Entschädigungsrente

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Peter Otto Wolff
schrieb am 02.04.2022, 13:16 Uhr (am 02.04.2022, 13:27 Uhr geändert).
Sehr geehrter Herr Dr. Fabritius, seit der Anspruch der Nachkommen auf Entschädigung beschlossene Sache ist, spätestens seit Inkrafttreten des 232/2020, haben sich in der Praxis, auch in Ihrer Anwaltspraxis, gewiss hunderte Fälle summiert, in denen die örtlichen Behörden nach Gusto agieren, die Gesetze "kreativ-negativ" interpretieren, und damit das großzügige Angebot des Gesetzgebers in eine Quelle von spätem Frust verwandeln. Darüber gibt es dann mehr oder wenig qualifizierte Meinungen und Ratschläge. Das ist einerseits gut für den Zusammenhalt der Gruppe, andererseits Quelle von Ärger.
Darum finde ich es positiv, dass Sie zumindest die Praxis der AJPIS Sibiu versuchen zu beschreiben, wobei ich mir sicher bin, dass Sie den Irrsinn des letzten Wohnsitzes erkennen, ein künstliches Problem, denn es gibt doch auch die naheliegende Möglichkeit, den Wohnsitz des Geschädigten heranzuziehen.
Leider ist die AJPIS Sibiu nicht die einzig "kreative". Was in Bukarest los ist, spottet jeder Beschreibung.
Darum abschließend die Bitte: es wäre an der Zeit, die berühmte bilaterale Regierungskommission tagen zu lassen, und die erratische Behandlungsweise der Gesetze durch Unterbehörden des gleichen Ministeriums der Arbeit (munca in zadar) zu beenden. In Bukarest müsste allerdings Vlad Tepes für Ordnung sorgen.

P.S. Sicher habe Sie im Bekanntenkreis einen ausgewiesenen Staatsrechtler, der Ihnen bescheinigt, dass Staatsangehörige eines Staates, deren Deportierung in einen fremden Staat aktiv unterstütz wurde, den Anspruch haben, nach Ende der Deportation wieder an den Ursprungsort der Deportation verbracht zu werden. Erst dann endet die Deportation, völkerrechtlich. Dies zur Problematik der unfreiwilligen Verbringung in die SBZ, z.T. bescheinigt in offiziellen rum. Dokumenten des Arbeitsministeriums.
Fabritius (Moderator)
schrieb am 02.04.2022, 17:06 Uhr
Lieber Hektor, die Bearbeitungszeit ist leider sehr unterschiedlich. Es gibt Fälle, die in wenigen Monaten durch sind, andere dauern leider über ein Jahr. Das hängt von Faktoren ab, die man nicht immer beeinflussen kann. Fakt ist, dass es bei jeder der vielen zuständigen Behörden ganze Haufen mit Anträgen gibt. Die Behörden waren und sind völlig überfordert. Sie haben mit dem Gesetz nicht gerechnet. Es gibt kaum gutes Personal dafür. Aus Temeswar wurde mir berichtet, dass dort im Personal eine hohe Fluktuation herrscht, es wurden einfache Angestellte eingestellt, die nach wenigen Monaten wieder gegangen sind. In Hermannstadt gibt es eine Person, die Akten für die Kommission vorbereitet. Wenn diese Urlaub hat oder krank wird, geht Nichts weiter. Auch tagt die Kommission nur "periodisch". Ich könnte zu jedem Landkreis berichten, was jeweils geht und was nicht...

Das Thema "Verfahrensbeschleunigung" und "Einheitliche Verfahrenspraxis" habe ich mehrfach bis zur höchsten Stelle angesprochen, sogar mit der Ministerin in Bukarest gab es eine Videokonferenz nur dazu. Leider hat es nur vereinzelt Hilfe gebracht (die hat es aber!). So erkennen Hermannstadt und Kronstadt und Alba nun z.B. die Nachweise der EKR an, und natürlich auch vom DRK. TG-Mures aber weigert sich beharrlich. Wenn in Hermannstadt etwas schief läuft, lege ich Widerspruch ein und bekomme meist in wenigen Wochen Recht. In Tg. Mures hingegen werden Widersprüche absolut rechtswidrig verweigert, man wird zum "Tribunal" geschickt, obwohl im Gesetz extra eine Wahlmöglichkeit geregelt ist.

Das alles ist und bleibt ein Kampf, der aber zu gewinnen ist.

Die meisten Verzögerungen gibt es, wenn die Behörden unvollständige Anträge geschickt bekommen, ohne alle nötigen Belege, ohne Übersetzungen oder mit unbeglaubigten Kopien. Die Dame in Hermannstadt hat berichtet, die sei die Hälfte der Zeit mit (meist unnötigen) Rückfragen beschäftigt, statt Akten für die Kommission vorbereiten zu können (z.B. wenn unnötiger Weise angefragt wird, ob ein Brief angekommen ist, wenn man die "Nr. de inregistare" erfragt, wenn bereits nach 2 Monaten gefragt wird, warum keine Decizie da ist..., wenn sie mit Mails auf Deutsch zugetextet wird - das alles würde jeden Tag vorkommen). Von derartigem rate ich ab und empfehle, die Angestellten dort ihren Job machen zu lassen. Ist wohl schwierig genug...
Fabritius (Moderator)
schrieb am 02.04.2022, 17:16 Uhr
Hallo Fuchs. Das Thema wurde bereits erschöpfend behandelt und ist rechtlich geklärt: Die Verfolgung als Tatbestand des Dekretes 118/1990 beginnt mit der Verschleppung und endet regelmäßig (erst) mit der Rückkehr an den vorherigen Wohnort. ANDERS ist es nur dann, wenn die Rückkehr (die meist über die "Sowjetische Besatzungszone" - also die DDR) ging und dort unterbrochen wurde. Dann endet die Verfolgung mit dem Zeitpunkt, zu welchem der Verfolgungscharakter nach Beurteilung der rumänischen AJPIS weggefallen ist. Soviel zur Theorie.

Nun zur Praxis: Wenn jemand einen Beleg vorlegt, wann er wieder "zu Hause" angekommen ist, wird unproblematisch dieses Datum als Endedatum anerkannt, auch wenn er davor einige Monate in der SbZ gewesen ist. Hat aber jemand auf dem Rückweg irgendwie länger in der SbZ gelebt, bei Bauern gearbeitet - oder gar sonst mit Beitragszahlung zur DDR-Sozialversicherung einen echten Job gehabt, dann sieht die rumänische AJPIS damit die Verschleppung zu Lasten des rumänischen Staates als beendet an. Es kommt also auf den Einzelfall an.
Fabritius (Moderator)
schrieb am 02.04.2022, 17:29 Uhr
Hallo Herr Wolff,

die Frage der Zuständigkeit ist - wie Sie wissen - sehr genau im Gesetz selbst geregelt. Nachlesen kann das jeder in Art. 2 des Gesetzes 211/2013, der da lautet:

"Persoanele prevăzute la alin. (1), care au domiciliul în străinătate, pot depune cererea personal, la agenţiile pentru plăţi şi inspecţie socială judeţene, respectiv a municipiului Bucureşti, în funcţie de ultimul domiciliu din România sau, prin mandatar desemnat prin procură specială, la agenţiile teritoriale în a căror rază teritorială domiciliază mandatarul".

Es kommt also auf den letzten Wohnsitz des Antragsteller an (des "Beneficiar") und wenn dieser keinen hatte, dann auf den des "Mandatar", also des Bevollmächtigten.

Das kann Ihnen oder mir gefallen oder nicht - es IST SO, weil der rumänische Gesetzgeber das so geregelt hat. Da hilft es nicht, mit "Bauchgefühl" oder "Menschenverstand" zu argumentieren. Das ist eher gefährlich, wenn Sie Betroffenen empfehlen, "den Antrag einfach mal loszuschicken"... Betroffene riskieren dann - nach vielen Monaten - eine Ablehnung zu bekommen, weil der letzte Wohnsitz des Antragstellers nicht belegt ist. Wenn diese Person dann erst nach einem Jahr oder so den richtigen Weg beschreitet, hat sie ein Jahr Leistung verloren...

Es ist ein eiserner Grundsatz von staatlichem Verwaltungshandeln, der auch in Deutschland gilt: Ohne Zuständigkeit keine Entscheidung. Das nennt sich "Administrativlegitimation".

Die RegKomm tagt demnächst in Berlin, die Vorbereitung dazu ist letzte Woche in Bukarest erfolgt, die Probleme mit den Entschädigungsverfahren waren einer der Hauptpunkte. Den Link zu den Berichten hatte ich Ihnen schon gesendet.
joachimroehl
schrieb am 02.04.2022, 17:37 Uhr
Sehr geehrter Herr RA Fabritius, schön dass Sie uns nach längerer Zeit einige Antworten geben. Es ist eben alles fast so ähnlich wie beim Thema Versicherungen, wo schnell der Satz fällt "ach die zahlen ja nicht" und wenn man dann nachschaut gibt es Gründe für Verzug oder gar eigene Mitschuld. Wir müssen auch als Ihr Mandant Geburtsschein und Hochzeitsbescheinigung nach über hundert Jahren aus Hermannstadt besorgen, aber anders geht es nun mal nicht. Danke für die Aufhellung der Hintergründe! Gruß Familie Röhl aus Dresden
Fuchs
schrieb am 02.04.2022, 17:38 Uhr
@ RA.Fabritius,

vielen Dank,das Problem ist nur das weder Rumänien, Russland noch Deutschland die Bescheinigung für diese Zeit ausstellt, alle enden mit der Ankunft in der SBZ und das entspricht nicht der Tatsache.unsere geschundenen Eltern haben das nicht verdient, nachdem sie unschuldig für andere büßen mussten.
Fabritius (Moderator)
schrieb am 02.04.2022, 18:10 Uhr
Stimmt nur bedingt:

Ich kenne Fälle, in denen nach der Rückkehr nach Hause (also nach der SbZ-Zeit) von der örtlichen Gendarmerie oder dem "consiliu popular" eine Rückkehrbescheinigung (adeverinta de intoarcere la domiciliu) ausgestellt wurde. Auch die "Repatriirungskommissionen" (comisia de triere a repatriatilor) hat Bescheinigungen ausgestellt. Ich habe sogar einen Fall erfolgreich erledigen können, weil die Person noch die (damals kostenlose) Bahnkarte zur "Repatriere" vorzeigen konnte. Wenn das alles nicht mehr vorhanden ist, kann das örtliche Kirchenamt oder die EKR in Hermannstadt eine Rückkehr meist bescheinigen.

Probleme gibt es (leider) in den Fällen, wo keinerlei Beleg über das richtige Datum vorgelegt wird, weil Betroffene meinen "es geht auch so"... Einige Beiträge hier erwecken leider diesen falschen Eindruck. Probleme gibt es natürlich auch in den Fällen, wo Betroffene überhaupt nicht mehr nach Siebenbürgen zurück gekommen sind, sondern gleich in Deutschland geblieben sind - z.B. weil sie hier eine (glückliche) Familie gegründet haben oder aus anderen Gründen. Dann besteht das Problem zu belegen, wann die Verschleppung zu Ende war und wann das "neue" Leben hier begonnen hat. Hier empfehle ich VOR EINSENDUNG DES ANTRAGES durch Prüfung der Umstände des Einzelfalles das am besten belegbare Datum zu bestimmen und mit Belegen vorzulegen.
Fabritius (Moderator)
schrieb am 02.04.2022, 18:22 Uhr (am 02.04.2022, 18:25 Uhr vom Moderator geändert).
Liebe Familie Röhl, ich komme selten dazu, hier im Chat zu lesen und zu schreiben.

Leider muss man für einen Antrag zur Genehmigung einer laufenden Geldzahlung alle Tatbestände aus dem Gesetz belegen. Das ist in Rumänien nicht anders als in Deutschland. Bei erteilten Mandaten prüfe ich genau das.

Probleme gibt es meist dann, wenn die Namen in den Papieren sich im Laufe der Zeit ändern (z.B. durch Heirat). Vereinfacht gesagt: Man muss beweisen, dass der Antragsteller genau in der verwandtschaftlichen Beziehung zum Verschleppten steht, für den ein Verschleppungsbeleg vorliegt. Wenn dann noch bei häufigen Namen die Identität nicht ganz klar ist, kommen noch Bestimmungsmerkmale des Verstorbenen dazu (etwa die Namen dessen Eltern..)

Es ist oft Aufwand damit verbundene, und man braucht viel Geduld, aber es lohnt auf jeden Fall. Ich bekomme ca. 95-97 % positive Entscheidungen durch, vom Rest im Widerspruch auch noch einige. Selbst Korrekturen, wenn die Entscheidung zwar stattgebend, aber trotz dem falsch ist, funktionieren.

Beispiele: Die Behörde erkennt nur 50% der Summe an, obwohl der Berechtigte während der Verfolgung des Elternteils schon gelebt hat und daher 100% zustehen, oder einfache "Verrechner", die leider auch passieren (anerkannt wird z.B. Jan. 1945 bis Dezember 1948, also 4 ganze Jahre, im Bescheid stehen aber nur drei Jahre...).

Auch das Geld wird anstandslos gezahlt, ich habe bereits aufgehört, entsprechende Briefe und Bestätigungen zu posten, weil es sich inzwischen herumgesprochen hat, dass wirklich das Geld kommt und zwar rückwirkend und dann jeden Monat.
tick
schrieb am 02.04.2022, 18:35 Uhr
Sehr geehrter Herr Fabritius,

könnten Sie bitte kurz erläutern, was eine "Procura Speciala" ist, wodurch unterscheidet sie sich von einer üblichen Vollmacht? - zur Vertretung in Deutschland geborener Kindern von Deportierten.

Vielen Dank
Anna K
schrieb am 02.04.2022, 18:45 Uhr
der Meinung von Fuchs schließe ich mich an.
Sicherlich muss es eine Behörde bzw. Archiv geben, die auch die Zeit in der BSZ bescheinigt.
Wenn man selbst keine Beweismittel hat und die Kirche auch keine Papiere findet wäre es schön, wenn wir im Forum eine Nachricht erhalten wohin wir schreiben sollen.
Peter Otto Wolff
schrieb am 02.04.2022, 18:59 Uhr (am 02.04.2022, 19:00 Uhr geändert).
Sehr geehrter Herr Dr. Fabritius, ich Frage mich wieso Bezug genommen wird auf das Gesetz 211/2013, wenn die Rede ist von Angelegenheiten, die mit Bezug auf 118/1990, die Sache in den Gesetzen 130 und 232/2020 NEU geregelt ist.
Hektor
schrieb am 02.04.2022, 19:54 Uhr
Sehr geehrter Herr Fabritius, vielen Dank für Ihre Antwort. Ich bin sehr positiv überrascht, dass Sie sich nach so langer Zeit wieder aus der „Deckung“ gewagt haben. Ich hab 35 Jahre in Siebenbürgen gelebt und hatte gehofft, dass sich die Arbeitsstrukturen etwas verbessert hätten. So wie jetzt der Verband mit der Deportationsproblematik umgeht ist es nicht Zielführend um Ihre betroffenen Mitglieder helfen zu können. Ein Herr Gräf wird dringend benötigt. Auch der jetzige Kommunikationsweg mit den entsprechenden AJPIS ist für beide Seiten frustrierend. Mein Vorschlag wäre über E-Mail eine Benachrichtigung zu bekommen, Akten sind I.O. oder kurz mitzuteilen welcher Nachweis ist N.I.O oder fehlt. Das würde im Interesse aller hilfreich sein. Nochmals vielen Dank für Ihren Einsatz. Wenn Sie auch bei Kürzungen der Fremdrenten diesen Erfolg erzielen würden, dann werden Ihnen die Siebenbürger Sachsen ewig Dankbar sein.
Fabritius (Moderator)
schrieb am 02.04.2022, 21:55 Uhr
Lieber Herr Wolff,
weil nur das Gesetz 211/2013 die Verbindung zur Zahlung nach Deutschland ist.
Mit freundlichen Grüßen
Fabritius (Moderator)
schrieb am 02.04.2022, 21:58 Uhr
@ Tick: die übliche Vollmacht ist für zugelassene Berufsträger (Anwälte), die "Procura Speciala" ist eine besondere Vollmacht für Privatpersonen. Eine Besonderheit im rumänischen Rechtswesen... Schicken Sie mir eine Mail und ich lasse Ihnen ein Muster zukommen...
Fabritius (Moderator)
schrieb am 02.04.2022, 21:58 Uhr (am 02.04.2022, 21:59 Uhr geändert).

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