Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur

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bankban
schrieb am 19.12.2009, 08:16 Uhr (am 19.12.2009, 08:32 Uhr geändert).
@ Decker

Ist eigentlich unwichtig, ich weiß, nur der Vollständigkeit halber möchte ich auf einige Unstimmigkeiten in Ihrer folgenden Aussage hinweisen:
"Mein Großvater musste nach dem ersten Weltkrieg nach Budapest fliehen. Er war Rechtsanwalt und hatte ungarische Universitäten besucht; er musste befürchten, wie viele deutsche und ungarische Intellektuelle Siebenbürgens, nach dem Anschluss des Landesteiles an Rumänien (Versailler Vertrag) durch die rumänische Armee erschossen zu werden. Damals schon eine Maßnahme, um das Land „ethnisch zu vereinahmen“."

Demgegenüber steht fest:
1. Niemand MUSSTE nach 1918 aus Siebenbürgen fliehen (im Gegensatz zu 1944).
2. Der Anschluss Siebenbürgens erfolgte gemäß dem Vertrag von Trianon 1920 (und nicht Versailles 1919).
3. Die rumänische Armee verübte 1919 unzählige Übergriffe, die Prügelstrafe wurde eingeführt etc. Doch wurden keine ungarischen oder deutschen Rechtsanwälte nur deshalb erschossen, weil sie Deutsche oder Ungarn waren.
4. Es gab zwar nach 1918 zentral aus Bukarest gelenkte Maßnahmen zur Rumänisierung der Administration und der von den Minderheiten dominierten Landstriche. Doch waren sie bis 1940 weitgehend erfolglos gewesen und das planmäßige Ermorden und Töten von Minderheiten gehörte zwischen 1918-1940 noch nicht dazu. Zwar entstanden in manchen rumänischen intellektuellen Kreisen bereits um 1930 herum PLÄNE rein theoretischer Art, "das Land ethnisch zu vereinnahmen" (wie Sie schreiben), doch ging man rumänischerseits erst nach 1940 daran, diese Pläne durch die massenweise Ermordung von Juden und Zigeunern umzusetzen.

Wie gesagt, diese Korrekturen sind im Gesamtgefüge des Themas nur Nebensache, doch bevor jemand die obigen Behauptugen als aus dem Mund einer vermeintlichen Zeugin kommenden authentischen Bericht begreift, wollte ich sie hier anbringen.
getkiss
schrieb am 19.12.2009, 10:23 Uhr
Klaro,
ihr schreibt alle in euren Postings, das Geschriebene wäre eigentlich Nebensache, "aber...".

Es wird psychologisiert. Sehr interessant. Macht doch einen Thread über "Erinnerung als psychologisches Ereigniss".
Oder :"Die in HM-s Romanen geschilderte Fiktion gegenüber realen Erlebnisses". Oder "Der Einfluss des Motorradunfalls auf den Geschmack der Speisen in Schnattlers Mittagessen".

Über das Thema schreibt (fast) keiner mehr.
bankban
schrieb am 19.12.2009, 10:55 Uhr
Klaro,
aber Ihr Posting hatte ja soviel mit dem Thema zu tun...
(Zur Erinnerung: das Thema war: "Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur"...)
Immerhin hatte ich mich gestern ganz direkt zum Thema geäußert und dem letzten Absatz meines vorherigen Postings kann man, wer zu lesen versteht, sehr wohl den Bezug entnehmen: nämlich ging es um die Authentizität der Erlebnisberichte (wovon ja heute Nacht mit Bezug auf Berichte über die kommunistische Diktatur gesprochen wurde). Aber zwischen "lesen" und "lesen" gibt es Unterschiede und nur weil man das Alphabet kennt, bedeutet das lange nicht, dass man auch lesen kann.
Lavinia
schrieb am 19.12.2009, 11:05 Uhr (am 19.12.2009, 14:45 Uhr geändert).
Eigentlich ist heute ein schöner Tag...
Einschränkung: Der Tag würde mir mehr Spass machen, wenn er später anfinge, insbesondere dann, wenn einem schon am frühen Morgen und immer wieder vor Augen geführt wird, dass es Leute gibt, die mehr Zeit mit Lesen und weniger mit Schreiben zubringen sollten...

www.youtube.com/watch?v=tGTju-S6U-I
getkiss
schrieb am 19.12.2009, 16:53 Uhr (am 19.12.2009, 16:55 Uhr geändert).
Der Ex-General Stănculescu, stellvetretender Armee-Minister Ceauşescu-s, berichtet aus dem Gefängniss seine Sicht der Vorgänge während der Revolution 1989:
www.adevarul.ro/actualitate/eveniment/Stanculescu-_Mi-am_pus_piciorul_in_gips_pentru_a_nu_ma_duce_la_Ceausescu_0_172783259.html

Das Video-Interwiev beginnt mit der "Sensation": Der General, damals kürzlich aus Temesvar zurückgekehrt von dem Niederschlagungsversuch des Aufstands, begab sich in das Militärkrankenhaus in Bukarest und ließ einen Fuß bis zur Hüfte eingipsen, um nicht zum ZK, zu Ceauşescu gehen zu müssen. Was mißlang, der Diktator rufte ihn trotzdem zum Rapport....
Dies und andere Sachen in mehreren Videosequenzen.
getkiss
schrieb am 19.12.2009, 17:12 Uhr (am 19.12.2009, 17:13 Uhr geändert).
www.adz.ro
„Die Zeit der Verschleierungen ist vorbei, es muss – endlich! – Tacheles geredet werden“
Teilnehmer über die Tagung in München zum Thema rumäniendeutsche Literatur und die Securitate.

Kurzberichte von der IKGS-Tagung München, in der ADZ, von Hans Bergel, Johann Lippet, Hellmut Seiler und Anton Sterbling.
Karin Decker
schrieb am 19.12.2009, 17:23 Uhr
@ bankban:

Danke für Ihre Korrekturen meiner Familiengeschichte. Da haben wir wohl das Problem mit der Authentizität, wie ich es meinte: 1919 liegt eben außerhalb meiner Lebensdaten und so war in diesem Punkte darauf angewiesen, die Dinge so zu wiederzugeben, wie ich sie selbst als überlieferte Familiengeschichte kenne. Ich werde mich jedoch genauer in den mir vorliegenden Familienchroniken informieren.

Auch kann es sein, dass ich da etwas dank der vorgerückten Stunde gestern durcheinander gebracht habe.

Ich hätte auch keine solche Prosa verfasst, wenn ich mir von Lavinias Belehrungen nicht doch noch eine echte Pointe erhofft erwartet hätte. Die kam ja dann in der Kaufentscheidung für ethisch vertretbare Produkte. Das hätte ich nicht vermutet, dass die Aufarbeitung des Kommunismus in Zusammenhang mit dem Problem der Restitution in Rumänien so zielgenau auf die soziale Frage in den Entwicklungsländern hinausläuft.

Von der Banalität des Bösen zur Banalität des Guten.
MCRANTA
schrieb am 19.12.2009, 17:37 Uhr
korrekturen sind wichtig
seberg hat recht
getkiss
schrieb am 19.12.2009, 18:16 Uhr (am 19.12.2009, 18:17 Uhr geändert).
@Karin Decker:"Mein Großvater musste nach dem ersten Weltkrieg nach Budapest fliehen."
Ich kenne Berichte von Leuten die als Kind, WÄHREND des 1. Weltkriegs, vor dem Einmarsch der rumänischen Truppen in Kronstadt, von dort geflohen sind. Diese aber durch das Banat, Richtung Jugoslawien stattfand.
Kann es sein dass Ihre Erinnerung nur unpräzise ist, die Flucht aber tatsächlich stattfand, zu einem früheren Datum?
Lavinia
schrieb am 19.12.2009, 19:21 Uhr (am 19.12.2009, 20:07 Uhr geändert).
Nee, doch nicht...lohnt nicht...
Karin Decker
schrieb am 19.12.2009, 19:42 Uhr (am 19.12.2009, 19:52 Uhr geändert).
@ getkiss:
Eine solche Flucht im Ochsenwagen vor den rumänischen Truppen fand auch in meiner Familie statt. Diese Flucht gehörte zu den ersten Erinnerungen meiner Tante, der Schriftstellerin Elisabeth Hering, und muss wohl im Jahre 1914 sattgefunden haben. Die Familie reiste so bis Klausenburg und kehrte schon bald wieder nach Schäßburg zurück.

Es handelt sich jedoch nicht um den von mir vermutlich fälschlich erwähnten Grund, weswegen mein Großvater nach dem ersten Weltkrieg Schäßburg hat verlassen müssen.

(Ich hoffe, bei den übrigen Forum-Teilnehmern Verständnis dafür zu finden, dass ich auf Lavinias freundliche Worte fürderhin nicht mehr eingehen werde; – etwas anderes als glatteisüberzogene Pfützchen kann ich in ihren Beiträgen nicht mehr erkennen.)
bankban
schrieb am 19.12.2009, 19:57 Uhr
@ Decker: Nehmen Sie es mir nicht übel, dass ich schon wieder nachhake: aber welchen Grund konnte Ihre Tante denn 1914 zur Flucht gehabt haben? Rumänien trat erst im August 1916 in den Krieg ein und damals sind in der Tat, wie getkiss richtig bemerkte, sehr viele vor den rumänischen Truppen Richtung Westen geflohen. Doch sind sie so ziemlich alle nach dem Ende der Kampfhandlungen (Ende September-Oktober 1916) wieder in ihre Wohnorte zurückgekehrt. Daher kann eigentlich auch ihr Großvater kaum 1916 nach Budapest geflohen sein. Und warum 1914, als der Krieg kaum begonnen und noch nichts entschieden war, Ihre Tante hätte fliehen müssen, erschließt sich mir nun wirklich überhaupt nicht. Dies ist vielmehr erneut ein Indiz für mich, Familiengeschichten und "oral history" zwar interessiert anzuhören, sie jedoch nicht ernst zu nehmen.
Karin Decker
schrieb am 19.12.2009, 20:29 Uhr (am 19.12.2009, 20:39 Uhr geändert).
@ bankban:

Nun habe ich doch die authentische Quelle zu Rate gezogen. Dort (in den Lebenserinnerungen meiner Tante, Elisabeth Hering, geb. Leicht: Versunkene Welt; – Kindheitserinnerungen einer Siebenbürger Sächsin, erschienen 1992 im Selbstverlag der Verfasserin) ist tatsächlich von 1916 die Rede (vielen Dank für Ihren Hinweis, bankban!):

„Das Erdbeben aber war das einzige, das ich jemals in Siebenbürgen erlebt habe. Offenbar schützt der Karpatengürtel meine Heimat vor dem seismischen Geschehen, das die Balkanländer so oft erschüttert. Vor einer anderen Erschütterung aber konnte er sie nicht schützen: Am 27. August des Jahres 1916 drang das rumänische Heer über die Karpatenpässe in Ungarn ein.

Niemand war darauf vorbereitet. Vor Ausbruch des Krieges war Rumänien durch Verträge mit dem sogenannte Dreibund verbunden, doch als der Krieg 1914 dann ausbrach, erkläre es sich neutral. Rumäniens König Carol I., der dem Hause Hohenzollern-Sigmaringen entstammte, befürwortete aber eine den Mittelmächten freundliche Politik seines Landes. Doch er starb bereits am 10. Oktober 1914 (es heisst er sei ermorden worden), und sein schwacher Neffe Ferdinand bestieg nach ihm den Thron. Der konnte sich gegenüber seiner Frau Maria, die eine englische Prinzessin war, und gegenüber seinem Ministerpräsidenten, die eine der Entente freundliche Politik einschlagen wollten, nicht durchsetzen.

Der Angriff der Rumänen erfolgte gleichzeitig mit der Kriegserklärung. Und da in Ungarn niemand damit gerechnet hatte, waren die Grenztruppen auch viel zu schwach, als dass sie ihn hätten aufhalten können. Die Feinde drangen durch den Predealpass ins Burzenland ein, Kronstadt fiel ihnen in die Hände, sie drangen bis ins Harbachtal vor, Schäßburg war aufs äußerste gefährdet. Die Zivilbevölkerung wurde evakuiert. Natürlich waren die Eisenbahnzüge überfüllt, und wer nur irgendwie konnte, flüchtete lieber auf eigenen vier Rädern …“
Joachim
schrieb am 19.12.2009, 20:45 Uhr
Ja, ja immer wieder die bösen Rumänen.
Die sind an allem schuld.
Die waren damals aber nicht kommunistich,
hoffentlich passt das in Ihr Weltbild.
Lavinia
schrieb am 19.12.2009, 20:56 Uhr (am 19.12.2009, 20:59 Uhr geändert).
@bankban, wenn euer fruchtbarer Dialog so weitergeht, dann könnte man den thread auch umbenennen in 'Aufarbeitung der Familiengeschichte des Armin Maurer' oder man könnte auch variieren und ein Suchspiel oder Quiz draus machen... 'Potztausend, wo versteckt sich bloß die Authentizität?', je nachdem, wie lange es noch so glatt ist draußen...

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