Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur

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rhe-al
schrieb am 19.12.2009, 00:16 Uhr
Lavinia:
rhe-al. Sorry, konnte es mir nicht verkneifen, auf Pattitüden mit einer ebensolchen zu antworten. Schön, dass Sie sie erkannt haben...

...wenn das alles ist, was Ihnen einfällt, dann kann ich nur sagen...tja...und... na ja...
getkiss
schrieb am 19.12.2009, 00:35 Uhr
Apropos Plattitüden.
Hier Beiträge von Lavinia "zum Thema". Eigene Kommentare dazu sind fett hervorgehoben.
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16.12.2009, 13:57:“ @getkiss: Würdest du bitte deinen Kommentar erklären?“

17.12.2009, 11:40: Kein Zusammenhang zum Thema

17.12.2009, 12:45: -zu einer Aussage von Decker:“ Das hätte ich auch nie angezweifelt.“

17.12.2009, 20:19 /17.12.2009, 22:18: Keilerei mit Annchen, null zum Thema

18.12.2009, 09:28 Uhr:“ Genau darum geht es, pavel-chinezul. Und die Fragen hören nie auf...Und die unangenehmsten Fragen sind die wichtigsten. Es sind jene, die das Rückgrat begradigen und stärken.“
Kommentar zum Kommentar. Null zum Thema.

18.12.2009, 22:14:“ Leute, muss jedes Gespräch möglichst platt werden...?“

18.12.2009, 22:45:Endlich ein Beitrag der versucht in die Nähe des Themas zu kommen.

18.12.2009, 23:09:“ Danke, seberg, für die Korrektur...
Wagenhofer ist, wie Hauzenberger, zwar ebenfalls Österreicher, er drehte allerdings Dokumentarfilme wie: "We feed the world" und "Let's make money".

18.12.2009, 23:25 Uhr:“ @Karin Decker. Ein absolut sehenswerter Dokumentarfilm...“

18.12.2009, 23:37 Uhr:“ Es gibt Menschen, die sind furchtbar einfach und es gibt Menschen, die sind einfach furchtbar und es gibt andere, die sind einfach beides...“
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Nur als Beispiele des Beitrags zum Thema.
Der selbe User redet bei anderen von "Pattitüden".
Weitere Kommentare meinerseits sind überflüssig, die Beispiele bezeugen, warum ich von ...versuchen sprach.
Lavinia
schrieb am 19.12.2009, 00:38 Uhr (am 19.12.2009, 00:41 Uhr geändert).
Karin Decker: Meine Großmutter hat nur einen Ausschnitt eines komplexen Geschehens erlebt. Sie hat das Geschehen mit dem der Leute aus ihrem dorf verglichen und ihren "selbst erlebten" Informationsstand/Horizont dadurch ein bisschen erweitert. Sie hat keinen Einblick in das Gesamtgeschehen gehabt und auch keine Möglichkeit gehabt, das Geschehen in einen historischen oder kulturellen oder sonstigen Kontext einzubetten. Sie tendiert aber dazu, das, was sie erlebt hat als spezifisch, als außerordentlich zu betrachten, weil (nur) das für sie bedeutsam ist. Zum Beispiel würde sie das Bestreben nach nationaler Homogenität in Rumänien als schmerzhaften Eingriff verstehen, weil sie nicht wüßte, dass diese Tendenz eher das übliche ist als etwas außergewöhnliches. In Afrika, wo die Grenzen der Nationalstaaten mit dem Lineal gezogen wurden, ohne jedwelche Rücksicht auf ethnische Grenzen, wo es Länder gibt, innerhalb derer Grenzen Dutzende von Ethnien leben, wird z.B. durch den Unterricht in einer der Nationalsprachen eine Art von "Homogenisierung" betrieben.

Karin Decker
schrieb am 19.12.2009, 00:46 Uhr (am 19.12.2009, 00:52 Uhr geändert).
@ Lavinia:
Eine interessante Diagnose der selektiven Wahrnehmung von Großmüttern und Homogenisierungstendenzen. Ich habe aber nicht verstanden, ob die Großmutter nun zurecht traurig ist, oder sich aufgrund ihrer Kurzsichtigkeit im Irrtum befindet.

Ich höre auch bereits die Bulldozer zur „Systematisierung der Dörfer“ heranrollen und mach mir Sorgen um die Großmutter, obwohl ich nun weiß, dass es sich um eine eher völlig normale Tendenz der Nivellierung handelt.

Und außerdem befürchte ich: Wir kommen vom Thema ab.
seberg
schrieb am 19.12.2009, 00:55 Uhr (am 19.12.2009, 00:58 Uhr geändert).
Na ja, ich weiß nicht, Karin Decker, aber die Werke von Schlattner, Schlesak, Hauzenberger usw. kann man doch als Beispiele für „funktionierende“ Aufarbeitung verstehen, oder nicht? Jedenfalls traue ich einer wissenschaftlich-historischen Arbeit nicht unbedingt mehr Authenzitität im Bemühen um Aufarbeit der Vergangenheit zu als einem künstlerischen Werk.

Das mit der Authetizität der Vermittlung von vergangenen von der Großmutter erlebten Ereignissen sehe ich so:
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass z.B. eine Dichterin oder eine Schauspielerin das von ihrer Großmutter Erlebte und durch sie der Enkelin lebendig Vermittelte und von dieser also authentisch Erfahrene einem lesenden oder zuschauenden Publikum durchaus noch authentischer im Buch oder auf der Bühne vermitteln kann, als die Großmutter dies selbst könnte. Die Kunst schafft m.E. eher, was ein trockener Tatsachenbericht von Erlebtem nicht schafft: eben Authentizität.
Karin Decker
schrieb am 19.12.2009, 01:06 Uhr (am 19.12.2009, 01:06 Uhr geändert).
@ seberg:

Das ist wohl richtig. Demnach kann ich aber auch einen „authentischen“ Bericht über ein Einhorn verfassen, obwohl es keine Einhörner gibt.
seberg
schrieb am 19.12.2009, 01:18 Uhr (am 19.12.2009, 01:23 Uhr geändert).
Richtig! Authentizität von in der Vergangenheit Erlebtem hat nichts mit objektiver Wirklichkeit zu tun, sondern mit erlebter. Wenn Ihre Großmutter Ihnen glaubhaft eine Begegnung mit einem Einhorn vermittelt hat, dann handelt es sich um einen authentischen Bericht.
Großmütter bringen es ja in der Regel zu großer Kunst im Erzählen von Märchen.
Karin Decker
schrieb am 19.12.2009, 01:31 Uhr (am 19.12.2009, 01:46 Uhr geändert).
@ seberg:

Ist ja drollig! Aber worüber reden wir hier? Es hätte wohl genügt zu behaupten: Authentizität ist nicht Wirklichkeit.

Dann aber ließe sich entgegnen, Wirklichkeit ist eine Scheinbarkeit, da sie nicht unbedingt objektiv ist, sondern nur von einer Wirkung kündet.

Also wird die Betrachtung der Vergangenheit doch immer komplizierter, blasser und auch irgendwie unglaubwürdiger, je weiter sie unserem Blick entschwindet.

Nicht viel anders lautete meine Eingangsaussage: Dass wir unproportional mehr über die näher liegende Vergangenheit in Erfahrung bringen können, als über die bereits etwas entrücktere.

Dass Herr Schlesak und Herr Schlattner allerdings auch diese von ihnen nicht mehr voll erlebte Vergangenheit, ja nur aus der umso luzideren Perspektive der Kindheit erlebten (siehe auch „Die Blechtrommel“) Anschauung kongenial antizipieren können, muss also an ihrer außergewöhnlichen Begabung liegen.
Lavinia
schrieb am 19.12.2009, 01:37 Uhr (am 19.12.2009, 01:48 Uhr geändert).
Realität und Authentizität und die Vorsicht

Das selbst Erlebte kann die Wahrnehmung der Realität auch 'deformieren'. Beispielsweise wird jemanden die Gesamtzahl der Motorradunfälle im Jahr nicht besonders beeindrucken. Verunglückt allerdings jemand aus dem eigenen Familienkreis mit dem Motorrad, wird sich evtl. sein gesamtes Verhalten ändern. Er wird auf Infos im Zusammenhang mit Motorradunfällen auf besondere Weise aufmerksam werden und "sie überall sehen", sie rücken in das Zentrum seiner Aufmerksamkeit und er wird vielleicht eine extra Versicherung abschließen, sein eigenes Motorrad verkaufen, sich in einer Gruppe engagieren die sich gegen den Führerschein ab 17 einsetzt...Sie wird Unfälle mit Motorrädern überbewerten. Wir reagieren also weniger aufgrund des logischen Wertes der Informationen, sondern aufgrund der Resonanz, welche sie in unserem sozial-emotionalen System auslösen.
Was wir auch meistens vernachlässigen ist die Tatsache, dass das Gedächtnis nicht wie ein serielles Aufnahmegerät funktioniert, sondern dynamisch, d.h, dass wir, wenn wir uns an etwas erinnern, auch später hinzugekommene und uns logisch erscheinende Informationen hineinweben und diese die Erinnerung beeinflussen, verändern, bei jeder weiteren Erinnerung, ohne dass wir es wirklich merken.

Karin Decker: Wir sollten also die Wichtigkeit der Zeitzeugen auch mit einiger Vorsicht betrachten, denn sie ist nicht gleichzusetzen mit der Realität. Natürlich ist Realität eher dem ähnlich, was oben mit der Gesamtzahl der Motorradunfälle ausgedrückt wurde. Deswegen ist jede Form der Zeugenschaft wichtig. Die Zeitzeugen, die Historiker, die Künstler...denn alle tragen mit ihrer spezifischen Authentizität zu einem Gesamtbild bei, welches , so hoffen wir, der Wirklichkeit so nah wie möglich kommt. Aber ich fürchte, das ist eine Plattitüde...;-)
Karin Decker
schrieb am 19.12.2009, 01:42 Uhr (am 19.12.2009, 01:51 Uhr geändert).
@ Lavinia:

Mein „Motorradunfall“ war die Kollision mit dem (rum. Nat.-)kommunismus. Den habe ich also so heftig erfahren, dass ich nun in gewisser Weise kommunismusgestört, diesen als besonders bedrohlich empfinde, obwohl er eigentlich auch ganz harmlos sein kann, je nach dem, wie er einem bekommt. Habe ich das richtig verstanden?

Und ich würde wohl nicht mit dem Finger auf die Enteigner zeigen, wenn ich erst einmal begriffen hätte, dass die Konfiskationen, die vielen Schikanen wegen seiner Zugehörigkeit zu den Deutschen in Rumänien, die Vertreibung, weil es kaum mehr zumutbar war in dem Lande zu leben, all das würde ich einfach hinnehmen und ein glücklicher Mensch sein können, wenn ich nur erst einmal einsähe, dass die Sache relativ harmlos war, mit dem kleinen Ungeschick „rumänischer Nationalkommunismus“ … (Ich weiß nicht so recht. So „weit“ bin ich noch nicht.)
Lavinia
schrieb am 19.12.2009, 02:01 Uhr
1. Das kann ich nicht beurteilen.
2. Provokationsversuche führen selten zu ernsthaften Stellungsnahmen
3. Derjenige, in dessen Familie sich ein Motorradunfall ereignete, das sagte ich schon, dessen Realität kreist um diesen Motorradunfall; das ist seine Realität. Der 'Motorradunfall' eines anderen Menschen/Sachsen ist nicht der Verlust von materiellen Gütern, sondern eben ein anderer. Sie werden ihm jedoch schwerlich klar machen können, dass sein Leben auch um einen Motorradunfall kreisen soll, wenn sein 'Orbit' ein anderes Ereignis ist, oder?
Was bedeutet Aufarbeit für den Traumatisierten?
Karin Decker
schrieb am 19.12.2009, 02:14 Uhr (am 19.12.2009, 02:53 Uhr geändert).
Dann eben eine authentische Geschichte aufgrund eigener Erinnerungen mit Bitte um Überprüfung auf verantwortbaren Fingerzeig:

Mein Urgroßvater (noch weiter wollen wir nicht gehen) war Stadtarzt in Schäßburg. Er tat laut allen über ihn vorhandenen Berichten viel Gutes für die Stadt und ihre Menschen. Sichtbares Zeugnis blieb, zwar arg um schöne Exponate geplündert, sein im Stundturm eingerichtetes Heimatmuseum. Daneben errichtete er in der Harghita ein Sanatorium für lungenkranke Kinder, kümmerte sich um Waisen und Bedürftige und war ein allseits beliebter und sozial engagierter Mensch.

Mein Großvater musste nach dem ersten Weltkrieg nach Budapest fliehen. Er war Rechtsanwalt und hatte ungarische Universitäten besucht; er musste befürchten, wie viele deutsche und ungarische Intellektuelle Siebenbürgens, nach dem Anschluss des Landesteiles an Rumänien (Versailler Vertrag) durch die rumänische Armee erschossen zu werden. Damals schon eine Maßnahme, um das Land „ethnisch zu vereinahmen“.

Meine Großmutter blieb mit drei kleinen Mädchen (eines davon meine Mutter) und ihren inzwischen recht alten Eltern in Schäßburg und zog diese groß.

Meine Mutter ging als erwachsene Frau nach Hermannstadt auf die Handelsschule, begegnete meinem Vater, sie heirateten, bekamen zwei Kinder, meine Schwester und mich.

Die Ehe meiner Eltern hielt nicht lange. Mein Vater war ein völlig unideologischer Kaufmann (halb Siebenbürger Sachse, halb Banater Schwabe), der sich stets vor dem Militär gedrückt hatte und dieser gefährlichen Institution zeitlebens fernbleiben konnte. Bereits ein Jahr nach meiner Geburt zog meine Mutter mit mir und meiner Schwester zu ihrer Mutter nach Schäßburg zurück.

Meine Urgroßeltern starben kurze Zeit nacheinander; ich habe keinerlei persönliche Erinnerung an sie. Meine frühe Kindheit erlebte ich in Schäßburg. Es war Krieg. Ich erinnere mich an deutsche Soldaten, die mir, - ich muss es gestehen -, von der äußeren Erscheinung her gefielen. Das war dann aber auch meine ganze „Kriegsschuld“, die ich im Alter von 4 bis 6 Jahren zu verantworten habe.

Was später folgte und woran ich mich erinnern kann, waren die russischen Soldaten, die unser Haus belagerten, weil ihr Offizier sich meine Mutter gefügig machen wollte. Meine Mutter konnte sich hinter einer Spiegeltür verstecken, später hat eine rumänische Verwandte meiner Familie sie in einem Hospital als „Hepatitis-Kranke“ interniert. Dadurch konnte sie der Deportation entgehen.

In unser Haus wurden fremde Menschen, Vertriebene aus östlicheren Ländern, einquartiert. Meine Großmutter, die vordem mehr schlecht als recht von den Mieten aus unserem zweiten Haus auf der Burg leben konnte, erhielt jetzt keine Mieten mehr, musste aber hohe Steuern zahlen. Später kamen zwei Herrn, die erklärten uns, dass seit fünf Uhr morgens unsere beiden Häuser und unser Obstgarten konfisziert sei, dennoch habe man noch die Steuer bis zur Mitte des Jahres zu bezahlen.

Meine Mutter war nun Alleinernährerin unserer Familie. Sie arbeitet von sieben Uhr morgens bis spät in die Nacht als Buchhalterin. Meine Großmutter führte so gut sie konnte den Haushalt. Die Nachbarn in ihrem ehemaligen Haus benahmen sich sehr rüde zu uns. Man gab es uns zu spüren, wer nun die neuen Herren sind. Meine Großmutter wurde immer gebrechlicher und starb.

Später ging ich an die deutsche Bühne in Hermannstadt, wurde Schauspielerin, teilte mit meiner Schwester einen Wintermantel und die Essensration aus der Kantine und habe mir, weil wir so arm waren nicht leisten können, auf die Bukarester Schauspielschule zu gehen, um dort zu studieren.

Es folgten meine Jahre am Stadttheater Temeswar. Danach, als die den Schauspielern abverlangten Ovationen an das nationalkommunistische Regime immer unerträglicher wurden, mein Antrag auf Ausreise aufgrund von Familienzusammenführung. (Meine Mutter hatte gemeinsam mit meinem Stiefvater 1977 Rumänien verlassen können, weil mein Stiefvater einen Bruder in Deutschland hatte und seinen VW-Käfer einem Securitateoffizier versprochen hatte.)

Unerträgliche Zustände im zermürbenden Kampf um den Ausreisepass. Über Jahre hinweg nächtliches Anstehen beim Passamt. Junge Menschen, die erwischt wurden, weil sie illegal die Grenze überqueren wollten, werden an den Wartenden, darunter sehr alte und gebrechliche Gestalten, vorbeigezerrrt. Man hört sie schreien, als sie in den Kellerräumen der Polizei verprügelt werden.

Keine schönen Erinnerungen. Ausreise. Es folgen die Jahre in Deutschland.

Aber, komme ich so der Sache näher? Darf ich aufgrund dieser Biografie nicht mit dem Finger zeigen: Schau her! Das ist das Haus, das meiner Familie jahrhundertelang gehört hat. Ich will es wiederhaben, so zerwohnt es auch sein mag. Ich wünsche mir, dass meine Kinder und Enkelkinder es erneut bewohnen. Ich will, dass dieses Schäßburg sich erholt von all dem Filz und der Korruption. Ich habe nichts gegen die Rumänen. Mein Sohn beherrscht noch recht gut die rumänische Sprache. Werden meine Enkel sie noch erlernen? Können sie wieder da hin ziehen? Ist es ihnen zuzumuten? Wie kann das Land, wie kann zumindest Siebenbürgen wieder zu seinem einstigen Reichtum gelangen? Reichtum auch an Kultur und an Völkerschaften. An Baudenkmälern und an liebenswürdigen Menschen, wie sie noch in meiner Kindheit in Schäßburg anzutreffen waren, als wahrhafte Originale mit Witz, Charme und Humor. Alles dahin. Eine Stadt im Niedergang von Touristen niedergetrampelt. Draculasiert …

Ich glaube, es ist schon besser, mit dem Finger drauf zu zeigen und zu sagen: Nein! Bitte so nicht!
Lavinia
schrieb am 19.12.2009, 02:21 Uhr (am 19.12.2009, 02:33 Uhr geändert).
Karin Decker. Ihre spezielle Geschichte ist ihre Realität. Sie allein entscheiden wie Sie mit dieser Wirklichkeit umgehen.
Ich hab's nicht so mit Besitz. Für mich ist weder Geiz noch Gier geil, anders ausgedrückt. Aber es gibt so ein paar Sachen die mich manchmal irritieren...So banale Dinge...Auf dem Ladentisch treffen sich zwei Handys. Das eine enthält geregelte Arbeitszeit, Mutterschutz, Arbeitsschutzkleidung, 13. Monatsgehalt, Urlaubsgeld, Kündigungsschutz etc. und das andere ist bar jeder sozialen Verpflichtung, ist hergestellt unter menschenverachtenden Bedingungen. Der Preis zeigt den Unterschied recht deutlich. Welches kaufen Sie, Karin Decker? Sie, die sie menschenverachtende Bedingungen Bedingungen kennengelernt haben, oder? Fragen Sie nach, interessiert es Sie, wie billig die Arbeitskraft war, die es produzierte? Oder wollen Sie einfach nur von dem billigen Preis profitieren?
Wollen Sie wissen, wie groß der Unterschied ist?
Beispielsweise produziert Degussa eine Spezialchemikalie in Deutschland und in China. In D. produzieren 15 Angestellte dieses Produkt mit neueren Maschinen, ín China sind es 150. Gleiche Menge, gleiche Qualität. Das chinesische Produkt kostet die Hälfte.

Das was Sie 'abweichen' nenne, ist ein andere Sicht auf die Dinge, eine andere Perspektive (die nicht "wahrer" oder "richtiger" sin muss...nur anders) Damit tun sich Menschen schwer, weil es schwierig ist, und viel Energie kostet, aus dem 'Orbit' auszubrechen.



Karin Decker
schrieb am 19.12.2009, 02:25 Uhr (am 19.12.2009, 02:42 Uhr geändert).
Wenn Sie so elegant vom Thema abweichen, dann ziehe ich es wiederum vor, zu behaupten, dass weder Besitz noch Kunst wirklich wichtig sind, obwohl letztere zuweilen sehr schön sein kann. Und die Aufarbeitung des Kommunismus ist im Grunde auch nicht wichtig. Wichtig ist im Grunde nur, dass ein Mensch dem anderen den Hintern wischt, wenn dieser es nicht mehr kann.

Dabei verstehe ich freilich die Gewissensprüfung, der Sie mich unterziehen und muss gestehen, dass ich i.d.R. Kaufentscheidungen nur selten davon abhängig mache, unter welchen Bedingungen ein Produkt fabriziert wurde. Gewiss wird meine Werteskala vom Preis reguliert und kaum von den dahinterliegenden Werten, hinter denen ich womöglich nicht moralisch stehen kann.

Aber das hängt auch nicht zuletzt mit der Glaubwürdigkeit von Informationen ab. Woher weiß ich denn, wenn ich bei dem einen Produkt, welches doppelt so teuer ist, dass es auch wirklich unter humanen Bedingungen hergestellt wurde?

Vielleicht hat man es ja zu noch übleren Bedingungen hergestellt und will nur den doppelten Gewinn erzielen? Würde ich das sehen und direkt wahrnehmen können, so glaube ich durchaus, dass ich mich in so manchen Fällen entweder entschließen würde, gar nichts zu kaufen, oder wenn ich es mir leisten kann, dann eben das teurere Produkt mit dem guten Gewissen als Beipackung.

Interessante Frage. Gewichtig, ganz unzweifelhaft. Aber so fern vom Ausgangspunkt dieser Diskussion.
seberg
schrieb am 19.12.2009, 03:17 Uhr (am 19.12.2009, 03:21 Uhr geändert).
Der Ausgangspunkt? War das vielleicht das authentische Berichten von dem in der kommunistischen Diktatur Erlebtem zum Zwecke der Aufarbeitung? z.B. auch durch Kunstwerke? Auf jeden Fall aber durch „authentisches“ Evozieren der Vergangenheit?

@Karin Decker: dass man Vergangenheit vorwegnehmen („antizipieren“) kann, wie Sie es Schlesak und Schlattner zumuten, muss wirklich an einer von Ihnen vermuteten außergewöhnlichen Begabung der beiden liegen.

Der Vergleich unseres im rumänischen Kommunismus Erlebtem mit einem Motoradunfall hinkt zwar wie alle solche Vergeleiche, aber bitte: Im Unterschied zu einem sehr schwerer Motoradunfall, bei dem durch eine sog. retrograden Amnesie ganze Teile der Vergangenheit aus der Erinnerung gelöscht werden können, kann unser Erleben im rumänischen Kommunismus wohl eher mit einem relativ leichten Motoradunfall verglichen werden: die Schädigungen, die wir alle mehr oder weniger durch ihn erfahren haben, haben einerseits eine mildere Form von „Störung“ hinterlassen, andererseits aber auch eine nachhaltigere: die Verdrängung (also das, was man normaler- aber fälschlicherweise Vergessen nennt) des Schlimmen und Schrecklichen erlaubt uns zwar meist ein relativ normales Leben zu führen, andererseits verfälscht es tatsächlich oft auf Dauer die Erinnerung an die Vergangenheit.

@Lavinia: Aufarbeit für den „Traumatisierten“ bedeutet, sich dem durch den „Motoradunfall“ Verdrängtem, also dem zunächst nicht erinnerbarem, aber dafür tatsächlichem „traumatischem“ Erlebnis zu stellen, indem es durch mühevolle, von emotionalem Wiedererleben begleitete Erinnerungsarbeit rekonstruiert wird.

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