Altes Haus - Brücken in die Vergangenheit

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Kurt Binder
schrieb am 10.12.2020, 09:53 Uhr
Türen trennen, Schlüssellöcher verbinden - gelebte Momente aus den Erinnerungen eines Kindes, die duch ihre Intensität nötigen, über Erfüllungern und Versäumnisse im eigenen Leben nachzudenken!
Die letzten Abschnitte, liebe Tarimona, machen Deine Rückblicke zu einer wahrhaft anrührenden Weihnachtsgeschichte!
Kurt Binder
schrieb am 10.12.2020, 12:16 Uhr
Eine bemerkenswerte Maxime

Professor Liu war das, was jeder dankbare Schüler eine "Witzfigur" genannt hätte. Klein, schmudlig gekleidet, Halbglatze, starke Brillengläser, hastige Bewegungen und andere Merkmale, die ihn zu unsrem Amüsement aus der Reihe der stinklangweiligen Normalos heraushob.
Ein Tick war besonders bemerkenswert. Er führte die linke Hand an das Kinn, verharrte einen Augenblick, und hob sie dann bedächtig nach oben, indem er diese Geste mit einem schnalzenden "tch" begleitete. Diese Vorführung durften wir mindestens fünfmal pro Stunde genießen. Damit beabsichtigte er offensichtlich, seinen trockenen Vorträgen über die Kohlenwasserstoffe, Polyole oder den Aromaten einen affektvollen Nachdruck zu verleihen, der aber leider immer nur dazu diente, sein bemühtes Auftreten noch komischer erscheinen zu lassen.
Während einer Chemie-Stunde schickte er Mircea, einen Klassenkameraden in das Gerätezimmer, um ein Stativ für einen Versuch zu holem. Der kam nach einigen Minuten ohne Stativ zurück, und erklärte, es sei ihm aus der Hand auf den Steinboden gefallen, und wäre total verbogen!
Liu starrte ihn ungläubig an. Dann hob er die linke Hand ganz langsam an das Kinn, verharrte in Nachdenker-Pose eine Weile, ließ dann die Hand diesmal blitzartig nach oben schnellen, schnalzte das „Tch" mit feuchtem Nachdruck durch die Klasse, und belehrte den verdutzten Mircea mit den Worten:
“Ţine minte – nu se spune niciodată 's-a stricat', mai degreabă 's-a dres'!“ („Merke dir – man sagt nie 'es ist kaputt', sondern 'es wurde repariert'!)"
Dann wandte er sich seinem Versuch zu, ergriff ein Reagenzglas und füllte es mit verdünnter Salzsäure. Doch er hatte Pech. Das Glas glitt ihm aus der Hand, fiel hinnter und zerschellte. Mit weit aufgerissenen Augen betrachtete er das qualmende Desaster auf dem Boden. In der Klasse ergriffene Totenstille. Bis eine freche Stimme die andächtige, Beileid bekundende Starre mit diesen Worten brutal zerriss:
“S-a dres!“ *
An die Reaktion Lius erinnere ich mich leider nicht mehr.

*Die Übersetzung erfolgte hier sinngemäß
Kurt Binder
schrieb am 18.12.2020, 17:34 Uhr
„Läutet, ihr Glocken ... !“
Meiner Mutter Marie Margarete gewidmet

Der Weihnachtsabend 1944 war von einer Besonderheit geprägt. Er fand genau vier Monate nach dem Tag statt, an dem mein Vater, SS-Soldat im Urlaub, einen Tag nach dem Frontwechsel Rumäniens vom 23. August von zu Hause in Uniform und mit voller Ausrüstung in Hermannstadt zur Sammelstelle auf den Großen Ring gegangen war. Er sollte nie wieder zurückkommen.
Das kleine Fichtenbäumchen war auch diesmal bescheiden, aber hübsch mit selbstgeklebten bunten Papierketten und weißen Kerzen geschmückt. Dazu hatten wir Würfelzucker, in weißes Seidenpapier gewickelt und einige Wunderkerzen dazwischengehängt. Etwas Watte auf den Zweigen verteilt vermittelte von der draußen liegenden Schneedecke sogar etwas winterlichen Flair in unsre warme Stube.
Trotz unsrer Armut hatte Mama jedem von uns Kindern auch diesmal eine Kleinigkeit schenken können. Meine damals vierjährige Schwester Inge hatte ihr ein Bildchen gezeichnet, und mein Bruder und ich hatten ihr von ein paar gesparten Lei eine kleine Bonboniere gekauft.
Nach dieser bescheidenen Bescherung gab es Abendbrot. Der Familientradition gemäß hatte Mama „G’sölchtes, Kraut und Knödel“ zubereitet, mit selbstgemachten Brotknödeln und fein gehobeltem eingelegtem Sauerkraut. Vom Selchfleisch bekamen wir jeder nur ein kleines Stückchen – nur zum Geschmack sozusagen. Doch es mundete trotzdem köstlich.
Diesmal hatten wir weder Weihnachtslieder gesungen noch Gedichte aufgesagt, weil unsre Stimmung trotz des guten Mahls und unsres kleinen Lichterbaums nicht die beste war. Tata war während des Krieges bis auf zwei Urlaube von uns getrennt, und Mama litt sichtlich unter dem Alleinsein, zumal sie auch noch unsren Betrieb weiterleiten und die Angestellten entlohnen musste. Das hatte sie bis zum März 1946, dem Tag der sogenannten Enteignungen als gelernte Buchhalterin bestens geschafft!
Die Ahnung, dass wir unsren Vater nie wieder sehen würden, spiegelte sich auch in Mamas schönen Gesichtszügen, denn trotz gelegentlichem Lachen und Witzeln konnte sie diese große Leere in ihrem unausgefüllten Leben nicht verbergen. Erst kurz zuvor hatte sie ihr 36. Lebensjahr erfüllt.
Doch bevor wir nach unsrer schönen Weihnachtsfeier schlafen gehen sollten, überraschte uns Mama mit einer Neuigkeit. Sie holte aus dem Schrank ein Blatt Papier hervor und meinte verlegen:
„Ich habe hier ein Weihnachtsgedicht geschrieben - und das möchte ich euch gerne vorlesen!“. Wir staunten nicht schlecht, denn dies war das erste Mal, dass wir von Mamas dichterischer Begabung erfuhren. Inge kuschelte sich an sie, und wir guckten sie gespannt an. Dann begann Mama zu lesen:


Zur Christmesse

Zur Christmess’ läuten die Glocken
ihr altes, vertrautes Lied,
doch klingen sie heute so düster,
als wären sie gar so müd.
Es liegt hinter diesem Klingen
ein langer Weg zurück;
sie läuteten schon zu Vielem,
zu Freuden, zu Leid und zu Glück.

Ihr Glocken aus hartem Eisen,
gegossen in heißer Glut,
gestärkt für die schwersten Tage,
verliert ihr nun auch den Mut?
Was sollen dann wir dazu sagen,
wir schwachen Menschen von heut?
Ihr Glocken, ihr dürft nicht versagen -
stimmt an mit frohem Geläut!
Und läutet in vollen Tönen
in jedes Herz hinein;
es ist heut doch Christus geboren,
er wird unser Retter sein!

So ist für uns Christen auf Erden
das Höchste die heilige Nacht;
das kann uns auch niemand rauben,
dazu gibt es keine Macht!
Und in diesem festen Glauben,
so blicken wir zu euch hinauf -
läutet, ihr Glocken, läutet
und höret nimmer auf!

Nach diesen letzten Versen kullerten Tränen über ihre bleichen Wangen. Sie streichelte Inges Haare und sah zu uns herüber, und wieder bemerkte ich tiefe Verzweiflung in ihrem schönen Gesicht. Wir wussten nicht, was wir sagen sollten. Mama hatte ihr Gedicht mit ruhiger, leicht vibrierender Stimme monoton und ohne Pathos vorgelesen, und dennoch waren wir zutiefst beeindruckt von der schlichten Schönheit ihrer Verse, die an diesem Abend aus der Tiefe ihrer gepeinigten Seele gequollen waren.
„Ich habe dieses Gedicht vorgestern dem Herrn Stadtpfarrer Hermann zugeschickt - und es ihm gewidmet!“, teilte uns Mama dann zögernd mit.
Am 29. Dezember kam ein Antwortschreiben vom Stadtpfarrer, worin er sich ganz herzlich für diese Zuwendung bedankte. In seinen letzten Worten äußerte er seinen Wunsch, dass der Zeitpunkt kommen möge, an dem Mamas Gedicht unsrem Volk zugänglich gemacht werden könne!
Später habe ich erkannt, dass diese seine letzten Worte seine Überzeugung aussprachen, dass unsre derzeitige Lage nur vorübergehend sei.

Gekürzter Auszug aus „Unter Roten Wolken" (Schiller-Verlag)
Michael5
schrieb am 18.12.2020, 20:57 Uhr
Danke, Kurt, für diesen Text und das dazugehörige Gedicht. In die unendliche Trauer, Verzweiflung und Hilflosigkeit ( düster, müd, Leid, die schwersten Tage ) mischt sich am Ende dann doch ein wenig Hoffnung. War es die Hoffnung auf ein Wiedersehen ? Die Hoffnung auf ein Ende des Krieges, auf bessere Tage ? Auf ein unbeschwertes Heranwachsen der Kinder ?
Und auch ich bin "zutiefst beeindruckt von der schönen Schlichtheit ihrer Verse".
Danke für dieses schöne Gedicht !
Lybelle
schrieb am 19.12.2020, 08:39 Uhr
Danke lieber Kurt für deine Erinnerungen und das schöne Gedicht, danke daß Du sie mit uns teilst. Es waren schwere Zeiten für Euch, welche meine Generation nicht mehr mitmachen musste. Aber man kann zum Teil, (da man nicht betroffen ist) mitfühlen wie schlimm es gewesen sein mußte, und doch die Hoffnung bestand auf Besserung der damaligen Situation.
Kurt Binder
schrieb am 25.12.2020, 16:32 Uhr
Angeregt durch den Schriftverkehr mit einem jungen evanghelischen Pfarrer in Siebenbürgen, bezüglich unsres Stellenwertes als Siebenbürger, bringe ich hier einige Erlebnisse, deren Kernproblematik ich damit gerne zur Diskussion stellem möchte.

Gesundes Selbstbewusstsein oder peinliche Überheblichkeit? (Teil 1)

Nicht immer sind meine Begegnungen mit Landsleuten in der Bundesrepublik erfreulich verlaufen. Es kam oft vor, dass Worte fielen, wie „ ... diese Deutschen hier ... " oder „wir Sachsen so ... und so ... “, kurz – manches war einfach nicht zu vergleichen mit "uns"! Und so wurde die Verbundenheit einiger Siebenbürger zur alten Heimat mit einem wahren King-Kong-Gehabe manifestiert.

Ich bummelte wieder einmal beim ALDI mit meinem vollen Einkaufswagen durch die Reihen, als vertraute Heimtlaute in meine Ohren drangen. Es waren zwei junge Männer, die sich etwas lautstark im besten Hermannstädter Sächsisch unterhielten. Ich ging näher heran, in der Absicht, die beiden eventuell anzusprechen. Doch als ich vernahm, worüber sie sich angeregt unterhielten, nahm ich sofort wieder Abstand und beobachtete die Szene aus sicherer Entfernung . Der eine hielt einen in Plastikfolie eingeschweißten weißen Speck in der Hand, hob ihn seinem Begleiter vor die Augen und rief sichtlich erregt:
„Na hirst te awwer af! Det sål na Båfliesch sen - det? Dåt kåst ta denger Bållegriß erziëhlen!“ „Jetzt hörst du aber auf! Dies soll Speck sein - dies? Das kannst du deiner Ballagroß* erzählen!“ Der Befragte sah sich peinlich berührt um, und ich erriet aus dem Gebaren des Speckexperten, dass der entweder hier zu Besuch war oder als neu Zugereister in der Bundesrepublik erst mal zeigen wollte, was eine Siebenbürgische Harke ist! Das geschmähte Stück Schweinerücken war zwar mindestens 5 Zentimeter stark, doch aus der Gestikulation des erregten Landsmannes und dem mit seinen Fingern angezeigtem Maß war zu ersehen, dass es bei ihm zu Hause Ehrensache war, von „Båfliesch“ erst ab acht Zentimeter Dicke zu sprechen; alles andere werde für Grammeln verwendet. Es schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass das deutsche Mastschwein Komplexe kriegen würde, wenn es von den Idealmaßen seines siebenbürgischen Kollegen erführe.

Hier wurde mit beiden Fäusten kräftig auf die Brust getrommelt, um mittels Abwertung hiesiger Produkte die Einzigartigkeit Siebenbürgens zum Ausdruck zu bringen! Diese Bemühungen in Ehren, aber – muss es wirklich auf eine derart überhebliche Art und Weise sein?


Auszug aus „Die lange Nacht der Erzählungen“
(Kap. „Wie ich sie wiedersah")


Kurt Binder
schrieb am 31.12.2020, 09:54 Uhr
Besuch zur Geisterstunde
So etwa könnte es werden ...

Wir schreiben heute den 31.12.2020. Nach einem opulenten Abendbrot, sowie dem Genuss von „Diner for one“, Schweizer Version, setze ich mich in meinen Lieblingssessel, schließe die Augen und sinniere. Ja, es gibt viel zu sinnieren, nach einem Jahr, das nicht nur von eitel Freude und Wohlbefinden geprägt war.
Ein Klopfen reisst mich aus meinem Umherschweifen in der Vergangenheit. Ich sehe uuf die Uhr - es ist genau 00:00 Uhr. Auf der Straße heulen bereits die ersten Leuchtraketen in den verängstigten Himmel. Verärgert über diese unangemessene Störung gehe ich zur Haustüt und öffne.
“Guten Abend!“, sagt die Störung, "darf ich eintreten?" Da ich allein bin, und nie etwas gegen einen Plausch einzuwenden habe, nicke ich und trete zur Seite.
“Mein Name ist 2021", sagt die Störung, reicht mir die Hand und tritt in die Stube. Sie trägt einen umfangreichen Koffer in der Hand. „Ich will Sie auch nicht lange stören – bloß 365 Tage lang!“ Ich blicke ziemlich irritiert aus der Wäsche.
“Verzeihung, Frau 2021, aber ...“
“Ich bin keine Frau!“
“Ja, also Verzeihung, Herr ...“
“Ich bin auch kein Herr; ich bin ein Neutrum, also hauptsächlich sächlich – das neue Jahr 2021!“ ES stellt den Koffer neben einen Stuhl und setzt sich.
“Dies ist meine Geburtsstunde, wissen Sie, und ich bin jetzt gerade mal – “, 2021 schaut auf die Uhr, „zwei Minuten alt!" Das stimmt - es ist genau 2 Minuten nach 00:00 Uhr. Es deutet auf den Koffer und sagt:
“Der ist für Sie!" Ich erkundige mich höflich, was denn darin sei?
“Das weiß ich auch nicht!", meint es verlegen. "Zeitreisen kann man nur in die Vergangenheit machen, nicht aber in die Zukunft, weil diese noch nicht stattgefunden hat!" Aha! Ich will den Koffer öffnen, aber 2021 wehrt entesetzt ab.
“Pfoten weg, um Himmels Willen!", sagt es. "Da würde sich ja die gesamte Unbill eines Jahres auf einmal über Sie ergießen; das hält kein Aas aus. Die vorgesehenen Rationen müssen wie bei einem Adventkalender täglich einzeln entnommen werden!“ Aha!
Es redet weiter und weiter, erinnert mich an eine Menge Dinge von früher, und lästert über seinen Vorgänger, das Schaltjahr 2020, als ob ich das nicht schon alles wüsste. Von dem Redeschwall eingelullt muss ich wohl kurz eingeschlafen sein.
Ein Klopfen reisst mich aus meinem Umherschweifen in der Vergangenheit. Ich sehe auf die Uhr - es ist genau 00:00 Uhr. Auf der Straße heulen bereits die ersten Leuchtraketen in den verängstigten Himmel. Verärgert über diese unangemessene Störung gehe ich zur Haustüt und öffne – doch da ist niemand. Das Klopfen war wohl von der Straße gekommen.
Da schließe ich das Fenster, lasse alle Rollos herunter, gehe zu Bett und stopfe mir Ohrenstöpsel in die Löffel. Sollen sie doch die halbe Nacht lang die Umwelt sinnlos verlärmen und verschmutzen – ohne mich! Auch muss ich morgen ausgeruht sein, weil ich eine herrliche Idee fürs Forum habe.

Gute Nacht!
Maikind
schrieb am 03.01.2021, 20:24 Uhr (am 03.01.2021, 20:30 Uhr geändert).
Lieber Kurt,
Die erste Ration hast du also in purer Gelassenheit entgegen genommen?😀

Ich hatte auch mit weniger Böllerei gerechnet
Aber scheinbar ist die Menschheit nicht so einfach vom Selbstzerstörungswahn weg zu bekommen.

Schön wie die Geschichte über die Wiederholung ineinander fließt!
Kurt Binder
schrieb am 08.01.2021, 11:36 Uhr
Hallo, liebe Freunde unsres Forums,

wie bereits am 25.12.2020 angekündigt, bringe ich hier ein weiteres Erlebnis der peinlichen Art. Damit will ich keinen 'Krieg der Sterne' anzetteln, bloß gerne eure Meinungen zu dem "Siebenbürger in Deutschland' zur Diskussion stellen.
Auch das folgende Erlebnis deutet auf ein Selbstwertgefühl hin, das deutlich über ein angemessenes Selbstbewusstsein hinausgeht!

Gesundes Selbstbewusstsein oder peinliche Überheblichkeit? (Teil 2)

Willi, der Sohn eines Bekannten, kam mit seiner jungen Frau Hanne aus Hermannstadt zu einem mehrtägigen Besuch zu uns. Wir hatten zu Mittag gegessen, und zum Nachtisch stellte ich einige Äpfel auf den Tisch. Hanne griff sich einen, betrachtete ihn von allen Seiten und roch daran. Dann biss sie zögernd hinein, verzog beim Kauen das Gesicht und meinte:
„Also ist es wahr, dass die Äpfel in Deutschland nach nichts schmecken!“
Nun, wenn man die plumpe Unhöflichkeit eines Gastes beiseite lässt, so war für Hanne dieser Apfel offensichtlich ein willkommener Beweis dafür, ihre bereits zuhause vorgefasste Meinung über die Minderwertigkeit deutscher Erzeugnisse bestätigt zu sehen. Dass es hier hunderte von Sorten gibt, hielt ich für unnötig, ihr zu erklären.
Für mich war es immer unerträglich, wenn ich auf Menschen stieß, deren Verbundenheit zu Siebenbürgen sich in dem unerschütterlichen Grundsatz manifestierte, dass dort alles besser sei als anderswo. Dabei war dies nicht immer Überheblichkeit, sondern oft bloß der hilflose Ausdruck einer generellen Abwehrhaltung, eine Form der Selbstberuhigung, wenn man selbst nicht ausreisen wollte - oder konnte! Die Gewissheit, das in Deutschland die „Trauben sowieso zu sauer“ seien, half vielleicht manch einem, den Entschluss zu bleiben, wenn auch nur halbherzig zu akzeptieren.
Zum Abendbrot bot sie mir erneut Anlass zum Stirnrunzeln. Es gab kalte Platte. Ich nahm mir eine rote Paprika auf den Teller und schnitt mit einem spitzen Messer den Stiel mit der daran hängenden weißen Verdickung mit den Kernen heraus. Hanne sah mir interessiert zu, blickte lächelnd zu Willi, und bemerkte dann:
„Das kann man doch essen!“ Diese erneute Belehrung, wie lebensunfähig wir hier vegetieren, nervte mich. Ich legte den Stiel auf ihren Teller und sagte gereizt:
„Dann lass es dir schmecken. Wenn du noch mehr Stiele willst - ich hab noch sieben Paprika draußen!“ Hanne sah mich maßlos erstaunt an, stand auf und lief weinend hinaus. An diesem Abend sah ich sie nicht mehr. Willi hatte diesen Vorfall mit sichtlicher Verärgerung beobachtet. Er griff nach einer Sprudelflasche und betrachtete sie genau. Dann meinte er abfällig:
„Also, in einem Land, wo man das Wasser kaufen muss, möchte ich nicht leben!“ Er ging zur Wasserleitung, ließ sein Glas volllaufen und trank es genüsslich aus. Ich erklärte ihm, dass ich auch das Leitungswasser bezahle, und dass er in Hermannstadt das Mineralwasser ja auch kaufen müsse. Doch weil er sich in die Enge getrieben fühlte, brummte er etwas vor sich hin und verließ dann ebenfalls das Zimmer.
Dieser Besuch war zum Glück nicht von langer Dauer!

Gekürzter Auszug aus "Die lange Nacht der Erzählungen"

Im nächsten Teil (3) folgt die wohl peinlichste Begegnung mit ethnisch bedingter Selbstgefälligkeit.

Tarimona
schrieb am 09.01.2021, 08:22 Uhr (am 09.01.2021, 08:23 Uhr geändert).
Hallo Kurt, also dein Erlebnis kann ich wirklich nachvollziehen. Erlebe ich auch immer wieder. Und es freut mich, das du diese Erlebnisse immer mit dem, dir eigenen Funken Humor würzt. Ich erlebe das mit verschiedenen Menschengruppen. Nicht nur mit Siebenbürgern. Was hinter so einem Verhalten steckt? Ich glaube, dadurch das wir unsere Interessen so lange als Minderheit verteidigen und behaupten mussten, ist es nicht einfach dieses Verhalten abzulegen. Es wird sogar noch ausgeweitet, auf Wasser, auf Paprika einfach auf alle Gewohnheiten die wir uns in Siebenbürgen angeeignet haben. Es ist schön, sich unserer Bräuche zu erinnern und wer möchte diese auch zu leben. Doch sollte man nie auf andere herabsehen, die das anders oder auch gar nicht tun.
Kurt Binder
schrieb am 13.01.2021, 12:29 Uhr
Gesundes Selbstbewusstsein oder peinliche Überheblichkeit? (Teil 3)

Im Teil 1 und Teil 2 meiner zur Diskussion ausgestellten Beiträge haben wir gelernt, dass der siebenbürgische Speck weitaus speckiger als sein deutscher Kollege ist, und dass der deutsche Apfel nach nix schmeckt. In diesem dritten und vorläufig letzten Teil zu diesem Thema berichte ich von einer Begegnung, in welcher ebenfalls eine "Geschmacklosigkeit" auf den Prüfstand gestellt wurde.

Zum 60. Geburtstag eines Freundes waren auch zwei schwäbische Ehepaare eingeladen. Das Gespräch steuerte bald auch auf die Siebenbürger Sachsen und ihre massive Auswanderung in die Bundesrepublik Deutschland zu. Alle Menschen, mit denen ich bis dahin über uns gesprochen hatte, waren ehrlich interessiert an unserer geschichtlichen Vergangenheit, sowie an den Ursachen, die uns bewogen haben, unsere angestammte Heimat zu verlassen. Bald kamen wir auch auf die Turbulenzen der unmittelbaren Nachkriegszeit im sozialistischen Rumänien zu sprechen, besonders auf die Übergriffe wie die Enteigmungen und Deportationen, die uns damals zu einem stärkeren Zusammenhalt genötigt hatten.

Da begann einer der Geladenen heftig gestikulierend, seine diesbezügliche Meinung in einer Weise zu äußern, die mir die Schamröte ins Gesicht trieb. Als er endlich sein Plädoyer über die überragenden Qualitäten unserer Landsleute auf allen Ebenen, selbst in kritischen Lebenslagen beendet hatte, schloss er als Krönung seiner emotional getragenen Darbietung mit den Worten:
„Ja, wir sind eben deutscher als die Deutschen!“ Dann lehnte er sich mit verschränkten Armen zurück, sah sich kampfbereit um und nickte seine Worte bestätigend mit dem Kopf.

Nun, ich überlasse es euch, die schmerzhafte Peinlichkeit jenes Augenblicks nachzuempfinden. Der Mann aber war sich gar nicht bewusst, dass er da eben eine der lächerlichsten Behauptungen in den Raum gestellt hatte - und das nicht nur grammatikalisch! Diese überhebliche These spiegelte in genialer Kurzform das, was andere in kurzsichtiger Manier mittels „deutscher Äpfel, die nach nix schmecken“, ausdrücken wollten (Teil 2). Nach der gleichen Entwertungsmethode (Teil 1) wurde auch dem armen bundesdeutschen Speck jegliche Hoffnung genommen, mit seinen kümmerlichen Maßen einem siebenbürgischen Giganten auch nur das Wasser reichen zu können!

Ich meine, dass der Ursprung eines derart überhöhten ethnischen Wertbewusstseins in einem falsch verstandenen oder ungenau interpretierten Stellenwert unsrer Ethnie im weltweiten Geschehen liegt! In diesem Sinne finde ich es für unverzichtbar, unsere Geschichte auch mal mit der anderer Völkergruppen zu vergleichen. Wohl haben wir unsere Werte, auf die wir stolz sein dürfen, aber die sollten in uns keinen Nonplusultra-Wahn keimen lassen, der unweigerlich zu einem derart verzerrten Selbstverständnis führt! Ich meine, dass das folgende Verhalten unsrer Eingliederung dienlicher wäre:

Die Gemeinsamkeiten suchen, ohne die Unterschiede als spaltenden (Über)Bewertungsmaßstab unsres status quo einzusetzen. Das Anderssein sollte nicht zu Bessersein hochstilisiert werden.

Michael5
schrieb am 14.01.2021, 13:30 Uhr
Danke, lieber Kurt, für diese Beiträge. Ich habe im Laufe der Jahre auch ähnliche Erfahrungen gemacht. Und ich vertrete auch deine Meinung, dass diese übertriebene Zurschaustellung unseres siebenbürgischen Wesens, das Besserwissen, ja sogar die moralische Zurechtweisung für Andersdenkende, für unsere Integration in die hiesige deutsche Gesellschaft nicht immer von Vorteil war und ist. Der Siebenbürger tritt gern als Moralapostel auf, findet sich und seinesgleichen als unfehlbar und seine nicht mehr zeitgemäßen Weltanschauungen und Sichtweisen auf alle anderen Gesellschaften übertragbar.
Selbst für kulinarische Genüsse glaubt er verantwortlich zu sein.
Mehr will ich dazu nicht sagen, sondern nur auf deinen letzten Abschnitt verweisen, dem ich voll zustimme:


Die Gemeinsamkeiten suchen, ohne die Unterschiede als spaltenden (Über)Bewertungsmaßstab unsres status quo einzusetzen. Das Anderssein sollte nicht zu Bessersein hochstilisiert werden.

Maikind
schrieb am 16.01.2021, 06:59 Uhr (am 16.01.2021, 07:05 Uhr geändert).
Lieber Kurt
lieber Michael5
ich finde es sehr wertvoll, dass diese Thematik offen angesprochen wird und sehe es ebenso.
Gerade auch für die junge Generation ist diese Wertewaage ein wichtiger Posten um Heimat zu finden. Vor allem Heimat bei sich selber.

Der Titel dieses Forums passt hervorragend dazu,
stelle ich gerade fest
Kurt Binder
schrieb am 24.01.2021, 13:06 Uhr

Forelle braun


Mit meinem Arbeitskollegen Hans Bottesch habe ich im Jahre 1960 eine faszinierende Gebirgstour gemacht. Sie gehörte zu den Prestigewanderungen durch die Südkarpaten Rumäniens, und war neben der traditionellen Kammwanderung durch die Fogarascher Berge, die alpine Pflichtübung jedes Siebenbürger Sachsen, nicht minder beliebt.
Unsere Wanderung begann in Petroschen, der Hauptstadt des Schiltaler Bergbaugebiets für Kohleförderung. Von hier wollten wir das Parâng-Gebirge überqueren, am Gâlcescu-See vorbei zur Obârşia Lotrului, dem Quellgebiet des Lauterbachs (rum: Lotru) steigen, und dann durch das Zibinsgebirge über den Cindrel zur Hohen Rinne wandern. Von hier war es dann nur noch eine Halbtagstour bis Răşinari - ein Bergdorf am Fuße der Zibinsberge -, von wo aus wir den „Burduf-Express“, unsere alte Straßenbahn, bis Hermannstadt nehmen konnten. Für diese anspruchsvolle Tour hatten wir 10 Tage eingeplant.
Am ersten Wandertag kamen wir bis zum Fuß des Parângul Mic, der niedrigsten Spitze des Parâng-Gebirges, wo wir in unsrem Zweimannzelt übernachteten. Am dritten Tag der Wanderung stiegen wir vom Parângul Mare, der höchsten Spitze des Massivs zum Gâlcescu-See hinunter. Dieser etwa 3,2 Hektar große, wunderschön gelegene Gletschersee mit glasklarem Wasser, den wir mittags bei strahlendem Sonnenschein erreichten, verführte uns zu einer längeren Rast. Und siehe da - im See schwammen in unmittelbarer Nähe des Ufers, durch die vom Wasser gebrochenen Lichtblitze der Sonnenstrahlen vergoldet, in majestätischer Ruhe mindestens ein Dutzend fetter Forellen vor unsren Nasen herum!
Sofort stand unser Entschluss fest: Wir wollten hier übernachten, und zum Abendbrot eine dieser schlingernden Geschöpfe fangen und sie dem von ihrem Rang in der Nahrungskette gebotenen Zweck zuführen. Für „Forelle blau“ fehlten uns allerdings die Zutaten wie Essig, Lorbeerblätter, Pfefferkörner und Zitronenscheiben, aber wir wären den Umständen entsprechend auch mit gegrillter „Forelle braun“ und Knoblauch zufrieden gewesen. Das Problem war bloß, dass diese Leckerbissen nicht bereits in der Pfanne lagrn, sondern unbedarft im See badeten. Und da kam mir urplötzlich eine brillante Idee.
„Bottesch“, sagte ich zu meinem Kumpel, der mit dichten Denkerfalten an der Stirn im Gras hockte und ins Wasser stierte, „wir müssen einen von den Fischen fangen!“
„Ausgezeichnete Idee, Binder!“, stellte er fest. „Dann bereit schon mal die Angel vor!“ Nun hatte ich bei dieser Wanderung ausnahmsweise weder eine Angel noch den Tazcheranzug dabei. Also hieß es: Improvisieren!
Aus einer Stecknadel, etwas Garn und einem dünnen Stock bastelte ich etwas, das der Karikatur einer Angel verblüffend ähnlich sah. Doch das nächste Problem meldete sich sofort an: Wir hatten keinen Köder. Nach Würmern in dem Gestein zu graben war wohl aussichtslos. Doch da schwirrten einige Fliegen um uns herum. Also musste ein Köder für den Köder her! Und dann brachte mich der Zufall erneut auf eine blendende Idee. Schon seit einiger Zeit verspürte ich ein drängendes Gefühl, das einen normalerweise am Morgen befällt. Nun, bei unserer Trockenkost war diese Verzögerung in der Endphase der Verdauung verständlich - und sie kam mir diesmal sehr entgegen.
Ich verabschiedete mich von Hans für eine Viertelstunde, und marschierte dann ein gutes Stück weiter weg vom Lagerplatz. Als ich glaubte, mich zwischen den Latschen außer Sicht- und Duftweite zu befinden, gab ich möglichst lautlos dem katabolischen Urtrieb statt. Und siehe da - im Nu schwirrten eine Menge großer, bläulich glänzender Schmeißfliegen heran und setzten sich, genüsslich schmatzend, auf das leckere Angebot.
Sofort trat ich in Aktion. Ich musste bloß die halb geöffnete Hand im Tiefflug einen knappen Millimeter über das Büfet der Fliegen sausen lassen. zupacken und schließen, bevor sie türmen konnten. Meine Fertigkeit im Fangen steigerte sich mehr und mehr, und bald hatte ich ein Dutzend dieser Brummer gefangen. Zugegeben - der engere Kontakt mit meinem leibeigenen Köder war nicht immer zu vermeiden. Doch da der Zweck die Mittel heiligte, kehrte ich mit ruhigem Gewissen zum Lagerplatz zurück.
Nach mehreren Versuchen, begleitet von unsren flehenden „Petri Heils“, und mittels der frischen, naturgewürzten Köder gelang es mir tatsächlich, eine der unterarmlangen, glitzernden Forellen aus dem See zu ziehen, die sofort und unkonventionell gebraten wurde.
Als ich Hans mitten im Mampfen stolz von meiner Köderfangtechnik berichtete, hielt er im Kauen inne und fragte mit ahnungsvoll gerunzelter Stirn:
„Binder, willst du damit andeuten, dass ich da gerade einen Fisch verzehre, der eine Fliege gefressen hat, die auf etwas gesessen hat, was kurz davor noch nicht da war?“* Das musste ich ehrlicherweise zugeben, doch ich beruhigte ihn damit, dass die Fliege vorher ja gründlich gebadet hätte.

*) Hans hatte hier den handelsüblichen Namen meines Köders für die Köder angewand, den ich aus ästhetischen Gründen leider umschreiben musste!



Kurt Binder
schrieb am 31.01.2021, 09:03 Uhr
Begegnung mit IHM

Etwa im Jahre 1967 wurde auch der „Independenţa" in Hermannstadt die hohe Ehre eines Besuchs von Seiten des geliebtesten Sohnes des Volkes zureil. Unter den Kollegen sprachen wir allgemein nur vom Ceauşică oder vom Nea Nicu.
Die Vorbereitungen für den Empfang des prominenten Gastes sind es auf jeden Fall wert, genauer betrachtet zu werden, weil sie sich streckenweise zu einem tragikomischen Sketch erweiterten, über den sich sogar die linientreuesten Mitarbeiter offen amüsierten.
Die ganze Werkshalle wurde par excellence auf Vordermann gebracht, und der Parteisekretär studierte seine Begrüßungsreden ein. Ein Problem gab es noch, und das stank im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel. Die Toiletten unsrer Abteilung waren nämlich so konstruiert, dass sie auch für Blinde auffindbar waren, weil die Duftschwaden der vielfältigen Ausdrücke persönlicher Noten wie ein Leitstrahl funktionierten. Da die Düfte aber auch in die Werkhalle hereinwallten, musste diese Invasion sofort gestoppt werden, zumindest solange, bis Genosse Ceauşescu nicht mehr in Gefahr war, durch diesen Beweis des gut funktionierenden Stoffwechsels seiner gesunden Arbeiterklasse kontaminiert zu werden. Die rettende Idee kam zwei Stunden vor dem offiziellen Besuchstermin von dem Parteisekretär unserer Abteilung, Nea Bălan. Seit einiger Zeit wurden nämlich in der Fabrik am Zibin „Flamura Roşie“ unter anderem auch Blumen aus Kunststoff hergestellt, denen mittels verschiedener Parfums ein der Blume entsprechender Duft verliehen wurde.
Und so marschierte sogleich ein Parteigenosse los, und kehrte nach einer knappen halben Stunde zurück - mit einem Dreiliter-Kanister Rosenparfüm in der Hand! Onkelchen Bălan ließ es sich nicht nehmen, diese edle Aufgabe selbst zu übernehmen. So schritt er mit ernster Miene und im vollsten Bewusstsein seiner hehren Mission persönlich durch die Aborte, und übertünchte schwungvoll die Urate an den Wänden und im Abfluss mit den wohlriechenden Ester unserer einheimischen Flora. Natürlich blieb die Toilette bis zum Ende des Besuchs für uns gesperrt. Das war nicht weiter schlimm, denn hinter der Werkhalle lag ja ein kleines braches Grundstück.
Noch während dieser Amtshandlung postierten wir uns im Spalier vor dem Tor zur Werkshalle und warteten. Ja, wir warteten, und das eine ganze Weile, denn der Besuch ließ eben auf sich warten.
Während wir warteten, lockerten sich die Reihen etwas, und die Leute machten ihrem Unmut Luft in witzigen Bemerkungen, die angesichts der unmittelbaren Begegnung nicht ungefährlich waren. Einige klangen mir sogar abfällig in den Ohren.
„Warum, zum Teufel, kommt dieser eingebildete Arrivierte nicht endlich?“ Dabei wandte er sich an mich und lachte. Ich lachte einfach zurück:
„Vielleicht hat er irgendwo angehalten, um ein Bier zu trinken. Bei dieser Hitze; jedenfalls, um ihn einmal persönlich zu sehen, würde ich auch den ganzen Tag hier warten!“ Er nickte mir zu und seufzte tief.
Endlich hörten wir großen Rumor auf der Straße vor dem Werk. Autos fuhren vor, Türen schlugen, Schritte näherten sich; wir stellten uns schnell wieder ins Spalier, beidseitig von dem Weg, über den er kommen musste. Dann traten einige dunkel gekleidete, kräftige Männer herein, sahen sich um - und dann kam ER, umgeben von einem ganzen Stab grimmig dreinschauender Gefolgsleute.
Es war unbeschreiblich. Dieser kleine Mann - er war keine 1,68 Meter groß - löste augenblicklich ein begeistertes Jubelkonzert aus. Hochrufe, skandierte Slogans mit seinem Namen vereinigten sich mit einem ohrenbetäubenden Händeklatschen zu einem exaltierten Chorus der Verzückung, die Leute sahen sich ungläubig an, lachten mit Tränen in den leuchtenden Augen - und riefen wieder und wieder seinen Namen!
Von Bildern und Plakaten kannte ihn zwar jeder, aber wenn sich derart unverhofft die Legende mit der Realität identifiziert und man diese leibhaftig und in derart greifbarer Nähe sehen konnte - das war sicher zuviel für labile Nerven. Sogar mein Provokateur von vorhin beugte sich weit über die erste Reihe hinaus, hieb sich die Handflächen wund und rief - nein, er schrie mit überschnappender Stimme unentwegt Ceauşescus Namen.
Unbeeindruckt von den hochbrandenden Ovationen blickte der so Umjubelte starr zu Boden und ging schnellen Schrittes durch das Spalier auf das Tor der Halle zu. Der Aufenthalt drinnen dauerte nicht lange. Wir wussten nicht, was dort geschah, jedenfalls kam der Gefeierte mit seiner ganzen Suite bald wieder heraus und watete gesenkten Blickes durch das tosende Spalier zurück zu seinem Auto. Er ging keinen Meter entfernt an mir vorüber, und ich hätte ihn leicht mit der Hand berühren können - was ich aber zum Glück gar nicht erst probierte, denn es wäre meine letzte Liebesbezeugung gewesen!



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