Verrückte Welt

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Kurt Binder
schrieb am 29.11.2020, 16:51 Uhr
Das wahre Wort des (jeden) Jahres

Man kennt es, und fast jeder spricht es aus,
man zieht bedeutungsvoll die Stirne kraus,
man hebt die Brauen bis zum Geht-nicht-mehr -
doch dann ist Pause, denn das Hirn ist leer.

Das Wort bedeutet nichts, doch sagt es alles,
es rauscht wie die Musik des Wasserfalles,
es steht da wie das Ass im Kartenspiel
für das, was man nicht weiß, doch sagen will.

Man hört es oft auch in der Politik;
hier überbrückt es jenen Augenblick,
in dem Gedanken durcheinander fallen,
verendend mehr und mehr in wirrem Lallen.

‘nen Buchstaben gibt es noch nicht dafür,
doch fällt auf einen Umlaut hier die Kür,
und’s wird gar mancher Fehlbetrag verhüllt,
wenn man mit einem - „Ăăă“ die Lücken füllt,

Tja, damit kann man Litaraten jagen;
es füllt die Rede bloß wie Kraut den Magen.
Doch wer am überzeugendsten ăăă-iert,
wird von den Fans am längsten applaudiert.

So bietet dieses "Ăăă“ ganz evident
für jedermann die Chance fürs Parlament,
denn man entgeht so dem Rhetorik-Drill -
drum ăăăe, wer mal Rhetor werden will!
Tarimona
schrieb am 01.12.2020, 07:45 Uhr
Jetzt hatte ich endlich mal wieder Muße ein wenig zu lesen. Herrlich, was ihr hier wieder präsentiert. Und zum ersten Öffnen des Adventstürchens lasse ich euch auch mal wieder ein Geschichtchen von mir hier. Wusstet ihr eigentlich schon wie es zum ersten Weihnachtsfest kam?

Wie das erste Weihnachtsei gelegt wurde

Vor langer, langer Zeit – länger noch als die Erinnerung unserer Ur-Urgroßeltern reichen würde, gab es weder Weihnachten noch Ostern. Menschen und Tiere lebten in großer Harmonie miteinander und einer verstand den anderen ohne viele Worte. Es wurde gearbeitet, gegessen, geschlafen und Geburtstag gefeiert. Die Geburtstagsfeste waren das einzige, was einen Tag von einem anderen unterschied.
Nun war es mal wieder soweit, der wichtigste Mann der Welt hatte Geburtstag und Mensch und Tier machten sich auf den Weg, um ihm zu gratulieren. Doch obwohl es an Geschenken und guten Wünschen nicht mangelte, sah der wichtigste Mann der Welt nicht glücklich aus.
Als er nach dem Grund gefragt wurde, druckste er ein wenig verlegen herum und sagte dann:
„Einmal im Jahr Geburtstag feiern und das jeder für sich ist mir einfach zu wenig. Was haltet ihr von einem Fest, bei dem wir alle gleichzeitg feiern?“
Tiefes Schweigen breitete sich aus doch dann ging ein wilder Tumult los.
„Was für eine grandiose Idee“, „Oh ja ein großes Fest für alle“, „Ein Schneefest im Winter“,
„Nein ein buntes Fest im Frühling“...
So gingen die Stimmen hin und her.
Bald merkten sie, dass sie mit einem Fest nicht auskamen und so wurde kurzerhand beschlossen eines im Frühling und eines im Winter zu feiern. Die Eichhörnchen freuten sich auf das Winterfest – denn so konnten sie sicher einige Nüsse mehr abbekommen.
Jetzt war es aber so, dass keiner so recht wußte, wie diese Feste nun eigentlich gefeiert werden sollten. Schnell war man sich einig, das irgend jemand diese Feste organisieren und leiten mußte. Keiner wollte so recht, da ergriff der wichtigste Mann der Welt das Wort und erklärte sich bereit, eines der Feste zu organisieren. Da hoppelte ein vorwitziger Hase heran und verkündete, er wolle das andere Fest übernehmen.
Da der Winter so weiß und farblos war, wollte man einen Baum bunt und schön schmücken und Geschenke drunter legen.
Für den Frühling dachten sie sich etwas besonders Nettes aus. Da Mensch und Tier raus in die Natur wollten, die ersten warmen Sonnenstrahlen genießen, sollten Eier bunt angemalt und versteckt werden. Ach was würde das für ein Spass werden, wenn man sich gemeinsam auf die Suche machen würde.
Der wichtigste Mann der Welt und der Hase konnten sich einfach nicht entscheiden, wer nun welches Fest organisieren sollte.
Darum sollte ein Wettbewerb diese Frage entscheiden.
Tiere und Menschen brachten alles heran was dafür nötig war.
Als erstes sollten die Bäume geschmückt und die Geschenke verpackt werden.
Der wichtigste Mann der Welt bewies ein sehr geschicktes Händchen für diese Tätigkeiten. Der Baum des Hasen sah furchtbar aus und die Geschenke noch schlimmer. Er selbst lachte am lautesten, als das Ergebnis begutachtet wurde.
Danach ging es ans Eier bemalen. Welch künstlerisches Talent der Hase hier offenbarte! Doch der wichtigste Mann der Welt schien zwei linke Hände zu haben.
Das Ergebnis war so eindeutig, das die Entscheidung nun leicht zu treffen war.
Der wichtigste Mann der Welt bekam das Winterfest. Er nannte es Weihnachten und sich selbst Weihnachtsmann. Und der Hase bekam das Frühlingsfest. Er nannte es Ostern und sich selbst den Osterhasen.
Und alle feierten glücklich und zufrieden bis .................... ja bis der Kommerz die Feste organisierte und Osterhasen und Weihnachtsmann zu Statisten degradierte.
Kurt Binder
schrieb am 03.12.2020, 09:10 Uhr
Wenn eine blühende Phantasie überschäumt, werden märchenhafte Geschichten geboren, die einem von Tradition gefestigten Nimbus herrlich lockere, plausible Alternativen zur Seite stellen.
Danke, Tarimona, für diese neue Sicht in das geheimnisvolle Dunkel des Ursprungs!
Kurt Binder
schrieb am 03.12.2020, 09:34 Uhr (am 03.12.2020, 09:52 Uhr geändert).
Kurt Binder
schrieb am 03.12.2020, 09:55 Uhr
Sory, dieser Beitrag war für "Altes Haus" bestimmt!
Tarimona
schrieb am 04.12.2020, 17:35 Uhr
Deine Zeilen entlocken mir ein Schmunzeln. Schön hast du das ausgedrückt. Ja, warum immer nur auf ausgetretenen Pfaden wandeln, wenn es doch noch so viele neue Wege gibt :-)
Kurt Binder
schrieb am 05.12.2020, 08:21 Uhr (am 05.12.2020, 08:25 Uhr geändert).
„Deine Zeilen entlocken mir ein Schmunzeln ...", gestand Tarimona.
“Dann schmunzel weiter!“. meint Kurt.

Popologisch

Beim Standesamt erkundigt’ sich ein Mann,
ob er vielleicht den Namen ändern kann,
weil ihn der jetzige zwar nicht entehre,
jedoch im Leben nur Verdruss beschere.

Frau Pickelhuber nahm ein Formular
zur Hand, was ja Routinearbeit war,
und fragte in des Datenschutzes Rahmen
den so geplagten Mann nach seinem Namen.

Der druckste erst verlegen drum herum,
und meinte dann mit stockendem Gebrumm:
Sein Name sei auf niedrigstem Niveau;
er heiße - Munio Ezechiel Popo,
ein Name, der die holde Damenwelt
trotz seines Charms auf stetem Abstand hält.
So käm es, dass er in des Lebens Mai
mit fünfundzwanzig Jahr’n noch Jungfrau sei.

Frau Pickelhuber nickte sehr verständlich;
sie fand es über alle Maßen schändlich,
dass solch ein schmucker, junger Mann allweil
so heißen solle wie sein Hinterteil.

Es würden selbst die anspruchslosen Musen
mit ‘nem Popo nicht allzu gerne schmusen!
Ja, dann - an welchen Namen denk er so?
Nun, schöner wäre - Siegfried Ulf Popo!


Anne Beer
schrieb am 06.12.2020, 13:27 Uhr
Hallo liebes Maikind. Lieb, dass du mich erwähnst! Ehrlich gesagt, waren die Wörter" verrückte Welt" nur für den Titel zu meinem Gedicht gedacht. Wie es zum Forum Titel geworden ist, ist mir ein Rätsel. Es war NICHT meine Absicht. Wahrscheinlich bin ich auf den "falschen Knopf" gekommen. Es freut mich aber sehr, dass die Verrückte Welt im Forum weiterbesteht, so wie es sich ja auch in unserer wahren Welt heute noch zeigt.



Kurt Binder
schrieb am 10.12.2020, 22:20 Uhr (am 10.12.2020, 22:25 Uhr geändert).
" ... so, wie es sich ja auch in unserer wahren Welt heute noch zeigt."

Bin ganz Deiner Meinung, liebe Anne, zum Beispiel:

Wortwahl

Es klang uns Männern wohlig in den Ohren:
Ein Mann - ein Wort, dazu sei’n wir erkoren!
Die Frau, die endlos redend Worte suche,
verglich pauschal man mit 'nem Wörterbuche.

Doch hat in der Moderne sich gewandelt,
was das sexistische Klischee verschandelt:
Der Mann, charmant wie eine Honigbrezel,
sieht in der Frau heut mehr - ein Kreuzworträtsel.

Kurt Binder
schrieb am 17.12.2020, 09:10 Uhr
Grüne Weihnachten

Es war einmal - so kündet eine Mär -
zu Omas Zeit, also schon lange her,
da hat die Erde in den Wintertagen
ein glitzernd schneeweißes Gewand getragen.
Dies wurde demzufolge in dem Land
logischerweise fortan - ‚Schnee’ genannt!

Auf diesem sei einstmal - man hör' und staune -
der Weihnachtsmann in bester Weihnachtslaune,
wie man ihn kennt, nach Weihnachtsmannesart
im roten Mantel, wehend weißem Bart,
(und Mütze!) auf zwei langen Buchholzkufen,
gezogen von zwei Dutzend Rentierhufen,
und warm verpackt in dem Geschenke-Schlitten,
von Kind zu Kind, von Haus zu Haus geglitten.

Dass er sich dann durch den Kamin gewrungen,
sei aus des Taktes Gründen übersprungen,
denn mit ’nem Auftritt, voll mit Ruß geschwärzt,
hätt’ er sein Image größtenteils verscherzt!

Damit der Mann deswegen nicht verhärmt,
hat sich das Klima einsichtsvoll erwärmt,
und auch der Schnee, der ward, ich will nicht lästern,
im wahrsten Sinn des Wortes - Schnee von gestern!

Der Weihnachtsmann, vom Klimatrend berauscht,
hat schnell den Schlitten mit 'nem Bus vertauscht,
was in Ermangelung der weißen Pracht
ihm selbst und uns nur Vorteile gebracht:
Er muss sich nicht mehr durch den Schornstein stecken,
und sein Habit mit schwarzem Ruß verdrecken.

So kurvt er heut durchs grüne Winterland,
und liefert pünktlich per Paketversand,
direkt an unsre Tür, bequem und schnell,
per DPD, auch mal per DHL
alldas, was uns schon lange sehr gefällt -
und wir per Tastendruck online bestellt!
Auch Trinkgeld wird hier gerne angenommen;
das hat als Weihnachtsmann er nie bekommen!
So herrsche Weihnachtsfreude überall -
ob weiß, ob grün ist hierbei piepegal!


Joi - hier muss ich noch schleunigst etwas ändern;
ich hab leider vergessen, IHN zu - gendern!
So lest doch bitte gleich von Anbeginn:
sozialgeschlechtsgerecht - Weihnachtsmann*in!
Michael5
schrieb am 17.12.2020, 13:18 Uhr
Kurt, das ist einfach unglaublich ! Wo hast du all diese Ideen her ? Es kann nicht einfach nur der Kaffee sein !
Egal - dein Gedicht ist köstlich, es widerspiegelt einen allgemeinen Trend und ist auch der Zeit angepasst. Und gendergerecht. Ein Genuss !
Kurt Binder
schrieb am 23.12.2020, 16:28 Uhr
Oh, da ist mir doch noch was Lustiges eingefallen:

La coadă
Ein „Aha“- Erlebnis

Die „coadă“ war ja im sozialistischen Rumänien eine alltägliche Erscheinung, die unter Kennern als positiv gewertet wurde, weil der arglose Passant auf Grund einer erfahrungsbedingten Assoziation sofort erkannte: Hier gibt es etwas! Und da es des Öfteren mal was gab, was es sonst nicht gab, war es ratsam, sich erstmal schnell anzustellen, und dann erst zu fragen: „Ce se dă?“ „Was gibt es?“
Die deutsche Formulierung dieses Erscheinungsbildes wäre ‚in der Schlange anstehen’, wobei es ratsam ist, die genaue Übersetzung einer ‚coadă’ nicht zu verwenden.
In der Regel verlief hierbei alles ruhig, beinahe gemütlich. Man plauderte untereinander, beschimpfte gelegentlich einen, der sich frech vordrängen wollte und schaute hie und da auf die Uhr. Zwischendurch machte man in regelmäßigen Zeitabständen einen winzigen Schritt näher zum Ziel des heutigen Anstehens hin. Dabei waren alle geeint von der Sorge, dass es das, was es gab, noch geben möge, wenn sie an die Reihe kämen! Das ließ in den Wartenden ein Gefühl der Ungeduld keimen, das sie veranlasste, sich näher und näher an den Vordermann zu schmiegen. Doch da ja jeder einen Vordermann vor sich hatte - die Glücklichen sogar eine Vorderfrau -, kam die Reihe durch dies Drängeln zwar nicht schneller voran, verdichtete sich aber nach und nach zu einem vor Ungeduld palpitierenden, leicht nach vorne gebeugtem Pulk. Und jeder Vordermann konnte von Glück sagen, wenn sein Hintermann keinen Knoblauch gegessen hatte - obwohl auch das nicht sonderlich aufgefallen wäre.
Ich hatte diese Unart damals nur gezwungenermaßen mitgemacht, weil mir nichts anderes übrig blieb. Dass aber Anstehen mit Anstand vereinbar sein sollte, hatte ich schmerzhaft zu fühlen bekommen, als ich mich kurz nach meiner Einreise in die Bundesrepublik in der Sparkasse vor den Schalter, aus alter Gewohnheit sehr beinahe auf Tuchfühlung hinter eine junge Frau stellte. Gedacht hatte ich mir nichts dabei - sie hingegen sehr wohl. Wahrscheinlich hatte sie mein Atem unangenehm im Nacken gekitzelt, denn sie trat wie unabsichtlich brüsk einen Schritt zurück - und stach mir mit dem nagelspitzen Absatz ihrer hochhackigen Pumps zielgenau auf das linke Hühnerauge. Dann drehte sie sich um, sah mich hinreißend lächelnd an und meinte:
„Oh, Entschuldigung! Das wäre aber sicher nicht passiert, wenn Sie mich nicht bestiegen hätten!“ Dabei deutete sie auf das kleine Standschild mit der Aufschrift: „Bitte Abstand halten!“.

Aus „Die lange Nacht der Erzählungen“ (Schiller-Verlag)
Kurt Binder
schrieb am 31.12.2020, 08:09 Uhr
Zum Jahreswechsel

Hört ihr Leut und lasst euch sagen:
Schont heut Abend euren Magen,
weil alles, was ihr heute esst,
im nächsten Jahr erst euch verläßt!

Bekömmlich wär da der Sarmal,
weil Sauerkraut ja allemal
nicht lang in dem Gedärm verweilt,
und schneller in die Freiheit eilt!

Egal, was ihr für gut erachtet
und gierig in den Bauch verfrachtet –
genießt es, denn es ist fürwahr
das letzte Ma(h)l in diesem Jahr!

Prosit – auf ein besseres Neues!
Maikind
schrieb am 03.01.2021, 08:48 Uhr (am 03.01.2021, 08:52 Uhr geändert).
Prosit Kurt!
Frohes neues Jahr an Alle!
Schreibenden und Lesenden

Heute Morgen,
Ein Gedanke in der Stille des Tagesaufgangs:
Der Dank, das Gefühl der Dankbarkeit
Ist wie
Schmetterlingsflügel, die dich ein flohbreit über der Erde halten können.

Danke an alle Schreibenden für die wunderbaren Texte!

Ich schließe mich an mit

Neues Jahr

Kaum im Glockenschlag geboren
Steht das Jahr in Kinderschuhn
Möchte noch ein Weilchen ruhn
Doch man führts von Nu zu Nu.

Warm hats nicht im großen Kleide
Wachsen muss es schnell hinein
Ob in Freude oder Leide
Stetig muss es weiterziehn.

Hab es an mein Herz genommen
- klopfte auch an meine Tür -
Will es lieben, will es wärmen
Mit ihm diese Welt erspürn.
Kurt Binder
schrieb am 08.01.2021, 12:47 Uhr
Ein löblicher Vorsatz, liebe Ute, von dem Neugeborenen nicht sofort alles zu erwarten, sondern mit ihm auf Augenhöhe „diese Welt zu erspürn“.

Rührend auch die Personifizierung des jungen Jahres, dem Du mit Mitgefühl und mütterlichen Empfindungen begegnest! Zu solch einer Lebenshaltung wird sich das wachsende Kind gewiss dankbar erweisen!

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