Ein schönes Gedicht

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Struwwelpeter
schrieb am 29.02.2012, 09:00 Uhr
Winters Flucht

Dem Winter ward der Tag zu lang,
Ihn schreckt der Vögel Lustgesang;
Er horcht und hört's mit Gram und Neid,
Und was er sieht, das macht ihm Leid.

Er sieht der Sonne milden Schein,
Sein eigner Schatten macht ihm Pein.
Er wandelt über grüne Saat
Und Gras und Keime früh und sprach:
"Wo ist mein silberweißes Kleid,
Mein Hut, mit Demantstaub bestreut?"

Er schämt sich wie ein Bettelmann
Und läuft, was er nun laufen kann.
Und hinterdrein scherzt Jung und Alt
In Luft und Wasser, Feld und Wald;
Der Kiebitz schreit, die Biene summt,
Der Kuckuck ruft, der Käfer brummt;
Doch weil's noch fehlt an Spott und Hohn,
So quakt der Frosch vor Ostern schon.
(Hoffmann von Fallersleben, 1798 - 1874)
Wanderer
schrieb am 01.03.2012, 21:25 Uhr
Hallo, März!

Hallo,März,da bist du!Fein!
Freuen sich die Bauern!
Spannen ihre Rösslein ein,
die ja darauf lauern.

Sonne flutet Feld und Flur,
und die Quellen sprudeln.
Leben kommt in die Natur,
Omas gehn mit Pudeln.

Erste Blümlein blühen auf
unter Himmels Bläue.
Menschen machen Dauerlauf,
glücklich grunzen Säue.

Laken flattern weiß im Wind,
Vögel singen Lieder.
Mutti lächelt gütig lind,
semmelt Vati nieder,

der ihr an die Wäsche will.
Nicht mehr lang,dann ist April.

Bernd Penners
Sibyl
schrieb am 13.03.2012, 13:46 Uhr
Im Frühling

Hier lieg ich auf dem Frühlingshügel
Die Wolke wird mein Flügel,
Ein Vogel fliegt mir voraus.
Ach, sag mir, alleinzige Liebe,
Wo du bleibst, dass ich bei dir bliebe!
Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus.

Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüte offen,
Sehnend,
Sich dehnend
In Lieben und Hoffen.
Frühling, was bist du gewillt?
Wann werd ich gestillt?

Die Wolke seh ich wandeln und den Fluss,
Es dringt der Sonne goldener Kuss
Mir tief ins Geblüt hinein;
Die Augen, wunderbar berauschet,
Tun, als schliefen sie ein,
Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauschet.

Ich denke dies und denke das,
Ich sehne mich und weiß nicht recht, nach was.
Halb ist es Lust, halb ist es Klage.
Mein Herz, o sage,

Was webst du für Erinnerung
In golden grüner Zweige Dämmerung?
Alte unnennbare Tage.
(Eduard Mörike)
Struwwelpeter
schrieb am 22.03.2012, 17:10 Uhr
Märztag

Wolkenschatten fliehen über Felder,
blau umdunstet stehen ferne Wälder.
Kraniche, die hoch die Luft durchpflügen,
kommen schreiend an in Wanderzügen.
Lerchen steigen schon in lauten Schwärmen,
überall ein erstes Frühlingslärmen.
Lustig flattern, Mädchen, deine Bänder;
kurzes Glück träumt durch die weiten Länder.
Kurzes Glück schwamm mit den Wolkenmassen;
wollt' es halten, musst' es schwimmen lassen.
(Detlev von Liliencron, 1844-1909)
Struwwelpeter
schrieb am 29.03.2012, 11:54 Uhr
Freundschaft

Wenn Jemand schlecht von deinem Freund spricht,
Und scheint er noch so ehrlich: glaub' ihm nicht!
Spricht alle Welt von deinem Freunde schlecht:
Misstrau' der Welt und gib dem Freunde Recht!
Nur wer so standhaft seine Freunde liebt,
Ist wert, dass ihm der Himmel Freunde gibt.
Ein Freundesherz ist ein so selt'ner Schatz,
Die ganze Welt beut nicht dafür Ersatz;
Ein Kleinod ist's voll heil'ger Wunderkraft,
Das nur bei festem Glauben Wunder schafft -
Doch jedes Zweifels Hauch trübt seinen Glanz,
Einmal zerbrochen wird's nie wieder ganz.
Drum: wird ein solches Kleinod dir beschert,
O trübe seinen Glanz nicht, halt es wert!
Zerbrich es nicht! Betrachte alle Welt
Als einen Ring nur, der dies Kleinod hält,
Dem dieses Kleinod selbst erst Wert verleiht,
Denn wo es fehlt, da ist die Welt entweiht.
Doch würdest du dem ärmsten Bettler gleich,
Bleibt dir ein Freundesherz, so bist du reich;
Und wer den höchsten Königsthron gewann
Und keinen Freund hat, ist ein armer Mann.
(Friedrich von Bodenstedt, 1819-1892)

Sibyl
schrieb am 12.04.2012, 15:35 Uhr
Mir träumt’...

Mir träumt’, ich ruhte wieder
Vor meines Vaters Haus
Und schaute fröhlich nieder
Ins alte Tal hinaus,
Die Luft mit lindem Spielen
Ging durch das Frühlingslaub,
Und Blütenflocken fielen
Mir über Brust und Haupt.

Als ich erwacht, da schimmert
Der Mond vom Waldesrand,
Im falben Scheine flimmert
Um mich ein fremdes Land,
Und wie ich ringsher sehe:
Die Flocken waren Eis,
Die Gegend war vom Schnee,
Mein Haar vom Alter weiß.

(Joseph von Eichendorff)
Struwwelpeter
schrieb am 14.04.2012, 20:36 Uhr
Meine Grabschrift

Viel genossen, viel gelitten,
Und das Glück lag in der Mitten;
Viel empfunden, nichts erworben,
Froh gelebt und leicht gestorben.

Fragt nicht nach der Zahl der Jahre —
Kein Kalender ist die Bahre,
Und der Mensch im Leichentuch
Bleibt ein zugeklapptes Buch.

Deshalb, Wand`rer, zieh`doch weiter,
Denn Verwesung stimmt nicht heiter.

(Ferdinand Sauter)
der Ijel
schrieb am 16.04.2012, 14:12 Uhr
Weil Verwesung stimmt nicht heiter?
darum schreibe ich hier weiter.

Nicht heiter stimmt Verwesung
darum wünsch ich mir Genesung

Genesung wünsch ich mir
doch der Tod steht vor der Tür,
irgendwann kommt er zu dir.
Struwwelpeter
schrieb am 17.04.2012, 13:39 Uhr
@ Ijel
Verfåll nett än Melancholie,
gesangden wird denj Härz.
Hīrst ta des Liëwens Melodie,
vergiht uch jeder Schmärz.
Låss de Hofnung näkest stärwen,
dro wirst ta den Hemmel ärwen.
Struwwelpeter
schrieb am 18.04.2012, 16:56 Uhr
Fink und Frosch

Im Apfelbaume pfeift der Fink
Sein: pinkepink!
Ein Laubfrosch klettert mühsam nach
Bis auf des Baumes Blätterdach
Und bläht sich auf und quackt: "Ja, ja!
Herr Nachbar, ick bin och noch da!"

Und wie der Vogel frisch und süß
Sein Frühlingslied erklingen ließ,
Gleich muss der Frosch in rauen Tönen
Den Schusterbass dazwischen dröhnen.

"Juchheija, heija!" spricht der Fink.
"Fort flieg ich flink!"
Und schwingt sich in die Lüfte hoch.

"Wat!" ruft der Frosch, "dat kann ick och!"
Macht einen ungeschickten Satz,
Fällt auf den harten Gartenplatz,
Ist platt, wie man die Kuchen backt,
Und hat für ewig ausgequackt.

Wenn einer, der mit Mühe kaum
Geklettert ist auf einen Baum,
Schon meint, dass er ein Vogel wär,
So irrt sich der.

(Wilhelm Busch)


Struwwelpeter
schrieb am 20.04.2012, 11:35 Uhr
Lumpenlied

Kein Schlips am Hals, kein Geld im Sack,
wir sind ein schäb‘ges Lumpenpack,
auf das der Bürger speit.
Der Bürger blank von Stiefellack,
mit Ordenszacken auf dem Frack,
der Bürger mit dem Chapeau claque,
fromm und voll Redlichkeit.

Der Bürger kann gesittet sein,
er lernte Bibel und Latein. –
Wir lernen nur den Neid.
Wer Porter trinkt und Schampus-Wein,
lustwandelt fein im Sonnenschein,
der bürstet sich, wenn unserein
ihn anrührt mit dem Kleid.

Wo hat der Bürger alles her:
den Geldsack und das Schießgewehr?
Er stiehlt es grad wie wir.
Bloß uns macht man das Stehlen schwer.
Doch er kriegt mehr als sein Begehr.
Er schröpft dazu die Taschen leer
von allem Arbeitstier.

Oh, wär ich doch ein reicher Mann,
der ohne Mühe stehlen kann,
gepriesen und geehrt.
Träf ich euch auf der Straße dann,
ihr Strohkumpane, Fritz, Johann,
ihr Lumpenvolk, ich spie euch an. –
das seid ihr Hunde wert.

(Erich Mühsam)
Sibyl
schrieb am 20.04.2012, 22:12 Uhr
Mondnacht

Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküßt,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nur träumen müsst.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

(Josef Freiherr von Eichendorff)
Sibyl
schrieb am 23.04.2012, 20:02 Uhr
An die Wolken

Und immer wieder,
wenn ich mich müde gesehn,
an der Menschen Gesichtern,
so vielen Spiegeln
unendlicher Torheit,
hob ich das Aug
über die Häuser und Bäume
empor zu euch,
ihr ewigen Gedanken des Himmels.

Und eure Größe und Freiheit
erlöste mich immer wieder,
und ich dachte mit euch
über Länder und Meere hinweg
und hing mit euch
überm Abgrund der Unendlichkeit
und zerging zuletzt
wie Dunst,
wenn ich ohn´ Maßen
den Samen der Sterne
fliegen sah
über die Äcker
der unergründlichen Tiefen.
(Christian Morgenstern)

Haiduc
schrieb am 23.04.2012, 20:34 Uhr
Heimat

Wir, die wir altern, ach, was rufen
wir nach der Heimat sehnsuchtsvoll,
Dass sie die übergrünten Stufen
der Zukunft niedersteigen soll?

Toren! – Denn wer sie nicht besessen,
die Heimat, der gewinnt sie nie!
Wer sie besaß, und sie vergessen
konnte, sieht nimmer wieder sie!

Heimat ist, wo der Wunsch Erfüllung,
und Sehnsucht ihre Lippe fand!
Nein, Heimat ist, was ohne Hüllung
einst vor dem Blick des Kindes stand.

John Henry Mackay
Marius
schrieb am 30.04.2012, 15:45 Uhr
Du willst alt werden

Bruce Low


Wenn du alt bist
gehst du in ein großes Haus
deine Kinder brauchen Platz
und du mußt raus
und dein Häuschen und den Garten schenkst du her
du brauchst nur ein kleines Zimmer und nicht mehr.
Den Kanarienvogel gibt man dir noch mit

Er ist stumm
nur die Erinnerung ist sein Lied
und er tappt in seinem Käfig hin und her
wenn die Sonne scheint
dann braucht ihr zwei nicht mehr.

Du willst alt werden wie jeder Mensch auf Erden
willst hundert Jahre werden oder noch ein bißchen mehr.
Du willst alt werden
mag dies der Himmel geben

An diesem schönen Leben hängt man so sehr.
Der Friseur braucht für dich drei Minuten nur
und dein kleines Trinkgeld gibt er dir retour.
Zum Kartoffelschälen meldest du dich gern
denn die Arbeit hält den dummen Kummer fern.

Vier Jahrzehnte war die Arbeit Lebenszweck
und nun geh'n die dicken Schwielen langsam weg.
Arbeit adelt
sprach dein Vater einst so klug
darüber nachzudenken
hast du Zeit genug.

Du willst alt werden wie jeder Mensch auf Erden
willst hundert Jahre werden oder noch ein bißchen mehr.
Du willst alt werden
mag dies der Himmel geben

Wenn mal irgend jemand freundlich an dich denkt
fühlst du dich mit zwei Zigarren reich beschenkt.
Wenn du mit dem Zimmernachbarn Karten spielst
kann es sein
daß du die Einsamkeit nicht fühlst.

Sonntags sitzen dir die Enkel auf dem Knie
und sie sagen lachend: Opa
du stirbst nie!
Dann verbirgst du dein Gesicht in ihrem Haar
und du denkst
vielleicht geht es noch ein paar Jahr.

Du willst alt werden wie jeder Mensch auf Erden
willst hundert Jahre werden oder noch ein bißchen mehr.
Du willst alt werden
mag dies der Himmel geben

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