Ein schönes Gedicht

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Herzchen
schrieb am 08.02.2013, 20:20 Uhr
Vom Missbrauch der Sprache

Zugeschaufelt
von buchstäblichem Unfug

Überhäuft
mit leeren Sätzen

vermurt
durch eingestürzte Silbenberge

verlaufen
in blindem Wortgestolper

verschlammt
in den Schlieren von Bla-Bla-Blasen,

schreien wir um Hilfe
und lernen zu

schweigen.
bankban
schrieb am 11.02.2013, 14:57 Uhr
Thrakien



Eine Flamme züngelt
Hier nachts am Boden,
Es wirbelt weißes Laub.
Und mittags zerschellt
Die Sichel des Lichts.
Das Rascheln des Sandes
Zerklüftet das Herz.

Hebe den Stein nicht auf,
Den Speicher der Stille.
Unter ihm
Verschläft der Tausendfüßler
Die Zeit.

Über den Pass,
Gekerbt von Pferdehufen,
Weht eine Mähne aus Schnee.
Mit rauchlosen Schatten
Vieler Feuer
Füllt sich am Abend die Schlucht.

Ein Messer
Häutet den Nebel,
Den Widder der Berge.
Jenseits des Flusses
Leben die Toten.
Das Wort
Ist die Fähre.


Peter Huchel
Haiduc
schrieb am 12.02.2013, 10:46 Uhr
In einer rumänischen Schenke

Land voll Kornes, Land voll Wein,
Süßer Trank, doch schlechte Hütte!
Feuermädchen, schenk’ mir ein,
Kühlung in die Flamme schütte!
Fehlt dem Nest auch Stuhl und Tisch:
Ausgetrunken froh und frisch!

Schwarzer Engel, gieb die Hand,
Laß mich dir ins Auge sehen!
Fort der Locken fesselnd Band,
Frei sie laß im Winde wehen!
Üppig, herrlich stehst du da,
Sonnenkind, Kleopatra!

Lächelst du dem blassen Mann,
Weisend deine Perlenzähne?
Was dein Herz nicht fassen kann,
Ist in seinem Aug’ die Thräne.
Mädchen, laß die Sorgen fliehn
Und den Fremdling weiterziehn!

(Franz Wisbacher)

1875 verließ Wisbacher Reichenhall und folgte einer russischen Fürstin als Erzieher und Hauslehrer nach Rumänien. Von dort schrieb er am 31. Dezember 1875 an den Redakteur des Reichenhaller Grenzboten: „Mir geht es gut und ich verlange nicht mehr nach Reichenhall. Ich möchte nicht einmal dort sterben, geschweige denn dort leben.“ Doch die anfängliche Euphorie währte nicht lange.
Quelle
bankban
schrieb am 13.02.2013, 16:58 Uhr
Helian

In den einsamen Stunden des Geistes
Ist es schön, in der Sonne zu gehn
An den gelben Mauern des Sommers hin.
Leise klingen die Schritte im Gras; doch immer schläft
Der Sohn des Pan im grauen Marmor.

Abends auf der Terrasse betranken wir uns mit braunem Wein.
Rötlich glüht der Pfirsich im Laub;
Sanfte Sonate, frohes Lachen.

Schön ist die Stille der Nacht.
Auf dunklem Plan
Begegnen wir uns mit Hirten und weißen Sternen.

Wenn es Herbst geworden ist
Zeigt sich nüchterne Klarheit im Hain.
Besänftigte wandeln wir an roten Mauern hin
Und die runden Augen folgen dem Flug der Vögel.
Am Abend sinkt das weiße Wasser in Graburnen.

In kahlen Gezweigen feiert der Himmel.
In reinen Händen trägt der Landmann Brot und Wein
Und friedlich reifen die Früchte in sonniger Kammer.

O wie ernst ist das Antlitz der teueren Toten.
Doch die Seele erfreut gerechtes Anschaun.

Gewaltig ist das Schweigen des verwüsteten Gartens,
Da der junge Novize die Stirne mit braunem Laub bekränzt,
Sein Odem eisiges Gold trinkt.

Die Hände rühren das Alter bläulicher Wasser
Oder in kalter Nacht die weißen Wangen der Schwestern.

Leise und harmonisch ist ein Gang an freundlichen Zimmern hin,
Wo Einsamkeit ist und das Rauschen des Ahorns,
Wo vielleicht noch die Drossel singt.

Schön ist der Mensch und erscheinend im Dunkel,
Wenn er staunend Arme und Beine bewegt,
Und in purpurnen Höhlen stille die Augen rollen.

Zur Vesper verliert sich der Fremdling in schwarzer Novemberzerstörung,
Unter morschem Geist, an Mauern voll Aussatz hin,
Wo vordem der heilige Bruder gegangen,
Versunken in das sanfte Saitenspiel seines Wahnsinns,

O wie einsam endet der Abendwind.
Ersterbend neigt sich das Haupt im Dunkel des Ölbaums.

Erschütternd ist der Untergang des Geschlechts.
In dieser Stunde füllen sich die Augen des Schauenden
Mit dem Gold seiner Sterne.

Am Abend versinkt ein Glockenspiel, das nicht mehr tönt,
Verfallen die schwarzen Mauern am Platz,
Ruft der tote Soldat zum Gebet.

Ein bleicher Engel
Tritt der Sohn ins leere Haus seiner Väter.

Die Schwestern sind ferne zu weißen Greisen gegangen.
Nachts fand sie der Schläfer unter den Säulen im Hausflur,
Zurückgekehrt von traurigen Pilgerschaften.

O wie starrt von Kot und Würmern ihr Haar,
Da er darein mit silbernen Füßen steht,
Und jene verstorben aus kahlen Zimmern treten.

O ihr Psalmen in feurigen Mitternachtsregen,
Da die Knechte mit Nesseln die sanften Augen schlugen,
Die kindlichen Früchte des Hollunders
Sich staunend neigen über ein leeres Grab.

Leise rollen vergilbte Monde
Über die Fieberlinnen des Jünglings,
Eh dem Schweigen des Winters folgt.

Ein erhabenes Schicksal sinnt den Kidron hinab,
Wo die Zeder, ein weiches Geschöpf,
Sich unter den blauen Brauen des Vaters entfaltet,
Über die Weide nachts ein Schäfer seine Herde führt.
Oder es sind Schreie im Schlaf,
Wenn ein eherner Engel im Hain den Menschen antritt,
Das Fleisch des Heiligen auf glühendem Rost hinschmilzt.

Um die Lehmhütten rankt purpurner Wein,
Tönende Bündel vergilbten Korns,
Das Summen der Bienen, der Flug des Kranichs.
Am Abend begegnen sich Auferstandene auf Felsenpfaden.

In schwarzen Wassern spiegeln sich Aussätzige;
Oder sie öffnen die kotbefleckten Gewänder
Weinend dem balsamischen Wind, der vom rosigen Hügel weht.

Schlanke Mägde tasten durch die Gassen der Nacht,
Ob sie den liebenden Hirten fänden.
Sonnabends tönt in den Hütten sanfter Gesang.

Lasset das Lied auch des Knaben gedenken,
Seines Wahnsinus, und weißer Brauen und seines Hingangs,
Des Verwesten, der bläulich die Augen aufschlägt.
O wie traurig ist dieses Wiedersehn.

Die Stufen des Wahnsinns in schwarzen Zimmern,
Die Schatten der Alten unter der offenen Tür,
Da Helians Seele sich im rosigen Spiegel beschaut
Und Schnee und Aussatz von seiner Stirne sinken.

An den Wänden sind die Sterne erloschen
Und die weißen Gestalten des Lichts.

Dem Teppich entsteigt Gebein der Gräber,
Das Schweigen verfallener Kreuze am Hügel,
Des Weihrauchs Süße im purpurnen Nachtwind.

O ihr zerbrochenen Augen in schwarzen Mündern,
Da der Enkel in sanfter Umnachtung
Einsam dem dunkleren Ende nachsinnt,
Der stille Gott die blauen Lider über ihn senkt.


G. Trakl
Kichermaus
schrieb am 17.02.2013, 18:58 Uhr
Verhüllter Pfad

Am Dorfesrand, auf frischbeschneitem Feld,
Entdeckt’ ich deine Spur. Ich beugte tief
Mich nieder, küsste stumm das liebe Zeichen.

Und wie ich weiter pilgre in den bleichen,
Vergehnden Tag, – die Abendglocke rief
Zur Ruh’ die müde Winterwelt –,
Berührten Flocken, keusch und silberzart
Wie deine Seele, Augen mir und Wangen.
Es kam die graue Nacht, und leise ward
Der schmale Pfad verhüllt, den du gegangen.

(Hermann Klöß)
Kichermaus
schrieb am 18.02.2013, 15:52 Uhr
Nur zwei Dinge

Durch so viele Formen geschritten,
durch Ich und Wir und Du,
doch alles blieb erlitten
durch die ewige Frage: wozu?

Das ist eine Kinderfrage.
Dir wurde erst spät bewusst,
es gibt nur eines: ertrage
- ob Sinn, ob Sucht, ob Sage -
dein fernbestimmtes: Du musst.

Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,
was alles erblühte, verblich,
es gibt nur zwei Dinge: die Leere
und das gezeichnete Ich.

Gottfried Benn

bankban
schrieb am 18.02.2013, 16:44 Uhr (am 18.02.2013, 17:06 Uhr geändert).
Fragen, die ich mir stelle

Was ist der Inhalt eines
Händedrucks und Lächelns?
Bist du bei der Begrüßung
niemals unzugegen,
so wie der Mensch dem Menschen,
der sein Urteil spricht
gleich auf den ersten Blick?
Ob du ein Schicksal
öffnest wie ein Buch
und nicht in seiner Schrift,
in jeder Type
die Erregung suchst?
Bist du sicher, alles
im Menschen lesen zu können?

Du weichst aus
und antwortest
-statt ehrlich zu sein- mit einem Scherz.
Wie kalkulierst du Verluste?
Freundschaften, unerfüllte,
Welten, in Eis geschlagene.
Weißt du, dass man die Freundschaft
mitschaffen muss
wie die Liebe?
Einer hielt da nicht Schritt
bei diesem strengen Werk.
Gab's in den Fehlern der Freunde
keine Schuld von dir?

Jemand klagte, verzagte.
Wie viele Tränen trocknete,
bis du zu Hilfe kamst?
Ob du, für das Glück der Jahrtausende
mitverantwortlich,
die einzelnen Minuten,
die Tränen im Gesicht
nicht mißachtest?
Vermeidest du niemals
die fremde Mühe?
Ein Glas stand auf dem Tisch,
und keiner hat's gesehen,
erst dann, als es zerbrach,
im Leichtsinn umgeworfen.

Ist denn von Mensch zu Mensch
alles so selbstverständlich?


Wyslawa Szymborska
Haiduc
schrieb am 19.02.2013, 12:24 Uhr
Wenn ich an deinem Hause
Des Morgens vorübergeh,
So freuts mich, du liebe Kleine,
Wenn ich dich am Fenster seh.

Mit deinen schwarzbraunen Augen
Siehst du mich forschend an:
Wer bist du, und was fehlt dir,
Du fremder, kranker Mann?

Ich in ein deutscher Dichter,
Bekannt im deutschen Land;
Nennt man die besten Namen,
So wird auch der meine genannt.

Und was mir fehlt, du Kleine,
Fehlt manchem im deutschen Land;
Nennt man die schlimmsten Schmerzen,
So wird auch der meine genannt.

(Heinrich Heine: Buch der Lieder,
Die Heimkehr, Nr.13)
Kichermaus
schrieb am 19.02.2013, 13:45 Uhr
Sonett

Die Zeit will mir die heil'ge Stund' entwenden,
Die längst vergangne, wo ich dich erschaute,
Doch liebend denk' ich immer an dich, Traute,
O Frau, mit großem Aug' und kühlen Händen!

Komm wieder! Lehre du mich süße Laute,
Laß deinen Blick mir warmes Leben spenden,
Laß unter ihm mein Dasein sich vollenden,
Entlocke neue Lieder meiner Laute!

Du weißt nicht einmal, wie mich deine Nähe
Beschwichtigt und ins tiefste Herz beglückt,
Wie wenn so still die Stern' ich aufgehn sehe;

Doch wenn dein kindlich Lächeln mich entzückt,
Erlischt mein Leben voller Schmerz und Wehe,
Erglüht mein Blick, bin ich dem Sein entrückt.

Mihail Eminescu (1850-1889)

Kichermaus
schrieb am 19.02.2013, 13:52 Uhr

Es ist alles eitel

Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein;
Wo jetzund Städte stehn, wird eine Wiese sein,
Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden;

Was jetzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden;
Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein;
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Taten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?
Ach, was ist alles dies, was wir für köstlich achten,

Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind,
Als eine Wiesenblum, die man nicht wieder find't!
Noch will, was ewig ist, kein einig Mensch betrachten.

Andreas Gryphius (1616-1664)


Kichermaus
schrieb am 20.02.2013, 20:40 Uhr
Sei still ...

Mascha Kaléko

Als ich der Mutter meinen Kummer klagte,
Ich höre noch, was sie dem Kinde sagte
Mit einem Lächeln, wie ich’s nie gesehn -
„Sei still, es wird vorübergehn.”

So hielt ich still. Und manches ging vorüber.
Denn alles geht vorüber mit der Zeit:
Das große Glück. Das Frösteln und das Fieber.
Selbst ein Novembertag, ein noch so trüber.
Beständig bleibt nur Unbeständigkeit.

Als dann der große Zweifel an mir nagte,
- Ich wusste schon, dass man es keinem klagte
Und dass sogar die Freunde missverstehn -
So oft ich damals an mir selbst verzagte,
war es die leise Stimme, die mir sagte:
Sei still, es wird vorübergehn.

Was ist nicht alles schon dahingegangen
Wie Schneegestöber und wie Windeswehn…
und dennoch hab ich jetzt erst angefangen,
Den Dingen auf den Grund zu sehn.
Wer nichts begehrt, der ist nicht zu berauben,
Gespenster sind nur dort, wo wir sie glauben.
Ich habe lange, lange nicht geklagt.
Nichts tut das Leid dem, der „es tut nichts” sagt.
Sei der du bist. Mag kommen, was da will.
Es geht an dir vorüber, bist du still.
bankban
schrieb am 21.02.2013, 10:41 Uhr
Die gestundete Zeit

Es kommen härtere Tage.
Die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.
Bald musst du den Schuh schnüren
und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe.
Denn die Eingeweide der Fische
sind kalt geworden im Wind.
Ärmlich brennt das Licht der Lupinen.
Dein Blick spurt im Nebel:
die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.

Drüben versinkt dir die Geliebte im Sand,
er steigt um ihr wehendes Haar,
er fällt ihr ins Wort,
er befiehlt ihr zu schweigen,
er findet sie sterblich
und willig dem Abschied
nach jeder Umarmung.

Sieh dich nicht um.
Schnür deinen Schuh.
Jag die Hunde zurück.
Wirf die Fische ins Meer.
Lösch die Lupinen!

Es kommen härtere Tage.

Ingeborg Bachmann
orbo
schrieb am 21.02.2013, 10:53 Uhr (am 21.02.2013, 10:54 Uhr geändert).
moegliche Antwort, wenn auch chronologisch nicht unbedingt richtig (natuerlich von Paul Celan):

In Aegypten
Fuer Ingeborg

Du sollt zum Aug der Fremden sagen: Sei das Wasser!
Du sollst, die du im Wasser weißt, im Aug der Fremden suchen.
Du sollst sie rufen aus dem Wasser: Ruth! Noemi! Mirjam!
Du sollst sie schmuecken, wenn du bei der Fremden liegst.
Du sollst sie schmuecken mit dem Wolkenhaar der Fremden.
Du sollst zu Ruth, zu Mirjam und Noemi sagen:
Seht, ich schlaf bei ihr!
Du sollst die Fremde neben dir am schoensten schmuecken.
Du sollst sie schmuecken mit dem Schmerz um Ruth, um Mirjam
und Noemi.
Du sollst zur Fremden sagen:
Sieh, ich schlief bei diesen!

(Wien, am 23. Mai 1948.)
Haiduc
schrieb am 21.02.2013, 22:56 Uhr
Wenn es nur einmal so ganz stille wäre.
Wenn das Zufällige und Ungefähre
verstummte und das nachbarliche Lachen,
wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,
mich nicht so sehr verhinderte am Wachen:

Dann könnte ich in einem tausendfachen
Gedanken bis an deinen Rand dich denken
und dich besitzen (nur ein Lächeln lang),
um dich an alles Leben zu verschenken
wie einen Dank.


(Rainer Maria Rilke)
Kichermaus
schrieb am 21.02.2013, 23:36 Uhr
Wunderschön, Haiduc.

Rilke - mein Liebling ...


Nachtgedanken

Weltenweiter Wandrer,
walle fort in Ruh...
Also kennt kein andrer
Menschenleid wie - du.

Wenn mit lichtem Leuchten
du beginnst den Lauf.
schlägt der Schmerz die feuchten
Augen zu dir auf.

Drinnen liegt - als riefen
sie dir zu: Versteh ! -
tief in ihren Tiefen
eine Welt von Weh.........

Tausend Tränen reden
ewig ungestillt, - -
und in einer jeden
spiegelt sich dein Bild.

Frühes Gedicht, 1894

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