Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur

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seberg
schrieb am 27.01.2014, 13:11 Uhr
Interessanter Disput zwischen Gerri und Johann:

Die kommunistische Idee ist edel, aber eben...Idee.

(Ich habe Anfang der 70er Jahre hier in D. ein rumänisches Ehepaar kennen gelernt, deren Eltern zu den Kommunisten der ersten Stunde gehörten. Das junge Ehepaar hatte sich in die BRD abgesetzt, weil sie oder schon die Elter in Ungnade gefallen waren. Waren sie nicht prăpădiţi genug? Waren sie zu edel? - Allerdings hatten beide in Bukarest schon in den 60er Jahren ein Medizinstudium abschließen können - vermutlich gerade auch wegen ihrer origine foarte sănătoasă, während zur gleichen Zeit andere noch/schon seit Jahren Fabrikmalocher war, ebenfalls wegen ihrer origine...aber einer mai puţin sănătoasă...)

Edle Gerechtigkeit a la gerri

Wie edel oder prăpădit das rum. Ehepaar aus der kommunistischer Familie wirklich war, weiß ich bis heute nicht. Haben sie vielleicht nur ihre Haut gerettet?

Was sind überhaupt "prăpădiţi", Johann?

Gibt's Edle hier und Elende dort?

Wie war das noch mit dem Aufarbeiten der Vergangenheit? Mit dem Erinnern und trotzdem auch Vergessen können?

Auch wenn die Idee noch so edel ist - und gerade dann! - kann auch der letzte prăpădit an ihr Gefallen finden...aber weniger um selbst vom prăpădit zum "Edlen" zu werden, sondern um die edle Idee zu "prăpădieren"...

Bis zur nächsten edlen Idee...

Hoffentlich aber nicht wieder all zu edel im Sinne von gerris edler Gerechtigkeits-Idee.

Denn "prăpădiţi" im Sinne Johanns wird's immer geben...

Auch edle Selbstgerechte können übrigens so was von prăpădiţi sein!

...je weniger edle Idee, desto gerecht?
seberg
schrieb am 27.01.2014, 13:31 Uhr
Reichtum wurde immer weiter vererbt,die wussten doch gar nichtmehr wie man dafür arbeiten müsste,irgendwann sollten sie es doch auch lernen.
Gerri, dein Weltbild ist so schrecklich simpel, dass man nur hoffen kann, dass Du bis zu Deinem Lebensende in der Demokratie leben wirst, wo Du außer hier im Forum nichts zu sagen hast.
gerri
schrieb am 27.01.2014, 16:12 Uhr (am 27.01.2014, 16:16 Uhr geändert).
@ Das hättet ihr wohl gerne gehabt,aber ein bischen die Nase stutzen hat nicht geschadet,sonst würden die sogenannten Herren Heutzutage nicht so "menschlich umgehen" (müssen/nicht unbedingt wollen).
Nichts hällt ewig,es kann sich jederzeit wiederholen.
Meine persönliche Meinung der Lebensschule und Meinung ,34 Jahre dort,35 jahre hier.
seberg
schrieb am 27.01.2014, 16:22 Uhr
Das ist leider richtig, so lange sich in Köpfen wie deinem nichts bewegt, kann sich jederzeit alles wiederholen...
bankban
schrieb am 27.01.2014, 17:18 Uhr
Nur prăpădiți aus allen Bevölkerungsgruppen (Sachsen, Rumänen, Ungarn, Zigeunern etc. ) waren Kommunisten.

Ich gebe zu, das Wort "präpäditi" nicht ganz zu verstehen. Jedoch glaube ich darunter so etwas verstehen zu dürfen wie "nenorociti", also irgendwelche moralisch verkommene, geistig wie materiell verlotterte, vielleicht auch orientierungslos gewordene Menschen.

Ohne dem Satz widersprechen zu wollen (wenngleich man ihn ob seines Absolutheitsanspruchs und der Kontextlosigkeit durchaus kritisieren könnte; aber darum geht es mir nicht) --- also, ohne den Satz widerlegen zu wollen, würde mich, Johann, deine Meinung zu der Riege intellektuell hochkarätiger Menschen interessieren (etwa aus dem deutschen oder französischen, englischen Kulturleben), über die man doch kaum behaupten kann, sie seien geistig-moralisch ohne Kompass oder auch Unglückselige, Verbrecher gewesen, und welche Personen aber dennoch sehr weit links waren ... bis hin zur Mitgliedschaft in der einen oder anderen kommunistischen Partei (Sartre).
Waren die auch präpäditi?
S.Roth
schrieb am 27.01.2014, 17:56 Uhr (am 27.01.2014, 18:02 Uhr geändert).
prăpădit = elend

PRĂPĂDÍT, -Ă, prăpădiți, -te, adj. (Despre obiecte, clădiri, bunuri etc.) Care se află într-o stare mizerabilă, care este stricat, deteriorat, dărâmat, sărăcăcios; (despre ființe) cu forțele fizice (sau morale) epuizate; vlăguit, extenuat, sfârșit. ♦
(Substantivat) Om sărac, sărman; om nenorocit, amărât; p. ext. om chinuit, nefericit, obidit.

aber auch: mă prăpădesc de rîs... ori de plîns

Link
_grumpes
schrieb am 27.01.2014, 18:11 Uhr (am 27.01.2014, 18:20 Uhr geändert).
Vielleicht hätte Gogol die richtige Definition für "Prăpădiţi gehabt:
Die toten Seelen
Figuren:
Tschitschikow ist differenziert als Emporkömmling gezeichnet, der zäh mit allen, auch unlauteren, Mitteln und ohne moralische Bedenken an seinem gesellschaftlichen Aufstieg arbeitet und nach Erreichen einer herausgehobenen Stellung in Luxus schwelgt und korrupt ist. Stringent verfolgt er sein Ziel, ohne Arbeit zu Reichtum zu kommen, zeigt aber nach Erreichen seines Ziels eine erstaunliche Labilität. Der in Amerika tätige russische Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Vladimir Nabokov fand in seinem Charakter Attribute der „Poschlost“ (пошлость – das schwer übersetzbare russische Wort bedeutet etwa Mittelklassen-Anmaßung, Banalität oder Spießbürgertum). Die fünf Gutsbesitzer haben sprechende Namen, die ebenso wie die Beschreibung ihres Gutes und dessen Umgebung mit ihren übertrieben dargestellten Charaktereigenschaften korrespondieren: Manilow (umständlich, überhöflich, freigiebig), Nosdrew (Lügner, Betrüger, Spieler, Denunziant, Provokateur), Sobakewitsch (grob, kantig, schroff, wortkarg, mit Bauernschläue), Pljuschkin (verwahrloster Messie, Geizhals) und Frau Korobotschka (kleinlich, geizig, hinterwäldlerisch, misstrauisch). Die anderen Akteure haben nur Funktionsbezeichnungen (Gouverneur, Postmeister, Staatsanwalt), sind also nicht individualisiert, weil sie das Geschehen nur flankieren und nicht bestimmen, in ihrer Banalität und Mittelmäßigkeit aber auch austauschbar sind. Allen gemeinsam ist, dass sie im Grunde die eigentlichen „toten Seelen“ sind, da sie keine Züge von Menschlichkeit haben, sondern in ihrem jeweiligen Habitus erstarrt sind.

Im damaligen Russland wurden verstorbene Leibeigene, die man auch als „Seelen“ bezeichnete, bis zur nächsten Revision nicht aus den Listen gestrichen und waren somit auf dem Papier nicht als Tote und damit wertloser Besitz zu identifizieren (siehe Revisionsseelen). Für diese „toten Seelen“ mussten von ihren Besitzern auch noch Steuern entrichtet werden, was gerade in Krisenzeiten mit hoher Sterblichkeit (Hunger, Seuchen) zu absurden Belastungen für die dann ohnehin gebeutelten Gutsbesitzer führte. Da der Staat also keinen Überblick über nach der letzten Revision gestorbene Leibeigene hatte, war es zudem möglich, diese rechtlich beglaubigt zu kaufen. Gutsbesitzer konnten sowohl ihre Höfe als auch ihre Leibeigenen an den Staat verpfänden.

Barbara Conrad
arbeitet „das eigentliche Thema Gogols heraus: die Durchschnittlichkeit und Banalität des Bösen, in das sich der Mensch mit seinen armseligen Leidenschaften verstrickt, sodass von ihm selbst, von seiner Seele, nichts mehr übrig bleibt."
jodradek
schrieb am 27.01.2014, 19:34 Uhr
@seberg
Gerri, dein Weltbild ist so schrecklich simpel, dass man nur hoffen kann, dass Du bis zu Deinem Lebensende in der Demokratie leben wirst, wo Du außer hier im Forum nichts zu sagen hast.

Wie wahr!
Vor allem dass es auch für dich wie für viele anderen Kameraden hier gilt.
getkiss
schrieb am 27.01.2014, 22:27 Uhr
dass Du bis zu Deinem Lebensende in der Demokratie leben wirst, wo Du außer hier im Forum nichts zu sagen hast

Es stimmt; In der Demokratie hat per Definitionem "die Mehrheit" das sagen.
Aber wenn der einzelne nur noch in einem Forum was zu sagen hat, ist es keine Demokratie mehr. Der einzelne sollte wo immer seine Meinung kundtun können.
Denn wenn nicht, verkommt die Demokratie zur Demokratur. Und von da, ist´s nur noch ein Schritt zur Diktatur.

Wir haben Sie erlebt. Da war nur noch die vorgeschriebene und nachgeplapperte Meinung hörbar. Andere Meinungen äußerte man nicht (laut), es sei, man fand einen Weg via Europa Liberă.....
bankban
schrieb am 18.04.2014, 07:04 Uhr
Interessante, druckfrische Neuerscheinung: Die Securitate in Siebenbürgen. Hg. v. J. Puttkamer, Stefan Sienerth u. U.A. Wien. Köln u.a. 2014.

Darin zumindest dem Titel nach viel versprechende Aufsätze:
- Dragos Petrescu: The Resistance that wasn't: Romanian Intellectuals, the Securitate and Resistance through Culture.
- Hannelore Baier: Objekt und Instrument. Die deutsche Minderheit im Fokus der Securitate
- Liviu Burlacu: Maßnahmenpläne der Securitate gegen deutsche Schriftsteller in Rumänien
- Cristina Petrescu: Eine Zeugin gegen die Securitate. Herta Müller versus Akte "Cristina"
- Michael Markel: Im Fadenkreuz der Verleumdung. Die Klausenburger Germanistik im Spiegel von Securitate-Akten

(u.v.m.)

Ich denke, wer noch ein verspätetes Ostergeschenk braucht...
getkiss
schrieb am 18.04.2014, 07:13 Uhr
Danke für die Info, @bankban.
Doch lieber esse ich schön gefärbte harte Eier; das geschilderte Thema wär was für Jodradek....
bankban
schrieb am 18.04.2014, 07:31 Uhr
geschilderte Thema wär was für Jodradek

Nein, das sehe ich nicht so. Das Thema ist für alle, die sich für die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit interessieren. Wir sollten und dürfen nicht vergessen: auch unter den Deutschen bzw. Sachsen gab es Verfolgte und Opfer der Securitate - genauso wie es auch Täter und Verfolger unter ihnen gab (H.O.Roth wurde etwa von einigen deutschen Mitläufern ans Messer geliefert).
orbo
schrieb am 18.04.2014, 08:02 Uhr
Das kann man nur unterstreichen, bb, aber das Beispiel kann ich nicht ganz verstehen. Roth fuhr aus eigenem Antrieb nach Bukarest, in der Absicht etwas auf politischer Ebene für seine Landsleute zu tun. Die Kommunisten behielten ihn dann gleich dort. Seine politische Laufbahn war denen ja bekannt und ein Dorn im Auge...
bankban
schrieb am 18.04.2014, 08:08 Uhr
aber das Beispiel kann ich nicht ganz verstehen

Lies mal, bitte, die (neue) Roth-Biografie von Thomas Frühmesser. Der zitiert dort aus den Denunziationen und Roth verleumdenden Briefen an die Securitate und Zeitungsartikeln (Autorennamen gefällig? Brandsch, Fuß, Andree).
orbo
schrieb am 18.04.2014, 09:08 Uhr
bb, danke für die Gefälligkeit.
In der Nachkriegszeit haben die Kommunisten gezielt die ehemalige politische Elite auszulöschen gesucht. Einige in Jilava, andere in Sighetul Marmaţiei u.a. Dass sie dabei andere unter Druck gesetzt haben um "legale" Gründe dafür zu haben steht ausser Frage, war Teil des Systems...
Aber OK, danke für den Hinweis zur neuen Biografie Roths.

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