Ein schönes Gedicht

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Wiesenblume
schrieb am 30.05.2013, 15:39 Uhr
Der Hund

Da oben wird das Bild von einer Welt
aus Blicken immerfort erneut und gilt.
Nur manchmal, heimlich, kommt ein Ding und stellt
sich neben ihn, wenn er durch dieses Bild

sich drängt, ganz unten, anders, wie er ist;
nicht ausgestoßen und nicht eingereiht,
und wie im Zweifel seine Wirklichkeit
weggebend an das Bild, das er vergißt,

um dennoch immer wieder sein Gesicht
hineinzuhalten, fast mit einem Flehen,
beinah begreifend, nah am Einverstehen
und doch verzichtend: denn er wäre nicht.

Rainer Maria Rilke
aus: Der neuen Gedichte anderer Teil

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Wiesenblume
schrieb am 30.05.2013, 16:36 Uhr
Der Wald ist ein besonderes Wesen,
von unbeschränkter Güte und Zuneigung,
das keine Forderungen stellt
und großzügig die Erzeugnisse
seines Lebenswerks weitergibt;
allen Geschöpfen bietet er Schutz
und spendet Schatten selbst dem Holzfäller,
der ihn zerstört.

Siddharta Gautama Buddha

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panta rhei
schrieb am 31.05.2013, 17:56 Uhr

Was keiner
geglaubt haben wird

was keiner
gewusst haben konnte

was keiner
geahnt haben durfte

das wird dann wieder
das gewesen sein

was keiner
gewollt haben wollte (Erich Fried)



...
______________________________________________ .
Mynona
schrieb am 31.05.2013, 22:01 Uhr (am 31.05.2013, 22:02 Uhr geändert).
Katzen...;-)

Versonnen nehmen sie die
edlen Haltungen
der großen Sphinxe ein,
die ausgestreckt
in tiefen Einsamkeiten ruhen
und zu entschlummern
scheinen
in endlosem Traum

Rätselvolle Katze
In meinem Hirn, als wär's ihr eigner Raum,
Schleicht auf und nieder auf der weichen Tatze
Geschmeidig sanft die schöne, stolze Katze.
Und ihrer Stimme Tun vernimmt man kaum.

So zart und heimlich ist ihr leis' Miauen.
Und ob sie zärtlich, ob sie grollend rief,
Stets ist der Klang verhalten, reich und tief
Und Zauber weckend und geheimes Grauen.

Die Stimme, die schwere Perlen sank
In meines Wesens dunkle Gründe nieder,
Erfüllt mich wie der Klang der alten Lieder,
Berauscht mich wie ein heißer Liebestrank.

Sie schläfert ein die grausamsten Verbrechen,
Verzückung ruht in ihr. Kein Wort tut not,
Doch alle Töne stehn ihr zu Gebot
Und alle Sprachen, die die Menschen sprechen.

Auf meiner Seele Saitenspiel ließ nie
Ein andrer Bogen so voll Glut und Leben
Die feinsten Saiten schwingen und erbeben,
Kein anderer so königlich wie sie,

Wie deine Stimme, rätselvolles Wesen,
Seltsame Katze, engelsgleiches Tier,
Denn alles, Welt und Himmel, ruht in ihr,
Voll Harmonie, holdselig und erlesen.

Charles Baudelaire
1821-1867










Mynona
schrieb am 12.06.2013, 21:50 Uhr
Abenddämmerung

Sieh, des Verbrechers Freund, der holde Abend, naht
Mit leisem Raubtierschritt, der Helfer bei der Tat;
Der Himmel schliesst nun sacht des schweren Vorhangs Falten,
Zu Tieren wandeln sich die menschlichen Gestalten.

O Abend lieb und hold, wie heiss wirst du ersehnt
Von einem, der mit Lust die müden Arme dehnt
Und ohne Lügen spricht: Der Tag war voller Lasten! –
Du bist's, der Schmerzen stillt und Ruhe gibt und Rasten
Dem Denker, der voll Trotz die müde Stirne hält
Dem Arbeitsmann, der dumpf hin auf sein Lager fällt.

Indes erhebt sich schwer der bösen Geister Meute,
Sie flattern durch die Luft wie vielgeschäftige Leute,
Sie poltern an die Tür, sie stossen an das Dach.
Und wo ein Lichtschein wird im Windstoss flackernd wach,
Da lebt die Unzucht auf in dumpfer Gassen Enge;
Gleich dem Ameisenhauf öffnet sie Gäng' um Gänge;
Sie bahnt geheimen Weg allüberall und gleicht
Dem Feind im Hinterhalt, der tückisch uns umschleicht;

Im Schoss der Stadt rührt sie den Unrat, der sie mehrt,
Ein Wurm, der von der Kraft des Menschen lebt und zehrt.
Jetzt hört man's da und dort in Küchen leise zischen,
Theater kreischen auf, Orchester brummt dazwischen;
Die Säle, drin das Spiel Rausch gibt den schlaffen Hirnen,
Sie füllen sich nun rasch mit Gaunern und mit Dirnen;
Die Diebe, denen nie das Handwerk Ruhe lässt,
Beginnen ihr Geschäft, bezwingen sanft und fest
Die Türen und den Schrein um ein paar Tage Leben
Und, um der Freundin Gold und seidnen Tand zu geben.

Jetzt sammle dich, mein Sinn, und richte dich empor,
In diesem Augenblick verschliess dem Lärm dein Ohr.
Die Stunde ist's, da Gram und Schmerzen sich verschlimmern,
Da uns die finstre Nacht die Kehle würgt, und Wimmern
Die Hospitale füllt, da still der Kranken Heer
Zum grossen Abgrund wallt. – Ja, mancher kommt nie mehr
Und isst die Suppe still und träumt und blickt ins Feuer
Ganz nah beim Herd und nah der Seele, die ihm teuer.

Und viele kannten nie die Süssigkeit, die schwebt
Um einen Platz am Herd, und haben nie gelebt!

( Baudelaire)
orbo
schrieb am 12.06.2013, 22:01 Uhr
Im See

Der Hering erzählt zur nächtlichen Zeit
Dem Walfisch die letzte Neuigkeit:

Frau Aal hat neulich den Hummer geneckt,
Indem sie ihn aus dem Schlummer geweckt.

Da gab es einen großen Disput.
Der Hummer fauchte und kochte vor Wut
Und weil er kochte, so wurde er rot
Und als er rot war, da war er tot.

"Ja" seufzte der Walfisch und weinte gar sehr,
"Ja, rote Hummer, die leben nicht mehr."

(Joachim Ringelnatz)
Mynona
schrieb am 12.06.2013, 22:15 Uhr
Ist das sooo toll dass du es 3! Mal posten musstest :-)))
Marius
schrieb am 14.06.2013, 17:00 Uhr

Es sitzt ein Vogel auf dem Leim

Es sitzt ein Vogel auf dem Leim,
Er flattert sehr und kann nicht heim.
Ein schwarzer Kater schleicht herzu,
Die Krallen scharf, die Augen gluh.
Am Baum hinauf und immer höher
Kommt er dem armen Vogel näher.

Der Vogel denkt: Weil das so ist
Und weil mich doch der Kater frißt,
So will ich keine Zeit verlieren,
Will noch ein wenig quinquilieren
Und lustig pfeifen wie zuvor.
Der Vogel, scheint mir, hat Humor.

Wilhelm Busch
seberg
schrieb am 17.06.2013, 20:38 Uhr (am 17.06.2013, 20:46 Uhr geändert).
Kein Gott

Ich lebe jetzt. Mein Tod ist zu erwarten.
Danach vergehe ich so schnell wie Gras.
Von mir bleibt nur, was andere verwenden
zu ihrem Nutzen und zu ihrem Spaß.

Gedanken, Verse, ein paar Gegenstände,
durch mich entstanden, bleiben in der Welt.
Für eine Weile kann man sie noch brauchen,
bis das, was keinem nützlich ist, zerfällt.

Ich habe keinen Gott. Für alle Taten,
die ich begehe, muss ich Täter sein.
Kein Weltenrichter wartet, mich zu strafen –
für jeden Irrtum steh ich selber ein.

Ich habe keinen Vater, der mich tröstet.
Es gibt kein Wort, das unumstößlich ist.
Mich stützt kein Glaube. Keine weise Fügung
besitzt ein Maß, das meinen Nutzen misst.

Ich denke selbst. Ich habe keine Rettung
vor meinen Zweifeln, wenn die Furcht mich schreckt.
Ich hab die Grenzen meiner Höhn und Tiefen
in meinen eignen Träumen abgesteckt.

Ich hänge ab von der Natur von Menschen,
von allen Kräften für und gegen mich.
Die Welt, in der ich bin, ist gut und böse,
doch weiß ich – alles um mich ändert sich.

Nichts bleibt sich gleich. Wer wagt, sich einzurichten,
der richtet sich für Augenblicke ein.
In einer Welt, bestehend aus Bewegung,
da kann ich selber nur Bewegung sein.

Ich fürchte Menschen. Was sind Eis, was Fluten,
was Pest und Feuer gegen die Gewalt
des Untiers Mensch? Die Schreie seiner Opfer
sind, seit es Menschen gibt, noch nie verhallt.

Ich liebe Menschen mehr als alle Tiere.
Sie suchen unaufhörlich einen Sinn
für ihr Vorhandensein, verstrickt in Irrtum.
Es macht mich froh, dass ich beteiligt bin.

Ich bin allein. Für kurze Augenblicke
bin ich Geliebter, Bruder oder Freund.
Um eine Arbeit, eine Lust zu machen,
wenn sich ein Weg mit meinem Weg vereint.

Auf dieser Erde leben Ungezählte,
aus denen gleiche Furcht und Hoffnung spricht.
Ich weiß um sie. In glücklichen Sekunden
seh ich mitunter einem ins Gesicht.

Da ist kein Mensch und keine Macht vorhanden,
nichts, das mich ganz für sich gewinnen kann.
Ich füge mich der Stärke und der Schwäche.
Nur wer mich tötet, hält mein Suchen an.

Ich bin missbrauchbar, ich bin zu gebrauchen,
denn ich muss sein und suche meinen Wert.
Ich will mich nähren, ich muss mich behausen.
Und über Preise wurde ich belehrt.

Solange ich lebe, arbeite und liebe,
solange sich mein Geist, mein Blut noch regt,
bin ich dem Wesen meiner Zeit verhaftet,
denn mich bewegt, was meine Zeit bewegt.

Ich denke noch, und bin noch zu belehren.
Ich suche zweifelnd weiter nach dem Sinn,
der uns zu Menschen macht, wer will mich hindern,
die Welt zu lieben, bis ich nicht mehr bin.


Heinz Kahlau, 1973, in der DDR geschrieben!

Wer sich die Laune nach dem Lesen dieses tiefsinnigen und gleichzeitig lebensfrohen Gedichts verderben will, der lese das Gedicht "Die Repser Burg" von Michael Albert auf der ersten Seite dieses Threads, eingestellt von @Wanderer!

Joachim
schrieb am 18.06.2013, 00:15 Uhr
Zumindest erst einmal ein tolles Gedicht,
dass mich tief bewegt und sehr Nachdenklich macht.....
Haiduc
schrieb am 06.08.2013, 21:16 Uhr
Abschied und Rückkehr

Vorbei, vorbei, auf feuchter Spur
irrt trostlos nun mein Blick ins Weite.
Vorbei, vorbei, die Möwe nur
gibt mir ein trauriges Geleite.

Nun kehrt auch sie; fernab, fernab
ist längst mein Vaterland geblieben.
Aus meiner Heimat, wo mein Grab
ich schon gewählt, bin ich vertrieben.

Als gestern ich im Abschiedszorn
voll Schmerz den Lindenzweig gerüttelt,
als ich den Rebhahn hört’ im Korn,
es hat ein Fieber mich geschüttelt.

Es wogt mein Schiff, es sinkt und hebt,
ein Sturmlied singen die Matrosen.
Es wogt mein Herz, es ringt und bebt,
es schlägt der Sturm den Heimatlosen.

Aus Wogen taucht ein blasser Strand,
es schimmert fern durch meine Tränen
des Vaterlandes Küstenrand,
erschöpft muß ich am Maste lehnen.

Der Flieder blüht, die Schwalbe zieht,
und auf den Dächern schwatzen Stare,
der Orgeldreher dreht sein Lied,
ein linder Wind küßt mir die Haare.

Die Mädchen lachen Arm in Arm,
Soldaten stehen vor der Wache,
und aus der Schule bricht ein Schwarm,
der lustig lärmt in meiner Sprache.

Es schreit mein Herz, es jauchzt und bebt
der alten Heimat heiß entgegen.
Und was als Kind ich je durchlebt,
klingt wieder mir auf allen Wegen.

Detlef von Liliencron
Reini
schrieb am 10.08.2013, 12:38 Uhr
Heimatgedanken
von Br. Liberatus Heßling OFM. (Olde Mesters Anton.)

Mein Wahn, mein Heimatdorf,
nun bin ich fern von dir,
doch denk ich dein noch oft,
das glaube mir.
Vergessen werd ich nie,
wo meine Wiege stand,
0 du mein liebes, teures Heimatland.
Und auch ihr Lieben all,
mit denen ich bekannt,
verbunden hielt uns stets
der Freundschaft enges Band.
Wo immer ihr auch seid,
und ist es noch so weit,
ich grüße euch in Treu und Dankbarkeit.
Find in dem Kloster auch
ich meines Lebens Glück,
es kehrt doch meine Sehnsucht
noch oft zu euch zurück.
Die Zeitenläufe gehn,
doch bleibt der Glaubbestehn,
daß wir uns alle einst für ewig wiedersehn
S.Roth
schrieb am 24.09.2013, 17:57 Uhr (am 24.09.2013, 17:57 Uhr geändert).
Er rauscht und rauscht ...

Er rauscht und rauscht ...
Unaufhaltsam strömt er vorbei,
Der schimmernde Strom unsres Lebens,
Wir aber jauchzen ihm zu.
Wir stehen am Ufer,
Törichte Kinder,
Wir schauen hinein in die tanzenden Wogen
Und werfen Blumen hinab,
Blumen und Kränze.
Die Welle erfasst sie mit gierigen Händen.
Sie trägt sie davon in wirbelndem Spiel.
Weit ... weit ...
Dann schrecken wir auf,
Sehen unsre leeren, zitternden Hände,
Rufen den Blumen
Und weinen.

(Anna Ritter)
Haiduc
schrieb am 25.09.2013, 21:22 Uhr
Ich bin der Welt abhanden gekommen

Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,
Sie hat so lange nichts von mir vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!

Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält,
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.

Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,
Und ruh' in einem stillen Gebiet!
Ich leb' allein in meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied!

Friedrich Rückert (1788-1866)
Haiduc
schrieb am 28.09.2013, 20:12 Uhr
Dies Land der Mühe, dieses Land des herben
Entsagens werd ich ohne Seufzer missen,
Wo man bedrängt von tausend Hindernissen
Sich müde quält und dennoch muß verderben.

Zwar mancher Vorteil läßt sich hier erwerben,
Staatswürden, Wohlstand, eine Last von Wissen,
Und unsere Deutschen waren stets beflissen,
Sich abzuplagen und geplagt zu sterben.

Ein Solcher darf zu keiner Zeit ermatten,
Er fördre sich, er schmeichle jeder Mode
Und sei dabei, wo Glück und Macht sich gatten.

Mir, der ich bloß ein wandernder Rhapsode,
Genügt ein Freund, ein Becher Wein im Schatten,
Und ein berühmter Name nach dem Tode.
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von Platen
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