Ein schönes Gedicht

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Haiduc
schrieb am 14.01.2013, 22:37 Uhr
An mein Kind

Dir will ich meines Liebsten Augen geben
Und seiner Seele flammenreiches Glühn.
Ein Träumer wirst du sein und dennoch kühn
Verschloßne Tore aus den Angeln heben.

Wirst ausziehn, das gelobte Glück zu schmieden.
Dein Weg sei frei. Denn aller Weisheit Schluß
Bleibt doch zuletzt, daß jedermann hienieden
All seine Fehler selbst begehen muß.

Ich kann vor keinem Abgrund dich bewahren,
Hoch in die Wolken hängte Gott den Kranz.
Nur eines nimm von dem, was ich erfahren:
Wer du auch seist, nur eines - sei es ganz!

Du bist, vergiß es nicht, von jenem Baume,
Der ewig zweigte und nie Wurzeln schlug.
Der Freiheit Fackel leuchtet uns im Traume -
Bewahr den Tropfen Öl im alten Krug!

(Mascha Kaléko)
Herzchen
schrieb am 15.01.2013, 11:48 Uhr
Gedicht zum Trost

Weil Deine Augen so voll Trauer sind,

Und Deine Stirn so schwer ist von Gedanken,

Lass mich Dich trösten, so wie man ein Kind

In Schlaf einsingt, wenn letzte Sterne sanken.

Die Sonne ruf ich an, das Meer, den Wind,

Dir ihren hellsten Sonnentag zu schenken,

Den schönsten Traum auf Dich herabzusenken,

Weil Deine Nächte so voll Wolken sind.

Und wenn Dein Mund ein neues Lied beginnt,

Dann will ich Meer und Wind und Sonne danken,

Weil Deine Augen so voll Trauer sind,

Und Deine Stirn so schwer ist von Gedanken

(Mascha Kaleko)
Haiduc
schrieb am 18.01.2013, 17:16 Uhr
Herzchen
schrieb am 18.01.2013, 17:37 Uhr (am 18.01.2013, 17:38 Uhr geändert).
Hesse kann auch kitschig sein.
Bei youtube.com "verpackt" wie dieses "Nebel"-Gedicht, bleibt nur noch zu sagen - seltsam...
Ich mag Hesse normalerweise recht gern, aber wenn er zu offensichtlich im "Stoff" zu sein scheint, könnt´ ich ausrasten - wie bei allen "Künstlern" - damals wie heute -, die scheinbar nur im "weißen Rausch" "können" ...
Hesse war ja bekannt dafür ...
Herzchen
schrieb am 18.01.2013, 17:58 Uhr
Der Blinde

Sieh, er geht und unterbricht die Stadt,
die nicht ist auf seiner dunkeln Stelle,
wie ein dunkler Sprung durch eine helle
Tasse geht. Und wie auf einem Blatt

ist auf ihm der Widerschein der Dinge
aufgemalt; er nimmt ihn nicht hinein.
Nur sein Fühlen rührt sich, so als finge
es die Welt in kleinen Wellen ein

eine Stille, einen Widerstand -,
und dann scheint er wartend wen zu wählen:
hingegeben hebt er seine Hand,
festlich fast, wie um sich zu vermählen.


Rainer Maria Rilke, 21.8.1907, Paris
@ grumpes
schrieb am 18.01.2013, 18:08 Uhr
Und die Moral von der Geschicht
Gedicht von Charles Perrault

Und die Moral von der Geschicht;
Mädchen weich vom Wege nicht!
Bleib allein und halt nicht an,
Traue keinem fremden Mann!

Geh nie bis zum bittren Ende,
Gib dich nicht in fremde Hände!
Deine Schönheit zieht sie an -
Und ein Wolf ist jeder Mann!

Merk dir eines: in der Nacht
Ist schon mancher Wolf erwacht.
Weine um sie keine Träne-
Wölfe haben scharfe Zähne!

Charles Perrault




Herzchen
schrieb am 18.01.2013, 18:15 Uhr (am 18.01.2013, 18:16 Uhr geändert).
Sicher - die Ansprüche an jemanden oder an etwas sind verschieden.
So wird es möglicherweise Leute geben, denen das folgende Rilke-Gedicht ebenso kitschig erscheint wie z.B. mir die youtube-Version von Hesses "Einsam wandert es sich im Nebel".
Und doch, so glaube ich, sucht man bei Rilke vielleicht eher nach Worten, ehe man sie voreilig und leichtfertig ausspricht, wie z.B. bankban, der bei dem, von einer Userin im Koma Erlebten arrogant und ignorant einfach von Aberglauben und Dummheit spricht, es in die Esoterik-Schiene schiebt.
Rilke mag dem einen Kitsch und Esoterik bedeuten oder gar nichts oder sehr viel - wie mir. In vielen seiner einfühlsamen, behutsamen, Gedicht gewordenen Gedanken über Gott und die Welt kann ich mich wiederfinden.
Wunderschön, so klar, so an-rührend z. B. das folgende Gedicht:

Ich ließ meinen Engel lange nicht los

Ich ließ meinen Engel lange nicht los,
und er verarmte mir in den Armen
und wurde klein, und ich wurde groß:
und auf einmal war ich das Erbarmen,
und er eine zitternde Bitte bloß.

Da hab ich ihm seine Himmel gegeben, -
und er ließ mir das Nahe, daraus er entschwand;
er lernte das Schweben, ich lernte das Leben,
und wir haben langsam einander erkannt...


Rainer Maria Rilke, 22.2.1898, Berlin-Wilmersdorf
Herzchen
schrieb am 18.01.2013, 18:21 Uhr (am 18.01.2013, 18:22 Uhr geändert).
@grump´l
Dein Posting - sowohl das "Gedicht" selbst als auch dein "Timing" erinnern mich an deine Rüge von einst an mich, das "Scheiß"-Liedchen gehöre nicht in die Reihe der mehr oder weniger schönen Musik-Postings.
Dein gerade gepostetes "Moral"-Gedicht passt noch weniger zum Zeitpunkt in die Reihe der kostbaren Rilke-Gedichte, mein Lieber.
Haiduc
schrieb am 18.01.2013, 21:25 Uhr
Herzchen
schrieb am 18.01.2013, 22:30 Uhr
Ja, die "Stufen" ... Ein wunderbarer Hesse...

Hier noch ein wunderbarer Rilke, aus dem Stundenbuch:

Da neigt sich die Stunde und rührt mich an

Da neigt sich die Stunde und rührt mich an
mit klarem, metallenem Schlag:
mir zittern die Sinne. Ich fühle: ich kann -
und ich fasse den plastischen Tag.

Nichts war noch vollendet, eh ich es erschaut,
ein jedes Werden stand still.
Meine Blicke sind reif, und wie eine Braut
kommt jedem das Ding, das er will.

Nichts ist mir zu klein, und ich lieb es trotzdem
und mal es auf Goldgrund und groß
und halte es hoch, und ich weiß nicht wem
löst es die Seele los...


Rainer Maria Rilke, 20.9.1899, Berlin-Schmargendorf



Lilith
schrieb am 20.01.2013, 21:43 Uhr (am 20.01.2013, 21:48 Uhr geändert).
Nichts ist mir zu klein, und ich lieb es trotzdem
und mal es auf Goldgrund und groß
und halte es hoch, und ich weiß nicht wem
löst es die Seele los...


Gradwanderung zwischen Wahnsinn und Genie, aus dem von ihm Verfassten schreit in wundersamer Weise eine gewisse Einsamkeit.
Van Gogh formuliert genau diese Einsamkeit etwas präziser; "mancher Mensch hat ein Feuer in seiner Seele u. niemand kommt um sich daran zu wärmen"
Eine Rock-Nachwuchskünstlerin besingt diese künstlerisch bedingte Einsamkeit total nüchtern (aber trotzdem wunderbar);
weißt du wie die Dichter schreiben?

Rilkes "Panther" war irgendwie während der Schulzeit ein Symbol meiner (durch das "System" bedingte) Tristess, dennoch trage ich Rilkes Raubkatze gedanklich sehr gerne öfters vor, vll auch weil ich im Chor mit Mitschülern u. einem gewissen (im wahrsten Sinne) Herrn Lehrer, der merkwürdigerweise u. vll rein zufällig (?) Sebergs eigentlichen vollen Namen trug bzw. trägt, "die Gedanken sind frei" als restaurierende Happy-ness gesungen hab

(wie klein ist die Welt, wie klein Siebenbuergen? Koinzidenz?)
bankban
schrieb am 20.01.2013, 22:15 Uhr
Und doch, so glaube ich, sucht man bei Rilke vielleicht eher nach Worten, ehe man sie voreilig und leichtfertig ausspricht, wie z.B. bankban, der bei dem, von einer Userin im Koma Erlebten arrogant und ignorant einfach von Aberglauben und Dummheit spricht, es in die Esoterik-Schiene schiebt.

Über Rilke habe ich kein Wort geschrieben. Bislang.
Wie meine Ansichten über Parapsychologie mit Rilke zusammenhängen sollen, weiss ich nicht.
Schleierhaft ist mir auch, wieso ich diesen oder jenen Dichter (etwa Hesse) nicht kitschig nennen soll oder darf, wenn er mir so erscheint und wenn ich es begründe.
Im Übrigen ist die Bewertung weiter Teile des Hesseschen Oeuvres als Kitsch nichts Neues.

Rilke hingegen halte ich für einen großen Dichter.
Insbesondere die "Duineser Elegien" sind für mich Kunst:

"WER, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.
Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf
dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen
wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,
und die findigen Tiere merken es schon,
daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind
in der gedeuteten Welt. Es bleibt uns vielleicht
irgend ein Baum an dem Abhang, daß wir ihn täglich
wiedersähen; es bleibt uns die Straße von gestern
und das verzogene Treusein einer Gewohnheit,
der es bei uns gefiel, und so blieb sie und ging nicht.
O und die Nacht, die Nacht, wenn der Wind voller Weltraum
uns am Angesicht zehrt –, wem bliebe sie nicht, die ersehnte,
sanft enttäuschende, welche dem einzelnen Herzen
mühsam bevorsteht. Ist sie den Liebenden leichter?
Ach, sie verdecken sich nur mit einander ihr Los.
Weißt du's noch nicht? Wirf aus den Armen die Leere
zu den Räumen hinzu, die wir atmen; vielleicht daß die Vögel
die erweiterte Luft fühlen mit innigerm Flug."
getkiss
schrieb am 21.01.2013, 04:04 Uhr
.... wenn der Wind voller Weltraum
uns am Angesicht zehrt
..... vielleicht daß die Vögel
die erweiterte Luft fühlen mit innigerm Flug."

Einfach herrlich, diese bildhaften Beschreibungen...
Herzchen
schrieb am 21.01.2013, 10:30 Uhr (am 21.01.2013, 10:31 Uhr geändert).
@bankban
Es ist schade, dass du dich von mir dort persönlich angesprochen fühlst, wo ich nicht einmal an dich dachte und dass du dort dich von mir nicht angesprochen fühlst, wo ich dich ansprach...
Herzchen
schrieb am 26.01.2013, 14:03 Uhr
Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.

(Rilke)

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