Ein schönes Gedicht

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Sibyl
schrieb am 13.06.2012, 07:40 Uhr
Das Leben

Von den Alten zu den Jungen
Muss das Leben wandern.
Was du gestern noch bezwungen,
Bezwingen morgen schon die andern.

Das Lied, das du gestern gepfiffen im Weitertraben,
Will schon morgen der andern Lippen haben.
Und dir entschwundene Augenblicke kannst du sehen,
Wie sie im Blut der Jungen auferstehen.

Darüber, seit ich`s erfahre, muss ich die Hände falten,
Muss leiden, dass ich mich wandle, und lass es walten.
Das Leben - ach, einst da kam es umhalsend gesprungen,
Jetzt grüßt es noch im Vorüberschweben und geht zu den Jungen.
(Max Dauthendey, 1867-1918)
Struwwelpeter
schrieb am 30.06.2012, 20:12 Uhr (am 30.06.2012, 20:17 Uhr geändert).
Fussball

Vierundzwanzig Beine rasen
durch die Gegend ohne Ziel
und weil sie so rasen müssen,
nennt man das ein Rasenspiel.

Rechts und links steh'n zwei Gestelle,
je ein Spieler steht davor.
Hält den Ball er, ist ein Held er,
hält er nicht, schreit man: "Du Toooor!"

Fussball spielt man meistens immer
mit der unteren Figur.
Mit dem Kopf, obwohl's erlaubt ist,
spielt man ihn ganz selten nur.
(Heinz Ehrhardt)


Es ist halt schön...

Es ist halt schön,
Wenn wir die Freunde kommen sehn. -
Schön ist es ferner, wenn sie bleiben
Und sich mit uns die Zeit vertreiben. -
Doch wenn sie schliesslich wieder gehen,
Ist's auch recht schön.
(Wilhelm Busch)
Sibyl
schrieb am 01.07.2012, 12:08 Uhr
Großmütterchen

Sie trug mich stets auf ihren Armen;
Sie lehrte mich den ersten Schritt,
Und weinte ich zum Herzerbarmen,
So weinte sie erbarmend mit.
Wenn sie des Abends mich ins Nestchen
Mit linder Segenshand gebracht,
So bat ich: "Bleibe noch ein Restchen",
Und meinte da "die ganze Nacht".

Und wenn ein böser Traum mich schreckte,
So saß sie da beim kleinen Licht,
Nahm weg den Schirm, der es bedeckte,
Und sah mir liebend ins Gesicht.
Trotz ihrer hellen Augensterne
Tat ich sodann die Frage doch:
"Ich träume ohne dich nicht gerne;
Großmütterchen, sag, wachst du noch?"

Zwar ist sie längst von mir gegangen;
Ich selbst bin alt, fast schon ein Greis,
Und fühl mich doch von ihr umfangen,
Die mich noch jetzt zu segnen weiß.
Stets ist es mir, geh ich zur Ruhe,
Als setze sie sich zu mir hin,
Und wenn ich etwas Wichtiges tue,
Kommt sie mir hilfreich in den Sinn.

So oft ich Sterne leuchten sehe,
Hell, wie in meiner Jugendzeit,
Hör ich ihr Wort: "Was auch geschehe,
Du und dein Glück, ihr seid gefeit."
Dann möcht ich, wie in jenen Tagen,
Zwar überflüssig, aber doch
Die lieben, lieben Sterne fragen:
"Großmütterchen, sag, wachst du noch?"
(Karl Friedrich May, 1842-1912)
der Ijel
schrieb am 04.07.2012, 11:36 Uhr (am 04.07.2012, 11:45 Uhr geändert).
Fein Sibyl
das weckt Erinnerungen

Als wir Kinder waren
sind wir oft gefahren
oben auf dem Wagen mit dem Heu
und bei uns war immer Babicka.
Herrliche Geschichten
konnte sie berichten
und für uns war's immer wieder neu
alle Kinder liebten Babicka.

Das Glück

Du sagst, du könnest nicht fassen,
Was du zu fassen hast.
Du brauchsts nur wirken zu lassen,
So hast du es gefaßt.

Es kommt genau wie die Sonne;
Auch sie ergreifst du nicht
Und grüßest sie doch mit Wonne
Und lebst in ihrem Licht.

Nur darfst du dich nicht entziehen
Dem oft verkannten Glück.
Wer eilig ist, es zu fliehen,
Dem kehrts wohl kaum zurück.

Karl Friedrich May, 1842-1912


Jaaa, das ist der Karl May von dem wir eigentlich schon so viel gelesen haben, und das damals als wir noch fast Kinder waren
Karl May Karel Gott ?
Sibyl
schrieb am 05.07.2012, 09:27 Uhr
Sommer...
dazu schönste Lyrik
von Joachim Ringelnatz

Sommerfrische

Zupf dir ein Wölkchen aus dem Wolkenweiß,
Das durch den sonnigen Himmel schreitet.
Und schmücke den Hut, der dich begleitet,
Mit einem grünen Reis.

Verstecke dich faul in der Fülle der Gräser
Weil`s wohltut, weil`s frommt.
Und bist du ein Mundharmonikabläser
Und hast eine bei dir,
dann spiel, was dir kommt.

Und lass deine Melodien lenken
Von dem freigegebenen Wolkengezupf.
Vergiss dich. Es soll dein Denken
Nicht weiter reichen als ein Grashüpferhupf.
siebenschläfer
schrieb am 05.07.2012, 13:01 Uhr
Jaaa, das ist der Karl May von dem wir eigentlich schon so viel gelesen haben, und das damals als wir noch fast Kinder waren
Wir hatten hier schon mal die Frage, ob Old Shatterhand einem Siebenbürger nachempfunden war.
@Martin - weiterhin alles Gute.
Sibyl
schrieb am 09.07.2012, 10:32 Uhr
Lebenskunst

Ach, was sind wir dumme Leute -
wir genießen nie das Heute.
Unser ganzes Menschenleben
ist ein Hasten, ist ein Streben,
ist ein Bangen, ist ein Sorgen -
Heute denkt man schon an Morgen.
Morgen an die spätere Zeit -
und kein Mensch genießt das Heut.
Auf des Lebens Stufenleiter
eilt man weiter, immer weiter.
Nutz den Frühling deines Lebens!
Leb im Sommer nicht vergebens,
denn gar bald stehst Du im Herbste
bis der Winter naht, dann sterbste.
Und die Welt geht trotzdem heiter
immer weiter, immer weiter.
(Otto Reutter,1870-1931)
Struwwelpeter
schrieb am 09.07.2012, 11:36 Uhr
Das Ideal

Ja, das möchste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn -
aber abends zum Kino hast dus nicht weit.

Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit:

Neun Zimmer - nein, doch lieber zehn!
Ein Dachgarten, wo die Eichen drauf stehn,
Radio, Zentralheizung, Vakuum,
eine Dienerschaft, gut gezogen und stumm,
eine süße Frau voller Rasse und Verve -
(und eine fürs Wochenend, zur Reserve) -
eine Bibliothek und drumherum
Einsamkeit und Hummelgesumm.

Im Stall: Zwei Ponies, vier Vollbluthengste,
acht Autos, Motorrad - alles lenkste
natürlich selber - das wär ja gelacht!
Und zwischendurch gehst du auf Hochwildjagd.

Ja, und das hab ich ganz vergessen:
Prima Küche - erstes Essen -
alte Weine aus schönem Pokal -
und egalweg bleibst du dünn wie ein Aal.
Und Geld. Und an Schmuck eine richtige Portion.
Und noch ne Million und noch ne Million.
Und Reisen. Und fröhliche Lebensbuntheit.
Und famose Kinder. Und ewige Gesundheit.

Ja, das möchste!

Aber, wie das so ist hienieden:
manchmal scheints so, als sei es beschieden
nur pöapö, das irdische Glück.
Immer fehlt dir irgendein Stück.
Hast du Geld, dann hast du nicht Käten;
hast du die Frau, dann fehln dir Moneten -
hast du die Geisha, dann stört dich der Fächer:
bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher.

Etwas ist immer.
Tröste dich.

Jedes Glück hat einen kleinen Stich.
Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten.
Daß einer alles hat:
das ist selten.

(Kurt Tucholsky)

Struwwelpeter
schrieb am 11.07.2012, 12:42 Uhr
Schütteln

Auf Flaschen steht bei flüssigen Mitteln,
Man müsse vor Gebrauch sie schütteln.
Und dies begreifen wir denn auch -
Denn zwecklos ist es nach Gebrauch.

Auch Menschen gibt es, ganz verstockte,
Wo es uns immer wieder lockte,
Sie herzhaft hin- und herzuschwenken,
In Fluß zu bringen so ihr Denken.

Ja, sie zu schütteln voller Wut -
Doch lohnt sich nicht, dass man das tut.
Man lass sie stehn an ihrem Platz
Samt ihrem trüben Bodensatz.
(Eugen Roth)
Wanderer
schrieb am 11.07.2012, 14:52 Uhr
Heimat?

Eine Heimat hat der Mensch
Doch er wird nicht drin geboren,
muss sie suchen, traumverloren,
wenn das Heimweh ihn befällt.

Aber geht er nicht in Träumen,
geht er achtlos ihr vorüber,
und es wird das Herz ihm plötzlich
schwer bei ihren letzten Bäumen.

Wilhelm von Scholz
(* 15. Juli 1874 in Berlin; † 29. Mai 1969 in Konstanz)
Struwwelpeter
schrieb am 11.07.2012, 17:35 Uhr
Lieber PN-Schreiber,
hier ein wunderschönes Gedicht
als Beweis dafür,

dass ich nicht nur "hitzig schimpfen" kann.

( dabei war ich's doch gar nicht ... **seufz** )



Im Grase liegend

Ist dies nun alles, Blumengaukelspiel
Und Farbenflaum der lichten Sommerwiese,
Zartblau gespannter Himmel, Bienensang,
Ist dies nun alles eines Gottes
Stöhnender Traum,
Schrei unbewußter Kräfte nach Erlösung?
Des Berges ferne Linie,
Die schön und kühn im Blauen ruht,
Ist denn auch sie nur Krampf,
Nur wilde Spannung gärender Natur,
Nur Weh, nur Qual, nur sinnlos tastende,
Nie rastende, nie selige Bewegung?
Ach nein! Verlaß mich du, unholder Traum
Vom Leid der Welt!
Dich wiegt ein Mückentanz im Abendglast,
Dich wiegt ein Vogelruf,
Ein Windhauch auf, der mir die Stirn
Mit Schmeicheln kühlt.
Verlaß mich du, uraltes Menschenweh!
Mag alles Qual,
Mag alles Leid und Schatten sein -
Doch diese eine süße Sonnenstunde nicht,
Und nicht der Duft vom roten Klee,
Und nicht das tiefe, zarte Wohlgefühl
In meiner Seele.

(Hermann Hesse)
Struwwelpeter
schrieb am 12.07.2012, 14:43 Uhr
Der beste Wein

Es saßen gar treffliche Männer
Im kühlen Keller beim Wein.
Sie hielten sich alle für Kenner
Und schenkten vom Besten sich ein.
Sie zählten nicht mehr zu den Jungen,
Sie leerten schon manches Faß,
Und über gebildete Zungen
Floss wohlig das köstliche Naß.

Da trank von den Männern der eine
Und sprach mit lyrischem Schwung:
"Ich schätze den Wein vom Rheine
Als den allerköstlichsten Trunk!"
Drauf sagte der zweite bescheiden;
"Ein jeder liebt, was ihm gefällt -
Ich mag Chateau d'Yquem leiden,
Der Wein ist der beste der Welt!"

"Mein Herz macht fröhlicher klopfen,"
So rief nun der dritte mit Schall,
"So mancher köstliche Tropfen
Aus Spanien und Portugal!"
Dann brummte schon wieder ein Neuer:
"Dem widerspreche ich doch!
Des Kapweins köstliches Feuer
Das schätz' ich vor Allem hoch!"

"Wie bist du doch tief gesunken,"
So sprach nun der fünfte mit Hohn,
"Hast du denn schon Asti getrunken
Und Lacrimae Christi, mein Sohn?!"
Doch rief schon Numero Sechse:
"Mir ist noch was Bess`res bekannt,
Das allerschönste Gewächse:
Tokajer im Ungarland.«

Es saß noch ein siebter im Dunkel,
Der cyprischen Wein sich erkor -
Nur seiner Nase Karfunkel
Strahlte dort lieblich hervor.
Der sprach: "Was seid ihr für Männer,
Ihr wisst ja nicht, was ihr tut,
Ein wahrhaft vortrefflicher Kenner
Schätzt jeglichen Wein, wenn er gut!"

"Aus jeder vortrefflichen Lage,
Woher man ihn immer erhält,
Trinkt er ihn bei Nacht und bei Tage
Und jauchzt: "Wie reich ist die Welt!"
Er trinkt ihn dem Schöpfer zum Ruhme,
Der also mit weisem Bedacht
Des Weines köstliche Blume
So herrlich verschieden gemacht!

Am Montag Asti Spumante,
Am Dienstag sodann Santorin,
Des Mittwochs Alicante,
am Donnerstag Zwarten Wyn,
Am Freitag von Ruster Wehte,
Sonnabends Burgunderblut
Und Sonntags den besten vom Rheine,
So, find ich, macht es sich gut!"

Da heben sie alle die Becher,
Ein jeder mit anderem Trank,
Da riefen die fröhlichen Zecher
Mit mächtigem Jubelklang:
"Wir tappten doch alle im Dunkel
Im Dämmer auf düsterem Pfad!
Hoch lebe der edle Karfunkel,
Der uns erleuchtet hat!"
(Heinrich Seidel)
der Ijel
schrieb am 13.07.2012, 13:38 Uhr (am 13.07.2012, 13:51 Uhr geändert).
Danke Hans Georg für die Wünsche und die Bemerkung
ob Old Shatterhand einem Siebenbürger nachempfunden war. oder nich soll dahingestellt bleiben --möglich ist in der Pantasie eines Schreibers wie dieser Karl Friedrich May einer war eigentlich alles.
So vielseitig gebildet in Geographie, Geschichte und Volkskunde.
Doch dass er eine Unzahl von so fein geschliffenen Gedichte geschrieben hat, wusste ich nich.
Na ja, der Knast war seine Schule. Und dann die Bibliothek
Bleiben wir bei Gedichten.
Bis später

Dichterwunsch

Hat meine Stunde einst geschlagen,
die ernsteste, die es wohl gibt,
so soll kein Herze um mich klagen,
und wenn es noch so sehr mich liebt.
Ich habe mich dann durchgerungen
und werf das enge Kleid von mir,
hab meine Seele freigesungen.
Geh heim, doch noch nicht fort von hier.

Es lag in mir ein doppelt Leben;
das eine kennt die Erde nicht;
das andre hab ich euch gegeben;
es wurde für euch zum Gedicht.
Macht dieses Leben euch zu Eigen;
denkt und empfindet euch hinein,
so werde ich die Hand euch reichen
und niemals ferne von euch sein.

Drum trauert nicht, wenn mir die Stunde,
die mich zum Vater ruft, einst schlägt.
Sie bringt mir ja die frohe Kunde,
nach der mein Herz Verlangen trägt.
Ihr Ernst wird mir die Wangen bleichen,
doch wenn ihr um mich steht und bebt,
so wird sich auch mein Glaube zeigen:
»Ich weiß, daß mein Erlöser lebt.«
Kerl May 1900

da liege ich mit ihm im Unison sozusagen
Auch nicht gewusst

Gottarholdich

Sibyl
schrieb am 17.07.2012, 12:40 Uhr
Blauer Schmetterling

Flügelt ein kleiner blauer
Falter vom Wind geweht,
Ein perlmutterner Schauer,
Glitzert,flimmert,vergeht.
So mit Augenblicksblinken,
So im Vorüberwehn
Sah ich das Glück mir winken,
Glitzern,flimmern,vergehn.
(Hermann Hesse)


slash
schrieb am 17.07.2012, 13:34 Uhr
... wenn`s schon nur kaltes Nass gibt, dann darf eines nicht fehlen... eines meiner Lieblingsgedichte von:


~ Wolfgang Borchert ~

REGEN

Der Regen geht als eine alte Frau
mit stiller Trauer durch das Land.
Ihr Haar ist feucht, ihr Mantel grau,
und manchmal hebt sie ihre Hand

und klopft verzagt an Fensterscheiben,
wo die Gardinen heimlich flüstern.
Das Mädchen muß im Hause bleiben
und ist doch grade heut so lebenslüstern!

Da packt der Wind die Alte bei den Haaren,
und ihre Tränen werden wilde Kleckse.
Verwegen läßt sie ihre Röcke fahren
und tanzt gespensterhaft wie eine Hexe!

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