Ein schönes Gedicht

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seberg
schrieb am 27.01.2013, 13:52 Uhr (am 27.01.2013, 14:13 Uhr geändert).
Ein Traum, ein Traum ist unser Leben Auf Erden hier.
Wie Schatten auf den Wolken schweben und schwinden wir.
Und messen unsre trägen Schritte nach Raum und Zeit:
Und sind (und wissen's nicht) in Mitte der Ewigkeit.

(Johann Gottfried Herder)

Es gibt eine uralte Frage, die vielleicht etwas naiv ist, aber auch irgendwie witzig: ist das Leben vielleicht nur ein Traum? Träumen wir das alles nur, was wir als unsere Wirklichkeit erleben? - Jedenfalls lässt sich weder das eine noch das andere beweisen.

Interessant ist jedenfalls, dass sowohl die Astrophysik als auch die moderne Hirnforschung inzwischen die Vorstellung zu bestätigen scheinen, dass alles, was wir als „wirklich“ erleben, nichts anderes ist als eine Art Virtualität, eine für das Überleben notwendige Selbsttäuschung unseres Gehirns, außerhalb derer es z.B. weder Zeit noch Raum – die beiden Hauptkriterien unserer „Wirklichkei“ - gibt.

J.G.Herder scheint in seinem Gedicht auf geniale Weise vorweggenommen zu haben, dass es so etwas wie Ewigkeit und Unendlichkeit wohl tatsächlich gibt, und zwar ganz und gar nicht im religiösen Sinn, bzw. Unsinn, sondern ganz naturalistisch
Haiduc
schrieb am 28.01.2013, 16:22 Uhr
"Der Raum ist dem Ort, was die Ewigkeit der Zeit ist."
(Joseph Joubert)
Struwwelpeter
schrieb am 28.01.2013, 23:14 Uhr
Das Leben ist ein Traum

Das Leben ist ein Traum!
Wir schlüpfen in die Welt und schweben
Mit jungem Zehn
Und frischem Gaum
Auf ihrem Wehn
Und ihrem Schaum,
Bis wir nicht mehr an Erde kleben:
Und dann, was ist’s, was ist das Leben?
Das Leben ist ein Traum!

Das Leben ist ein Traum!
Wir lieben, uns're Herzen schlagen,
Und Herz an Herz
Geschmolzen kaum,
Ist Lieb’ und Scherz
Ein lichter Schaum,
Ist hingeschwunden, weggetragen!
Was ist das Leben? hör ich fragen:
Das Leben ist ein Traum!

Das Leben ist ein Traum!
Wir denken, zweifeln, werden Weise;
Wir teilen ein
In Art und Raum,
In Licht und Schein,
In Kraut und Baum,
Studieren und gewinnen Preise;
Dann, nah am Grabe, sagen Greise:
Das Leben ist ein Traum!
(J.W.L. Gleim)

Herzchen
schrieb am 29.01.2013, 20:25 Uhr (am 29.01.2013, 20:26 Uhr geändert).
@seberg
J.G.Herder scheint in seinem Gedicht auf geniale Weise vorweggenommen zu haben, dass es so etwas wie Ewigkeit und Unendlichkeit wohl tatsächlich gibt, und zwar ganz und gar nicht im religiösen Sinn, bzw. Unsinn, sondern ganz naturalistisch

Wenn Herder das lesen würde, drehte er sich im Grabe um vor Lachen!
Und wenn du auch nur den Anschein einer Ahnung von Herders Leben und seiner Lebensanschauung im wahrsten Sinne des Wortes hättest, müsste dieser Unfug nicht hier stehen.
Aber träum schön weiter und möglichst lautlos...
Herzchen
schrieb am 29.01.2013, 20:29 Uhr
Nachtrag:
Das Seberg-Herder-"Resume" ist genau so ein Nonsens wie das, was man uns im Gymnasium zu Faust einreden wollte, so ungefähr sozialistisches Denken und Handeln im "Osterspaziergang", weil Faust sagt: "Solch ein Gewimmel möcht´ich sehn - mit freiem Volk auf freiem Grund zu stehn."
bankban
schrieb am 29.01.2013, 21:40 Uhr
Marie Luise Kaschnitz

Nicht gesagt



Nicht gesagt
Was von der Sonne zu sagen gewesen wäre
Und vom Blitz nicht das einzig richtige
Geschweige denn von der Liebe.
Versuche. Gesuche. Mißlungen
Ungenaue Beschreibung

Weggelassen das Morgenrot
Nicht gesprochen vom Sämann
Und nur am Rande vermerkt
Den Hahnenfuß und das Veilchen.
Euch nicht den Rücken gestärkt
Mit ewiger Seligkeit
Den Verfall nicht geleugnet
Und nicht die Verzweiflung

Den Teufel nicht an die Wand
Weil ich nicht an ihn glaube
Gott nicht gelobt
Aber wer bin ich daß
Herzchen
schrieb am 29.01.2013, 21:49 Uhr
Leben nach dem Tod
(Marie Luise Kaschnitz)

Glauben Sie fragte man mich
An ein Leben nach dem Tode
Und ich antwortete: ja
Aber dann wusste ich
Keine Auskunft zu geben
Wie das aussehen sollte
Wie ich selber
Aussehen sollte
Dort

Ich wusste nur eines
Keine Hierarchie
Von Heiligen
auf goldenen Stühlen sitzend
Kein Niedersturz
Verdammter Seelen
Nur
Nur Liebe frei geworden
Niemals aufgezehrte
Mich überflutend

Kein Schutzmantel starr aus Gold
Mit Edelsteinen besetzt
Ein spinnwebenleichtes Gewand
Ein Hauch
Mir um die Schultern
Liebkosung schöne Bewegung
Wie einst von tyrrhenischen
Wellen

Wie von Worten die hin und her
Wortfetzen
Komm du komm

Schmerzweb mit Tränen besetzt
Berg- und Talfahrt
Und deine Hand
Wieder in meiner
So lagen wir
Lasest du vor
Schlief ich ein
Wachte auf
Schlief ein
Wache auf
Deine Stimme empfängt mich
Entläßt mich und immer
So fort

Mehr also, fragen die Frager
Erwarten Sie nicht nach dem
Tode?
Und ich antworte
weniger nicht.

Slash
schrieb am 30.01.2013, 11:42 Uhr
Mittag

Am Waldessaume träumt die Föhre,
Am Himmel weiße Wölkchen nur;
Es ist so still, daß ich sie höre,
Die tiefe Stille der Natur.

Rings Sonnenschein auf Wies' und Wegen,
Die Wipfel stumm, kein Lüftchen wach,
Und doch, es klingt, als ström' ein Regen
Leis' tönend auf das Blätterdach.

(Theodor Fontane)
Herzchen
schrieb am 30.01.2013, 12:01 Uhr
@slash
Diese "tiefe Stille der Natur", die ins Herz des Lauschenden geht und dort verweilt und das Wesen verändert, indem Dankbarkeit und eine stille Demut, ein tiefes Gefühl einer einzigartigen liebevollen Verbundenheit mit allem und mit allen geboren werden, - diese stille Liebe wünsche ich Ihnen und seberg vor allem.
Herzchen
schrieb am 30.01.2013, 13:15 Uhr (am 30.01.2013, 13:17 Uhr geändert).
Else Lasker-Schüler

Mein blaues Klavier

Ich habe zu Hause ein blaues Klavier
Und kenne doch keine Note.

Es steht im Dunkel der Kellertür,
Seitdem die Welt verrohte.

Es spielten Sternenhände vier
- Die Mondfrau sang im Boote –
Nun tanzen die Ratten im Geklirr.

Zerbrochen ist die Klaviatür.....
Ich beweine die blaue Tote.

Ach liebe Engel öffnet mir
- Ich aß vom bitteren Brote –
Mir lebend schon die Himmelstür –

Auch wider dem Verbote.



Nun schlummert meine Seele

Der Sturm hat ihre Stämme gefällt,
O, meine Seele war ein Wald.

Hast du mich weinen gehört?
Weil deine Augen bang geöffnet stehn.
Sterne streuen Nacht
In mein vergossenes Blut.

Nun schlummert meine Seele
Zagend auf Zehen.

O, meine Seele war ein Wald;
Palmen schatteten,
An den Ästen hing die Liebe.
Tröste meine Seele im Schlummer.
(aus: E.L-S.: Meine Wunder, 1911)

bankban
schrieb am 30.01.2013, 14:52 Uhr
was brauchst du

was brauchst du? einen Baum ein Haus zu
ermessen wie groß wie klein das Leben als Mensch
wie groß wie klein wenn du aufblickst zur Krone
dich verlierst in grüner üppiger Schönheit
wie groß wie klein bedenkst du wie kurz
dein Leben vergleichst du es mit dem Leben der Bäume
du brauchst einen Baum du brauchst ein Haus
keines für dich allein nur einen Winkel ein Dach
zu sitzen zu denken zu schlafen zu träumen
zu schreiben zu schweigen zu sehen den Freund
die Gestirne das Gras die Blume den Himmel

Friederike Mayröcker
Herzchen
schrieb am 30.01.2013, 14:57 Uhr
Gertrud Kolmar

Ich wollte schön sein, wie ein frommer Drang
Nach Schönheit ist, – so ohne Lüge schön.
Ich wollte schön sein, wie der Preisgesang
Der Schönheit ist, - ein sternenhoch Getön!

Ich wollte solcher mächtigen Schönheit Gabe,
Die wie ein Glück vor tausend Sinnen blinkt!
Ich will die kleine Schönheit: die ich habe,
Die eines Herzens Güte ins sich trinkt.

(aus: G.K.: In memoriam 1918, Zyklus I.
In: G.K.: Frühe Gedichte 1917-1922,
hrsg. von Johanna Woltmann-Zeitler, 1980)
Herzchen
schrieb am 30.01.2013, 15:53 Uhr (am 30.01.2013, 16:02 Uhr geändert).
Du, weißt du - Gedicht (1941) eines 18jährigen jüdischen Mädchens aus Czernowitz, Selma Meerbaum-Eichinger (Zur Vertonung nach unten scrollen)

Mit ihren Eltern, verfolgten Juden, wurde sie, wie auch die Eltern von Paul Celan, in das berüchtigte Arbeitslager Michailowka in Transnistrien (Ukraine) deportiert. Dort starb Selma Meerbaum-Eisinger achtzehnjährig an Typhus.

Ihre Gedichte werden mittlerweile zur Weltliteratur gezählt.
Über ihre zufällige (Wieder)Entdeckung lies z.B. unter:
Selma Meerbaum-Eichinger (1924 - 1942)
Herzchen
schrieb am 30.01.2013, 16:19 Uhr
Erich Fried (1921 Wien - 1988 Baden-Baden) - einer der bekanntesten deutschsprachigen Lyriker des 20.Jahrhunderts.
Hier eine kleine Auswahl, wobei das erste Gedicht sicher den meisten bekannt sein wird:

Was es ist

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe



Fügungen

Es heißt
ein Dichter
ist einer
der Worte
zusammenfügt

Das stimmt nicht

Ein Dichter
ist einer
den Worte
noch halbwegs
zusammenfügen

wenn er Glück hat

Wenn er Unglück hat
reißen die Worte
ihn auseinander



Dich

Dich
dich sein lassen
ganz dich

Sehen
dass du nur du bist
wenn du alles bist
was du bist
das Zarte
und das Wilde
das was sich losreißen
und das was sich anschmiegen will

Wer nur die Hälfte liebt
der liebt dich nicht halb
sondern gar nicht
der will dich zurechtschneiden
amputieren
verstümmeln

Dich dich sein lassen
ob das schwer oder leicht ist?
Es kommt nicht darauf an mit wieviel
Vorbedacht und Verstand
sondern mit wieviel Liebe und mit wieviel
offener Sehnsucht nach allem –
nach allem
was du ist

Nach der Wärme
und nach der Kälte
nach der Güte
und nach dem Starrsinn
nach deinem Willen
und deinem Unwillen
nach jeder deiner Gebärden
nach deiner Ungebärdigkeit
Unstetigkeit
Stetigkeit

Dann
ist dieses
dich dich sein lassen
vielleicht
gar nicht so schwer.
bankban
schrieb am 30.01.2013, 17:13 Uhr (am 30.01.2013, 17:24 Uhr geändert).
Zumindest das richtige Abschreiben müsste man doch von einer Deutschlehrerin erwarten können, nicht wahr, Herzilein? Ich meine, Kitsch als Kitsch zu identifizieren, oder auch, meinetwegen: Kitschverdächtiges von einem tragischen Schicksal trennen zu können, das erfordert Nachdenken und Differenzierung, Geschmack und literarisches Urteilsvermögen. Können wir also nicht bei Jeder voraussetzen, mag sie auch mal Germanistik studiert haben.
Jedoch anstatt Selma Meerbaum-Eisinger einfach Selma Meerbaum-Eichinger zu schreiben, würde ich, wäre ich Deutschlehrerin, nur noch als unendlich peinlich empfinden. Denn das zeigt doch nur, dass man hier irgendetwas präsentiert, womit man sich gar nicht ernsthaft auseinandergesetzt hatte. Aber sich selbst gerne als "ach, was bin ich aber gebildet" präsentieren möchte.
Nicht wahr? Was meinst du?

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