Altes Haus - Brücken in die Vergangenheit

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Kurt Binder
schrieb am 05.08.2020, 16:52 Uhr
Ja, Lybelle, die Truhe der Erinnerungen ist bodenlos! Ich habe als Kind nur ganz kurze Zeit auf dem Land gewohnt. in Sommerfrische, wie man so sagte. Es war mir nicht bewusst, dass alles, was ich hier idyllisch verklärt erleben durfte, für die Landwirte harter Alltag war. An das Spatzenschießen mit dem selbstgebastelten Katapult, dem Kata, erinnere ich mich auch - welcher Junge hatte denn keins? Nach dem Sinn haben wir leider nicht gefragt. Und der Demijohn, die gute, alte Korbflasche war immer bei den Feldarbeiten dabei, meist mit frischem Quellwasser.

Tarimonas Erlebnis, mal auf der anderen Seite der Wagonwand des Speisesewagens stehen zu können, und von anderen Menschen beneidet zu werden - siehe da, Dein Traum ist wahrgeworden. Und ich wette, dass es Dir schnurzepiepegal war, was auf dem Teller vor Dir gelegen hat - oder?
Das Unfassbare in solchen Momenten ist sicher die völlig unerwartete Identifizierung einer Vorstellung, eines Traumes oder einer Legende mit ihrer realen, materiellen Existenz.
Menschen, die fähig sind, solche Erlebnisse im nostalgischen Nachvollzug oder unmittelbar derart emotionsbetont zu erleben, können sich wahrlich glücklich schätzen!

Lybelle
schrieb am 09.08.2020, 08:43 Uhr
Alles was Flügel hat fliegt

Hallo zusammen, einen wunderschönen guten Morgen und eine ertragbare Sommerhitze wünsche ich euch. Als ich heute Morgen wieder mal sehr früh aufgestanden bin und alle Fenster und Türen geöffnet habe, hörte ich ein sehr vertrautes Geräusch da draußen. Es kam von hoch oben aus den Lüften. Als nun meine Augen so umherschweiften, erblickte ich 6 Wildgänse die vorbeizogen.
Wir kennen doch Alle das Spiel „Alles was Flügel hat fliegt“ oder?
Nun gut, als ich noch so ein kleiner Lausbub war und wieder mal nix besseres zu tun hatte, wollte ich die Gänse von unserem 5ten Nachbarn auch mal fliegen sehen. Doch das schien gar nicht so einfach, die wollten gar nicht abheben, auch wenn ich sie noch so jagte. Also wieder mal inspiriert von Max und Moritz, wollte ich Fäden übers Kreuz legen mit Brot an jedem und schauen ob sie dann auch so fliegen. Bei dem Gedanken allerdings dass sie hops gingen, wurde mir dann doch mulmig. Zumal man die Tracht Prügel auch nicht außer Acht lassen durfte welche mich erwartet hätte.
Also musste ein anderer Plan her. Da nahm ich kurzerhand einen getrockneter Maisstängel (Peischn) und Band den mit einer dünnen Schnur an eine Grips (Rest vom Apfel). Legte es vor unser Haus, wo die Gänse immer ihre Hinterlassenschaften ließen und ich sie wegfegen musste ; und beobachtete was nun geschehen würde. Die Gänse ließen mich nicht lange warten, und schon kam eine dicke fette Gans und schnappte sich die Apfelgrips. Doch als sie weiter watschelte, bewegte sich die Peischn hinter ihr und jagte ihr einen so großen Schreck ein, so dass sie allesamt zum Fluge abholen.
Tja da dachte ich mit : geht doch oder? Erzählen dürfte ich es allerdings niemandem sonst hätte es sicher zumindest eine Watschn gegeben, wenn der Schunnopa, welchem die Gänse gehörten erfahren hätte was ich seinen über alles geliebten Gänsen angetan hatte . Auf jeden Fall war ich die nächsten Tage sehr brav und vorsichtig. Hat ja nicht geschadet.
Mittlerweile bin ich aber ein sehr braver Mensch, der nicht mal einer Fliege was zuleide tut solange ich sie nicht erwischt habe. 😆😇😁
Kurt Binder
schrieb am 09.08.2020, 08:54 Uhr
Da hab ich noch ein Schmankerl für euch:

XY – selbst gelöst!
(zum Klassentreffen 1998, stark gekürzt)

Aus welchem Grund ich dies Gedicht geschrieben?
Ihr glaubt es nicht - es war die böse Sieben!

Die Volksschul’ hatte uns ja drauf dressiert,
wie man die Zwei korrekt zur Zwei addiert,
und heute endlich, ja, da wissen wir,
dass zwei und zwei ergeben - etwa vier.
Gerüstet traten wir nun Mann für Mann
zum schwierigen Algebrastudium an.
Da musste man statt Ziffern oder Zahlen
Buchstaben an die schwarze Tafel malen,
und sie dann teilen oder gar quadrieren -
beim Zeus, wer soll das alles noch kapieren?

Hat Mathe uns erst das Gemüt verhärtet,
so wurde sie vom Lehrer aufgewertet,
von dem als gute Fachkraft sehr bekannten,
den alle scherzhaft nur den „Lujo“ nannten.
Professor Ludwig Wagner merkte zwar,
das Rechnen jedermannes Sach’ nicht war.
Dennoch bemüht’ er sich mit Frust und Liebe,
dass selbst im Dümmsten etwas picken bliebe,

Nun gabs in dieser smarten Klasse einen,
der war mit dem Zinnober nicht im Reinen.
Obzwar er manches Mal von seinem Grieß
auch etwas Schlaueres vom Stapel ließ
aus einem der verständlichen Gebiete -
in Mathe war er eine echte Niete.

Doch sollte irgendwann in jenen Tagen
die Stund’ einer gewissen Wahrheit schlagen,
denn Lujo meinte eines Tags jovial:
„Wir schreiben heute ein Extemporal!“
„Prost Mahlzeit“, dachte ich, „jetzt geht es los;
die Sach’ geht sicher wieder in die Hos’.“

Tatsächlich, als ich dann auf einem Blatte
die Hieroglyphen alle vor mir hatte -
‘ne höhnisch grinsende schwarz-weiß Parade -
da sank mein banges Herz tief in die Wade.
Es wurde mir unmissverständlich klar,
dass hiervon wirklich nichts zu lösen war.

Gleich hinter mir saß Wilfried, der erkannte,
wie ich total in Skepsis mich verrannte.
Und ihm war klar: In solchen Psycho-Zwängen
lässt man den alten Freund nicht einfach hängen.
Bloß musste man, um Lujo auszutricksen,
strategisch etwas Adäquates mixen.
Schnell wählte Wilfried, nach bewährter Mode,
die klassische Informationsmethode,
die zeitlos war und immer sehr diskret,
in bester Pesper-pesper-Qualität.

Auf einmal da lief alles wie geschmiert -
so schnell hab ich die Mathe nie kapiert.
Ich lauschte den akustischen Signalen
und wandelte sie einfach um in Zahlen.
Doch halt! Die Siebte hier schien mir bekannt -
ich winkte kurz nach hinten mit der Hand,
und dankte seines Vaters braven Sohn
für seine Tele-Kommunikation.
Denn diese hier - ich sah’s mit einem Blick -
lös ich allein, auch ohne Flüster-Trick!

Rasch hatte ich, vom Basteltrieb beseelt,
die beste Lösungsart dazu gewählt,
die As und Bs sehr sorgsam abgezählt,
das X mit seinem Üpsilon vermählt,
dann ein Quadrat, präzis und unverfehlt,
mit Wurzelziehn ohne Narkos’ gequält -
und fühlte mich hernach wie ein Genie
der Relativitätentheorie!

Die nächste Stunde kam - ich war gespannt,
und starrte zu der Türe wie gebannt.
Kaum war der helle Glockenton verhallt,
betrat den alten Klassenraum alsbald
Professor Wagner mit gemessnem Schritte,
und lugte zweifelnd zu der Klassenmitte.
Dort huckte, bangend wie ein armer Sünder,
der damals noch sehr kleine Kurti Binder.

Nachdem mich Lujos Blick mehrfach durchbohrt,
und mich in bangen Zweifeln gar geschmort,
legt’ er bedächtig und betont formal
vor meine Augen mein Extemporal -
und sah mich lange ziemlich fragend an;
doch als gebrochen dann der Spannung Bann
betrachtete ich wie elektrisiert
mein Blatt - mit einer roten Zehn verziert!


Zwar hatte man’s dem Lujo angeschaut,
dass er mir so was niemals zugetraut,
doch diesmal hatte klar er den Beweis,
dass auch der Binder manchmal etwas weiß!
So fasste in verhalt’nem Mezzoforte
er seinen Unmut schroff in diese Worte:
„Auch blinde Hühner finden mal ein Korn;
wer war wohl diesmal deines Wissens Born?
In einem hast du es zu weit getrieben -
die Siebte hast du sicher abgeschrieben!“

Mein junger Stolz begann sich heiß zu regen -
ich war entschlossen, ihn zu widerlegen.
Und ich sprang auf und rief zutiefst erböst:
„Neein – grad die Siebte hab ich selbst gelöst!“




Kurt Binder
schrieb am 09.08.2020, 09:02 Uhr
Reiner Zufall, lieber Sepp, dass ich mein XY fast zeitgleich mit Deinen Gänsen eingeflogen habe! Hoffe, wir und alle anderen amüsieren uns trotzdem!

Schönen Sonntag

Astro-Kurt (laut Tarimona)
Lybelle
schrieb am 09.08.2020, 09:26 Uhr
Einfach herrlich Kurt, einfach köstlich😆👍
Tarimona
schrieb am 09.08.2020, 18:07 Uhr
Aber wirklich Kurt, du hast dich selbst übertroffen :-)
Kurt Binder
schrieb am 15.08.2020, 17:52 Uhr
Wie ich als Mann einge-Glied-ert wurde

Mit der Segenshandlung der Konfirmation wurde auch für mich der Eintritt ins kirchliche Erwachsenenleben markiert. Das verstand ich so, dass ich nun bald nicht mehr ein Bub, sondern ein Mann sein werde! So marschierte ich im vollsten Bewusstsein meiner künftigen Männlichkeit zum Schneidermeister Klamer, um mir meinen ersten Maßanzug fertigen zu lassen. Klamer war unser Nachbar in der Neustift Nr. 1 in Hermannstadt.
Es ist mir heute ein Rätsel, woher meine Mutter damals in einer Zeit höchster materieller Not das Geld für ein maßgeschneidertes Kleidungsstück auftreiben konnte. Dass dieser finanzielle Kraftakt sicher mit Opfern verbunden war, die wir Kinder kaum bemerkt hatten, kann ich erst heute so richtig nachvollziehen, wenn ich ihn vor dem Hintergrund unserer lange andauernden Armut betrachte.
Am lebendigsten ist mir das Maßnehmen im Gedächtnis geblieben. Da meine Mutter in der Fabrik war, ging ich allein zum Schneidermeister. Er erkannte mich auch gleich wieder, obwohl er mich zum letzten Mal als Kind von 11 Jahren gesehen hatte.
„Joi, der junge Herr Bindär! Grieß Sie Gott!“, rief er mir mit stark ungarischem Akzent zu und reichte mir die Hand. Herr Klamer war klein und trug einen beachtlichen Bauch vor sich her. Seine Hose wurde von breiten Hosenträgern oben gehalten. Trotz der Hitze in der kleinen Werkstatt trug er noch eine Weste über dem Hemd, um den Hals schlang sich ein gelbes Meterband und am linken Unterarm trug er an einem elastischen Armband ein rotes Nadelkissen, gespickt mit einer Menge Näh- und Stecknadeln.
Die Begrüßung mit seiner Frau war nicht weniger herzlich, und auch ihre Tochter Bobutzi kam aus der Küche herein. Hinter ihr versteckte sich schüchtern ein etwa 9 Jahre altes Mädchen. Ich erkannte sie kaum wieder. Es war Bobutzis Tochter, die Zutzi genannt wurde. Meister Klamer wusste, was er zu tun hatte, denn meine Mutter war vor einigen Tagen hier und hatte ihm Bescheid gesagt. Klamers waren Ungarn und ebenfalls protestantisch. Er klopfte mir gönnerhaft auf die Schulter und teilte mir mit, wie er sich freue, dass ich nun bald auch zu den Erwachsenen zählen werde.
Dann begann das Maßnehmen. Mit dem Meterband maß er die Schulterbreite, die Armlänge, den Brust- und Bauchumfang, die Beinlänge außen und innen, und als er mir mit geübten Griffen im Schritt aufwärts fuhr, hielt er einen Augenblick inne und fragte:
„Wo tragen Sie ihn, Herr Bindär?“ Ich wusste nicht, wen er meinte und fragte verständnislos:
„Wen ... wen meinen Sie?“ Klamer lächelte mich verschmitzt an.
„Na - ihn!“ Und er machte eine Kopfbewegung in die Richtung meiner Oberschenkel. Ich muss ihn wohl ziemlich teppet angestarrt haben, denn er fragte noch einmal:
„Ihn, Herr Bindär, Ihren Kleinen da - wo tragen Sie ihn?“ Dann wandte er sich an seine Frau:
„Hogyan mondod a péniszröl nemetül?“ (Wie sagt man zum Penis auf Deutsch?) Frau Klamer wusste Bescheid.
„Azt mondom, hogy Glied hivják!“ (Ich sage Glied!) antwortete sie routiniert und völlig unbefangen. Er nickte ihr zu und wiederholte:
„Wo tragen Sie den Glied, Herr Bindär - links oder rechts?“ Ich hatte bis dahin nicht gewusst, dass man IHN in eine bestimmte Richtung trimmen musste, und so sagte ich auf gut Glück:
„Rechts!“ Klamer nickte und erklärte mir, dass jeder Mann „den Glied“ entweder links oder rechts trüge, einfach so - rein vom Gefühl her. Dementsprechend müsse er die Hose im Schritt in die eine oder andere Richtung etwas mehr ausschneiden. Das verstand ich erst, als ich meinen neuen Anzug zum ersten Mal zur Konfirmation anzog und IHN - rein vom Gefühl her - immer wieder zurechtrücken musste. Ich war nämlich Linksträger!
Doch hätte Meister Klamer IHN gleich beim gängigen rumänischen Namen genannt, hätte ich natürlich sofort kapiert!





Lybelle
schrieb am 16.08.2020, 08:51 Uhr
Aber hallo Kurt, da hat Mann sich sifort einen halben Meter größer und Erwachsener gefühlt😜😉😆😆😆.

Ich erinnere mich auch noch an meine Konfirmation und die Aufnahme in die junge Bruderschaft. Dass waren noch Zeiten - ok jetzt sind andere Zeiten und vieles ist anders. Wenn ich zurück denke, wie die Tracht ausgeliehen wurde und dann trotzdem Alles noch zu groß war......... Da hat einer fast wie ein zu kleingewachsener Kleiderständer ausschaut der in die Tracht noch reinwachsen muss. Aber mit den Stiefeln welche bis zur Kniekehle reichten und auch viel zu groß waren konnte man große Schritte machen. Da kam man vom Fleck. Also maßgeschneidert war nix, Alles in Übergrößen. 😆😆😆
Wir wurden dann von den Erwachsenen "Alten" belächelt weil man in der Tracht schwimmen konnte - und manch einer dachte man sähe gut aus - müsse nur noch wachsen.
Der Einstand in die Bruderschaft und das Zeigen dass man
Irgendwie würdig war bestand dann darin: indem wir ein Lied singen mussten und ein sehr großes Glas Wein auf ex austrinken.
Das Lied glaub ich wär Auf Kreta im Sturmwind und im Regen, und nach dem Wein war ich doch sehr müde geworden und zwar recht schnell. Aber es war halt der Brauch dort so. Ein etwas fragwürdiger Brauch, aber das wurde fortgeführt ohne etwas zu ändern, was ja fast an ein Verbrechen gegrenzt hätte.
Als ich dann Jahre später zum Altknecht der jungen Bruderschaft gewählt wurde, hab ich ein normales Weinglas für die Einweihung hergekommen. Es gab schon einige Proteste aber ich war halt der Altknecht und somit wurde es auch umgesetzt.
Es sind schöne Erinnerungen an eine schöne Zeit welche ich nicht ins Vergessen geraten lassen möchte.
Wünsche euch Allen einen schönen Sonntag, und bis bald.
Tarimona
schrieb am 16.08.2020, 19:00 Uhr
Kreisch.. also wirklich Kurt, sowas geht ja gar nicht! :-) Da purzeln Gedanken im Kopf herum und plötzlich sieht man diverse Ausrufe des Militärs in einem ganz anderen Licht. Zum Beispiel diese hier:
"Alle in Reih' und Glied aufstellen" (Was die das wohl bedeutet?)
"Im Gleichschritt Marsch" (Im Schritt Marsch - hääää?)
"Links zwo, drei, vier, Rechts zwo, drei, vier" (ja, ja, rechts oder links das ist hier die Frage - wahrscheinlich wurde schon Shakespeare bzw. Hamlet falsch interpretiert)

Lybelle, was für eine herrliche Formulierung der kleingewachsene Kleiderständer :-) Sehr schöne Erinnerung


Kurt Binder
schrieb am 17.08.2020, 16:51 Uhr
Der Butterfly Effekt

Wenn ein kleiner ungarischer Schneidermeister 1948 geahnt hätte, dass er mit seinem Sexual-Untericht an einem 15-jährigen Konfitmationsanzug 72 Jahre später die militärische Marschordnung in Frage stellen würde, wäre er sicher Kriegsminister geworden.
Hätte Meister Klamer damals den Ausschnitt links anstatt rechts gemacht, hätte das zwar keinen Tornado in Texas ausgelöst, mir aber jedenfalls die Veitstanz ähnlichen Zuckungen während des Konfirmations-Zeremonials erspart!
Jawoll, Tarimona, Der „Gleichschritt im Marsch" eröffnet Spielraum für blühende Phantasien. Die Aufstellung in "Reihen" wäre somit die grobe, jene im "Glied" die Fein-Ausrichtung der Krieger - im Sinne einer Umstrukrurierung der Waffenbrüder gerade noch akzeptabel.
Aber – der Soldateska eine Links- oder Rechtsorientierung aufoktroyieren zu wollen, das ginge entschieden zu weit ;-((( !
Kurt Binder
schrieb am 17.08.2020, 16:56 Uhr
Herrlich, Sepp, die XXL-Tracht, in die Mann hineinspringen musste, um dann in Siebenmeilen-Stiefeln zu schwimmen. Da wir in der Stadt gelebt haben, sind mir manche unsrer Bräuche nur vage vom Hörensagen bekannt. Amüsant fand ich, dass der Status eines Mann durch das Ex-Trinken eines großen Glases Unterwälder eindeutig erwiesen war! Doch - warum musste man dazu in Sturm und Regen auf Kreta hüpfen :-)) ?
Lybelle
schrieb am 17.08.2020, 20:46 Uhr
Wir haben das Lied gesungen, weil wir da textsicherer waren als z. B. FERN BEI SEDAN AUF DEN HÖHEN. Es waren eh solche Lieder welche unsere Großväter mit nach Hause brachten vom 2ten WK. Aber das Weinglas hatte es in sich. 1/2 Liter Rebensaft, Du der haut rein sag ich Dir. 😁😁😁.
Lybelle
schrieb am 17.08.2020, 20:49 Uhr
Ja, also gehüpft sind wir da nicht - eher stramm gestanden in Reih und Glied😆😆😆😆😆
Kurt Binder
schrieb am 22.08.2020, 09:46 Uhr
Die den Buckel hinunterrutschen

Es war die wohl skurrilste 1. Mai-Feier, an die ich mich erinnere. Der internationale Tag der Arbeit wurde in Rumänien mit großem Pomp gefeiert, an dem – wer erinnert sich nicht gerne daran - der traditionelle Umzug, die „defilare“ stattfand. Dieser wurde akribisch vorbereitet mit Transparenten mit glorifizierenden Slogans, Fahnen und Bildern des Zentralkomitees, welche dann leider nur wenige Auserwählte wie eine Sänfte tragen durften. Auf dem Großen Ring in Hermannstadt wurde eine große Tribüne aufgebaut, von der aus die Prominenz der im Marsch befindlichen Arbeiterklasse huldvoll herabwinken musste, welche zum Dank für diese rare Zuwendung alles nur Erdenkliche hochleben ließ.
Nun bestand ja unsre damalige Clique, die Gaschkă, aus sechs Arbeitskollegen, die alle begeisterte Skifahrer waren. Und da der diesjährige 1. Mai auf einen Freitag fiel, wäre das ein herrliches Wochenende auf dem Surul im Fogarascher Gebirge geworden, damals unser liebstes Skigebiet. Natürlich waren wir alle scharf darauf, während des Defilees unsre Vaterlandsliebe und besonders die Parteitreue zu bekunden. Doch die Sache hatte einen gewaltigen Haken: Wir mussten den letzten Zug erreichen, der kurz nach Mittag in Richtung Şebeşu de Jos am Fuße der Fogarascher Berge abfuhr – und das dürfte denkbar knapp ausfallen. Den Defiliermarsch ganz zu schwänzen, war zu riskant, denn der Abteilungsleiter hatte überall seine „căţei“, die „Hündchen“, als Spionchen eingestreut, um die Fehlenden unauffällig zu ermitteln und der Obrigkeit zu melden. Und nach so vielen Jahren wusste man bereits, auf wen das Augenmerk hauptsächlich zu richten war! Als mussten wir dabei sein. Und so gab es nur eine Lösung: Wir mussten im Skianzug, mit Rucksack und Skiern defilieren gehen! Und das taten wir auch!
Der 1. Mai war ein sonniger, heißer Tag, und überall blühten bereits die Frühlingsblumen. Die Freude unsrer Arbeitskollegen war unbeschreiblich, als wir auf dem Bahnhof in voller Montur anrückten. Es hagelte Bemerkungen, die sich gegenseitig an Originalität überboten:
Ob wir zum Gras-Skifahren gingen? Eine Zirkusvorstellung? Härtetraining im Dampfbad? Ein Fasching? Zum Glück formierten wir uns bald und der Zug setzte sich in Bewegung. Der Umzug sollte durch die Bahngasse in Richtung Großer Ring hinaufgehen, am Winke-Winke-Panoptikum vorbei, und dann in die Heltauergasse einschwenken, an deren Ende er sich dann auflöste. Von hier mussten wir uns dann eiligst verkrümeln und zum Bahnhof laufen.
Wir näherten uns der Tribüne. Hier kündigte eine sonore Stimme immer an, welche Firma jeweils vorbeizog. Doch dann entdeckte ich zu meinem Schrecken auf der Tribüne den Genossen Vintilă, unsren Syndikatschef! Der hatte mich auf dem Kieker, weil ich mich geweigert hatte, eine Zeitung zu abonnieren. Auch er erblickte mich sofort unter den sechs komischen Gestalten, die so gar nicht in das übliche Bild dieses mit Pathos zelebrierten Feiertages passten, und sein Blick verfinsterte sich. Er holte einen Schreibblock aus der Tasche, um unsre Namen zu notieren.
Zum Kneifen war es zu spät, also guckten wir keck in die Höhe und marschierten forsch auf die Tribüne zu. Für alle Fälle begann ich eine spontan improvisierte, schlagkräftige Parole zu skandieren, die mit dem obligatorischen „Trăiască ...!“ „Es lebe ...!“ begann, und in die geistesgegenwärtig erst meine Freunde, und dann die ganze Truppe einfiel. .Und als wir auf der Höhe der Tribüne waren, ertönte die allerdings etwas zögerliche Stimme des Herolds:
„Si acum ... acuma trece ... trece echipa de schiori a fabricii Independenţa!“ „Und jetzt ... jetzt schreitet ... schreitet die Skifahrermannschaft der Independenţa-Fabrik vorbei!“ Obwohl der Syndikatschef noch nie von der Existenz einer solchen gehört hatte, machte er sich anscheinend keine weiteren Gedanken darüber, sondern winkte uns freundlich zu, da wir ja hiermit der Firma zu einem zusätzlichen Renommee verholfen hatten. Wir aber flitzten acht Minuten später um zwei Ecken, bogen in die Harteneckgasse ein und galoppierten zum Bahnhof.
Es war ein königliches Wochenende! Frische Höhenluft, Sonne und ein herrlicher Firnschnee befeuerten uns, dem alten Surul diesmal mit besondrem Vergnügen den Buckel hinunterzurutschen.

Tarimona
schrieb am 22.08.2020, 13:27 Uhr
Lieber Kurt, deine Zeilen haben mich weit in die Vergangenheit zurück versetzt. Wie gut kann ich das nachempfinden. Herrlich erzählt.

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