Altes Haus - Brücken in die Vergangenheit

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Kurt Binder
schrieb am 08.09.2022, 10:56 Uhr
Ein appetitanregender Werdegang

Neulich begegnete mir Erwin, ein alter Kränzchenfreund aus Hermannstadt. Er kam lachend auf mich zu und begrüßte mich:
“Grüß dich Gott, lieber Kurt, wie geht es dir so?“ Ich wunderte mich über diese gehobene Grußformel, denn früher hatte man sich in unsrer Gaschke mit dem plebejischen „Sius, eih!“ gegenseitig zur Kenntnis genommen.
“Machst du noch Krautwickel?“, fuhr er verschmitzt lächlend fort. „So wie damals?“
“Kraut – was?“. fragte ich verblüfft.
“Na, Krautwickel, diese rumänischen „sarmale’!“
“Ach so, du meinst die Sarmale?“
“Genau die meine ich!“, bestätigte Erwin.
“Und warum redest du dann nicht gleich Deutsch?“
Ja, so ist es heute. Gewisse Begriffe sind derart ungewiss geworden, dass sie sich selbst nicht mehr begreifen. Kaum ein Siebenbürger würde verstehen, was mit ‚Krautwickel’ gemeint ist. Wird aber irgendwo ‚Sarmale’ nur geflüstert, dann leuchten die Augen auf, und die Kiefer fangen an zu kauen.
Ich erinnere mich mit Vergnügen und Appetit an unsre Fress-Abende mit der alten Gaschke, im Kreise von 18 Gleichgesinnten beiderlei Geschlechter. Bevor wir in die Bundesrepublik ausreisten, wurden wir im schmatzenden, fettsabbernden Rahmen einer solchen traditionellen Orgie verabschiedet. Doch vorher mussten die Sarmale erst gemacht werden! Diese Szenerie habe ich nie vergessen.
Wie auch bei andern Vorbereitungen stand dann Männlein und Weiblein in entsprechender Zugehörigkeit um einen runden Tisch herum, und jedem wurde die Verantwortung für eine kulinarisch-technologische Konstruktionsphase des Sarmals zugeteilt. Ja, genau – die Einzahl 'der Sarmal’ hatte sich stillschweigend etabliert, denn vom Gendern hatten wir damals noch nichts gehört.
Mein Rat: Wer heute mit ehrlichem Appetit Sarmale essen will, der sollte bei der Zubereitung, besonders beim Wickeln (Wuckeln!) nicht zuschauen! Da fuhren also die Hände der Werkelnden mit Begeisterung in die Hackfleischmasse hinein, die, gepfeffert und mit Bauchspeck veredelt so manchen Finger verführte, sich vorher verstohlen im Mund ablutschen zu lassen. Dann wurde die entnommene Pampe in der mahlenden Faust für jeden Sarmal noch einmal kräftig durchgewalkt, bis sie so gefoltert aufgab, ergeben zwischen den fettigen Fingern durchflutschte, und endlich, von einem Sauerkrautblatt vom Kampest gnädig umhüllt, von weiteren Strapazen erlöst wurde.
Erwähnenswert wären noch die gierigen, sadistisch funkelnden Blicke der Catcher, denen dabei das Wasser im Mund zusammenlief. Wir hoffen, dass es auch dort geblieben ist!
Jedenfalls ist der Eifer und die totale körperliche Zuwendung der Akteure lobenswert, deren Hände ausnahmslos nach dem Bad im Hackfleisch sauberer als vorher waren. Doch die Sarmale haben, vielleicht gerade deshalb mit Palukes, Sauerrahm und einem Gläschen Seidener Gewürztraminer köstlich gemundet.
Ich muss leider schließen, den während ich diese aufklärende Geschichte schreibe, hat sich ein Wahnsinns-Appetit auf Sarmale eingestellt, und trotz der fortgeschrittenen Abendstunde und der zeitraubenden Rezeptur habe ich beschlossen, mir sofort welche zuzubereiten!
Wild entschlossen schreite ich also zur Tiefkühltruhe, entnehme eine ganze Packung Sarmale – online bestellt von Winklerswurst – taue sie auf, wärme sie und lasse sie mir schmecken.
Gute Nacht!

P.S. Genau das Gleiche kann man auch mit den rumänischen Hackfleischröllchen, zu Deutsch Mititei oder Mici genannt, zelebrieren!

Kurt Binder
schrieb am 21.09.2022, 08:14 Uhr
Eiertanz

Diese Geschichte spielt in der Zeit des sogenannten ‚Sozialismus’, in der die Dorfbewohner in Siebenbürgen eine ‚cota parte’ abgeben mussten. Das war ein Pflichtteil von ihren landwirtschaftlichen Produkten, den sie für ihr Land kostenlos entrichteten, wobei nicht gefragt wurde, ob sie diese überhaupt besaßen!
Die folgende Begebenheit hatte mir die Frau eines Pfarrers aus einem Dorf nahe Hermannstadt erzählt, und ich fand sie derart bizarr, dass ich Wort für Wort wiedergebe, was sie mir erzählt hatte.

Für uns war es die erste Pflicht-Abgabe, da Günter die Pfarrei hier in Zickendorf* erst seit einigen Monaten übernommen hatte. Es überraschte uns, dass man auch vom Pfarrer die gleiche Menge der Produkte erwartete, wie von den Bauern. Das Lustigste aber war der Eiertanz, wie wir dieses Hickhack nachträglich nannten.
In der Alimentara wurden merkwürdigerweise auch Eier zum Verkauf angeboten, obwohl ja der sächsische Bauer für den Eigenbedarf jeden Tag frische Eier aus dem Hühnerstall holte. Und da es uns Leid tat, sie abzugeben, verfielen wir auf einen Trick, der uns allerdings etwas kostete. Wir kauften in der Alimentara die für die Abgabe erforderliche Menge Eier - und gaben diese nach einigen Tagen wieder ab. Der Verkäufer, ein waschechter Roma namens Căldărean, bemerkte lange Zeit nichts, bis wir einen Fehler machten.
Diesmal ging Günter zur Alimentara, um Eier für die fällige Abgabe zu kaufen. Da er in Eile war - er war auf dem Weg zu einem Krankenbesuch -, schob er, nachdem er die Eier bezahlt hatte, diese über die Theke zurück, und sagte leichtsinnigerweise:
„Ich lass sie gleich hier als meinen Pflichtanteil für diesen Monat, dann muss meine Frau nicht noch einmal damit herkommen!“ Căldărean sah ihn irritiert und sprachlos an. Dann stotterte er:
„D-apoi ... d-apoi nu se poate aşa, domn părinte!“ „Also … also das ist so nicht möglich, Herr Pfarrer!“ Günter lächelte den total Perplexen nur freundlich an.
„Und warum geht das nicht? Ich habe ganz legal Eier gekauft und genau nach Vorschrift Eier abgeliefert. Ei ist Ei - also wo ist das Problem?“
„Nein, nein - das geht nicht ... das ist unmöglich so!“ Er hatte natürlich gleich erfasst, dass mein Mann Recht hatte, und dennoch wollte er diese Eier-Rochade nicht gelten lassen. Das machte Günter neugierig, und er setzte nach.
„Dann erklären Sie mir doch bitte einfach, was hierbei nicht stimmt!“ Căldărean sah sich in die Enge getrieben und platzte heraus:
„Diese Eier lagern hier schon seit mehreren Wochen, weil niemand sie kauft. Sicher sind viele schon klotschitich!“
Wir haben uns noch lange darüber amüsiert, denn der Tausch war eigentlich ganz raffiniert ausgedacht. Als wir später von Geldwäsche hörten, mussten wir lauthals lachen, denn was der verschlagene Roma hier praktizierte, war das perfekte Pendant dazu, nämlich – eine Eierwäsche! Jedenfalls war die ohnehin fragwürdige Redlichkeit des Alimentara-Managers durch sein Geständnis sehr ins Wanken geraten.
Und dies Wanken steigerte sich zu einem beachtlichen Beben, als uns in der Woche darauf der Schuster Misch flüsterte, wir sollten doch mal in Căldăreans Garten gucken! Hinter dem Lebensmittelladen lag ein kleines Grundstück, in dem der Roma ein paar Kartoffeln und Tomaten gepflanzt hatte. Als ich dann pro forma einige Möhren kaufen ging, gelang es mir, einen Blick durch das Hinterfenster des Ladens zu werfen. Und siehe da, zwischen fleißig gackernden und scharrenden Sussex-Hennen stolzierte unser Napoleun, wie wir ihn nannten einher - ein großer, gold-brauner Kokesch mit feuerrotem Kamm und blau-schwarzen Schwanzfedern, den wir im Monat zuvor hier abgegeben hatten! Hatte doch der Kerl unser Prachtstück nicht abgeliefert, sondern es einfach für sich behalten.

*) alle Namen geändert
Kurt Binder
schrieb am 29.09.2022, 15:52 Uhr
Die drei Musketiere

Einer meiner Schwäger war Pfarrer in Türkfeld*, ein Dorf an der Kokel. Er war ein hunorvoller Mann, und erzählte uns oft heitere Begebenheiten aus dem Alltag seiner Schäfchen. Besonders amüsant war die Beschreibung des spirituellen Lebens, das sich, wie er sagte, zwischen vier Eckpfeilen abspielte.
Da war zunächst der ‚primar’ – der Bürgermeister, ein Spross seiner erhabenen Mutter, der Partei! Diese edle Mama wachte als oberste politisch-ideologische Instanz wie eine Glucke mit Sorgfalt über ihre treu ergebene Kinderschar, der arbeitenden Klasse, und entwickelte ihr für absolut alle Ecken und Winkel ihres Lebens die Richtlinien für ihren steinigen Weg zu dem supremsten Ziel aller Zeiten, dem Nirwana, dem Paradies auf Erden – dem Sozialismus!
Ich gestehe, dass ich diese letzten Worte aus Achtung vor dem gottgleichen Begriff „Partei“ als analoges Pendant der Transzendenz - stehenden Fußes geschrieben habe!
Als zweiten und dritten Pfeiler in diesem Triumvirat konnte man risikofrei den Lehrer und den Pfarrer bezeichnen.
Zu der Definition eines Lehrers gehört unter anderem die Voraussetzung, dass es ein vielseitig gebildeter Mann sein müsse. Zum ‚Außerdem’ gehört die unvorstellbare Geduld, sich täglich einige Stunden lang als Dompteur einer variablen Anzahl von etwa 7 bis 12jährigen Mädchen und Jungen unterschiedlichen Temperaments und Gehorsams zu bewähren. Zu der Widerspenstigen Zähmung gesellte sich vorrangig seine eigentliche Aufgabe, nämlich die Schulkinder in die Geheimnisse unsres vielfältigen Lebens stufenweise einzweihen. Dieser nach Altersstufen differenzierte Unterricht, der oft in einem einzigen Klassenzimmer stattfand, war eine gigantische Herausforderung, mit der sich ein werdender Lehrer tunlichst schon vor seiner idealisierten Berufswahl vertraut machen sollte!
Wenn Sonntags von der Empore der Dorfkirche der glockenreine Gesang aus 27 Kinderkehlen erklnag, und sanfte, aber bestimmte Worte von der Kanzel in die gespannt lauschenden Ohren der Dorfbewohner drangen, ihnen ihre Sünden vor Augen führte, zugleich aber auch Gottes Großmut versicherte, ihnen diese zu vergeben – ja, dann war die Welt wieder in bester Ordnung. Durch geeignete Wortwahl, Glaubwürdigkeit und persönliche Ausstrahlung konnte der sächsische Pfarrer immer zu der Achtung und dem Respekt gelangen, der ihm von Seiten der Dorfbewohner somit verdienterweise entgegengebracht wurde. Und durch die häufigen Trauungen, Taufen, sowie den Konfirmationen und den Feiertagen waren auch persönliche Begegnungen an der Tagesordnung.
An diese „Drei Musketiere“, wie mein Schwager diese Persönlichkeiten scherzhaft nannte, die sich für Recht, Bildung und Tugend einsetzen, und dies wacker gegen jedwede Unbill von Seiten des überall lauernden Bösen verfechteten, dockte auch d’Artagnon an – erraten: der vierte Eckpfeiler: Der Milizmann, der „miliţianul satului“, kurz ‚militzer’ genannt. Pflichbewusst sorgte er mit vollstem Einsatz seiner blauen Uniform, seiner Pistole, und seiner Neugier für Ordnung und Frieden. So verströmte seine tägliche Allgegenwärtigkeit Sicherheit und wohltuende Geborgenheit, selbst dann, wenn er manchmal seine Wichtigkeit durch unangemessenes autoritäres Gehabe zur Schau trug. Mit Hilfe eines kleinen Bakschischs und ein paar Stamperln Ţuică wandelte sich der Ordnungshüter gewöhnlich schnell wieder zum ‚miliţianul binevoitor’.

Ja, über diese Quadriga in Türkfeld hatte mir mein Schwager berichtet, immer wieder von Lachen unterbrochen. Ich habe mich bemüht, in dieser Kurzfassung seiner abendfüllenden Erzählungen seine Worte und Formulierungen wiederzugeben. Ich maße mir nicht an, zu behaupten, dass mir das durchgehend gelungen ist!

*) Türkfeld: ein fiktiver Name

Kurt Binder
schrieb am 19.10.2022, 18:23 Uhr
Wenn alte Träume schäumen
Ein Wertefindungstripp

Ich war nie ein Träumer, und hab vom Leben nicht mehr verlangt, als es mir zu geben bereit war, bzw. als ich verdient habe! Doch wenn man in die Jahre kommt, so bemerkt man im Rückblick doch einige Lücken, die unausgefüllt geblieben sind. Dies ist eine schmerzhafte Erkenntnis, besonders wenn es sixh um Werte handelt, die unser tägliches Leben wie standhafte Eckpfeiler umgeben sollten.

So habe ich mir schon immer sehnlichst eine Urlaubsfahrt mit dem Traumschiff gewünscht, mit dem Kapitän Siegbert Rausch, einst als schönster Mann Deutschlands definiert. Befangen von der Aura seiner blendenden Ausstrahlung, mit ihm zusammen gar am Frühstückstisch zu mampfen – ja, das wäre das fünftschönste Erlebnis gewesen.

Einmal im Leben nach den Sternen greifen, und einen zweiwöchigen Urlaub in einem 9-Sterne-Hotel an einem Busen des blauen Meeres verbringen, so mit allem Pipapo – mein viertschönster Traum. Mal ehrlich - was gibt es berauschenderes, als sich von oben bis unten, von hinten und vorn beQuirrl-Wirrl-Poolen, und anschließend die Fußnägel manikürieren zu lassen, zu saunen, und danach bei verträumter Musik unter den lüsternen Blicken eines knackigen Jünglings bis zum Einschlafen massagiert zu werden. Von den kulinarischen Verführungen darf ich gar nicht sprechen; der Appetit würde mich derart übermannen, dass ich meine Katze roh verschlimgen würde. Und da hat mir doch tatsächlich so ein Gersundheitsfanatiker etwas von „aktiver Erholung“ ins Ohr geträufelt – einfach lächerlich!

Ein Ferienhaus auf Mallorka, womöglich in der Nähe von Ballermann 6 – nein, so überheblich darf ich nicht denken. Es bleibt meine drittschönste Vision in der Reihe erstrebenswerter, wertebehafteter Ziele im Leben – eine Lücke, die angesichts meiner eindeutig fortgeschrittenen Jugend für immer klaffen wird. Schade, denn ich hätte gerne auch mal kurz in unsre Sub- und Randkulturen reingeguckt.

Wenn ich jemals eine der prominentesten Damen usrer Hautevolle persönlich kennenlernen möchte, dann ist es – Dalilah Freudenthal! Jawohl, ich stehe zu diesem Traumziel, voll und mit ganzem Herzen. Wenigstens einmal im Leben sollte jeder das Gefühl gehabt haben, etwas Glanzvolles, an bleibendem Wert kaum zu Überbietendes erlebt zu haben! Einmal sich von ihren schwarz umflorten Jaguaraugen hypnotisieren zu lassen, den betörenden Duft ihrer wallenden, erdnussbutterfarbenen Haaren zu atmen - um sich dann, seiner Unwürdigkeit bewusst auf allen Vieren davonzuschleichen.

Dennoch gibt es etwas, das alles bisher Dagewesene kategorisch in den schattigsten Schatten schubst. Und das ist und bleibt mein erstrangiger Traum, weil einem gewöhnlichen Sterblichen solches Glück nie vergönnt sein darf.
Fritz Ballrein, Idol und Fußballheld, welcher kräftig mitgewirkt hat, diesen spannenden Kombinations-Mannschaftssport zu dem zu machen, was er heute ist. Kein Fan auf Gottes weiten Fluren hat jemals das für eine derart herausragende Persönlichkeit empfunden, wie ich! Und ich sage euch, meine Bewunderung und Wertschätzung grenzt keineswegs an Personenkult – sie ist Personenkult, und ich stehe dazu!! Ihm die Hand schütteln zu dürfen, seinen Kämpferblick abschätzend über mich hinuntergleiten zu lassen, dass sich die Hühneraugen vor Ehrfurcht schließen – ja, das wäre für mich die Erfüllung schlechthin, das Venedig, nach dessen Besichtigung ich rundum befriedigt glücklich ins Nirvana taumeln würde.

Tarimona
schrieb am 27.11.2022, 11:36 Uhr
Kurt, wenn ich deine Erinnerungen lese, da sprudeln sie auch in mir hoch. Eine davon möchte ich euch erzählen.

Apfelbaum – Gespenstertraum

Meine allerliebste und beste Freundin in Kindertagen war meine Cousine. Sie war nur ein Jahr jünger als ich und ihr Vater war Pfarrer und bewohnte das Pfarrhaus in einem kleinen Dorf unweit meiner Heimatstadt. Zum Haus gehörten ein wundervoller Garten und ein Bienenhäuschen. Dieses Bienenhäuschen beherbergte schon lange keine Bienenstöcke mehr, doch mein Onkel hatte Stockbetten eingebaut und im Sommer schliefen wir Kinder immer im Bienenhäuschen. Das war einfach wundervoll und wir zelebrierten diese Nächte ausgiebig. Gruselgeschichten waren natürlich unser liebster Zeitvertreib, während wir auf den Schlaf warteten.

Eines Abends sprühte meine Cousine nur so vor Fantasie. Sie erschuf ein Gespenst, das sie Freudenstehler nannte. Dieses Gespenst würde alle hundert Jahre genau hier im Pfarrgarten auftauchen und allen Menschen im Dorf die Freude rauben. Es sei denn, ein Ortsfremder würde sich mit dem Gespenst treffen und einen Apfel mit ihm essen. In 3 Nächten sollte es soweit sein. Ich lachte und schlief ein. Doch die Geschichte gärte in mir, blähte sich auf und plötzlich fühlte ich mich als Retterin des Dorfes berufen.

Als wir drei Tage später ins Bienenhäuschen schlafen gingen, tat ich so, als wäre ich sofort eingeschlafen. Als ich dachte, dass meine Cousine schlief, stand ich auf und spazierte in den Garten. Niemals werde ich diese Atmosphäre vergessen. Es war überhaupt nicht dunkel. Die Luft war sommerklar und warm, der Himmel voller Sterne und der Mond rund und prall. Ich suchte mir einen Apfelbaum aus und kletterte rauf. Sanft streichelte der Nachtwind mein Gesicht.
Die Sommeräpfel waren schon reif (wir nannten sie Klapperäpfel, weil die Kerne so schön klapperten, wenn man sie schüttelte) und so pflückte ich einen und wartete. Immer wieder bellte ein Hund, stritten sich zwei Katzen, doch die Geräusche machten mir keine Angst.
Ich war wild entschlossen, das Dorf zu retten und mit dem Freudestehler einen Apfel zu essen. Außerdem war ich einfach zu neugierig. Ich saß oben auf dem Apfelbaum und überlegte wie so ein Gespenst wohl aussehen würde. Die Kirchturmglocken schlugen Mitternacht. Ich saß wie erstarrt und sah in alle Richtungen. Da, war das ein Schatten? Nein, es war nur ein Hase, der vom Salat naschte.
Der Wind legte zu, und die Blätter summten mir en Schlaflied in die Ohren.
Dann rüttelte mich eine Hand an der Schulter. Ich schrie auf, streckte meine Hand aus und rief:
„Beiß in den Apfel Gespenst“
Das Lachen meiner Cousine klingt immer noch in meinen Ohren.
Was aber wirklich gespenstig war – wie kam ich unter den Baum? Da lag ich nämlich völlig unverletzt und schlafend, als meine Cousine mich fand und hielt den Apfel immer noch fest in der Hand. Jemand hatte hineingebissen und ich war es nicht. Hatte mir die Erinnerung einen Streich gespielt?
Eine Frage, die bis heute nie beantwortet wurde.

Tarimona
schrieb am 11.12.2022, 19:35 Uhr
Auch heute wieder Brücken in die Vergangenheit. Wenn auch weitestgehend (fast) frei erfunden. Ich schnappte mal irgendwo eine Gespräch auf, in dem es um die "schönste Melodie der Welt" ging. Das brachte meine Phantasie auf trab, denn die Vorstellung, dass es nur diese eine geben sollte, das wollte mir nicht einleuchten. Darum meine Geschichte.

Die schönste Melodie der Welt


Mira war wieder bei ihrem Vater zu Besuch und nach einem schönen Tag zog sie sich in ihr altes Mädchenzimmer zurück. Vater war 85, sehr rüstig und lebenslustig noch, aber trotzdem fehlte es ihm immer wieder an menschlicher Gesellschaft. Er ging nicht mehr gerne raus, also fuhr sie, wann immer es ihre Zeit erlaubte zu ihm. Und hin und wieder übernachtete sie auch dort. Das war jedesmal eine kleine Zeitreise in die Vergangenheit. Ihr Zimmer war unverändert, da hingen noch die Poster von ihren Teanie-Schwärmereien, weckten Erinnerungen an die erste Verabredung, den ersten Kuss, den ersten Liebeskummer. Als wäre es erst gestern gewesen.

Und wie immer wenn sie sich in ihr altes Bett legte, nahm sie die Spieluhr vom Schreibtisch und drehte an der Kurbel.
"Weißt du wieviel Sternlein stehen", summte sie leise mit. Die Spieluhr war ein Geschenk ihrer schon lange verstorbenen Mutter. Sie bekam sie zu ihrem 5. Geburtstag. Seither gehörte sie zu ihrem Einschlafritual. Die schönste Melodie der Welt, dachte sie noch und schlief ein.

Als sie morgens aus dem Bad kam, hatte ihr Vater schon den Frühstückstisch gedeckt.
"Hast du gut geschlafen", frage er, wie jedesmal.

"Ja, Paps, sehr gut. Mit der schönsten Melodie der Welt bin ich eingeschlafen.", sie lächelte ihn an.

"Deine schönste Melodie" antwortete er und zwinkerte ihr zu. Sie verstand.

"Und welches ist deine schönste Melodie"? fragte Mira sogleich.

"In meinem Leben gab es nicht nur eine" fing er an zu erzählen. "Als ich klein war, hörte ich meine Mutter immer eine bestimmte Melodie summen. Wenn ich sie fragte, was das für ein Lied sei, lachte sie nur und summte weiter. Für mich die schönste Melodie der Welt, denn Mutti war glücklich.

In späteren Jahren dann, heulten die Sirenen und wir schlossen die Fensterläden und versteckten uns im Keller. Dann ging das Getöse los, Bomben schlugen ein und die Angst lähmte uns und löschte jeden Gedanken aus. Bis die Entwarnungssirenen ertönten. Die schönste Melodie der Welt, denn wir lebten noch.

Dann, eines Tages jedoch, ertönte kurz die Sirene. Wir schlossen die Läden und gingen in den Keller. Im Radio hatten wir schon gehört, das sich etwas geändert hatte. Die Befreier waren auf dem Weg und der Krieg sollte zu Ende sein. Wir saßen wie immer voller Angst im Keller. Aber es blieb still. Und diese Melodie der Stille brannte sich uns allen in die Seele. Die Stille des Friedens. Die schönste Melodie der Welt!

Ich wuchs heran, leistete meinen Wehrdienst, und hier gab es keine schönere Melodie, als den Zapfenstreich. Beim Militär machte ich meinen LKW Führerschein und als mein Dienst beendet war, fand ich auch gleich eine Anstellung im Lager einer Spedition. Ich war gerade ein Jahr dabei, da lernte ich deine Mutter kennen. Aber die Geschichte kennst du ja", mein Vater lächelte Mira verschmitzt an und fuhr dann mit seiner Erzählung fort.

"In dieser Zeit, war das Geräusch der Stempeluhr, abends nach meiner Schicht, die schönste Melodie für mich, denn es bedeutete, dass ich heim zu deiner Mutter konnte.

Zwei Jahre danach, kamst du auf die Welt und ich war sicher, wir waren die glücklichste Familie aller Zeiten. Doch schon als du drei Jahre alt warst, änderte sich die Situation.
Meine Spedition hatte das Lager automatisiert und ich hatte die Wahl, entweder zu kündigen oder als Fahrer tätig zu sein. Deine Mutter und ich besprachen die Lage und so fuhr ich dann verschiedene Waren tausende von Kilomentern in Europa herum. Immer wieder zwischendurch bekam ich für meine Fahrzeiten eine Woche frei. Wenn ich mich unserer Haustüre näherte, hörte ich deine Mutter und dich reden, kichern und lachen. Auch das war für mich die schönste Melodie der Welt."

Mira bekam glänzende Augen und wischte sich verstohlen ein Tränchen weg.

"Und deine schönste Melodie in den letzen Jahren?" fragte sie.

"Die 3. Symphonie von Brahms", kam es wie aus der Pistole geschossen, "aber schöner noch, wenn ich dein Auto höre, wie es die Einfahrt hoch fährt."

Es gab eben nicht nur eine schönste Melodie der Welt!
Kurt Binder
schrieb am 18.12.2022, 13:39 Uhr
Ich muss sagen, liebe Tarimona, Deine Geschichte wirkt auf mich wie ein buntes Mosaik, in dem sich Zeit und Raum, Vergangenheit und Gegenwart, Realität und Fiktion dem Leser wie ein üppiges, köstlich gewürztes und berauschend duftendes Mahl aus Rosins Restaurant präsentiert ;-)) !
Ich wünsche allen Lesern, die es wie ich mit demselben Appetit genossen haben, ein genussvolles Nachverdauen dieser sinnreichen Auseinandersetzung mit der Unmöglichkeit, eine einzige Melodie weltweit zur schönsten küren zu wollen!
Heute scheitert so manche Suche nach solchen Superlativen daran, dass es sich hier um subjektive Empfindungen handelt, die bei 8 Milliarden Menschen wohl schwerlich dieselben sein können!
Originell: Die Stille des Friedens als schönste Melodie der Welt wahrzunehmen! Tragisch, dass heute manche Menschen so unmusikalisch sind – zum Verderben anderer!
Und – welch ein Zufall – auch meine ‚Lieblingsmelodie’ ist die 3. Sinfonie von Brahms (sowie hundert andere), und das Rattern des anspringenden Motors meines Autos, wenn wir zum Wandern in die Berge, oder nach Frankreich zum Skifahren starten wollten ;-)) !

Maikind
schrieb am 25.12.2022, 15:59 Uhr
In diesen Tagen geschieht es zwangsläufig, dass Kindheitserinnerungen um die Weihnachtsfesttage aufleuchten.

Mir geht es so, wenn ich im Winter eine Orange esse, und sie Scheibe für Scheibe in den Mund schiebe. Früher war das ein besonderes Ritual unter uns 4 Geschwistern die Orange feierlich untereinander zu teilen.
Der Duft der Orange verknüpft dieses Bild auch heute noch.

Weihnachtsleuchten

Wie hell das Weih der Winternacht
in diese Tage spiegelt
ein tiefes Fünkchen Frieden
lacht
und das Geheimnis still erwacht
aus goldnen Kinderwiegen!

Ein Kinderaugenleuchtenfest
ist mir die Weihnacht heute!
der Tannenduft, ein Plätzchen
lässt
die Liebe die im Schenken fest
erhellt wie Kleine, Leute.

frohe Weihnachten!
Tarimona
schrieb am 29.12.2022, 09:16 Uhr
Oh ja Maikind, das kenne ich nur zu gut. Auch bei mir ist es meistens der Duft von Orangen. Deine Zeilen haben mich sehr berührt. Danke dir.

Hier teile ich auch eine Erinnerung. Eine etwas längere Geschichte :-)

Das Wunderknäuel


Es war nun einmal Sitte, dass Mädchen stricken lernten. Dieses Mädchen aber, hatte die Angewohnheit im Sommer mit dem Schlafsack auszubüchsen und im nahen Wald zu übernachten oder kletterte um Mitternacht auf den Apfelbaum, um auf die Gespenster zu warten. Stricken war so ziemlich die schlimmste Folter, die sie sich mit ihren 9 Jahren vorstellen konnte. Ihre Freundinnen hatten es alle schon gelernt und die eine oder andere trug auch einen recht hübschen Schal im Winter, aber trotzdem – NIEMALS.

„Na komm Kind, so schwer ist das doch nicht.“ Wieder einmal saß sie mit grimmiger Miene mit ihrer Oma zusammen und diese versuchte ihr die Geheimnisse des Strickens zu offenbaren.
„Wickel den Faden um deinen Finger. So, jetzt mit der Nadel vorsichtig..“

Aber das verflixte Garn verhielt sich wie eine hinterlistige Schlange und schien sie feindselig anzuzischen. Wütend warf sie das Garn, mitsamt der Nadel, auf den Boden und rannte raus.
Oma sah ihr kopfschüttelnd nach und lächelte. Auch dieser zähe Braten würde weichgekocht werden. Schließlich hatte sie noch ein paar Tricks auf Lager.
So zogen die Tage vorbei und niemand belästigte das Mädchen mit so unangenehmen Dingen wie Stricken lernen.

Der Sommer verging und mit ihm die Düfte, das reife Obst, die nackten Füße im weichen Gras. Dann kam der Herbst mit seinen Winden, den bunten Blättern und den prallen, orangen Kürbissen. Schließlich folgte der Winter und brachte den Schnee.
Wenn das Mädchen aufwachte, rannte sie gleich zum Fenster und riss es auf. Ahh, wie herrlich der Schnee duftete. Dann schnell anziehen, in die Stiefel schlüpfen und raus. Tap, tap.... stolz reckte sie den Kopf, sie war die erste, die ihre Spuren im frisch geschneiten Schnee hinterließ. Und wenn sie wieder hereinkam erwartete sie ein Duft nach Zimt und Honig. Oma war schon am Plätzchen backen, Weihnachten war nicht mehr weit.

„Was wünschst du dir denn Kind“? Fragte die Oma.
„Ich brauch einen neuen Bleistift, ein Radiergummi, aber so eins, das nach Kaugummi riecht, Abziehbilder, Buntstifte und vielleicht auch Kaugummi.“
Ja die Wünsche in jenen Tagen waren schon ein wenig anders geartet, aber um nichts weniger dringend.
Die Oma lächelte nur.

Und dann war der große Tag da. Opa und die Eltern waren im Wohnzimmer verschwunden und sie saß mit Oma und den Geschwistern am Küchentisch und knotete Bändchen an kleine rote Äpfel und goldene Nüsse, verpackte Bonbons in buntes Papier mit Fransen und bohrte Löcher in Honigkekse. All das wurde auf einen Besenstiel gehängt der auf der Lehne zwischen zwei Stühlen lag. Opa kam immer wieder heraus und holte den vollbestückten Besenstiel.
Das Kind plapperte unaufhörlich, erzählte von den letzten Schultagen, von den bevorstehenden Ferien und den Büchern die es lesen wollte. Zwischendurch prasselten Fragen auf die Oma, deren Beantwortung das Mädchen gar nicht abwartete.

Schließlich stand Oma auf, ermahnte die Kinder, brav am Tisch sitzen zu bleiben, und ging auch ins Wohnzimmer. Aber brav sitzenbleiben war so gar nicht das was dem Mädchen vorschwebte. Kaum war die Oma aus dem Zimmer, sprang sie vom Stuhl und sauste zur Tür. Neugierig presste sie das rechte Auge ans Schlüsselloch. Aber alles was sie sah, war eine brennende Kerze. Mehr gab diese kleine Öffnung nicht preis. Enttäuscht setzte sie sich wieder hin. Alles war wie jedes Jahr, und tatsächlich, schon bimmelte das Glöckchen und die Türe öffnete sich. Unter den lächelnden Blicken der Erwachsenen betraten die Kinder das vertraute Zimmer. Wie wunderschön es heute aussah, wie gut es roch, wie warm es war. Der Tannenbaum strahlte und all die guten Dinge hingen an ihm. Und unter dem Baum die Geschenke. Sie vibrierte vor Aufregung.
Aber erst kam die Zeremonie. Sie sangen „Oh du Fröhliche“ und dann „Ihr Kinderlein kommet“ und „Leise rieselt der Schnee“ und „Vom Himmel hoch da komm ich her“ und „ Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen“ Opa spielte Gitarre und der Vater begleitete sie am Klavier. Dann war es Zeit für ihr Gedicht.
Stolz stellte sie sich unter den Tannenbaum und fing an:

„Glitzernd liegt der Schnee und funkelt
Tannen leuchten warm und hell
Draußen schon der Himmel dunkelt....“

Jetzt las Opa die Weihnachtsgeschichte vor, dann wurde noch „Stille Nacht, Heilige Nacht“ gesungen. Danach waren endlich die Geschenke dran.
Das Mädchen rutschte ungeduldig auf ihrem Stuhl herum. Endlich stand der Vater auf, ging zum Tannenbaum und fing an die Geschenke zu verteilen. Das erste Päckchen bekam sie. Schnell riss sie es auf – oh, eine gelbschwarze Zipfelmütze. Enttäuscht sah sie sich um.
„Setz sie doch mal auf“, schlug die Mutter vor. Missmutig zog sie sie über den Kopf. Sie kratzte und schnell zog sie sie wieder runter. Die Mutter lachte, kannte sie doch die Abneigung ihrer Tochter gegen jede Art von Mützen.

Und schon lag das zweite Päckchen da – oh, Handschuhe, natürlich schwarzgelb. Wieder ein Päckchen, aber wie sah das denn aus. Ein viereckiger Karton kam zum Vorschein und als sie ihn öffnete erstarrte sie. Darin lag ein riesiges buntes und unförmiges Knäuel Wolle und ein Paar Stricknadeln. Fast hätte sie angefangen zu weinen. Oh nein, schon wieder diese Strickerei.
Doch dann entdeckte sie an der Seite des Knäuels eine Bleistiftspitze. Sie nahm das Knäuel in die Hand und da sah sie es. Überall guckten die verschiedensten Sachen raus, alle fest mit Garn umwickelt. Sie packte den Stift und wollte daran ziehen.
„Nein, nein mein Kind, so geht das nicht. Dies ist ein Wunderknäuel und nur wenn du die Wolle verstrickst, wird es die Geschenke für dich freigeben.“ Omas Stimme klang weich und verständnisvoll.
Tatsächlich, so sehr sie auch zog, der Stift ließ sich nicht herausziehen.

„Zeigst du mir nochmal wie man strickt Oma?“ Sie wollte unbedingt wissen, was da so alles in diesem Knäuel schlummerte und auf sie wartete.
Geduldig zeigte Oma ihr wie man die Maschen aufnahm und überwachte die ersten Strickreihen. Und wie durch ein Wunder verstand das Mädchen sofort wie es ging, und die Wolle verhielt sich auch nicht mehr wie eine giftige Schlange. Und oh, eben war es noch gelb, jetzt wurde die Wolle rot, und jetzt grün. Dann passierte es, ein funkelnagelneuer, schön gespitzter Bleistift fiel heraus. Sie war selig.

„Kind, es ist Zeit ins Bett zu gehen“, mahnte Omas Stimme.
Unwillig ließ sie sich das Strickzeug aus der Hand nehmen. Zähneputzen, Nachthemd anziehen, ins Bett. Aber kaum hatte Oma das Licht ausgemacht, schlüpfte sie wieder aus ihrem Bett, schnappte sich das Strickzeug und setzte sich ans Fenster. Leise stieß sie den Fensterladen ein wenig auf und von der Straßenlaterne fiel genau so viel Licht herein, dass sie die Nadeln und Maschen sehen konnte. Sie strickte und strickte, ein Radiergummi fiel raus und oh Wunder, es roch nach Kaugummi und jetzt gar ein Bleistiftspitzer und wie schön, zwei Abziehbilder. Und wieder stricken und stricken..

„Kind, ja was.........“, die Stimme der Mutter riss sie aus dem Schlaf. Erschrocken zuckte sie hoch. Ach herrje, sie war wohl beim Stricken eingeschlafen. Das Knäuel war auf den Boden gefallen, die Nadeln waren aus den Maschen gerutscht und alles war nur noch ein Kuddelmuddel. Sie fing an zu weinen. Die Mutter nahm sie in die Arme und sagte:
„Weine doch nicht, das wird schon“, und lächelte sie beruhigend an.
Oma kam hinzu, sagte nichts, hob die Bescherung auf und nach ein paar Handgriffen sah alles wieder schön und ordentlich aus.

„So, jetzt wird erst gefrühstückt und dann kannst du weiter stricken“.
Ja, und so wurde es auch gemacht. Das Mädchen strickte und strickte, befreite bunte Kaugummikugeln, Schokoladetaler, noch mehr Abziehbilder, noch mehr Stifte und dann in der Mitte, als der Schal fertig und die Wolle völlig aufgebraucht war ein kleines Kästchen.
Neugierig öffnete sie es. Darin lagen ein kleiner Geldschein und ein Zettel.

„Ich gratuliere dir. Du hast das Geheimnis des Wunderknäuels gelüftet.
Geduld und Fleiß gewinnen jeden Preis.“ Stand da drauf.

So stolz und glücklich hatte sie sich noch nie gefühlt. Sie nahm den Schal, lief zu ihrer Oma und legte ihn ihr um den Hals.
„Den schenk ich dir.“
Die Oma lächelte und nahm sie liebevoll in die Arme.
Sie war wahrscheinlich die einzige Oma in der ganzen Stadt, die einen rot-orange-grün-rosa-schwarz-blau-lila-weiß-gelben Schal besaß.

Bliebe noch zu erwähnen, dass dieses Mädchen Tarimona hieß, erwachsen wurde, graue Haare bekam und immer noch nicht gerne strickt.
Maikind
schrieb am 08.01.2023, 20:09 Uhr (am 08.01.2023, 20:10 Uhr geändert).
wie schön Tarimona, dass die Geschichte nicht als Alptraum empfunden wurde!
schlaue Idee der Oma!
hat ja fast funktioniert 😊
finde sie sehr schön, auch für Kinder denke ich, gut zu lesen.
Kurt Binder
schrieb am 12.01.2023, 09:32 Uhr
Der Tag, an dem ich Schwimmen lernte

Das Strandbad bei Hermannstadt war im Sommer nicht nur eine Stätte der Abkühlung, sondern auch ein beliebter Treffpunkt von Bekannten, Familien und Gaschken. Um seinen Charme und herzige Erinnerungen nicht verblassen zu lassen, erwähne ich auch nicht, wie man doch mit Selbstverständlichkeit und stoischer Ignoranz in der trüben Brühe schwamm, in der einem nicht selten ein Fröschlein begegnete, das einen genau so erstaunt anglotzte, wie man es! Das Wasser wurde nämlich ungefiltert aus dem Zibin einfach in die drei Basins, und in das etwas abgelegene Froschbad für Kleinkinder eingelassen.
Es war im Jahre 1943. Ich war zehn Jahre alt, ging schon in die dritte Klasse zu Lehrer Georg – und konnte noch nicht schwimmen. Trotzdem ging ich oft ins Strandbad, stand gerne am Rand des „Tiefen“, und beneidete die Großen, die sich mit Todesverachtung in der braunen Tunke tummelten. So auch heute.
“Servus, Kurt!“, hörte ich da eine Stimme hinter mir. Es war Klaus Reinhard, ein Bub aus meiner Klasse. Er ließ seinen Blick kühn über die Fluten gleiten, als wolle er sich gleich hineinplongieren. Einem spontanen Impuls folgend, fragte ich ihn:
“Kannst du mich schwimmen lernen?“ Diese kleinen sprachlichen Unarten waren in Hermannstadt stellenweise gang und gäbe, und gehörten beinahe zum Guten Ton. Andernfalls wurde man gerne mit der Bemerkung apostrophiert. „gescheiter sein zu wollen“. Klaus jedenfalls verstand mich sofort, und antwortete begeistert:
“Na klar – spring hinein!“ Ich sah ihn erst verduzt an, doch da ich nicht wasserscheu war, vertraute ich darauf, dass auch er ins Wasser käme, um mich schwimmen zu ‚lernen’. Also sprang ich seiner Order gemäß einfach hinein.
Ich sackte ab wie ein Stein, und spürte im nächsten Augenblick den Boden unter meinen Füßen. Sofort stieß ich mich ab, tauchte unertrunken wieder auf – und starrte in Klaus' lächelndes Gesicht, der immer noch oben auf dem Betonrand stand.
“Na, du knnst es ja schon!“, lobte er mich, und half mir, herauszusteigen. Doch ich drehte mich um – und sprang wieder hinein. Auf den Grund tauchen, übers Eck kräftig abstoßen, auftauchen und am Rand festhalten. Klaus sah mir sehr aufmerksam zu. Ich wurde nun immer mutiger – und wandte mich nach dem nächsten Sprung sogar weiter hinaus, machte ein paar Schwimmbewegungen, kehrte um, und kletterte allein aus dem Tiefen heraus. Klaus machte ein unbeschreibliches Gesicht. Ich sah in stolz an, und wartete auf sein Lob. Endlich machte er den Mund auf.
“Sag mal, Kurt“, kam es zögernd, „kannst du mir auch zeigen, wie man schwimmt?“
“Na klar – spring hinein!“
Maikind
schrieb am 12.01.2023, 17:54 Uhr
Goldig, Klaus!
die Unbeschwertheit der Kinder
wünscht man sich oft im Erwachsenenalter.
Maikind
schrieb am 13.01.2023, 09:38 Uhr
Pardon! Kurt!
entschuldige bitte den Tippfehler😊
Maikind
schrieb am 13.01.2023, 09:59 Uhr (am 13.01.2023, 10:01 Uhr geändert).
zur Wiedergutmachung eine kleine Geschichte

Es war ein erster Schultag
zweite oder dritte Klasse
sauber herausgeputzt mit Mäschchen auf dem Kopf und Blumenstrauß für die Lehrerin in der Hand.
Vermutlich war dadurch etwas Hektik entstanden, ich war spät dran und in Eile.
Zudem standen fremde Handwerker herum, die unser Haus fertigbauen sollten, die wie man kennt sich immer laut unterhalten.
Eine Menge Geschehen an dem Morgen also, ich stand endlich vor dem Haus als einer der Handwerker schmunzelnd aus dem Baustellenfenster rief:
"Mädchen, willst du in den Hausschlappen zur Schule gehen?"
HaHa
Rot angelaufen kehrte ich wieder und schuhte um.
Ich kam pünktlich aber vermutlich noch röter im Gesicht, in der Schule an.
Kurt Binder
schrieb am 13.01.2023, 10:54 Uhr

Errare humanum est!


Ich begnadige Dich, oh Ute,
denn - scribimus, ergo sumus,
also - pax vobiscum in aeternum!

;-))))))))))))))))))

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