Warum sind wir hier ?

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Erich58
schrieb am 05.10.2010, 08:55 Uhr
@schully

...und deshalb bist Du hier?

Herzlichst - Erich
gipsy1
schrieb am 05.10.2010, 11:21 Uhr (am 05.10.2010, 11:44 Uhr geändert).
pavel_chinesul,
"Drabenderhöhe... die größte geschlossene siebenbürgische Siedlung weltweit".
Stimmt !. Habe auch ein Jahr dort gewohnt, war dann aber auch wieder weg. Wer will schon in einer "geschlossenen" wohnen?
"Wenn man was mehr über die Sachsen erfahren will, muss man nicht ins Internet, sondern mal auf einen Sachsenball ins Oberbergische"
Stimmt auch !
Eine gemischte Band (Sachsen und Rumänen) machte gute Musik auf so einem Sachsenball. Um Mitternacht stimmten sie auch ein rumänisches Stück ein , zur Freude Vieler ...... wurden aber von einer Gruppe Jugendlicher gestoppt und ausgepfiffen.
Traurig und beschämt habe ich mir ein Taxi bestellt .... und war dann mal wieder weg.
Gruß
Gipsy1
slash
schrieb am 05.10.2010, 12:51 Uhr
Wie sah man das alles mit Kinderaugen?
Persönlich sehe ich es so, daß man eigentlich als Kind intensiv belogen wurde und in einer Art Scheinwelt, ähnlich der Figur aus „The Truman Show“, lebte. Nur, daß es hier das System war, das die Eltern dazu brachte, ihre Kinder zu belügen, zu deren und zum eigenen Schutz. Retrospektiv stelle ich mir vor, wie schwer dieses für die Eltern wiederum sein musste. Sie schmiedeten ihre Ausreisepläne, als ihre Kinder noch im Kleinkindalter waren, befanden sich aber im Laufrad des fortwährenden Antragstellens. Eine Tatsache, die oft den Kinderohren verborgen blieb.
Wuchsen die Kinder zu Schulkindern heran, kamen sie als stolze Pioniere nach Hause. Man tat interessiert und hörte sich die Zeremonie aus Kindermunde an. Was hätte man denn sagen sollen, etwa: „ Kind, den Eid, den Du heute geschworen hast, kannst Du vergessen! Dieses Vaterland wird hoffentlich nicht mehr lange deins sein“? Wie oft hat man mitgespielt, wenn das Kind lautstark daheim „Patria“ rezitierte, von den zahlreichen Pionierversammlungen erzählte, oder am letzten Schultag stolz die neu verdiente insignă auf dem Pionierhemd trug? Wie oft ging man mit dem Sproß defilieren und tat so, als sei das alles freiwillig und käme aus voller Überzeugung?
Wie oft haben wohl Lehrer gelogen, wenn sie Ihren Schülern den patriotischen Mist glaubhaft eintrichtern mussten, weil sie sonst arbeitslos gewesen wären? Selbst der Pfarrer log im Konfirmandenunterricht, als er gegen die Ausreise ein Plädoyer hielt, aber am liebsten schon gestern sein Talar hingeschmissen hätte und mit Sack und Pack ausgereist wäre.
Was sagte man, wenn der Onkel aus Deutschland zu Besuch kam und sein Auto abgedeckt wurde, als fliege eine Spähdrohne über die Kleinstadt? Aber warum hatte der Onkel lauter Sachen dabei, die bunt waren, gut rochen und schmeckten, die man noch nie gesehen hatte?
Wie lange verkniff man sich den Frust über die schrumpfenden Lebensmittelstände, über die Ungerechtigkeit im Job, die zunehmenden Zukunftssorgen über sich und seine Kinder, die Perspektivlosigkeit, über die suboptimalen Menschenrechte und und und?
Kamen die Kinder in ein bestimmtes Alter, fing die Fassade allmählich zu bröckeln an. Spätestens dann konnte man sich die Maskerade endlich sparen, zwar immer wieder zur Vorsicht ermahnen, aber dennoch Klartext reden. Das schweißte einen als Familie noch mehr zusammen, gegen die Bösen da draußen! Man konnte sich dem Ganzen eh nicht entziehen, so hatte man als heranwachsender Mensch nun alle Zeit der Welt, den neu eingeschenkten Wein zu verdauen. Und er schmeckte widerlich! Wundert es wirklich noch jemanden, daß der Wunsch aufkam, aus dieser Welt auszubrechen? Daß sich dieser Gedanke richtig festbrannte und sich die oberste Priorität errang? Ich kenne einige, die im nassen Hemd mit dem Buletin in der „Nailontock“ (Nylontüte) erschöpft auf jugoslawischem Boden ankamen, die ihr Leben für ihre Freiheit und einen Neuanfang riskierten. Ich kann mir deren Reaktion gut vorstellen, sollte man sie je fragen, warum sie hier und nicht in Australien sind, wo sie dort auf very britisch eine Alpakafarm bewirtschaften könnten....
Müssen die „Fratzen“ sich wirklich noch die Frage gefallen lassen, warum sie hier sind?
Auch wenn die Antwort auf der Hand liegt und schmerzt, persönlich meine ich: Ja, diese Fratzen wuchsen mit dem Ausreisewunsch auf und wären auch ohne die Alten gegangen! Schwindendes Verständnis habe ich für das immer wieder aufkochende Große Jammern!

Um "gehage" zu zitieren „nichts für ungut“, aber allein die Freiheit zu haben, Kinder nicht anlügen zu müssen, macht es wertvoll hier zu sein!
gipsy1
schrieb am 05.10.2010, 13:39 Uhr (am 05.10.2010, 13:40 Uhr geändert).
OK slash,
nichts für ungut .... die Lawine habe ich losgetreten. War damals auch noch ein "Frotzen" vor der Ausreise. Du hast es damals besser erkannt als ich, und jetzt besser beschrieben als viele die es hier versucht haben. Dafür danke ich dir.
Apropos Frage " warum sind wir hier" ?..... dumme Fragen gibt es nicht......
Gruß
Gipsy1
seberg
schrieb am 05.10.2010, 13:43 Uhr
@slash: Eine gute Beschreibung der schizophrenen Zustände und verlogenen Situationen, in denen Familien im kommunistischen Rumänien leben mussten.
Es erinnert mich auch an den Wirbel, der durch die Äußerungen der Herta Müller ausgelöst wurde bei ihrem jetzigen Besuch in Bukarest, wo sie in ihrer direkten Art kein Fettnäpfchen ausgelassen hat, wodurch sich die dortigen bekannten Intellektuellen wie Liicianu, Cartarescu, Manolescu u.a. , von ungeschminkten Äußerungen der HM unangenehm berührt fühlen und sich nun winden, weil sie die Zustände im Kommunismus zusammen mit dem verbreiteten Duckmäuserverhalten am liebsten möglichst schnell vergessen und hinter sich lassen würden und es bei der ofiziellen Verurteilung des Kommunismus durch Basescu belassen möchten. Es scheint aber bei jüngeren Intellektuellen auch eine langsam beginnende wirkliche Aufarbeitung einzusetzen.
Shimon
schrieb am 05.10.2010, 14:09 Uhr (am 05.10.2010, 14:10 Uhr geändert).
Man musste die Kinder im kommunistischen Rumänien nicht anlügen und man konnte ihnen auch sagen, dass das ganze „Pioniergetue“ nur eine alberne Fassade ist. So haben es meine Eltern gehandhabt mit dem Bewusstsein, das ihre Kinder in Rumänien keine Kariere machen werden. Aber die Wahrheit wurde nie verschwiegen, Radio „Freies Europa“ wurde regelmäßig gehört und so wussten wir Kinder, dass wir in Rumänien in einer verlogenen Gesellschaft leben. Somit konnten wir uns unsere eigene Meinung als Kinder bilden und wurden nicht in ein Schema rein gezwungen. Mit diesem Wissen, kamen wir auch nie auf den Gedanken ernsthaft an diesem „Pioniergetue“ mitzuwirken um dadurch mit den Mitläufern gleichgestellt zu werden.
Wer im kommunistischen Rumänien die Wahrheit gesagt und danach gelebt hat, musste mit Benachteiligungen rechnen! Als Kind wollte ich dieses nicht verstehen, aber heute bin ich sehr froh darüber, nicht mit der Masse mit geschwommen zu sein.
slash
schrieb am 05.10.2010, 14:49 Uhr
Shimon:Somit konnten wir uns unsere eigene Meinung als Kinder bilden und wurden nicht in ein Schema rein gezwungen.

Haben Sie demzufolge im Rumänischunterricht bei der "analiză literară" eines patriotischen Gedichtes dem Leher gesagt, der Auto sei ein stinkender Kommunist, seine Verse totaler Schwachsinn, den man schon im Drecksblatt Scînteia zur Genüge vorfinde?

Falls ja, dann lebten wir in meiner Klasse alle hinter dem Mond als Mitläufer und Feiglinge!

Pionier wurde man in der 2. Klasse, also im Alter von 7 - 8 Jahren, in dem Alter hatte man besonders viel Spaß an Radio Freies Europa!

Aber Spaß beiseite, es stand jedem frei seine Kinder sehr früh oder erst, wenn er den Moment für richtig hielt, aufzuklären. Ich schreibe ja nicht, daß die Eltern den Zustand genossen, im Gegenteil, daß es eine Schutzmaßnahme und ein täglicher Spagat war. Ich sehe darin auch keinen Zusammenhang mit der späteren Karriere der Kinder. Nur weil einer länger an den Pioniermist glaubte, welche Vorteile hätte er denn dadurch gehabt, Shimon?
gipsy1
schrieb am 05.10.2010, 15:07 Uhr
Freies Europa ?
wir hörten regelmäßig Rockmusik mit Schulkollegen und Kolleginnen am Wochenende. Bis wir einen "Informanten" der "securitate" aus unseren Reihen versehentlich dabei hatten (konnte ja keiner wissen).Danach gab es Prügel und Erniedrigung für uns alle. Verhören , beschuldigen und suchen nach weiteren " Komplizen" war die Folge. Wäre nicht so schlimm gewesen. Wir hatten ja auch gegen die damals geltenden Gesetze verstoßen.Schlimm war nur dass der " Informant" einer unserer Sachsen war.
Gruß
Gipsy1
Shimon
schrieb am 05.10.2010, 15:24 Uhr (am 05.10.2010, 15:25 Uhr geändert).
@slash:
Im Alter von 7 -8 Jahren hast Du intensive "analiză literară" eines patriotischen Gedichtes gemacht…!? ich habe in dem Alter erst Lesen gelernt…Hören und verstehen konnte ich in diesem Alter viel besser als selber lesen und in meiner Fibel gab es keine patriotische Gedichte.

Die ehrliche, wahrheitsgemäße und kindergerechte Aufklärung der Kinder sollte schon in den ersten Jahren beginnen.
gehage
schrieb am 05.10.2010, 16:19 Uhr
also dem beitrag von slash kann ich nur beistimmen! wir nussten auch, vor schulbeginn alle schulkinder zusammen auf dem schulhof, die rum hymne singen. viele von den sächsischen kindern sangen nicht, sondern bewegten nur die lippen...und wenn ein rum lehrer pausendienst hatte, wurden wir immer wieder aufgefordert lauter zu singen...später beim militär, habe ich beim singen (beim marschieren und so...) auch immer nur die lippen bewegt, wobei ich mehrmals dadurch schwierigkeiten hatte. aber das war mein stiller protest... ja shimon, freilich kann man die kinder so früh wie möglich aufklären, wurde ich auch, aber die gefahr bestand schon, dass die kinder irgendwo sachen sagten, die man lieber nicht sagen sollte...also musste jeder für sich selber entscheiden wie er es mit den kindern macht. und so einen fall wie gipsy kenne ich auch. es war schon der ein oder andere sachs ein informant...wir sangen auch einmal die D. hymne nach nem gewonnen fussballspiel der deutschen mannschaft, und hatten nachher die gleichen probleme! der informant war ein erwachsener sachse...ich kenn mehrere solche informanten, und als ich sie dann später hier in D. angetroffen habe, habe ich mir immer die frage gestellt, was wird jetzt denn wohl in deren kopf umgehn, was würden sie denken, wenn sie nun den denunzierten personenen hier in D.in die augen schauen...

nichts für ungut...
zylka
schrieb am 05.10.2010, 17:24 Uhr
Den stillen Protest von GEHAGE kann ich mir gut vorstellen, er hatte guten Grund dazu. Nun vertstehe ich auch warum so mancher Spieler einer deutschen Nationalmanschaft die deutsche Hymne nicht mitsingt. Danke GEHAGE für die Aufklärung.
slash
schrieb am 05.10.2010, 17:27 Uhr
und in meiner Fibel gab es keine patriotische Gedichte.

Ihr Glück, sonst würdest Sie heute noch in der Ecke stehen, weil Sie nicht in ein Schema rein gezwungenwerden wollten :-)

Die ehrliche, wahrheitsgemäße und kindergerechte Aufklärung der Kinder sollte schon in den ersten Jahren beginnen.
Mit Betonung auf "sollte"... und schon sind wir uns einig!
Erich58
schrieb am 05.10.2010, 17:49 Uhr
Was hier in den letzten Beiträgen geschildert wird ist natürlich den meisten
von uns bekannt. Schuld daran war jedoch die Doktrin, das System, das Regime, der Kommunismus
und nicht Rumänien, Siebenbürgen, unsere Heimat!
Da sollte schon genau differenziert werden!
Und, für die meisten Rumänen war das Ganze genau so eine Farce, bloß hatten die kein "Laufrad der Antragstellung" zur Verfügung!
Und denen ezählte auch keiner von den "cîini cu colaci în coadă" die angeblich im gelobten Land rumlaufen, wie das unser Onkel mit seinem abgedeckten Auto (es durfte ja nicht staubig werden) und seinen bunten wohlschmeckenden Sachen tat. Da war den Fratzen ruck-zuck der Kopf verdreht...
Diese "bunten, wohlriechenden und gutschmeckenden Sachen" - sie erinnern mich irgendwie an die wertlosen Glasperlen für die den amerikanischen Ureinwohnern wertvolle Felle und noch Anderes mehr abgeknöpft wurden! Haben die nicht auch ihre Jagdgründe, ihr Land, gegen diese Perlen eingetauscht?

Herzlichst - Erich
bastel
schrieb am 05.10.2010, 18:07 Uhr
Ich bin immer wieder froh einen Beitrag von ERICH 58 zu lesen. So sollten wir alle denken und hoffen, dass auch andere uns gegenüber so denken. Vielen Dank.
BigBrother
schrieb am 05.10.2010, 18:20 Uhr
@Erich58

aber Erich ich bitte dich! schuld an der doktrin war nicht nur rumänien mit seinem system.
fällt dir selbst nicht auf, wie die landsmänner reagieren, wenn jemand anders denkt und handelt als die meisten anderen?
also ich selbst kann mir ein leben wie vor hundert jahren und wie la sat in 40jahren nicht mehr vorstellen. das wäre illusorisch und rückständig!
früher ganz viel früher lebten wir in der höhle, in 100 jahren will ich per ufo die wunderschöne galaxie erkunden und mich mit meinen sternengeschwister auf dem planet venus über die damalige hanklich :-))) austauschen. und über das ehemalige patriarchat und über gerri bankban und die anderen die das Alte hochlobten. ich verwechsele nicht die lebensweise mit den tugenden. nein, da gibts den unterschied.
Auf die geile wunderschöne Zukunft in Freiheit und
die LIEBE

BB

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