecherische Regime gestellt haben und dafür einen hohen Preis entrichtet haben.
Man verhöhnt diese Personen ein zweites mal, zuerst taten es die Schergen der Kommunisten, wenn nun auch ehemalige Parteimitglieder sich zu Dissidenten stilisieren.
Don Carlos stimme ich zu, wer für seine politische Überzeugung nicht im Knast saß, sollte diesen Status nicht für sich beanspruchen. Schikaniert wurden alle Ausreisewilligen, trotzdem können wir uns doch nicht alle als Dissident bezeichnen.

Besonders lächerlich finde ich, wenn nun in den USA Michael Moore, der ein Vermögen mit seiner Kritik verdient und ein Leben in Saus und Braus führt, nun als Dissident bezeichnet wird (vgl. Artikel "Dissident" in Wikipedia).

The history of Igor
schrieb am 15.08.2008, 21:45 Uhr
Johann schrieb:
@The history of Igor
"Normal" ist, zumindest nach demokratischen Verständnis, das, was die Mehrheit tut. Die überwiegende Mehrheit über 80 % der Bevölkerung war weder in der Partei noch hat sie Spitzeldienste bei der Securitate abgeliefert.


Normal ist wohl nicht nur das was die Mehrheit tut. Es ist z.B. 'normal' heutzutage Joga zu praktizieren, aber die ueberwiegende Mehrheit tut's nicht. Es ist normal Vegetarier zu sein, aber die Mehrheit ist es nicht usw...

Johann schrieb: Natürlich versuche ich das differenziert zu sehen. Wer in der 30ern Jahren des 20. Jahrhunderts Parteimitglied in der RKP wurde, hat meine Hochachtung. Mit der Machtergreifung und den vielen Säuberungen, die die Kommunisten skrupellos durchführten, beginnt gelinde gesagt eine Grauzone.
Spätestens nach 1968 wusste jeder, dass diese Partei eine Verbrecherorganisation war.


Ja, man muss das wohl differenzierter sehen; dafuer plaediere ich auch gerne. Aber ich versteh das mit 1968 nicht. Gerade in Rumaenien haette doch 1968 nochmal den Ueberzeugten Antrieb geben muessen, weil eben Ceausescu den sowjetischen Rueckschlag gegen Prag verurteilte.

Ausserdem finde ich diese Grauzonen sehr wichtig. Ich bin mir da nicht so sicher ob wir da einfach als "Verbrecherorganisation" abtun koennen. Die PCR war einfach die politische Partei, und eben nicht die Securitate. Da ging es bei solchen Entscheidungen wohl um mehr als skrupeloses Vorankommen (das gab's natuerlich zuhauf), sondern auch teilweise um ganz existenzielle Fragen...und diese Grauzonen interessieren mich. Ich bin mir sicher, Johann, Du kannst wohl auch diese Grauzonen erkennen.

Johann schrieb: Es fällt aber keinen ehemaligen Parteigenossen ein Zacken aus der Krone, wenn er zugibt, dass er in einer Verbrecherorganisation war und sich für sein opportunistisches Handeln entschuldigt.

Richtig, aber es muss nicht immer opportunistisch sein. Diese Art von Interpretation ist mir zu anachronistisch.

Johann schrieb: Besonders lächerlich finde ich, wenn nun in den USA Michael Moore, der ein Vermögen mit seiner Kritik verdient und ein Leben in Saus und Braus führt, nun als Dissident bezeichnet wird (vgl. Artikel "Dissident" in Wikipedia).

Ja, in der Tat...aber in den USA wird nunmal der Beruf des 'professionellen' Dissidenten immer mehr gefoerdert (siehe die 'Dissidenten' aus dem Iran oder umgewandelte Islamisten).

Gruss.
rio
schrieb am 15.08.2008, 22:06 Uhr (am 15.08.2008, 22:11 Uhr geändert).
Johann schrieb:

Niemand will ja alle ehemaligen Parteimitglieder nach Sibirien verbannen.

Nö, sagen wir mal 50% nach Sibirien, die restlichen in die Sahara. :D
getkiss
schrieb am 15.08.2008, 22:46 Uhr (am 15.08.2008, 22:47 Uhr geändert).
The history of Igor schrieb:

Normal ist wohl nicht nur das was die Mehrheit tut. Es ist z.B. 'normal' heutzutage Joga zu praktizieren, aber die ueberwiegende Mehrheit tut's nicht. Es ist normal Vegetarier zu sein, aber die Mehrheit ist es nicht usw...


Das stimmt aber nur sehr pauschal. Du kannst einen Yogi, oder einen Vegetarier, doch nicht mit einem Mafiosi oder einem anderen Mitglied irgendeiner verbrecherischen Organisation gleichsetzen. Wie schon erwähnt, wurde die RKP, auch gegen den Widerstand der nachfolgenden "Sozialisten" im rumänischen Parlament, durch den Präsidenten als eine verbrecherische Organisation bezeichnet....


The history of Igor schrieb:
Ja, man muss das wohl differenzierter sehen; dafuer plaediere ich auch gerne. Aber ich versteh das mit 1968 nicht. Gerade in Rumaenien haette doch 1968 nochmal den Ueberzeugten Antrieb geben muessen, weil eben Ceausescu den sowjetischen Rueckschlag gegen Prag verurteilte.


Da haste nur Teilweise recht, mit 1968. Siehe die Prozesse 1946/47, die zur Auslöschung aller anderen Parteien führten, der Königsputsch mit vorgehaltener Pistole, die Enteignungen 1948, die Todesurteile gegen eigene Leute wie Patrascanu, die Verschleppungen 1951 (Baragan), u.s.w.

Oder was ist die Verschleppung von 11-jährigen Kindern (ich selbst), zugegeben mit Familie, auf ein ungemähtes Weizenfeld, mit der Angabe: macht mal selbst ein Haus? Ist dies unter der Rubrik "Rotes Kreuz" einzuordnen?

The history of Igor schrieb:
Ausserdem finde ich diese Grauzonen sehr wichtig. Ich bin mir da nicht so sicher ob wir da einfach als "Verbrecherorganisation" abtun koennen. Die PCR war einfach die politische Partei, und eben nicht die Securitate.


Falsch, mindestens uninformiert.
ALLES wurde durch die Partei organisiert, von der Leitung und durch die Gremien dieser Partei gutgeheissen. Wenn es eine demokratische Partei gewesen wäre, hätte Sie Widerspruch in den eigenen Reihen dulden müssen, dem war es nicht so - siehe den Fall Parvulescu. Ergo, bevor Du Behauptungen aufstellst, solltest dich informieren.

Ich selbst, wurde nach der Hochschule, in der "Entspannungsphase" 1971 noch gefragt vom Filialleiter des Institutes, ob ich nicht Parteimitglied werden wollte. Ich antwortete, wenn mir jemand erklären konnte was ich als 11-Jähriger verbrochen habe, würde ich gerne darüber nachdenken. Und damit hab´ich Ruhe gehabt. Es wurde wahrschenlich in mein Schwarzbuch geschrieben, jedenfalls wurde ich niemals mehr mit dieser Frage beschäftigt....

The history of Igor schrieb:
Da ging es bei solchen Entscheidungen wohl um mehr als skrupeloses Vorankommen (das gab's natuerlich zuhauf), sondern auch teilweise um ganz existenzielle Fragen...und diese Grauzonen interessieren mich. Ich bin mir sicher, Johann, Du kannst wohl auch diese Grauzonen erkennen.


Diese (akzeptierbaren, existentiellen)Grauzonen wurden doch schon aufgezeigt: Lange Haftzeiten u.s.w.

Johann schrieb: Es fällt aber keinen ehemaligen Parteigenossen ein Zacken aus der Krone, wenn er zugibt, dass er in einer Verbrecherorganisation war und sich für sein opportunistisches Handeln entschuldigt.
The history of Igor schrieb:
Richtig, aber es muss nicht immer opportunistisch sein. Diese Art von Interpretation ist mir zu anachronistisch.


Das solltest Du etwas klarer hinterfragen und begründen.

getkiss

The history of Igor
schrieb am 15.08.2008, 23:14 Uhr
Getkiss, nur ganz kurz (ich hatte schon eine Antwort geschrieben und dann ausversehen den Browser zugemacht...)

getkiss schrieb:
Das stimmt aber nur sehr pauschal. Du kannst einen Yogi, oder einen Vegetarier, doch nicht mit einem Mafiosi oder einem anderen Mitglied irgendeiner verbrecherischen Organisation gleichsetzen.


Ich wollte damit eigentlich nur (und das ist wichtig) den Begriff 'normal' besser definieren. Es geht nicht um die Mehrheit.

getkiss schrieb:
Wie schon erwähnt, wurde die RKP, auch gegen den Widerstand der nachfolgenden "Sozialisten" im rumänischen Parlament, durch den Präsidenten als eine verbrecherische Organisation bezeichnet....


Wenn man sich diese nachfolgenden 'Sozialisten' vor Augen haelt, heisst das eh nicht viel. Ausserdem ging es Carl Gibson nicht um juristische sondern um moralische Legitimitaetsfragen, soweit ich das verstanden habe.

getkiss schrieb: Da haste nur Teilweise recht, mit 1968. Siehe die Prozesse 1946/47, die zur Auslöschung aller anderen Parteien führten, der Königsputsch mit vorgehaltener Pistole, die Enteignungen 1948, die Todesurteile gegen eigene Leute wie Patrascanu, die Verschleppungen 1951 (Baragan), u.s.w.

Was ist damit? Ich hab nur vorgeschlagen, dass '68 nicht der Knackpunkt war an dem wahrlich Ueberzeugte sich dem Sozialismus abgewendet haetten. Im Gegenteil, da war eher noch so ein Aufbaeumen zu verspueren.

The history of Igor schrieb:
Die PCR war einfach die politische Partei, und eben nicht die Securitate.


getkiss schrieb:
Falsch, mindestens uninformiert.
ALLES wurde durch die Partei organisiert, von der Leitung und durch die Gremien dieser Partei gutgeheissen. Wenn es eine demokratische Partei gewesen wäre, hätte Sie Widerspruch in den eigenen Reihen dulden müssen, dem war es nicht so - siehe den Fall Parvulescu. Ergo, bevor Du Behauptungen aufstellst, solltest dich informieren.


Da hat ein kursiv geschriebenes Wort gefehlt bei meinem urspruenglichen Kommentar:

"Die PCR war einfach die politische Partei..."

getkiss schrieb:
Ich selbst, wurde nach der Hochschule, in der "Entspannungsphase" 1971 noch gefragt vom Filialleiter des Institutes, ob ich nicht Parteimitglied werden wollte. Ich antwortete, wenn mir jemand erklären konnte was ich als 11-Jähriger verbrochen habe, würde ich gerne darüber nachdenken. Und damit hab´ich Ruhe gehabt. Es wurde wahrschenlich in mein Schwarzbuch geschrieben, jedenfalls wurde ich niemals mehr mit dieser Frage beschäftigt....


Sehr gut; Du hattest keine Probleme, aber Du kannst Dir doch sicher vorstellen, dass es eben Situationen gab wo Leute in die Partei eingetreten sind, die es nicht aus reinen opportunistischen Gruenden getan haben.



Johann schrieb: Es fällt aber keinen ehemaligen Parteigenossen ein Zacken aus der Krone, wenn er zugibt, dass er in einer Verbrecherorganisation war und sich für sein opportunistisches Handeln entschuldigt.
The history of Igor schrieb:
Richtig, aber es muss nicht immer opportunistisch sein. Diese Art von Interpretation ist mir zu anachronistisch.

getkiss schrieb:
Das solltest Du etwas klarer hinterfragen und begründen.


Das tu ich, und ich kann trotzdem in einzelnen Instanzen von Anachronismus sprechen.


Johann
schrieb am 15.08.2008, 23:49 Uhr
Wenn jemand Yoga macht, dann ist das nun wirklich moralisch überhaupt nicht verwerflich. Ganz anders ist dies mit der Mitgliedschaft in der RKP. Dies war damals eine moralisch verwerfliche Tat und kann auch im nachhinein von Wendehälsen nicht als unerhebliche Kleinigkeiten wegdiskutiert werden.
Die Parteimitglieder genossen auch damals einen sehr, sehr schlechten Ruf, es war kein Kavaliersdelikt. Mehr noch auch viele, die eingetreten sind, sahen das selber so.

Es war bekannt, dass alle in die Partei eintraten um für sich persönlich Vorteile herauszuschlagen.
Nur vor kurzer Zeit habe ich die lächerliche Theorie gelesen, dass man Mitglied wurde, um das Sachsentum zu retten vgl Michael Kroner:

Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit

Was meinst du (Igor) mit existentiellen Druck, der eine Mitgliedschaft nach sich zog?
Niemand wurde meines Wissens gezwungen, dass man auf die Vorteile einer Mitgliedschaft verzichten musste, ist doch das selbstverständliche auf der Welt. Ich kann doch nicht bei einem Raub nicht mitmachen und dann einen Anteil an der Beute fordern, dass machen ja nicht einmal Verbrecher.
The history of Igor
schrieb am 16.08.2008, 00:28 Uhr
Johann schrieb: Dies war damals eine moralisch verwerfliche Tat und kann auch im nachhinein von Wendehälsen nicht als unerhebliche Kleinigkeiten wegdiskutiert werden.

Ich bin kein Wendehals und diskutiere hier nichts weg. Ich plaediere fuer eine differenziertere Bewertung der Geschichte, die sich aus dem Hollywoodschema 'Gut und Boese' befreien kann.

Johann schrieb: Die Parteimitglieder genossen auch damals einen sehr, sehr schlechten Ruf, es war kein Kavaliersdelikt. Mehr noch auch viele, die eingetreten sind, sahen das selber so.

Hat auch keiner bestritten. Das heisst nicht, das man auf Nuance und Differenzierung verzichtet.

Johann schrieb: Es war bekannt, dass alle in die Partei eintraten um für sich persönlich Vorteile herauszuschlagen.

Woher? Wie kannst Du Dir so sicher sein, dass Du ueber alle urteilen kannst? Ich nehme an, dass sehr viele aus opportunistischen Gruenden in die Partei eingetreten sind, aber alle? Da braucht man die Differenzierung, sonst seh ich nur anachronistisches Geschichtsverstaendnis.

Johann schrieb: Nur vor kurzer Zeit habe ich die lächerliche Theorie gelesen, dass man Mitglied wurde, um das Sachsentum zu retten vgl Michael Kroner:

Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit


Ja, ich kenn sie und ich find sie wahnsinnig interessant, weil sie so dermassen gegen den Strich geht. Es geht nicht darum ob ich dem Kroner zustimme oder nicht, aber seine Analyse ist so dermassen interessant, vollkommen egal ob man damit einverstanden ist oder nicht (und ich selbst hab meine Probleme damit).

Johann schrieb: Was meinst du (Igor) mit existentiellen Druck, der eine Mitgliedschaft nach sich zog?
Niemand wurde meines Wissens gezwungen, dass man auf die Vorteile einer Mitgliedschaft verzichten musste, ist doch das selbstverständliche auf der Welt. Ich kann doch nicht bei einem Raub nicht mitmachen und dann einen Anteil an der Beute fordern, dass machen ja nicht einmal Verbrecher.


Also, mit existenziellem Druck meine ich nicht einen konkreten koerperlichen Zwang, sondern eine historische Realitaet: Man wusste nicht, dass 1989 kommen wuerde. Manche haben sich entschieden nicht aus Rumaenien auszuwandern. Es gab alltaegliche Realitaeten: Familie, Eltern, Freundeskreis. Wenn man nun in bestimmten Berufskreisen war, dann war der implizite Druck da. Man wusste nicht, dass 1989 passieren wuerde (im Gegenteil: die PCR wuchs unendlich in den 80er Jahren) und normale Menschen mussten sich Gedanken ueber ihre Familien machen.

Ist ja alles schoen und gut eine anti-totalitaere Position zu vertreten (und Respekt vor diesen Leuten), aber wenn man ein 'normaler' Mensch war, der nicht auswandern wollte (und selbst wenn...) und sich um seine Familie kuemmern musste (Kinder, Frau, Eltern etc...), dann muss wohl die Frage aufgekommen sein ob ein politisches Statement wichtiger war als das Wohlbefinden der Familie. Ist das Opportunismus oder Pragmatismus? Ich beantworte es weder mit ja oder nein, ich stell die Frage einfach mal nur so in den Raum.

Natuerlich ist das alles sehr schwierig und die Grauzonen werden dadurch auch immer grauer und fliessender, aber ich finde die Fragen muessen zumindest gestellt werden.

Gruss.
pedimed
schrieb am 16.08.2008, 08:14 Uhr (am 16.08.2008, 08:54 Uhr geändert).
Also ich finde die Diskussion sehr audgedehnt und ohne eigentliche Ergebnisse.Als ich seinerzeit in meinem Betrieb tätig war, so regte ein Parteimitglied an, dass ich mich als Deutscher im Orientierungslauf melden solle und hatte in dem Betrieb mit der Zeit 28 Teilnehmer/innen zusammen gebracht.Auch eine Zigäunerin war dabei. Auf Grund meiner Tätigkeit im Sport wurde ich von einem LM zur Mitgliedschaft in der KJO vorgeschlagen und musste den Aufnahmeweg gehen mit Hauptversammlung und Btriebs- und Stadtkommision für die Aufnahmegenehmigung. In der Letzten saß ein berüchtigter Stadtjugendleiter als Vorsitzender.Die Befragung erfolgte.Fast alle stellten harmlose Themen in den Vordfergrund der Befragung. Nur ein radikaler SbS in der Partei stellte mir eine Fangfrage: warum ich nicht schon im Gymnasium der KJ beigetreten sei.Meine Antwort war: Ich bekam keine 2 Mitglieder zur Vorschlagung zusammen, da ich ja meine Eltern in DE hatte und ja auch zur Ausreise meinen Passantrag eingereicht habe. Der berüchtigte Stadtjugendleiter gab dann eine diplomatisch gehaltene Antwort: Wir wussten ja alle aus den Personalpapieren darüber Bescheid, aber dein LM ist Schuld, dass du durch deine ehrliche Antwort dir den Zugang zu der Organisation verbaut hast. Der glaubte sich Lob eingehandelt zu haben, ich aber war froh, dadurch nicht Mitglied werden zu müssen.Meine Sportlertätigkeit führte ich wie gewohnt weiter bis zu meiner Ausreise ein Jahr später. Dass sind meine Parteierlebnisse.nfU Nachtrag: meine Ausreisepaiere wurden mir als Geburtstaggeschenk überreicht.mfg nfU
Johann
schrieb am 16.08.2008, 08:51 Uhr (am 16.08.2008, 09:22 Uhr geändert).
Pedimed hat den Vorgang deutlich geschildert. Man musste erstens einen Antrag stellen oder wurde vorgeschlagen, kam dann zweitens in ein Verfahren, in den man beobachtet und sich auch kritischen Fragen stellen musste, d.h. man wurde danach befragt, ob man auch wirklich den Zielen der RKP zustimmt und sich dafür auch täglich einsetzen wollte. Drittens stand am Ende ein Schwur, sprich man musste vor versammelter Mannschaft schwören, Teil dieser Verbrecherorganisation zu werden.
Damit hatte man den Rubikon überschritten, sowohl Pedimed als auch getkiss haben doch gezeigt,dass man sich dem auch entziehen konnte, ohne Nachteile zu erleiden.

Weder die Kommunisten noch die anderen wussten, dass 1989 vor der Tür stand. Die einen haben trotzdem der Versuchung widerstanden und haben KEINE moralisch verwerfliche Tat und keinen Eid auf ein Verbrecherregime geleistet.
Genau um dieses geht es mir, man kann nicht alles verwischen, sonst kommt es nicht zu einer Differenzierung, sondern zu einem einzigen Brei!

Im alten Forum hatte ich eine weitergehende Differenzierung vorgeschlagen, ich zitiere in leicht geänderter Form daraus:

vgl. http://www.siebenbuerger.de/ubb/Forum11/HTML/000038.html

Weder die Siebenbürger Sachsen noch die Banater Schwaben waren Engel. Auch unter Ihnen gab es:
1. Überzeugungstäter, also überzeugte Kommunisten. Mir ist in 22 Jahren, in denen ich in Siebenbürgen leben "durfte", kein einziger begegnet. Der bekannteste war Johann Georg Maurer.
2. Willige Vollstrecker bzw. Schergen des Systems
, in jeder Hinsicht billige Werkzeuge: Securitate-Leute (vergleichbar mit der Stasi) und Spitzel, aber auch Parteifunktionäre und Journalisten, die trotz besserem Wissen den Kommunismus und den großen "Genius der Karpaten" (Ceausescu) in höchsten Tönen lobten, während Sie im privaten Kreis genauso den moralischen Verfall der kommunistischen Elite, deren Teil sie selber waren, kritisierten.
3. Opportunisten - einfache Parteimitglieder: Die zweite und dritte Kategorie war oft wegen einem kleinen Vorteil oder für ein Apel und ein Ei bereit, gegen die eigenen Überzeugungen mitzumachen. KEINER wurde gezwungen Mitglied der Partei zu werden, man musste erstens Erwachsen sein, sich um eine Mitgliedschaft bewerben und einen Eid auf die Partei und deren Führung bzw. Führer (Conducator Ceausescu) leisten!!
3. Unschuldig Schuldige. Dies ist sicherlich eine contradictio in adjecto, (im Adjektiv wird das Gegenteil ausgesagt wie im Substantiv). Wer z.B. wie Eginald Schlattner ein Jahr lang brutal misshandelt wurde und dann Verrat betreibt, ist so ein Fall. Er hat Schuld auf sich geladen, hat dies eingesehen und über Jahre dafür gebüßt. Ganz anders die vielen Wendehälse, die für nichts verantwortlich waren bzw. die Verantwortung anderen in die Schuhe schieben und für all Ihre Untaten eine billige Entschuldigung oder wenn es gar nicht anders geht, moralische Relativierung betreiben. Schuldig macht man sich auch, wenn man einfach wegsieht bzw. durch unterlassene Hilfe. In diesem Sinne hat sich sicherlich jeder schuldig gemacht, weil aufgrund der Brutalität und totaler Kontrolle Widerstand sofort mit drakonischen Maßnahmen unterbunden wurde.
4. Unpolitische Menschen, die nach einer Nische suchten und versuchten selbst nicht schuldig zu werden. Dies war die große Mehrheit der Bevölkerung. In Rumänien waren ca. 10% der Bevölkerung Mitglied der Kommunistischen Partei, also 90% waren nicht Mitglieder. Ähnlich dürfte auch der Anteil der Sachsen in den zwei Lagern gewesen sein.
5. Widerstandskämpfer bzw. Dissidenten, die direkt Widerstand leisten und dafür auch bestraft wurden. Indirekt hat fast jeder in irgendeiner Weise das System boykotiert oder unter vorgehaltener Hand kritisiert.
seberg
schrieb am 16.08.2008, 09:34 Uhr (am 16.08.2008, 09:38 Uhr geändert).
Ja Johann, deine Schubladen kennen wir. Einfühlung in andere Menschen und in dich selbst, also Empathie und Introspektion, scheinen für dich nichts als Fremdwörter geblieben zu sein. Dafür staune ich jedes Mal über deinen intellektuellen Rigorismus. Irgendwie wird mir dabei ganz kalt.

Ich habe das mit den Parteieintritten damals so erlebt (und zwar sowohl bei den „Proletariern“ in den Fabriken, wo ich jahrelang arbeiten „musste“, als auch in intellektuellen Kreisen und bis hin zu Verwandten und Bekannten aus „guten“ sächsischen Familien, die ich auch von innen her kenne/kannte): Alle wussten, dass es alle wusste, dass die, die in die Partei eingetreten waren, es aus mehr oder weniger opportunistischen / pragmatischen Gründen getan hatten. Eine gewisse Unsicherheit kam allein aus dem Umstand, dass man nicht in die Köpfe der einzelnen Leute sehen konnte, um festzustellen, wie weit sich neben dem Opportunismus /Pragmatismus doch auch eine gewisse ideologische Überzeugung aus Idealismus befand und wie die einzelnen dann mit dieser inneren Ambivalenz lebten.
Freilich sind das die besten Bedingungen für Wendehälse, aber wer will über wen urteilen und entscheiden, wie ehrlich oder heuchlerisch sich jemand innerlich mit seiner Einstellung auseinandersetzt und sich nach außen hin sprachlich und handelnd verhält?
Immerhin gibt es auch die Wahrheit, dass es schwieriger und mutiger sein kann, seine Überzeugung und Einstellung zu ändern, als auf auf seiner alten zu beharren.

Die grauen Zellen als Grauzonenerzeuger, so ist das, das ist menschlich und darum weder nur gut noch nur böse. Nur Don Carlos glaubt offenbar an die eine objektive Wahrheit (wie auch Johann?), die natürlich bei ihm liegt, und daran, dass die Dichter Lügner sind. Absurd!
Johann
schrieb am 16.08.2008, 13:56 Uhr (am 16.08.2008, 14:22 Uhr geändert).
Lieber Seberg, es ehrt mich sehr, dass du alle meine Beiträge präsent hast, ich dachte, dass dies nach immerhin 7 Jahren bei den Teilnehmern nicht so präsent sei(am 17.08.2001 um 21.47 hatte ich damals gepostet). Entschuldigung für die Wiederholung.

Aus deinen Beiträgen habe ich den Eindruck, dass du meine Beiträge oft nicht verstehst. Dies kann an diesem Medium liegen, an deiner Auffassungsgabe oder an meinen Möglichkeiten mich auszudrücken. Da ich nur auf letzteres bescheidenen Einfluss nehmen kann, ein paar Anmerkungen.

Damit man die Welt farblich beschreiben kann, braucht man auch ein paar Schubladen und die tragen dann die Bezeichnung rot, braun, gelb etc. Erst danach können wir auf dem Bildschirm über 1 Millionen Farbnuancen identifizieren und darstellen. In der Realität können wir gar Milliarden Nuancen beschreiben.

Empathie und Introspektion ist ja auf deinem linken Auge bis zur Perfektion ausgebaut, das rechte Auge hat davon nichts abbekommen.
Wie ist es, überspitzt gesagt, sonst zu erklären, dass du bereit bist einer 80jährigen ihre braune Vergangenheit vorzuhalten, weil diese nach der Konfirmation (zwischen 15 und 18) Volkslieder gesungen hat und vom Führer träumte, während du auf der anderen Seite einem Erwachsenen Kommunisten Absolution erteilst, der einen Eid auf die Partei leistete und die Nachbarn für die Securitate ausspionierte.

Ich glaube, dass es prinzipiell möglich ist, Verfehlungen sowohl in der Nazizeit als auch während des Kommunismus erstmals festzustellen und zweitens diese moralisch zu bewerten. Das dies im Einzelfall extrem schwierig, teilweise sogar unmöglich ist, widerspricht nicht dem vorhin Gesagten.

Wir brauchen begriffliche und methodische Unterscheidungen (Schubladen). Nach Kant ist es selbstverständlich das wir deren Grenzen thematisieren. Wir brauchen aber nicht die damit verbundenen Möglichkeiten leugnen.
Wenn wir Möglichkeiten haben, dann sollten wir diese auch auf beiden Seiten (links wie rechts) einsetzen, alles andere ist nicht redlich.

seberg
schrieb am 16.08.2008, 15:11 Uhr (am 16.08.2008, 15:17 Uhr geändert).
Richtig, Johann, da sind wir uns vermutlich in manchem einig (die vermaledeite Kommunikation eben!): Schubladen braucht man und Grenzen sind wichtig, aus methodischen Gründen, das habe ich nicht geleugnet.

Bis zur Wahrheit aber ist es dann nicht nur ein noch weiter Weg, sondern ein endloser, egal ob man da nun Graustufen oder bunte Vielfalt am Weg erkennt.

Dieser Weg besteht eben darin, den Inhalt der Schubladen zu interpretieren: wenn ich richtig sehe, weist du selbst auf die Grauzonen, also auf fließende Grenzen innerhalb jeder deiner Schubladen hin, was ich ja redlich finde, weil das das grobe Schubladensystem mit seinen Grenzen wieder relativiert und menschlicher macht.

Merkwürdig finde ich nur, dass du dann einerseits auf Widersprüche zwischen Theorie und Praxis hinweist und im gleichen Atemzug meinst, da gäbe es da keinen Widerspruch:

„Ich glaube, dass es prinzipiell möglich ist, Verfehlungen sowohl in der Nazizeit als auch während des Kommunismus erstmals festzustellen und zweitens diese moralisch zu bewerten. Das dies im Einzelfall extrem schwierig, teilweise sogar unmöglich ist, widerspricht nicht dem vorhin Gesagten“

Prinzipiell möglich (Theorie) im konkreten Einzelfall (Praxis) „teiweise“ (Vorsicht Graustufe!) unmöglich?

Ich verstehe: Widersprüche sind manchmal schwer zu ertragen.

o.k., ich merke schon, ich werde pedantisch ... Dichter haben es gut: sie können Dank ihrer Freiheit Widersprüche einfach stehen lassen… ;-)

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