Gut und Böse auf der Welt

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Kurt Binder
schrieb am 14.11.2024, 12:45 Uhr
Wachträume 1

Es gehört zu unsrem unbestechlichen Schicksal, dass wir – egal wo und wie wir wohnen, von Nachbarn umgeben sind. Nun ist diese rein zufällig zusammengewürfelte Konstellation unsrer humanen Satelliten notwendig, weil es sonst den Begriff „Nachbarn“ nicht gäbe, und ich diese Story nicht schreiben könnte - danke euch, dass ihr da seid, liebe Nachbarn!
Ein sanfter Rippenstüß von Seiten des Titels ermahnt mich, nicht wie so oft endlos lang herumzuschwafeln, sondern wenigstens einmal forsch zur Sache zu kommen! Es war also ein Sonntagmorgen, und mein Thinkingchair (Denkersessel) hatte wiedermal das Vergnügen, von mir besessen zu werden. Ich gab mich gerne seiner Wärme hin, denn aus der Veträumtheit, die mich dabei übermannte, wurde schon mancher Quatsch ausgebrütet.
Da läutete es – ein wunderschöner Dreiklang (Tonika+Terz+Quint), der mich förmlich zur Tür schweben ließ, welche ich mit erheblichem Herzklopfen öffnete.
“Guten Morgen, Herr Binder, ich dachte ... “ – weiter vernahm ich nichts mehr, denn das engelsgleiche Gesicht meiner reiferen, rechten Nachbarin rötete mir entgegen, und reichte mir einen Teller mit dick gezuckertem Apfelkuchen - mit roten Bodensee-Äpfeln. Mein Gott – ich starrte sie nur an, keines Wortes mächtig, und starrte – bis es ihr nach einer halbem Stunde dann doch zu blöd wurde, und sie, ohne mein “Dankeschön“ abzuwarten, unhöflicherweise einfach davonwedelte.
Ich wankte zum Sessel zurück – als es erneut läutete. Diesmal war ich einigermaßen vorbereitet, setzte mein verfüherischstes Lächeln auf – und öffnete. Im selben Augenblick stieß mir die ausgestreckte, behaarte Hand meines linken Nachbarn ins Gesicht, und seine rauhe, nach Trollinger duftende Stimme (Jahrgang 2022, ohne Lemberger) tat mir kund, dass es ihm bezüglich seines Mittefingers von gestern Abend ziemlich Leid täte, und wir sollten ... und ich könnte ...
Und wieder läutete es. Nun geeicht, gestaltete ich vor dem Spiegel eine möglichst neutrale Physiognomie – und wollte öffnen, als die Tür heftig aufgestoßen wurde, und meine schräge Nachbarin von links, mit ihrem brandneuen Freund und fröhlichem „Hallo!“ hereintänzelte. Dieser schwenkte in seiner Linken eine riesige Schampus-Flasche, und grinste mich mit rauchigen Blicken vielsagend an.

Teil 2 folgt heute Abend nach 18:05 Uhr!
Kurt Binder
schrieb am 14.11.2024, 18:04 Uhr
Wachträume 2


“Wir dachten“, begann Yvonne, „weil du immer nur allein bist, dass wir dir ein bisschen Gesellschaft leisten sollten!“
„Oh ja,“ ergänzte der vierschrötige Lucas, der neue Freund. „Und wenn du mit Yvonne im Schlafzimmer a pissel schnäbeln willst – da hab ich nix gegen!“ Und er lachte laut auf, was wie das heisere Brüllen eines zigarrenrauchenden Grizzlys klang. Ich aber stand, empört über ein derartiges Ansinnen auf, und wollte ihnen die Tür weisen. Doch ich stieß mir den Kopf an der hohen, hölzernen Sessellehne, zuckte erschreckt zusammen, und sah mich verdutzt um – aber da war kein Bodensee-Apfelkuchen zu sehen, kein Trollinger, Jahrgang 2022, und kein brüllender Schampus in vierschrötigem Zigarrenrauch im Zimmer.
Ich war offensichtlich im Sessel eingenickt, wobei mir im Halbschlaf diese herzigen Traumbilder vorgegaukelt wurden. Enttäuscht ging ich in den Garten.
Meine reifere, rechte Nachbarin rechte gerade das Laub aus dem Gras zusammen. Als sie mich erblickte – nein nein, sie holte keinen Apfelkuchen aus der Küxhe, sonder rief mir gereizt zu:
„Nun starren Sie mich nicht so lüstern an, Sie – und helfen Sie mir lieber!“ Ich schüttelte den Kopf und ging irritiert weiter.
Als mich mein linker Nachbar sah, hob er verärgert die Hand, und – nein, diesmal zeigte er mir nicht den Mittelfinger – sondern tippte sich an die Stirn – mit dem Zeigefinger! Geschüttelten Kopfes ging ich in schräger Richtung weiter. Yvonne stand auf dem Balkon. Ich lächelte ihr gekonnt zu, und winkte ihr mit beiden Händen ein fröhliches „Hallo, Süße!“ entgegen. Prompt wurde die Tür aufgestoßen, der vierschrötige Lukas trat, in Zigerrenrauch gehüllt heraus, und – nein, er bat mich nicht, mit Yvonne in dem Schlafzimmer usw., sondern rief mir mit einer Stimme zu, die wie das heisere Brüllen eines Grizzlys klang:
“Heh, du – was gibt’s da zu glotzem? Noch nie ’ne sexy Puppe gesehen? Jetzt mach mal den Verschwindibus, bevor ich dir die ... herausreiß, kapiert?“ Den Verschwindibus machte ich zwar nicht, ging aber trotzdem, mich vorsichtig umschauend aus Lucas’ Reichweite hinaus, bevor dieser fünf- oder gar sechsschrötig wurde. Und dann rief mich plötzlich eine unbekannte, total friedliche Stimme von hinten an:
“Einen wunderschönen guten Morgen, lieber Nachbar – wir sind die Neuen!“ Das darf doch nicht wahr sein, dachte ich, und fuhr, auf alles gefasst herum. Hinter dem frisch getrichenen weißen Lattenzaun stand ein lachendes, junges Ehepaar, und winkte mir, sich an den Händen haltend lustig hüpfend zu. Tja, das wars; auch ich war nämlich ein Nachbar – für andere!

Was lernen wir daraus? Zwar keine Pointe zum Totlachen, hingegen eine überraschende Einsicht – derer ich nach meinem Abenteuer im Garten gewahr wurde. In diesem großen Patchwork, dem bunten Flickenteppich der Häuserdächer* darf niemand wohnen, der nicht bereit wäre – Nachbar per definitionem zu sein!

*) wie die Ortschaften aus der Raumstatiom ISS in 400 km Höhe aussehen – hab mich für alle Fälle selbst davon überzeugt!.
Kurt Binder
schrieb am 30.11.2024, 10:54 Uhr
Die folgende, in Vergessenheit geratene Story sollte bereits vor einem Jahr ins Forum gescschubst werden!

Dosemania

Im Laufe der allzu eiligen Jahre habe ich mich im Kochtopf-Metier, ohne nach den Sternen greifen zu wollen, etwas mehr als nicht ganz unerfahren herangebildet – des kann ich mich mit Fug und Recht rühmen. So kann ich z. B. die Bratpfanne bereits eindeutig von einer Konservendose, und den Kochlöffel vom Konservenöffner unterscheiden, was mir tagtäglich den Mut zu neuen kulinarischen Neuerungen von Neuem ankurbelt, und mein Selbstvertrauen in meine Selbstverwaltung und Selbstverköstigung, selbstverständlich selbsteinschätzend erheblich und ausschlaggebend kräftigt. Auf dieser Welle der Selbstwerteinschätzung wurde ich mit Erfolg längere Zeit getragen.
Als ehrlich hungriger Bürger kann ich allerdings nicht leugnen, dass eine ursächliche, nach und nach zunehmende Bequemlichkeit meinen Blick in der Kammer – in Hermannstadt die Speis genannt, wieder und wieder suggestiv und mit nötigendem Nachdruck auf meine stattliche Sammlung von verführerisch bunten und lecker duftenden Dosen hinbiegt.
Doch der Mensch ist – wie uns von den Anfängen her bekannt ist, von Natur aus schwach! Und da ich demzufolge in diesem Fall den Anfängen nicht wehren konnte, ist es normal, dass ich unter der Wucht der Verführungskunst verführischer Musen auch mal einknickte, und rückfällig wurde – oder wie der Lateiner sagt: „Relapsus humanum est“. Und so wurde der entschlossene Griff zur „Chinesischen Hühnersuppe“ – chinesisch Xi Jinping Pong genannt, oder zu der "Fasole boabe cu ciolan de porc afumat“ von der Scandia aus Hermannstadt zur legalen Amtshandlung.
Doch wie zu erwarten war, spüre ich bereits von Seiten meiner Selbstachtung neue, zu neuem Aufbruch nötigende Tritte, die mich wieder zum braten, kochen und backen konvertieren wollen. Möge ihre Zielgenauigkeit und ihre Kraft ausreichen, damit ich künftig wieder mit den diversen Witwen aus der Nachbarschaft über die wichtigen Dinge des Lebens philosophieren kann!
Nebenbei erwähnt, kann ich auch meine Lust nach Bertramsuppe kaum noch zügeln!
Kurt Binder
schrieb am 13.12.2024, 12:29 Uhr
Freitag 13.

Als ich nach einer schlaflosen Nacht erwachte, aufstand – und in einen Reißnagel trat, der rein zufällig vor meinem Bett lag, wurde mir stichartig kler, dass heute etwas nicht stimmte. Ein bangender Blick auf den Kalender bestätigte diese meine Intuition, denn heute war einer jener berüchtigten 13. Freitage!
Draußen hatte es in der Nacht geschneit. Ich trat vor die Haustür, rutschte aus, fiel auf den Boden, und brach mir – nix, denn ich war auf etwas Warmes, Gepolstertes gefallen, das dem ‚Besitzer’ für jeden ‚Fall’ eine relativ angenehme Niederkunft gewährleistet.
In der Küche braute ich meinen Kaffee – wie immer von Hand, sezte mich vor die TV-Zeitschrift, und süffelte. Dabei flogen mir allerhand Gedanken durch den Kopf, was heute so alles passieren könnte. Dass mir ein Satelit auf den Kopf fallen würde, hielt ich für sehr unwahrscheinlich. Das der schwarze Labador meines Nachbarn von rechts mich beißen könnte, ging auch nicht, weil der bloß einen kleinen, weißen Pudel mit Namen „Fiffi“ besaß.
Krokodille liefen seit ein paar Jahren auch nicht mehr frei herum, und die Dinosaurier waren läääängst ausgestorben, wie mir meine Mama gleich nach meiner Geburt versichert hatte! Also – was könnte mir schon Schlimmes passieren, wo ich heute nicht aus dem Haus gehen wollte, um jedweder Eventualität vorzubeugen.
Doch das eitle Schicksal läßt sich nicht in seine Schranken weisen - und plötzlich schlug der Tag mit aller Härte gnadenlos zu, denn – die Türglocke läutete! Ich schlich wie ein Balletttänzer auf den Fußspitzen zur Eingangstür, und lugte durch den Spion.
Ohjeeeh – vor der Tür stand nämlich mein linker Nachbar, und neben ihm seine Frau, welche – die Hände hinter dem Rücken hielt! Das war wahrlich kein gutes Zeichen, denn ich hatte erst gestern, unter totaler Missachtung des berüchtigten Tierwohls ihr süßes Mietzekätzchen verjagt, weil es von meiner Milch genascht hat!
„Was nun?“, fragte ich mich, so leise wie möglich. Mich feige verdrücken, und in Moskau um Asyl bitten? Auf keinen Fall – nein, das war nicht mein Ding! Also wählte ich den Freitod, öffnete mit schlotternden Knien die Tür – und da standen sie, und ihre Gesichter sagten alles. Dann holte die Frau die Hände hinter dem Rücken hervor, ich trat tapfer keinen Schritt zurück - und dann hielt sie mir eine grüne Plastikschüssel unter die Nase, entfernte mörderisch langsam das rote Tuch von darüber – und sagte mit lieblicher Stimme:
“Wir dachten, weil sie vorher so hart auf ihren --- auf den Boden gefallen sind – na ja, ich habe Ihnen da etwas mitgebracht!“
Und da schlug der junge Tag zum zweiten Mal mit aller Hörte zu, denn aus der Schüssel grinste mir hämisch DIE Kalamität entgegen - ein kalter Nudelsalat, den sie auf das kleine Tischchen hinter sich stellte.
Lieber, verständnisvoller Forumfreund – hier bin ich Dir eine Erklärung schuldig! Ich bin fürwahr ein erbarmungsloser – Fastallesesser! Doch wenn ich mal in die unvorstellbare Lage kommen sollte, einen – kalten Nudelsalat würgen zu müssen, würde ich sogar ein Asyl in Moskau vorziehen!

„Ich habe“, begann die liebenswerte Nachbarin zu erklären, „diesen Salat aus Campanelle-Nudeln zubereitet – die sind besser im Biss, dann mit Remoulade, Senf, Honig, einem Esslöffel Rum, Liebstöckel, und ein Schüsschen Rotwein – aber nur a pissel, umgerührt!“
Mir wurde schwindlich. So musste Sokrates sich gefühlt haben, als man ihm den Schierlingsbecher zum Suizid gereicht hatte. Das war am 15. Februar 399 v.Chr. Ich habe im Kopf nachgerechnet, und wenn man die beiden kalendarischen Überarbeitungen im astrologischen Sinn diagonal berücksichtigt, entspricht das heute genau unsrem ominösen - 13. Februar!
Es schien, als hätte ich keine Chance! Doch dann bemerkte ich – das kleine, süßé Mietzekätzchen, wie es sich hinter meiner Nachbarin heranschlich, auf das Tischchen sprang, und anfing – dem Himmel sei Dank – den Schierlingsalat, unter totaler Missachtung jeglichen Tierwohls genüßlich aufzufressen.
Von dem Tag an durfte das liebe, kleine, herzige Mietzekätzchen täglich von meiner Milch naschen.

Kurt Binder
schrieb am 25.12.2024, 09:33 Uhr
Wenn – ohne Aber

Wenn frei ein Zweig
im Winde schwingt,
(dem Reim zulieb)
die Lerche singt,
wenn plötzlich gar
ein Regenguss
Verliebte stört
beim ersten Kuss,
der Keiler, grunzend
mit der Bache,
sich kuschelnd wälzt
im Schlamm der Lache,
wenn Brillenschlang’
die Brill’ verliert,
und sich hernach
im Wald verirrt,
wenn Teppichboden
es verwehrt,
dass Schmutz man untern
Teppich kehrt,
wenn wissen will
Klein-Giselher:
"Wo kommen bloß
die Babys her??"

Wenn nicht bald aus
dies Wenn-Getöse,
dann werd ich wirklich
bitterböse!

Nun – ‚Wenn’ ist eine
Konjunktion;
was dann passiert -
wer weiß das schon ...

Kurt Binder
schrieb am 29.12.2024, 19:57 Uhr
Aus der Bahn

Jäh packte er zu -
zerfleischte mich -
mein Schrei blieb ungehört,
mein Hilferuf verhallte
in den eisigen Nebeln
gleichgültiger Seelen -
mein Herz, umkrallt
vom Weh des Augenblicks,
verblutete ...

Doch dann – ein milder Hauch -
lindernd streicht er über die Wunden –
und es raunt unhörbar,
jedoch vernehmlich:
„Stell dich dem Schmerz -
du bist stark - überwinde ihn!“

Und das Wunder geschieht -
unser vielgestaltes Leben
in seiner gesamten, üppigen Pracht
offenbart sich mir von Neuem -
farbenschillernd wogt der Teppich
blumenübersäter, singender Wiesen,
von Auen und Wäldern gerahmt,
welche, erfrischend atmend,
sich im lauen Winde wiegend
die Sonne trinken,
beschattet von duftigen, weißen,
ewig bummelnden Vagabunden
unter dem Azurblau des Himmels.

Und erleichtert nehme ich sie wahr,
die Schönheit dieses erneuerten Alten -
die Natur im bunten Festgewand,
und sie lacht mir entgegen,
rauscht mir zu:
„Löse dich - komm ...“

Neugeboren lache ich zurück -
und verstehe ...

Kurt Binder
schrieb am 04.01.2025, 06:35 Uhr
Gut und Böse – zersplittert

Richtigstellung:
Ein Taschendieb stiehlt keine Taschen
Der Hausfreund ist kein Freund von Häusern
Fazit:
Beide sind nur am jeweiligen Inhalt interessiert!

„Du, Jonny, da ist eine Dame, die redet etwas von einem Anliegen an dich!“ Jonny wird rot, und stottert:
“ Heute nicht – sie ... sie soll ein andermal wiederkommen!“

„Wo die Liebe hinfällt“ – da steht sie meistens nicht wieder auf!
Kurt Binder
schrieb am 10.01.2025, 06:51 Uhr
Verwurzelt

Klein-Susi guckt zum Fenster hinaus, und fragt ihre Mutter:
“Mama, wofür hat ein Baum Wurzeln?“
“Na, wofür hast du denn Beine?“, fragt die Mama gegen.
„Damit ich laufen kann!“
“Na, siehst du!“
“Aber – der Baum kann doch nicht laufen!“, fegt Susi Mamas hinkenden Vergleich vom Tisch. Der Baum hört das, verzieht sein rindiges Gesicht – und läuft ein paar Runden durch den Garten.
“Siehst du“, meint Mama, „man muss nur fest daran glauben – dann klappt alles! Und du hast Beine, damit du später - in die Schule gehen kannst!“ Klein-Susi hört das, verzieht ihr pausbäckiges Gesicht – und prompt wuchsen ihr Wurzeln in den Boden.
“Ich verstehe“, nickt sie heiter, „man muss nur fest daran glauben – dann klappt alles!“
Kurt Binder
schrieb am 12.01.2025, 17:59 Uhr
Der seltsame Fall des Benjamin Knopf

Benjamin war einer jener Schriftsteller, die nicht besonders gut, dafür aber gerne, oft und viel schreiben. Er schrieb auf einem Level, das man zwischen Literaturpreis verdächtig und suizidgefährdetem Quatsch einstufen konnte. Mit anderen Worten – die Quantität rang mit der Qualität ununterbrochen um den Vorrang.
So verfasste er am liebsten Geschichten aller Arten - vorzugsweise frei erfundene, abenteuerliche, mystische oder absurde, ohne jeden Bezug zur Realität. Dabei karikierte er manche fiktive Begebenheiten derart, dass sie nur noch als totaler Quatsch eingeordnet – und ertragen werden konnten.
Benjamin hatte auch das berühmte Drama „Wieland, der Waffel-Schmied“ geschrieben, dass leider schon nach 97 Aufführungen dirch die Kritik durchgefallen war. Man hatte nach längeren Recherchen festgestellt, dass es zur Zeit der Nibelungensage noch keine Waffeln gegeben hatte!
Wenn er sich hie und da zur Erholung in seinen Denksessel - den ‚Thinking chair’ setzte, und zudem noch die Augen schloss, dann begannen die bizarrsten Ideen durch das Großhirn zu flattern. Und wenn die Bedrängnis unerträglich wurde, musste er sofort aufspringen, und ein Glas eiskalten Gemüsesaft mit Honig trinken.
Benjamin Knopf hatte ein langes, buntes Leben hinter sich, und so war es nicht verwunderlich, dass er auch manche Themen und Personen für seine Geschichten, oft unbewusst daraus schöpfte! Durch die häufige Vergegenwärtigung der Vergangenheit übten seine eigenen Bücher eine ständig zunehmende Faszination auf sein Denken und Handeln aus. Je mehr er schrieb, und sich selbst in das teils fiktive Geschehen einbrachte, umso mehr fühlte er sich seelisch damit verknüpft.
Nun könnte man behaupten, dass eine derartige Verbundenheit für einen guten Literaten normal sei, und Benjamin sein Leben somit voll im Griff habe, zumal seine Geschichten für ihn Beichtstuhl, Klagemauer und Lustparadies zugleich waren, mehr noch – sie wurden zum spirituellen Zuhause dieses seines zweites Ichs.
Dennoch gab es auch ein Genre, dass er instinktiv mied. Er hatte keine Erklärung für diese unbewusste Abneigung, und er erschauerte jedsmal, wenn er nur daran dachte. Merkwürdige Vorstellungen durchkreuzten seine Gedanken. Er verfiel oft in Tagträume, die aber derart real waren, dass er sie nicht mehr von der Realität unterscheiden konnte. Dabei erschienen immer wieder Figuren aus seinen Geschichten, die ihn anlachten, ihn freundlich grüßten, ihm die Hand reichten – doch wenn er sie fassen wollte, ging seine Hand durch sie hindurch, und der Traum verflüchtigte sich alsbald – verschwand im Nichts.
Benjamin aber schrieb unbeirrt weiter, wobei er auch seine Tagträume verarbeitete – welche sich mehr und mehr verdichteten. Wie Schemen tauchten seine Figuren auf – ein unheimliches Wispern erfüllte sein Arbeitszimmer – und dann erklang wie aus der Ferne, und doch so nahe der Lockruf, der ihn wie Sirenengesang verzückt lauschen lies:
„Komm, Benjamin, komm mit – du gehörst zu uns!“ Und sie umringten ihn, erfassten seine Hände - er folgte ihnen willig - tauchte vergeistigt ein in die schillernde Welt, die er erschaffen hatte.
Und er wandelte fürbass durch alle seine Geschichten – von Donna Prokrastina, über den melancholischen Regenwurm, dem verliebten Dinosauris Rex und Don Quatschotte, und verteilte fleissig platonische Küsschen.
Am Ende angekommen, ging er verklärt - in diese seine letzte Geschichte ein.

Als seine Frau Frieda von einer dreiwöchigen Kur nachhause zurückkam, fand sie die Wohnung leer vor. Sie rannte durch alle Zimmer, und rief verzweifelt:
“Benjamin, wo bist du bloß?“ Nachdem sie sich vom ersten Schock erholt hatte, durchsuchte sie noch einmal sysrematisch alle Räume. Auf seinem Schreibtisch lag ein mit der Schreibmaschine frisch beschriebenes Blatt Papier, von dem sie sich magisch angezogen fühlte. Als sie es anfasste durchrieselte sie ein seltsames Prickeln. Sie wollte es schnell wieder zurücklegen, ohne es zu lesen, doch es war, als klebe es fest an ihrer Hand. Es gelang ihr nur mit Mühe, das Blatt zu lösen, und sie legte es in das offene Buch – das letzte, das Benjamin Knopf geschrieben hatte. Bevor sie es schloss, vermeinte sie eine Stimme zu hören – es klang wie ein erstickter Hilferuf ...
Sie lauschte eine Weile, schüttelte ungläubig den Kopf – dann schloss sie das Buch, legte es zu den andern, und verließ das Zimmer.

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