Was ist Heimat?

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alma again
schrieb am 07.01.2013, 10:49 Uhr
Antworten von Menschen, die sich nicht aller Sinne bedienen können/konnten, wären für eine Studie zum diesem Thema erhellend. Während sie für den Blinden nur aus Klang und starre, mimiklose Pünktchen unter der Fingerkuppe - soweit die nicht taub sind - besteht, ist die Sprache für den Taubstummen klanglos; für ihn besteht sie aus Mimik, Gebärden und Zeichen. Und wie ist es bei den sog. Wolfskindern? Vielleicht sollte man den kleinsten gemeinsamen Nenner – der für alle Menschen gilt - für den Begriff Sprache ermitteln, um sich dann Gedanken darüber zu machen, ob der die Voraussetzungen erfüllt, um für ‚Heimat’ zu stehen.
Haiduc
schrieb am 07.01.2013, 10:53 Uhr
Sprache ist das leichteste Gepäck, und eine schwere Last, wenn man in die Fremde kommt, und mitnehmen kann man fast immer nur, was man im Kopf und im Herzen hat: die Mythen und Märchen, die Erinnerungen, eigene und die Erinnerungen anderer, mit denen man die Sprache gemeinsam hat. Es ist ja kein Zufall, dass jede Unterdrückung mit der Unterdrückung der Sprache anfängt, und damit auch der Unterdrückung der Literatur, wenn man unter Literatur nicht ausschließlich das Geschriebene versteht.

(Heinrich Böll)
alma again
schrieb am 07.01.2013, 11:08 Uhr
Ich bin dreisprachig aufgewachsen - habe ich drei Heimaten?
Haiduc
schrieb am 07.01.2013, 11:18 Uhr
Hast du überhaupt eine Heimat?
Herzchen
schrieb am 07.01.2013, 11:19 Uhr (am 07.01.2013, 11:19 Uhr geändert).
@alma again
Das kannst wohl nur du selbst beurteilen.
Für mich ist das Wort Heimat eher nicht pluralisierbar und zählbar, sondern ein umfassender Begriff mit sehr persönlichen Kriterien, die, wenn sie erfüllt werden, dann meine "Heimat" ergeben.
So kann ein bestimmter Geruch "Heimat" erzeugen in mir, oder ein lange nicht gehörtes vertrautes Lied etc.
Es liegt immer im Menschen selbst, das Wort "Heimat" mit Leben zu erfüllen.
bankban
schrieb am 07.01.2013, 17:53 Uhr
q Herzchen: da es keinen anderen, passenderen Thread dafür gibt und ich mir unsicher bin, ob es sich lohnt, dafür einen aufzumachen, frage ich hier: kennst du Tellkamps Turm und (falls ja) was hältst du vom Roman? (Hat er dir gefallen? Fandest du ihn langatmig? Fandest du, dass es übertrieben/untertrieben hat?)
Herzchen
schrieb am 07.01.2013, 18:11 Uhr (am 07.01.2013, 18:22 Uhr geändert).
Bankban, du bringst "Frau Deutschlehrerin" ein bisschen in Verlegenheit: Nein, ich habe Tellkamp nicht gelesen.
Das, was ich vor Jahren, 2008 wohl, hier in Klagenfurt im Rahmen des Ingeborg-Bachmann-Literaturwettbewerbs von ihm gehört habe aus diesem Roman, hat mir gereicht, zumal es ja inzwischen reichlich Literatur über die Aufarbeitung der DDR-Zeit gibt.

Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich irgendwann diesen Wälzer zur Hand nehmen möchte, ich glaube, eher nicht.

Was ich aus meinem Umfeld weiß an Meinungen, ist, wie du auch schon fragend anklingen ließest, der Roman soll sehr ausufern und tatsächlich langatmig sein. Ich weiß von niemandem, also Rezipienten "normalo", dass der Roman spannend, lesenswert sein soll, jedoch ist er, wie du sicher weißt, von den Medien hoch gelobt und mehrfach ausgezeichnet worden.
Du hast den "Turm" also gelesen, was meinst du, soll ich ihn auch lesen, lohnt sich das, wenn ja, warum, wenn nein (wär´ich froh ...:)))
Slash
schrieb am 07.01.2013, 18:15 Uhr (am 07.01.2013, 18:25 Uhr geändert).
Als ich Grumpes "Alte Pfeffermühle" las, mußte ich breit grinsen.
Neulich benutzte ich ein Schmerzgel ähnlich Voltaren, das ich allerdings im Ausland gekauft hatte. Der Geruch dieser Salbe erinnerte mich an etwas Bekanntes, ich kam aber partout nicht dahinter. Den ganzen Tag lang knobelte ich an dem Rätsel und schnupperte immer wieder an meinem Handgelenk. Erst am nächsten Tag lief ich triumphierend mit einem "ich hab`s" Aufschrei durchs Haus. Es war der gleiche Geruch, der auf der Haut übrig blieb (damals vor 30 Jahren), wenn man "spirt sanitar" benutzte.
Aber mit Heimatgefühl verbinde ich so etwas nicht, sondern für mich sind es einfach Erinnerungen...

Überhaupt denke ich, daß die gesamte Brechreiz auslösenden "Patria-Partidul-Conducatorul-Doktrinen" in der Schule, gemischt mit dem heimischen Barometer, das 15 Jahre lang hartnäckig auf "Ausreise" verharrte, wohl kaum ein Heimatgefühl in mir keimen ließen. Auf einer Seite die schulische Heuchelei, auf der anderen der Fluchtgedanke aus dem Land. Heimatgefühl? Eine Kindheit, eine Schulzeit, sowie Freunde, Cliquen usw. hätte ich anderswo genaus so gehabt. Wer weiß, vielleicht hätte ich mich dann auch dem Land näher gefühlt, als ich es in RO tat.

Hier bin ich ab dem 18. bis zum 30. Lebensjahr grob geschätzt ca. 10 Mal umgezogen. Es war die Beziehungskistenzeit, wie ich sie heute nenne. Man folgte dem Herzen, Zelte wurde abgebaut und anderswo neu aufgebaut - solange es passte. In dieser beeindruckenden, abwechslungs- und lehrreichen Zeit habe ich überhaupt keinen Gedanken an RO verschwendet. Nur meine Mutter verstand die Welt nicht mehr, während mein Vater es mit Humor auffasste, dabei scherzte, wer mit mir zusammen wohne und mir die Umzugskartons nicht wegwerfe, bräuchte sich nicht wundern, wenn ich über Nacht packen würde, um am Morgen weiterzuziehen. Und nun? Etwas älter, etwas ruhiger, gelingt es mir immer noch nicht, mich emotional an ein Haus zu binden. Es ist und bleibt nun mal NUR ein Gebäude, sowohl jetzt, als auch dann, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Ich habe kein Heimweh, ich vermisse keine Heimat, oder ein dazugehörendes Gefühl, dennoch bin ich glücklich. Trotz ein paar guten alten Freundschaften würde ich ans andere Ende der Welt ziehen, wenn das die Entscheidung der nächsten Familienratsitzung wäre.... Hm, vielleicht hat man mich ja doch in der "maternitate" verwechselt - !
gerri
schrieb am 07.01.2013, 18:22 Uhr
@ Hier geht es nicht um das breit getretene,hinausposaunte
Heimatgefühl für Alle,sondern um etwas eigenes,privates ein Gefühl der Baumhütte in Opas Garten.
PS. Spirt sanitar ist auch heute bei uns ein Alles-Heilmittel noch,sogar Nachbarn und Bekannte denen es nicht bekannt war,fragen danach.
Herzchen
schrieb am 07.01.2013, 18:26 Uhr (am 07.01.2013, 18:27 Uhr geändert).
@slash
Beziehungskisten, Umzugskisten - du bist ja ein Teurer, ein Aben(d)-Teurer, ein unruhig Blut...
So wie du deine "Züge" schilderst, kann ich mir schon vorstellen, dass du irgendwann auf deine alten Tage noch in Neuseeland landen wirst
Che
schrieb am 07.01.2013, 18:32 Uhr
Slash, Sie scheinen ein wahrer Weltbürger zu sein, beneidenswert! Ohne die eigenen Wurzeln zu vergessen oder glorifizieren fühlt man sich auf die Erde heimisch. Von all den besuchten Länder hatte ich das Gefühl lokales Kulturgut mitzubesitzen und erst recht dann wo ich davor stand. Ob Louvres oder die Pyramiden, ein spanisches Fischerdorf oder eine griechiesche Kneipe, man kann sich überall glücklich fühlen. Vielleicht nur eine Frage der Einstellung, Eureka, ich habs entdekt, wir sind alle Menschen!
Elsam
schrieb am 07.01.2013, 18:36 Uhr
wir sind alle Menschen

Manche mehr als andere wenn man sich hier umschaut.
Trotzdem herzliche Glückwünsche für deine Entdeckung.
@ grumpes
schrieb am 07.01.2013, 18:41 Uhr (am 07.01.2013, 18:42 Uhr geändert).
Als ich Grumpes "Alte Pfeffermühle" las, mußte ich breit grinsen.
Muß ich auch manchmal: In dieser Mühle wurde nicht nur Pfeffer gemahlen.

Den Geruch der sich darin festgesetzt hat, kann man nicht beschreiben.

Es riecht halt nach Oma`s Küche.

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