Verrückte Welt

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Kurt Binder
schrieb am 26.03.2021, 09:22 Uhr
Oh ja, verrückt ist das Folgende schon, aber - unter kreativen Menschen durchaus denkbar:

Der makabre Humor des Dr. Horrer

Der dünne Strahl der Taschenlampe zitterte suchend an der Wand des Treppenhauses entlang, bis er das kleine Messingschild unter dem Klingelknopf erfasst hatte: Dr. med. Oskar Horrer. Der kleine Mann mit den abstehenden Ohren grinste zufrieden. Der Ede hatte ihn informiert, dass der Arzt mit seiner Familie an der italienischen Riviera weile. In wenigen Sekunden hatte der kleine Mann mit seinem Spezialwerkzeug das Schloss der Eingangstür geöffnet. Er trat ein und schloss die Tür leise hinter sich. Dann drehte er das Licht im Flur an. An seinem Ende befand sich eine Tür, die ins Arbeitszimmer führte. Seine Erfahrung sagte ihm, dass sich in diesem mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Tresor befinden müsste. Im Ort galt Dr. med. Horrer als wohlhabend, was man nicht zuletzt von seinem extravaganten Outfit und seinem teuren Wagen schließen durfte. Auch darüber hatte Ede ihm hinreichend Bescheid gesagt.
Im Arbeitszimmer roch es wie in einem Museum. Als er den Lichtkegel kreisen ließ, bemerkte er auch den Grund: In mehreren Regalen standen große Gläser, in denen merkwürdige Gebilde in Spiritus lagen; anscheinend erkrankte menschliche Organe. Auf Ästen befestigt standen an den Wänden mehrere ausgestopfte Vögel, ein Eichhörnchen, ein Marder, und sogar ein Greifvogel, der seine riesigen Schwingen über dem Schreibtisch ausbreitete.
Plötzlich zuckte er zusammen. Der Lichtstrahl hatte einen grinsenden, weißen Totenschädel erfasst. Als der Mann den Strahl hinuntergleiten ließ, sah er in der Zimmerecke ein vollständiges menschliches Skelett mit hängenden Armen und heruntergeklapptem Unterkiefer stehen.
„So ein Spinner“, dachte der kleine Mann und suchte weiter nach dem Tresor. Er fand ihn gleich darauf an der klassischen Stelle: Hinter einem Gemälde, in die Wand eingebaut. Das Zahlenschloss betrachtete er nur flüchtig. Es war ein altes, ihm sehr vertrautes Fabrikat aus den 50ger Jahren. Es würde ihm überhaupt keine Mühe bereiten. So legte er die Taschenlampe auf einen Bücherstapel, und zwar so, dass der dünne Lichtstrahl genau auf das Schloss fiel.
Sonderbar erschien ihm nur eine kleine Klinke, die er noch nie gesehen hatte, und die das Zahlenschloss in Drehrichtung blockierte. Vorsichtig drehte er sie zur Seite.
Im selben Augenblick hörte er hinter sich ein schauriges Stöhnen. Der kleine Mann fuhr erschrocken herum - und was er sah, konnte sein Verstand nicht fassen: Das Skelett bewegte sich! Die bleichen Knochenarme schlenkerten hin und her, und der Schädel kippte in abgehackten Bewegungen vor- und rückwärts, wobei im gleichen Rhythmus der Unterkiefer auf und nieder klappte. In seinen toten Augenhöhlen glühte es feurig rot auf, und das ganze Skelett begann plötzlich grün zu leuchten.
Und dann erstarrte der Einbrecher in lähmendem Entsetzen, denn das Skelett setzte sich in Bewegung und kam rasselnd und klappernd auf ihn zu, während grelle Blitze durch den Raum zuckten. Das durfte doch nicht wahr sein - so etwas gab es doch nur in Horrorfilmen. Die Angst krallte sich wie eine eiserne Faust um sein Herz, und sein trockener Mund öffnete sich zu einem unartikulierten Lallen. Die Taschenlampe polterte zu Boden, als der Mann mit schlotternden Knien zur Türe wankte. Er riss sie auf und jagte panisch in die schwarze Nacht hinaus.
In der Wohnung des Hausmeisters Franz Hassler klingelte es. Er erhob sich ärgerlich aus seinem Fernsehsessel, trat zum Fenster und spähte auf die Straße hinunter. Aus der Wohnung unter ihm stolperte ein kleiner Mann heraus und rannte wie von Furien gejagt davon, ohne sich auch nur einmal umzusehen.
„Diese Dummköpfe können es nicht lassen“, brummte Hassler und stellte die Klingel ab.
„Ich geh mal hinunter, um Mr. Boneman auf seinen Platz zurückzuschieben“, sagte er zu seiner Frau, die gerade das Abendbrot auftrug.
„Und vergiss nicht, die Kameras zu spannen“, rief sie ihm nach.
Kurt Binder
schrieb am 06.04.2021, 10:18 Uhr

Duell


Es war genau zur Mittagszeit, als ich auf den südwärts gerichtenen Balkon des Hauses trat. Die Sonne lachte mir entgegen, und da ich es wie eine Provokation empfand, lachte ich dreist zurück – ohne Sonnenbrille und ohne Hütchen! Die Sonne war über diesen Affront derart verblüfft, dass sie sich zur Beratung kurz hinter eine Wolke zurückzog. Wie gesagt - kurz, denn schon nach wenigen Sekunden trat sie wieder hervor, entschlossen, dem frechen Rebellen gegen die vielfach erprobten Sonnenbrillen mit UV-Schutzfaktor 400 die Leviten zu strahlen.
Der nahm diese Herausforderung an, und so bestrahlten und belachten wir uns gegenseitig eine ziemlich lange Weile. Nun wollt ihr sicher gerne wissen, wer nach diesem Duell der Standhaftigkeit gewonnen hat?
Es war mein Augenarzt!
Kurt Binder
schrieb am 15.04.2021, 10:21 Uhr
Alles ist relativ

Es ist mir relativ egal, welche Musik mein Nachbar hört, solange die Lautstärke seines Tschingarassa Bummbarassa mein Adagio aus der 9. von Beethoven nicht erschlägt.

Es ist mir relativ egal, was mein Nachbar isst, solange er nicht die reifen Williams-Christ-Birnen aus meinem Garten klaut.

Es ist mir relativ egal, was mein Nachbar trinkt, solange er anschließend nicht über den Zaun in meinen Garten reihert.

Es ist mir relativ egal, was für einen Hund mein Nachbar hat, solange der meine Waden nicht als sein Frühstück betrachtet.

Es ist mir relativ egal, welche Farbe mein Konto hat, solange es nicht Rot ist.

Es ist mir relativ egal, ob der allgemeine Zustand in meiner Wohnung als Unordnung bezeichnet wird, solange die Sachen dort liegen, wo ich sie brauche.

Was wäre dir denn relativ egal?
Kurt Binder
schrieb am 24.04.2021, 09:41 Uhr
Möhrenalarm!

Das Fernsehen tat es eines Abends kund:
Es sei nicht alles, wie man glaubt, gesund!
So sollt, war aus befugtem Mund zu hören,
der Vitaminwahn einen nicht betören!

Man sollte nicht zu viel Gemüse zu essen,
dies gar zu konzentrierten Säften pressen,
denn Möhrologen kamen überein:
Zu viele Möhren können schädlich sein!

Ein alter Mann, der ganze 90 Jahr
lang überzeugter Vegetarier war,
hats ignoriert und war - Schockschwerenot -
nach fünfundzwanzig Kilo mausetot!
Kurt Binder
schrieb am 28.04.2021, 22:26 Uhr
„Leute, ich hab da eine Idee!"

Auf den Spuren Sherlock Holmes
Dein Spürsinn ist gefragt!

Der alte Mann schritt nach stundenlangem mühevollen Kartoffelhacken durch den knöcheltiefen Schnee müde heimwärts. Da vernahm er in etwa hundert Meter Entfernung ein lautes Rascheln. Er blickte in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und sah ein Feldmausweibchen, das zwischen den Weizenhalmen nach Nahrung suchte.
Der alte Mann lächelte, und ging dann gebeugt weiter, seinem östlich gelegenem Dorf entgegen, hinter dem gerade die blutrote Sonne langsam unterging.


In die oben beschriebene Szene habe ich mehrere Aspekte eingebaut, die teils unmöglich, teils unwahrscheinlich oder unlogisch sind! Nennen wir diese künftig einfach nur „Fehler“.
Versucht sie herauszufinden, und teilt sie uns mit, wonach ihr ebenfalls eine selbst gebastelte Szene mit solchen „Fehlern" ins Forum setzen könnt! Der Übersicht halber sollten es nicht mehr als drei sein!

Wollen wir es versuchen? Es wird gewiss lustig!
Tarimona
schrieb am 30.04.2021, 13:09 Uhr
Ha, ha, ha, wirklich eine tolle Idee. Das macht Spaß :-)
Also, bei dir fand ich diese Fehler:
1. Man wird kaum im Schnee Kartoffeln ernten (aber wer weiß, Klimakrise und so...)
2. Wenn in 100 Metern eine Maus raschelt, kann man sie weder hören noch sehen.
3. Und dass die Sonne im Osten untergeht, war mir bis dato auch nicht bekannt :-)

Und hier meine Geschichte:

Es saßen alle fünf Familienmitglieder am Tisch. Da standen Susi und Richard auf und verließen wortlos das Zimmer.
„Was haben die nur“, fragte Karin und zupfte nervös an einer blonden Strähne in ihrem Haar.
„Ach, du weißt doch wie Susi ist“, sagte Hans.
„Nicht nur Susi, Richard ist genauso“, warf Anton ein.
„Würde mir einer mal erklären, was ihr eigentlich meint“, ratlos sah sich Marie in der Runde um.
Doch die anderen schwiegen, also stand sie auf und ging auch aus dem Zimmer und in den Garten. Sie würde schon herausfinden, warum Karin und Hans den Raum verlassen hatten.
Im Garten sah sie ihren Onkel, also den Bruder ihrer Schwester, Unkraut zupfen.
Maikind
schrieb am 02.05.2021, 10:43 Uhr
Halli-Hallo zusammen,
lieber Kurt, tolle Idee deine Rätsel-Runde!
die Fehler in deinem Text hat Tarimona bereits aufgeschrieben,
allerdings ist mir ein weiterer - das Weizenfeld - aufgefallen, indem die Maus raschelt, da dürfte es sich wohl um ein Schneefall im Sommer handeln? :))

Liebe Tarimona,

ich glaube bei deiner Geschichte handelt es sich entweder um eine kleine verrückte Familie, oder um Geisterbesuch, der sich sich in der Familiekonstellation nicht mehr auskennt :))

Es dürfen sich gerne noch weitere beteiligen, bevor die drei Fehler genannt werden, oder wie seht ihr das?
Maikind
schrieb am 02.05.2021, 11:23 Uhr (am 02.05.2021, 11:38 Uhr geändert).
meine Geschichte:

Die Gedanken liefen bereits ihre Abendrunde, als ich mich nach dem Frühstück auf den Weg machte.
Den Jakobsweg entlang der Isar wollte ich als Entspannungspfad genießen und meine Gedanken in die Momentaufnahme umlenken. Das sollte nicht einfach sein, für einen 50 Jahre alten eingefahrenen Kopf!
Als Ablenkung nahm ich mir vor gelegentlich nach Herzsteinen zu suchen.

Gleich nach der Corneliusbrücke fand ich den ersten.
Ein ziemlich kantiges Bröckchen, schien aus dem Stein der Brücke ausgebrochen zu sein, die Herzform für mich eindeutig erkennbar, zwei abgerundete Ecken an der Oberseite und zwei Spitzen am entgegengesetzten Ende.
Ich drehte ihn in der Hand herum und fand auf der Rückseite das Bildnis des Dichters Peter Cornelius eingraviert, was mir die Besonderheit diese Steins bescheinigte, vor allem weil meine Mutter mit ihm befreundet war und seine Gedichte oft vortrag.

Glücklich steckte ich den Stein ein, und ging heiter weiter.
Kurt Binder
schrieb am 05.05.2021, 10:18 Uhr
Geschickt verzwickt Deine Geschichte, liebe Ute, gratuliere! Hier also meine Meinung:

Dass Gedanken bereits beim Frühstück ihre „Abendrunde“ laufen, ist denkbar, weil sie dann noch relativ frei sind, und der Mensch, vom Kaffee belebt das anstehende Tagespensum in Ruhe vollständig durchdenken kann.
Jakobsweg, Isar und Corneliusbrücke in München - stimmt alles. Es gibt auch Herzsteine unter den bekannten bunten Isar-Kieseln, aber – ein Herz hat unten nur eine Spitze (Fehler 1)!
Unwahrscheinlich bis unmöglich ist es auch, dass auf einem Herzstein das Bildnis von Peter Cornelius eingraviert sein soll (Fehler 2), der übrigens ein österreichischer Liedermacher und kein Dichter war (Fehler 3). Wenn der Stein aus der Brücke ausgebrochen war, müsste er unter, und nicht nach der Brücke liegen (Fehler?).
Die Freundschaft Peters mit Deiner Mutter wäre vom Alter her möglich, doch wie könnte eine Siebenbürgerin mit einem Österreicher befreundet gewesen sein (Fehler 4)?

Weiß noch nicht, wie wir das mit den Antworten handhaben sollen. Du hast Recht: die erste Antwort erübrigt weitere Antworten - sofern sie richtig und vollständig ist! Warten wir ab, wieviele Sherlocks sich noch beteiligen – würde mich freuen ;-)) !!
Kurt Binder
schrieb am 13.05.2021, 11:31 Uhr
An alle Epigonen Sherlock Holmes, Hercule Poirots, Miss Marples und Inspektor Barnebys:

Freunde, wollen wir unsrem Spürsinn auf einem weiteren Jagdfeld eine zweite Chance geben? Okay, dann starten wir doch mit frischem Mut eine weitere Runde von Begebenheiten, in der mehrere „Fehler“ vorkommen, die aufgedeckt werden müssen.
Wer möchte beginnen?

Tarimona
schrieb am 13.05.2021, 22:51 Uhr (am 13.05.2021, 22:51 Uhr geändert).
Na gut Kurt, dann will ich mal.. denn dieses Spiel gefällt mir wirklich gut. Und bitte schreibt mir eure entdeckten Fehler als Privatnachricht, damit andere auch raten können :-) Und hier meine Geschichte (mit Fehlern)

Als Almut das Haus betrat erkannte sie sofort den Garten ihrer Kindheit. Immer noch hatte der Löwenzahn die Oberhand und immer noch summten die Bienen um ihre Ohren.
Ob ihre Mutter wohl daheim war. Gar zu lange hatten sie sich nicht mehr gesehen.
Almut fröstelte und zog den Kragen ihres Wintermantels hoch. Ob sie es wagen sollte.
Mama würde sicher böse auf sie sein. Sie klopfte und ganz gegen ihre Erwartung schimpfte Mama gleich drauflos. Almut schwieg und nahm sie einfach in die Arme. Mama zitterte und fing an zu weinen. Sanft strich ihr Almut über den Rücken. Und langsam ebbte das Lachen ab. Jetzt konnten Mutter und Tochter gemeinsam einen Kaffee trinken und vieles bereden.
Es hatte sich viel angesammelt und es tat Almut gut, einmal alles auszusprechen. Als sie ihren Tee ausgetrunken hatte und sich von Mama verabschiedete, wusste sie, dass es diesmal nicht so lange dauern würde, bis sie sich mal wieder auf einen Kaffee treffen würden.
Maikind
schrieb am 16.05.2021, 20:08 Uhr
Liebe Tarimona,
meine Nachricht hast du vielleicht schon gelesen, bezüglich der Rätselauflösung. hoffe richtig
Ich würde hier öffentlich zwei benennen, evtl. schließt sich noch jemand an, und listet die anderen auf, somit kann auch wieder eine neue Geschichte gestartet werden?
.Garten beim Betreten des Hauses...
.Winterjacke bei Blühendem Löwenzahn...

Viel Spaß weiterhin!
Kurt Binder
schrieb am 20.05.2021, 08:40 Uhr
Hallo, Tarimona,

zu Utes Haus / Garten-Fehler und Wintermantel bei blühendem Löwenzahn glaube ich, noch zwei Widersprüche entdeckt zu haben:
- Mama weint, doch dann ebbt ihr Lachen bald ab
- Kaffee und Tee gleichzeitig trinken? Na ja ...
Gelle?
Kurt Binder
schrieb am 27.05.2021, 11:16 Uhr
„... somit kann auch wieder eine neue Geschichte gestartet werden?", fragt Ute.
"Das wäre nicht schlecht!", meint Kurt. "Gelegentlich springe ich als Lückenbüßer gerne ein! Dazu schlage ich eine Variante vor, die unsren Spürsinn etwas mehr fordert:
Außer klarer Fehler streuen wir doch auch einige höchst unwahrscheinliche Momente oder Fakten ein – wie folgt“:

Im Hyde Park saß am frühen Morgen ein junges Pärchen auf einer Bank und bemühte sich nach allen Regeln der Kunst, die gegenseitige Zuneigung eindeutig unter Beweis zu streicheln. Da kam der Papst vorbei, der gerade in München seinen Erholungsurlaub abbetete. Angesichts der ihm fremden Kampfkünste spendete er dem Pärchen etwas Geld, damit es sich in dem 3-Sterne-Hotel Adlon Kempinski ein Zimmer zwecks verborgener Fortsetzung seiner Bemühungen leisten könnte. Erfreut machte sich das Pärchen sofort auf den Weg, bloß zwei Straßen weiter. Der Papst aber ging im vollsten Bewusstsein seiner guten Tat zurück in seine Ferienwohnung, wo seine Frau mit dem Mittagessen auf in wartete: Känguru-Steaks mit Grünkohl und Vanillesoße, dazu eine echte Ţuică aus der Molkerei: 'Alles Käse'. Das verliebte Pärchen aber spielte die ganze Nacht in seinem Zimmer Tischtennis.

Kurt Binder
schrieb am 07.06.2021, 09:00 Uhr
Ohne dass ich unsre schlummernde Sherlock-Holmes-Reihe unterbrechen will, dachte ich, unsren treuen Lesern eine kleine Zwischenmahlzeit servieren zu dürfen:

Trau, schau wem!

Auch im heutigen, leicht fortgeschrittenem Rentenalter war ich laut meines Spiegleins an der Wand immer noch ein recht schmuckes Kerlchen. Meinen Bart trug ich kurzgeschnitten wie Conchita Wurst, und den Schnurrbart in Charlie-Chaplin-Manier. Für eine Jogi-Löw-Frisur im Breton-Verschnitt reichten meine Haare zwar nicht aus, doch unter meiner roten Pudelmütze (mit Bommel) im Unifarben-Look war kein einziges graues Haar zu finden - unter den restlichen paar weißen. Und wenn ich über meine Jeansjacke mit schrillem Bayern-München-Aufdruck auf dem Rücken lässig einen speziell von Lagerfeld für mich designeten karierten Wollschal warf, meine schwarzen verspiegelten Sonnenbrillen mit UV-Schutz 400 aufsetzte und mich im Spiegel begutachtete, schlief ich, von meiner eigenen reflektierten Coolness becoolt meisten sofort ein.
Mein niedliches, rundes Bäuchlein zeugte zwar von einer relativen, dem Alter angemessenen Bewegungsarmut, die von meiner lukullisch geprägten Essfreude gesundheitsfördernd ergänzt wurde. Doch dafür - ich gestehe es unter Missachtung des Datenschutzes - trage ich noch keine Pampers!
Nun, dies Selbstgutachten sollte nicht mit Narzissmus verwechselt werden – keine Spur davon, im Gegenteil. Mein vom modernen Outfit ergänztes attraktives Äußeres sollte nämlich bald zu einem echten Problem anwachsen.
Seit etwa 5 Jahren bin ich Witwer, und diese Kunde hatte sich rasend schnell unter meiner unmittelbaren Nachbarschaft verbreitet. Diese bestand aus mindesten 4 Witwen, die sich nach und nach eben als ziemlich ‚unmittelbar' entpuppten! Darüber fühlte ich mich eigentlich geschmeichelt, doch tief in mir bimmelte es warnend.
Die Witwe aus dem Haus rechts wollte einfach nur Veronika genannt werden. Sie war dürr, und hatte wasserklare Augen, die mich bei jeder Begegnung abschätzend von unten nach oben überflogen. Dazu trug sie eine strenge Frisur, ging am Stock, lispelte, und war bereits 91 Jahre jung – na ja ...
Genau mir gegenüber logierte ein Pummelchen, das auf den Namen Ingwelde hörte. Sie war erst 85, und mit allen Vorzügen einer ewig jungen Dame ausgestattet. Sie grüßte mich besonders freundlich, und einmal bei einer Begegnung rempelte sie mich leicht an, natürlich rein zufällig. Ihr „Oh, entschuldigen Sie bitte!" hätte die Monroe nicht kuschliger hauchen können.
Links wohnte eine alte Dame, von der ich nichts Auffälliges sagen könnte – und genau das machte mich stutzig, denn wer weiß, was sich hinter dieser Fassade verbarg! Allein ihre Blicke verrieten mir laut und deutlich, dass ich genau ihr Typ wäre.
Meine Nachbarin von schräg gegenüber begegnete mir ebenfalls rein zufällig täglich mit einer Freundlichkeit, die sich bemühte, nicht in Begeisterung umzukippen. Sie hieß Gaby - wie es sich gehört, war erst 68, und ihr Mitteilungsbedürfnis sprengte alle handelsüblichen Zurückhaltungen in Punkto Intimsphäre. So erfuhr ich, mit Detailfreude geschildert, dass sie leidenschaftlich gerne Knoblauch aß, ihre Perücken aus Hygiänegründen wöchemtlich wechselte, die Finger- und Fußnägel täglich mit andern Farblacken bepinselte, und schon 23 Liebhaber wegen Unvermögen vergrault hatte. Trotz der Duftwolken, die ihr mindestens 12,5 Meter vorauswallten, fühlte ich mich von ihrer Offenheit angezogen und ehrlich geschmeichelt, dass mir eine „junge“ Frau diese Aufmerksamkeit entgegenbrachte. Bald duzten wir uns, und während eines Käffchens in meinem Garten erzählte ich davon, wie ich mich seit Jahren schon in jeder Hinsicht absolut selbst bewirtschaftete, mit allem was dazugehört: Wäsche waschen, bügeln, Wohnung sauber halten, Gartenpflege – dazu noch täglich Mittagessen zubereiten, rote Grütze kochen usw. Gaby sah mich mit immer offenerem Mund an, wodurch sich auch die Knoblauchration von gestern Abend unbehindert mitteilte, und rief dann begeistert:
“Also wirklich, Kurt – du wärst ja der ideale Ehemann für mich!“ Bei diesen Worten schrien meine Alarmglocken entsetzt auf. Ich versuchte mir vorzustellen, wie sie stundenlang im Perücken-Frisiersaloon saß, während ich zu Hause die Wohnung säuberte, kochte, ihre Wäsche wusch und bügelte. An ihren Appetit auf die gesunde Allium sativum hätte ich mich sicher gewöhnen können, auch an ihre Maniküre und Pediküre - nicht aber an ihre häufige New-Lover-Küre; das hätte meine in 93+ Jahren gewachsene Toleranz kategorisch überfordert!

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