Ein schönes Gedicht

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Wanderer
schrieb am 24.04.2013, 09:25 Uhr
In der Heimat war ich wieder...
Martin Greif (Friedrich Hermann Frey)

In der Heimat war ich wieder,
alles hab ich mir besehn,
als ein Fremder auf und nieder
mußt ich durch die Straßen gehn.

Nur im Friedhof fern alleine
hab´ich manchen Freund erkannt,
und bei einem Leichenstein
fühl´ich eine leise Hand.
Marius
schrieb am 27.04.2013, 13:10 Uhr
Der Reiter
und der Bodensee

Der schwäbische Dichter Gustav Schwab wurde durch einen historisch belegten Ritt des Elsässer Postvogts Andreas Egglisperger zu dieser Ballade aus dem Jahr 1826 inspiriert.
Andreas Egglisperger überquerte mit dem Pferd am 05. Januar 1573 bei einer Seegfrörne (vollständiges Zufrieren des Bodensees) vom Schweizer Ufer aus den Bodensee und erreichte schließlich bei Überlingen wieder das Ufer.
Anders, als die literarische Umsetzung durch Gustav Schwab vermuten lässt, fand der Ritt jedoch ein "gutes Ende" in einem Gasthaus in Überlingen.
An den Ritt über den zugefrorenen Bodensee, der ohne die Ballade von Gutstav Schwab wohl längst in Vergessenheit geraten wäre, erinnert heute an der Schiffsanlegestelle in Überlingen eine provokante Skulptur des Bildhauers Peter Lenk, der den einheimischen Schriftsteller Martin Walser in unvorteilhafter Weise als Reiter vom Bodensee darstellt.



Der Reiter und der Bodensee
(Gustav Schwab 1792 - 1850)

Der Reiter reitet durchs helle Tal,
aufs Schneefeld schimmert der Sonne Strahl.
Er trabet im Schweiß durch den kalten Schnee,
er will noch heut an den Bodensee.

Noch heut mit dem Pferd in den sicheren Kahn,
will drüben landen vor Nacht noch an.
Auf schlimmen Weg, über Dorn und Stein,
er braust auf rüstigem Ross feldein.
Aus den Bergen heraus, ins ebene Land,
da sieht er den Schnee sich dehnen wie Sand.
Weit hinter ihm schwinden Dorf und Stadt,
der Weg wird eben, die Bahn wird glatt.

In weiter Fläche kein Bühl, kein Haus,
die Bäume gingen, die Felsen aus.
So fliegt er hin eine Meil und zwei,
er hört in den Lüften der Schneegans Schrei.
Es flattert das Wasserhuhn empor,
nicht anderen Laut vernimmt sein Ohr.

Kein Wandersmann sein Auge schaut,
der ihm den rechten Weg vertraut.
Fort gehts, wie auf Samt, auf dem weichen Schnee,
wann rauscht das Wasser, wann glänzt der See?

Da bricht der Abend, der frühe herein,
von Lichtern blinket ein ferner Schein.
Es hebt aus dem Nebel sich Baum an Baum,
und Hügel schließen den weiten Raum.
Er spürt auf dem Boden Stein und Dorn,
dem Rosse gibt er den scharfen Sporn.
Und Hunde bellen empor am Pferd,
und es winkt ihm im Dorf der warme Herd.

"Willkommen am Fenster Mägdelein,
an den See, an den See, wie weit mag es sein?"
Die Maid, sie staunet den Reiter an:
"Der See liegt hinter dir und der Kahn.
Und deckt´ ihn die Rinde von Eis nicht zu,
ich spräch aus dem Nachen stiegest du".

Der Fremde schaudert, er atmet schwer:
"Dort hinten die Ebne, die ritt ich her!"
Da recket die Maid die Arm in die Höh:
"Herr Gott, so rittest du über den See!
An den Schlund, an die Tiefe bodenlos,
hat gepocht des rasenden Hufes Stoß!
Und unter dir zürnten die Wasser nicht?
Nicht krachte hinunter die Rinde dicht?
Und du wardst nicht die Speise der stummen Brut?
Der hungrigen Hecht´ in der kalten Flut?"

Sie rufet das Dorf herbei zu der Mär,
es stellen die Knaben sich um ihn her.
Die Mütter, die Greise, sie sammeln sich:
"Glückseliger Mann, ja segne du dich!
Herein zum Ofen, zum dampfenden Tisch,
brich mit uns das Brot und iss vom Fisch!"

Der Reiter erstarrte auf seinem Pferd,
er hat nur das erste Wort gehört.
Es stocket sein Herz, es sträubt sich sein Haar,
dicht hinter ihm grinst noch die grause Gefahr.
Es siehet sein Blick nur den gräßlichen Schlund,
sein Geist versinkt in den schwarzen Grund.

Da seufzt er, da sinkt er vom Ross herab,
da ward ihm am Ufer ein trocken Grab.
Hia Nela
schrieb am 27.04.2013, 22:12 Uhr
Poem

Die Bäume sind von weichem Lichte übergossen,
im Winde zitternd glitzert jedes Blatt.
Der Himmel, seidig-blau und glatt,
ist wie ein Tropfen Tau vom Morgenwind vergossen.
Die Tannen sind in sanfte Röte eingeschlossen
und beugen sich vor seiner Majestät, dem Wind.
Hinter den Pappeln blickt der Mond aufs Kind,
das ihm den Gruß schon zugelächelt hat.

Im Winde sind die Büsche wunderbar:
bald sind sie Silber und bald leuchtend grün
und bald wie Mondschein auf lichtblondem Haar
und dann, als würden sie aufs neue blühn.

Ich möchte leben.
Schau, das Leben ist so bunt.
Es sind so viele schöne Bälle drin.
Und viele Lippen warten, lachen, glühn
und tuen ihre Freude kund.
Sieh nur die Straße, wie sie steigt:
so breit und hell, als warte sie auf mich.
Und ferne, irgendwo, da schluchzt und geigt
die Sehnsucht, die sich zieht durch mich und dich.
Der Wind rauscht rufend durch den Wald,
er sagt mir, daß das Leben singt.
Die Luft ist leise, zart und kalt,
die ferne Pappel winkt und winkt.

Ich möchte leben.
Ich möchte lachen und Lasten heben
und möchte kämpfen und lieben und hassen
und möchte den Himmel mit Händen fassen
und möchte frei sein und atmen und schrein.
Ich will nicht sterben. Nein!
Nein.
Das Leben ist rot,
Das Leben ist mein.
Mein und dein.
Mein.

Warum brüllen die Kanonen?
Warum stirbt das Leben
für glitzernde Kronen?

Dort ist der Mond.
Er ist da.
Nah.
Ganz nah.
Ich muß warten.
Worauf?
Hauf um Hauf
sterben sie.
Stehn nie auf.
Nie und nie.
Ich will leben.
Bruder, du auch.
Atemhauch
geht von meinem und deinem Mund.
Das Leben ist bunt.
Du willst mich töten.
Weshalb?
Aus tausend Flöten
weint Wald.

Der Mond ist lichtes Silber im Blau.
Die Pappeln sind grau.
Und Wind braust mich an.
Die Straße ist hell.
Dann...
Sie kommen dann
und würgen mich.
Mich und dich
tot.
Das Leben ist rot,
braust und lacht.
Über Nacht
bin ich
tot.

Ein Schatten von einem Baum
geistert über den Mond.
Man sieht ihn kaum.
Ein Baum.
Ein
Baum.
Ein Leben
kann Schatten werfen
über den
Mond.
Ein
Leben.
Hauf um Hauf
sterben sie.
Stehn nie auf.
Nie
und
nie.

Selma Meerbaum-Eisinger, 7.7.1941
Haiduc
schrieb am 29.04.2013, 21:40 Uhr
Jung sein!

Die Jugend kennzeichnet nicht einen Lebensabschnitt,
sondern eine Geisteshaltung;
sie ist Ausdruck des Willens,
der Vorstellungskraft und der Gefühlsintensität.
Sie bedeutet Sieg des Mutes über die Mutlosigkeit,
Sieg der Abenteuerlust über den Hang zur Bequemlichkeit.

Man wird nicht alt, weil man
eine gewisse Anzahl Jahre gelebt hat:
Man wird alt, wenn man seine Ideale aufgibt.
Die Jahre zeichnen zwar die Haut
- Ideale aufgeben aber zeichnet die Seele.
Vorurteile, Zweifel, Befürchtungen
und Hoffnungslosigkeit sind Feinde,
die uns nach und nach zur Erde niederdrücken
und uns vor dem Tod zu Staub werden lassen.

Jung ist, wer noch staunen und sich begeistern kann.
Wer noch wie ein unersättliches Kind fragt: Und dann?
Wer die Ereignisse herausfordert
und sich freut am Spiel des Lebens.

Ihr seid so jung wie Euer Glaube.
So alt wie Eure Zweifel.
So jung wie Euer Selbstvertrauen.
So jung wie Eure Hoffnung.
So alt wie Eure Niedergeschlagenheit.

Ihr werdet jung bleiben,
solange Ihr aufnahmebereit bleibt:
Empfänglich fürs Schöne, Gute und Große,
empfänglich für die Botschaften der Natur,
der Mitmenschen, des Unfaßlichen.
Sollte eines Tages Euer Herz
geätzt werden von Pessimismus,
zernagt von Zynismus,
dann möge man Erbarmen haben
mit Eurer Seele - der Seele eines Greises.

Marc Aurel
Struwwelpeter
schrieb am 29.04.2013, 22:00 Uhr
Drei Tage Tirol

Ich bin nach Tirol gereist
Und hab das Zuhause vergessen.
Ich habe viel Freiheit gefressen
Und viel Gesellschaft gespeist.
Landschaften hab ich gesoffen
Und Illusionen geraucht.

Die Menschen, die ich getroffen,
Standen meist so zu den Sternen,
Dass man, um sie kennen zu lernen,
Nicht erst zu verreisen braucht.

Das nennt man Drahtseilbahn: Es hing
Ein Zündholzschächtelchen an Zwirn.

Und ein Gewitter kam. - Das ging
Mir superior durch Herz und Hirn.

Wie tut ein wildes Wandern wohl,
Wenn man sein Einsamgehn durchleuchtet!

An allen Stellen angefeuchtet
Kam ich nach Hause aus Tirol.
(Joachim Ringelnatz)

Mynona
schrieb am 08.05.2013, 23:05 Uhr
DER FREMDE
( Rilke )

Ohne Sorgfalt, was die Nächsten
dächten,
die er müde nicht mehr fragen
hieß,
ging er wieder fort; verlor,
verließ —.
Denn er hing an solchen
Reisenächten
anders als an jeder
Liebesnacht.
Wunderbare hatte er
durchwacht,
die mit starken Sternen
überzogen
enge Fernen auseinanderbogen
und sich wandelten wie eine
Schlacht;
andre, die mit in den Mond
gestreuten
Dörfern, wie mit hingehaltnen
Beuten,
sich ergaben, oder durch
geschonte
Parke graue Edelsitze zeigten,
die er gerne in dem
hingeneigten
Haupte einen Augenblick
bewohnte,
tiefer wissend, daß man
nirgends bleibt;
und schon sah er bei dem
nächsten Biegen
wieder Wege, Brücken, Länder
liegen
bis an Städte, die man
übertreibt.
Und dies alles immer
unbegehrend
Zuzulassen, schien ihm mehr als
seines
Lebens Lust, Besitz und Ruhm.
Doch auf fremden Plätzen war
ihm eines
täglich ausgetretnen
Brunnensteines
Mulde manchmal wie ein
Eigentum.
seberg
schrieb am 08.05.2013, 23:33 Uhr
gern gelesen. :)
Haiduc
schrieb am 15.05.2013, 21:35 Uhr
Chronik

Geschrieben steht auf einem von den Blättern,
den arg vergilbten, mit Gelehrtenschrift,
was Andres Arnold, Roßhirt hier, betrifft,
in längst veralteten, längst blassen Lettern:

Geboren siebzehnhundertvierzig. Dann geworben
um Magdalena Kümmerle. Getraut.
Am Haus des Lebens schlecht und recht gebaut.
Elf Kinder. Früh verwitwet. Spät gestorben.

Dies ist das Leben irgendeines Mannes,
und keiner sieht mehr dieses Lebens Spur,
und unsre späten Augen finden nur
im Kinderreihen dreimal stehn: Johannes.

Nur dies. Und wissen plötzlich die Geschichte
von diesem Leben, das uns eines war
wie alle sind, und das mit einem klar
im eignen Leide steht, im eignen Lichte:

Dreimal die Zeugungsnacht. Und dreimal schwanger.
Dreimal gebären. Dreimal erster Schrei.
Dreimal ein Kampf, wer hier der Stärkre sei:
Gott oder Roßhirt. Dreimal Totenanger.

Dreimal ein Kindergrab. Mit weißen Steinen
schön eingefaßt. Und Blumen. Und man kann
sie sonntags sehen. Einen großen Mann,
sein Weib daneben. Still, ganz ohne Weinen.

Und dreimal hier im Buch den gleichen Namen:
Johannes Arnold. Und das Kreuz besagt:
In Christi Namen schlafe, bis es tagt.
Du warst, Herr, und du bleibst der Sieger. Amen.


(Albrecht Goes)
Haiduc
schrieb am 24.05.2013, 22:31 Uhr
Wanderer,
kommst du nach Sparta,
verkündige dorten,
du habest uns hier liegen gesehn,
wie das Gesetz es befahl.

(Friedrich Schiller | aus «Der Spaziergang»)
bankban
schrieb am 26.05.2013, 11:20 Uhr
Werte


Die guten Dinge des Lebens
sind alle kostenlos:
die Luft, das Wasser, die Liebe.
Wie machen wir das bloß,
das Leben für teuer zu halten,
wenn die Hauptsachen kostenlos sind?
Das kommt vom frühen Erkalten.
Wir genossen nur damals als Kind
die Luft nach ihrem Werte
und Wasser als Lebensgewinn,
und Liebe, die unbegehrte,
nahmen wir herzleicht hin.
Nur selten noch atmen wir richtig
und atmen die Zeit mit ein,
wir leben eilig und wichtig
und trinken statt Wasser Wein.
Und aus der Liebe machen
wir eine Pflicht und Last.
-----------------------------------
Und das Leben kommt dem zuteuer,
der es zu billig auffasst.


aus: Eva Strittmatter: Sämtliche Gedichte.
Haiduc
schrieb am 27.05.2013, 21:04 Uhr
Denkmalswunsch

Setze mir ein Denkmal, eher,
ganz aus Zucker, tief im Meer.

Ein Süßwassersee, zwar kurz,
werd ich dann nach meinem Sturz;

doch so lang, dass Fische, hundert,
nehmen einen Schluck verwundert.

Diese isst in Hamburg und
Bremen dann des Menschen Mund.

Wiederum in eure Kreise
komm ich so auf gute Weise,

während, werd ich Stein und Erz
nur ein Vogel seinen Sterz

oder gar ein Mensch von Wert
seinen Witz auf mich entleert.

(Christian Morgenstern)
Venus
schrieb am 28.05.2013, 18:36 Uhr
Kindheit

Voll Früchten der Hollunder; ruhig wohnte die Kindheit
In blauer Höhle. Über vergangenen Pfad,
Wo nun bräunlich das wilde Gras saust,
Sinnt das stille Geäst; das Rauschen des Laubs

Ein gleiches, wenn das blaue Wasser im Felsen tönt.
Sanft ist der Amsel Klage. Ein Hirt
Folgt sprachlos der Sonne, die vom herbstlichen Hügel rollt.

Ein blauer Augenblick ist nur mehr Seele.
Am Waldsaum zeigt sich ein scheues Wild und friedlich
Ruhn im Grund die alten Glocken und finsteren Weiler.

Frömmer kennst du den Sinn der dunklen Jahre,
Kühle und Herbst in einsamen Zimmern;
Und in heiliger Bläue läuten leuchtende Schritte fort.

Leise klirrt ein offenes Fenster; zu Tränen
Rührt der Anblick des verfallenen Friedhofs am Hügel,
Erinnerung an erzählte Legenden; doch manchmal erhellt sich die Seele,
Wenn sie frohe Menschen denkt, dunkelgoldene Frühlingstage.

Georg Trakl
Aus der Sammlung: Sebastian im Traum
Mynona
schrieb am 28.05.2013, 19:58 Uhr
Noch ein Trakl...

Traum des Bösen
´
Verhallend eines Gongs braungoldne Klänge -
Ein Liebender erwacht in schwarzen Zimmern
Die Wang' an Flammen, die im Fenster flimmern.
Am Strome blitzen Segel, Masten, Stränge.

Ein Mönch, ein schwangres Weib dort im Gedränge.
Guitarren klimpern, rote Kittel schimmern.
Kastanien schwül in goldnem Glanz verkümmern;
Schwarz ragt der Kirchen trauriges Gepränge.

Aus bleichen Masken schaut der Geist des Bösen.
Ein Platz verdämmert grauenvoll und düster;
Am Abend regt auf Inseln sich Geflüster.

Des Vogelfluges wirre Zeichen lesen
Aussätzige, die zur Nacht vielleicht verwesen.
Im Park erblicken zitternd sich Geschwister.
concordia
schrieb am 29.05.2013, 19:10 Uhr
Heiterer Frühling

1.
Am Bach, der durch das gelbe Brachfeld fließt,
Zieht noch das dürre Rohr vom vorigen Jahr.
Durchs Graue gleiten Klänge wunderbar,
Vorüberweht ein Hauch von warmem Mist.

An Weiden baumeln Kätzchen sacht im Wind,
Sein traurig Lied singt träumend ein Soldat.
Ein Wiesenstreifen saust verweht und matt,
Ein Kind steht in Konturen weich und lind.

Die Birken dort, der schwarze Dornenstrauch,
Auch fliehn im Rauch Gestalten aufgelöst.
Hell Grünes blüht und anderes verwest
Und Kröten schliefen durch den jungen Lauch.


2.
Dich lieb ich treu, du derbe Wäscherin.
Noch trägt die Flut des Himmels goldene Last.
Ein Fischlein blitzt vorüber und verblaßt;
Ein wächsern Antlitz fließt durch Erlen hin.

In Gärten sinken Glocken lang und leis;
Ein kleiner Vogel trällert wie verrückt.
Das sanfte Korn schwillt leise und verzückt
Und Bienen sammeln noch mit ernstem Fleiß.

Komm, Liebe, nun zum müden Arbeitsmann!
In seine Hütte fällt ein lauer Strahl.
Der Wald strömt durch den Abend herb und fahl
Und Knospen knistern heiter dann und wann.


3.
Wie scheint doch alles Werdende so krank!
Ein Fieberhauch um einen Weiler kreist;
Doch aus Gezweigen winkt ein sanfter Geist
Und öffnet das Gemüte weit und bang.

Ein blühender Erguß verrinnt sehr sacht
Und Ungebornes pflegt der eignen Ruh.
Die Liebenden blühn ihren Sternen zu
Und süßer fließt ihr Odem durch die Nacht.

So schmerzlich gut und wahrhaft ist, was lebt;
Und leise rührt dich an ein alter Stein:
Wahrlich! Ich werde immer bei euch sein.
O Mund! der durch die Silberweide bebt.


Georg Trakl . 1887 - 1914



Haiduc
schrieb am 29.05.2013, 21:10 Uhr
Auf dem Friedhof

Auf dem Friedhof, den sonst Kinder
Fürchten fast am hellen Tag,
War ich viel einst, weil derselbe
Heimwärts mir am Wege lag.

Denn ein Steinwurf von der Kirche
Stand ja unser kleines Haus
Hinten an der Kirchhofmauer,
Doch der Weg ging vorn heraus.

Wenn ich drum zur Kirche wollte
Oder in die Sakristei,
War's doch klar, daß es am nächsten
Gradwegs durch den Kirchhof sei.

Also auf die Kirchhofmauer
Wenn es eilte, kurzerhand!
Alte Mauern haben Löcher,
Und das Klettern ich verstand.

Droben von den Sandsteinplatten
Nahm ich frischweg einen Sprung;
Sprang ja drinn auf weichen Boden,
Und die Füße waren jung.

Heimwärts dann vom Betzeitläuten
Ging es ganz denselben Weg.
Nur im Dunkeln dann der Kirchhof:
Wenn der nur wo anders lag'

Doch ich kannte ja die Gräber
Und die Kreuze, auch bei Nacht.
Daß mein Vater auch dort liege,
Daran hab' ich nicht gedacht.

Innen war die Kirchhofmauer
Ohne Löcher, wie ich wußt'.
Um dann dran hinaufzuklettern
Ich mir anders helfen mußt'.

Und so stellt' ich statt der Leiter
Ein paar Kreuze an die Wand,
Alte, halb zerbroch'ne Kreuze,
Die ich in der Ecke fand.

An den alten morschen Kreuzen
Schwang ich eilends mich empor;
Denn dort hinter jenem Grabstein
Kam mir's nicht geheuer vor.

Jenseits erst der Kirchhofmauer,
— War es richtig oder dumm? —
Wenn ich mich im Sichern fühlte,
Sah ich nach den Geistern um.

Und so hab' ich zwar die Ruhe
Manches Toten dort gestört,
Dem ich lebzeit‘s bei der Arbeit
Zugeseh'n und zugehört.

Doch vergaß an Allerseelen
Ich die Abgestorb'nen nie,
Und mein emsig Betzeitläuten
War am Ende auch für sie.

Heinrich Gassert

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