Herta Müller . Ehrung

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Knobler
schrieb am 22.10.2009, 13:40 Uhr
Noch zwei Links zu Herta Müller
Freiburg feiert die Nobelpreisträgerin Herta Müller bei ihrer Lesung

www.suedkurier.de/news/kultur/kultur/art410935,3996603

Ein Video des SWR dazu

www.suedkurier.de/videos_alt/swr/art530730,3995328?_FRAME=33
Misch 39
schrieb am 22.10.2009, 23:42 Uhr (am 22.10.2009, 23:55 Uhr geändert).
Hallo Allerseits,

@getkiss: "Ich vermisse bei Herta Müller die Aktualitätsbezogene kritische Schreibe von z.Bsp. Richard Wagner"

Dazu ein Link:Sprachdesaster und Identitätsfalle (7 Seiten)
getkiss
schrieb am 23.10.2009, 10:12 Uhr (am 23.10.2009, 10:27 Uhr geändert).
@Misch 39
Gut der Link. In dem Beitrag schreibt Wagner über etwas ganz anderes, als das was Du zitiert hast von meiner Aussage. Ich zitiere
"Die Paradoxien, denen ein Autor unterliegt, der ausgewandert ist, ohne im Exil zu leben. Der durch seine Entscheidung gleichermaßen der Provinz, dem Kommunismus, und dem rumänischen Nationalismus eine Absage erteilt hat. Und von all dem bis heu-te als Bedrohung spricht. Beharrlich und manchmal auch lustlos.
So, als müsste er ständig dementieren. Als wäre das Dementi sein Genre, egal, was er in die Feder bekommt."

Wagner schreibt in dem Aufsatz über die "Conditia" des Minderheitenschriftstellers, über seine Existenz als Minderheit "am Rande des Sprachraums", in einer "anderen" Gesellschaft/-sordnung", über seine Tendenz vom Rande in die Mitte, u.s.w. Und vergleicht das mit seiner Existenz als solcher dann in der "Mitte", zu der er schon immer tendierte.

Ich meinte aber nicht diesen herkunftbasierten Vergleich, obwohl es gültig ist, was RW hier schreibt. Ich meinte das THEMA. Ich meinte die Wahrnehmung der hiesigen Gesellschaft und IHRE KRITISCHE BEWERTUNG IM WERK.

Wenn man Wagners Beitrag liest und die Themen in Herta Müllers Literatur betrachtet, kann man ruhig behaupten:
BEI DEN THEMEN IST SIE NICHT ANGEKOMMEN.
Sie liegt dabei noch immer im Herkunftgebiet. Und sie kommt überhaupt nur hier an, weil Sie hier JETZT Kommunismuskritisch und antidiktatorial schreibt.
Das Sie das FRÜHER NICHT KONNTE; WEIL NICHT ERLAUBT ist eine andere Sache.
Hat aber NIX MIT DISSIDENZ zu tun! In so fern waren wir ja alle Dissidenten. Sie mit Ihrer Schreibe, wir mit dem ganzen Leben in der Diktatur.
Und so betrachtet, wurde Sie mindestens als Aushängeschild MISSBRAUCHT, in dem Sinne:
"Seht da, bei uns haben Minderheiten alle Rechte, auch auf Reisen in´s Ausland".
Was bei weitem nicht wahr war, nicht einmal bei den Rumänen selbst. Die waren selber, gerade so eingesperrt wie wir, wie die Ostdeutschen z. Bsp. auch.

Ergo, bleibe ich dabei, Herta Müller war keine Dissidentin und ist nicht in der Gesellschaft, in der Sie jetzt lebt, aktualitätsbezogen und kritisch. Alles bei Ihr ist Minderheitenspezifisch und in großem Maß auch selbstbezogen.
Obwohl Sie, mit Wagner urteilend, in das (Sprach-)Zentrum tendierte und (mit dem Erfolg) angekommen ist. In Toto aber nicht.
Denn fast die Hälfte der Kommentare im Forum des Spiegel fragt: "Müller WER?"
Das ist bezeichnend. Auch für diese Öffentlichkeit.

Und gerade Wagner ist der beste Beweis. Der schreibt manches aktualitätsbezogen, auf hier und jetzt, auch kritisch. Darum eben ist er nicht so herausgehoben wie Müller. Einer von mehreren, unabhängig von Herkunft.
Hat möglicherweise das "richtige" PR-Argument vergessen.
Denn PR ist bei Müller wirklich gut gemacht.
bankban
schrieb am 23.10.2009, 18:05 Uhr (am 23.10.2009, 18:40 Uhr geändert).
Es gehört (in meinen Augen, versteht sich) zu den unangemessensten und unverfrorensten Aussagen, einem Schriftsteller/einer Schriftstellerin vorzuwerfen, dass er/sie schreibt, worüber er/sie schreibt. Dabei geht es mir nicht darum, dass man ruhig fragt, warum sich ein Dichter dieses oder jenes Thema gewählt hat. Dies zu fragen, ist eine berechtigte Frage, wenngleich viele Schriftsteller antworten (würden), sie selbst seien vom Thema ausgwählt worden. Nein, was ich unverständlich finde, ist, jemandem es zum Vorwurf zu machen, er würde nur über dieses oder jenes Thema schreiben und wäre daher nicht in der Realität angekommen. Davon einmal abgesehen, dass es sehr viele Schriftsteller gibt, deren Werke immer wieder autobiographisch das gleiche Thema behandeln (I. Kertész z.B.), hat, denke ich, niemand das Recht, diese Tatsache dem Künstler anzukreiden. Die Autonomie des Künstlers besteht darin, zu schreiben, was und wie es ihm beliebt. Das mag man mögen oder nicht - hieraus derartige Ableitungen machen zu wollen, der Künstler sei in der Wirklichkeit nicht angekommen, ist deshalb vermessen, weil diese Aussage von einem Teil (künstlerisches Werk) auf das Ganze (die Integrität und Lebenswelt des Künstlers) schließt. Doch wer von uns hat schon einen authentischen Einblick in diese Lebenswelt des Künstlers, den wir nicht einmal persönlich kennen?

Der nationalkonservative, apodiktische, nur aus (unabgeleiteten) Thesen bestehende Text von R. Wagner müsste eigentlich in einem eigenen Thread behandelt und seziert werden. Doch verdient er soviel Ehre nicht.
Joachim
schrieb am 23.10.2009, 18:48 Uhr
Hallo Bankban,
Du musst nur lesen, wer diese Kommentare geschrieben hat.
Deshalb lohnt es sich nicht, darüber aufzuregen.
Gruß
Joachim
lori
schrieb am 23.10.2009, 20:03 Uhr (am 23.10.2009, 20:04 Uhr geändert).
Hallo Allerseits,

Kollege Bankban


Was Du schreibst lernt man (habe ich mir sagen lassen) im 1. Semester, Germanistik/Literaturwissenschaften! Deswegen kann ich Dir absolut zustimmen. Wir müssen jedoch auch über Personen sprechen, das geschieht in dem Moment wo ein Künstler, oder eine wie auch immer genannte berufspezifische Person(ZB. Sportler, Koch, Politiker,Moderator usw.) in die Öffentlichkeit geht! Über Herta Müller habe ich mich geäussert-politische Aussage aus meiner Sicht flasch, zumindest fragwürdig!Andere Beispiele: wenn Grass die Wiedervereinigung ablehnt, und den status quo(damalige Teilung) als Strafe für die von den Deutschen geführten Kriege anschaut, bietet er eine enorme Angriffsfläche-mit seinem Werk hat es wenig zu tun! Oder der Schlattner stellt sich vor die Mikros und sagt sinngemäss er habe Morddrohungen erhalten, daran sehe man was Literatur bewirken könne! Das geht m.E so nicht, dann muss es erlaubt sein, die Person zu kritisieren!

Gruss
Lori
Johann
schrieb am 23.10.2009, 21:07 Uhr
@getkiss

Seit wann müssen in einem freien Land Schriftsteller oder Ingenieure Aufträge erledigen?
Wer darf diese erteilen?

Während auch viele Schriftsteller sich an der Bagatellisierung des kommunistischen Unrechts beteiligen, hat Müller dieses Thema über Jahre konsequent bearbeitet.

Dieses Thema ist sehr aktuellin Deutschland!
Hast du die Bundestagswahlen nicht verfolgt

Die ehemaligen Henker und deren Apologeten haben insbesondere durch soziale Demagogie die älteste deutsche Volkspartei (SPD) demontiert und sind leider wieder salonfähig geworden.

"während Herta Müller ihren poetologischen Bezirk aus der moralischen Verhandlung der Diktatur bezieht", schreib Wagner.

Ich finde es sehr wichtig, dass sie dies tut, noch besser, dass dies so erfolgreich mittlerweile ist.

Schade ist es, dass sie nicht die kritischen Fragen zu ihrer Biographie beantwortet. Dies führt zu einem "Gschmäckle", weil sie moralisch argumentiert.
bankban
schrieb am 23.10.2009, 21:11 Uhr
"Schade ist es, dass sie nicht die kritischen Fragen zu ihrer Biographie beantwortet." - vielleicht stellen aber die falschen Leute diese Fragen... Nicht (nur) Sie, Johann, auch ich oder CG oder getkiss - wer oder was berechtigt uns, solche Fragen öffentlich zu stellen und Antworten einzufordern? Nichts und niemand - meiner Meinung nach.
Johann
schrieb am 23.10.2009, 21:15 Uhr (am 23.10.2009, 21:24 Uhr geändert).
Da bin ich anderer Meinung, zumal Müller vielen Leuten völlig zu Recht genau dieselben Fragen stellt!

Sie verliert an Glaubwürdigkeit, weil sie nicht bereit ist, auch vor der eigenen Tür zu kehren. Dabei dürften ihre Verstrickungen so groß gar nicht sein.
Sacharow oder Solschenizyn waren wahrscheinlich doch vor ihrer Dissidenz wesentlich loyaler zu dem System.

Im Gegensatz zum Naturzustand zeichnet sich eine zivilisierte Gesellschaft dadurch aus, dass man sein Handeln nicht nur vor seinem Gewissen, sondern auch von seinen Mitmenschen verantworten muss!
getkiss
schrieb am 23.10.2009, 22:59 Uhr (am 23.10.2009, 23:03 Uhr geändert).
Leute, es freute mich, Euch ein paar kritische Denkanstöße zu geben.
Ich habe ja Herta Müller überhaupt keine Fragen gestellt. Solche, wie z. Bsp. Carl Gibson stellte.
Mir muss Herta Müller überhaupt nichts antworten.

Die Fragen stellte ich an ihr Werk und beguckte Ihre Themen. Stellte fest,es gibt nur ein Thema. Und das ich keine Dissidenz feststellen kann.

Ob es mir erlaubt ist? Wieso nicht? Darf ich keine Meinung haben?
IHR könnt ja die Fragen beantworten, bzw. die Argumente wiederlegen.
Selbstverständlich darf jeder Schriftsteller sein Thema selbst wählen. Heisst, das darf nicht festgestellt werden?

Dabei kann man ruhig sagen, ad Personam, schau mal wer die Fragen stellt. Dies ist aber kein Diskussionsargument. Über das Thema, mein ich.

Johann, ich meinte gar nicht das politische Rewival der SED.
Nur zu Deiner Bemerkung, muss ich sagen, nicht die Linke hat die SPD zu dem geführt was diese Partei jetzt ist.
Das hat die SPD schön selbst gemacht.

Was Du unter aktualität verstehst meinte ich gar nicht. Im Gegensatz, das dieses Thema (das in Atemschaukel) erst in den letzten Jahren überhaupt erst zur Erwähnung gekommen. Aus PR-Sicht hat Müller dies hervorragend gemacht.
Ich meinte viele Ereignisse in unserer politischen Aktualität die ähnlich denen aus der Diktatur sind und die unsere freie Gesellschaft langsam unfrei zu machen drohen.

Wie richtig bemerkt wurde, im Banatblog, Herta Müller hat ja noch Zeit, sich diesen Themen zu widmen.

Und wenn ich Aspekte in Herta Müllers Themenwahl hervorhebe, wiederspreche ich nicht dem Thema:
Herta Müller . Ehrung
Zu Ehrung gehört Lob und Kritik.
Wer mit diesem Ansatz nicht übereinstimmt, tut mir einfach Leid, kann nicht richtig ehren. Ohne Kritik, wird aus der Ehrung Lobhudelei. Das mag wohl mit dem Zeitgeist gehen.
Mehr nicht. Große Sache, das selbe zu sagen, was alle sagen!

bankban
schrieb am 23.10.2009, 23:22 Uhr
"sondern auch von seinen Mitmenschen verantworten muss!" - ja, Johann, die Frage ist nur, wer fragt, mit welchem Impetus er fragt, welche Hintergedanken und ideologischen Intentionen von vornherein erkennbar sind etc. Auch Sie können nicht ohne weiteres, hat hier mal jemand geschrieben, Helmut Kohl auffordern, Ihnen persönlich und hier im Forum Ihre eventuellen Fragen zur Spendenaffäre oder Barschelaffäre etc. zu beantworten. (Und es geht jetzt hier nicht um die Meinungsfreiheit, sondern darum, wer man ist und welche Legitimation man hat).
seberg
schrieb am 24.10.2009, 18:31 Uhr
Einfach, billig und ein sehr beliebter Volkssport ist es, zu Ruhm gekommene Menschen plötzlich für alle möglichen Übel dieser Welt verantwortlich zu machen, bzw. sie dafür im Nachhinein zu schelten, dass sie diese Übel nicht verhindert oder zumindest tatkräftiger bekämpft haben (und somit z.B. auch keine Dissidenten genannt werden können): berühmte Physiker z.B. (A.Einstein, O.Hahn…), dass sie die Atomwaffen und den Abwurf von Atombomben nicht verhindert haben, berühmte Schriftsteller (Th.Mann z.B.), dass sie den moralischen Verfall der deutschen Gesellschaft während der Nazizeit nicht verhindert haben und…und…und…

(Übrigens: Verantwortung ist natürlich nur ein anderes Wort für Gewissen, der Ausdruck 'Verantwortung vor dem eigenen Gewissen' ein gedankenloser Pleonasmus. Gewissenhaft bzw. verantwortlich handeln kann man letzlich natürlich immer nur gegenüber seinen Mitmenschen, gegenüber wem sonst? Es sei denn man ist gläubig und meint, das Gewissen komme vom lieben Gott und nicht ebenfalls von den Mitmenschen)
Lavinia
schrieb am 26.10.2009, 10:43 Uhr (am 26.10.2009, 10:55 Uhr geändert).
Ja, Herta Müller wird vorgeworfen, immer nur über Rumänien, über die Diktatur geschrieben zu haben und ganz besorgte Menschen fragen sich, wann sie denn endlich in Deutschland ankäme und noch besorgtere Menschen haben sich gefragt, ob das wohl dafür reichen kann, eine gute Schriftstellerin zu sein. Und die noch viel, viel besorgteren Menschen fürchten darum, dass sie keine Dissidentin sei …trotz des Anschreibens gegen die Unterdrückung, ihres immer wiederkehrenden Themas.
Es wird gefordert, dass sie ihren Lebenslauf lückenlos aufdeckt, um ihr eine Berechtigung für ihre Thematik zuzuerkennen,( aber eher um sie ihr abzuerkennen??) oder, noch grotesker, sie möchte doch bitte Lebenshilfe für Jugendliche, Arbeitslose usw. leisten, möglichst auch noch synchron zum Zeitgeschehen…
Ihre Texte werden von einigen, insbesondere aus der eigenen Gemeinschaft, als Ausdruck privater Schädigung, als „in großem Maße“ selbstbezogen und keinesfalls als minderheitenspezifisch gedeutet.
(Ich stelle jetzt nicht die (berechtigte) Frage, warum dieser Umstand nicht gedeutet wird als Charakterstärke und Beharrlichkeit, sondern ihr vorgehalten wird, als Beschränktheit ihrer Thematik, als Vorwurf gilt, dass sie noch nicht in der Realität Deutschlands und der Jetztzeit angekommen wäre.)
Ja, Herta Müller ist eine jener Schriftstellerinnen, deren Texte untrennbar von ihrem Leben sind. Ihr Leben ist gleichsam die Voraussetzung für ihre Texte. Ihr persönlich Gelebtes gießt sie in literarischen Text.
Nun, Herta Müllers Texte mögen dem Betrachteten gegenüber schonungslos sein, aber sie geben die Realität wieder,( den Anpassungsdruck, den ritualisierten Alltag, die Ausgrenzung, das Ausmerzen abweichender Individualität, die soziale Kontrolle, etc) die nur allzu gern verdrängt wird unter dem Anschein von Idylle. Das Thema der rumänischen Diktatur, die Bespitzelung, die Willkür, die existentielle Angst, auch wenn sie vorbei ist, so ist sie doch noch präsent, denn die Nachwirkungen der Traumatisierungen sind noch zu spüren. In dem Hass, der Trauer, der Verdrängung und der Heuchelei. Und mit Sicherheit nicht nur bei ihr tiefe Beschädigungen hervorrief.
Wer Herta Müller heute fragt, warum sie immer noch und immer wieder auf den Themenkomplex Beschädigung zurückgreift, möchte nicht sehen, dass sie auch das tut, was gute Autoren tun, nämlich Menschen im Umgang mit staatlichen, patriarchalen, ethnischen etc. Machtstrukturen zu beschreiben. Und den Umgang mit anderen Menschen beschreibt, Menschen und deren Beziehungen, die feige, hinterhältig, kleinlich, ängstlich und mutig sind, verräterisch , egoistisch, zwiespältig und wahr sind, Menschen in denen wir uns erkennen könnten. Dieses sich nicht darin erkennen wollen ist das, wogegen Herta Müller anschreibt: gegen das Heucheln, gegen die Doppelmoral, gegen Verharmlosung, gegen den ‚Lebensraub‘ einer Diktatur.. Als Grund dafür ist, so vermute ich, vielleicht teilweise die Scham, das alles selbst gewusst zu haben, erlebt zu haben und keine „andere“ Haltung eingenommen zu haben/einzunehmen gekonnt hat. Eine Scham, die man gerne verdrängen möchte. Oder mit der man zumindest nicht face to face konfrontiert werden möchte.
Demzufolge ist die Aufforderung, die Thematik aufzugeben gleichzeitig auch eine Aufforderung, dies Thema nun endlich mal ruhen zu lassen. Es bedeutet, sich entschieden zu haben, für die Gnade des Vergessens, der Amnesie.
Sie ist aber eine dieser SchriftstellerInnen, die sich erinnern müssen. Und ich denke, dass dies für unser Bewusstsein und unsere Selbstwahrnehmung enorm wichtig ist. Auch heute, vielleicht insbesondere heute.

getkiss
schrieb am 26.10.2009, 15:17 Uhr (am 26.10.2009, 15:23 Uhr geändert).
@Lavinia:
"Wer Herta Müller heute fragt, warum sie immer noch und immer wieder auf den Themenkomplex Beschädigung zurückgreift, möchte nicht sehen, dass sie auch das tut, was gute Autoren tun, nämlich Menschen im Umgang mit staatlichen, patriarchalen, ethnischen etc. Machtstrukturen zu beschreiben. Und den Umgang mit anderen Menschen beschreibt, Menschen und deren Beziehungen, die feige, hinterhältig, kleinlich, ängstlich und mutig sind, verräterisch , egoistisch, zwiespältig und wahr sind, Menschen in denen wir uns erkennen könnten."

Das Problem wäre, wenn diese Behauptung überhaupt stimmt, genau dieses Sammelsurium von negativen Charaktereigenschaften in dem nur 2 aus insgesamt 9 positiv sind. Wenn dass die Charakteristik der Prosa von Müller wäre - was selbstverständlich m.E. nicht stimmt - dann wäre dies ein Werk voll von Verachtung gegenüber den positiven Eigenschaften der Menschen, wie:
Geradlinig, großzügig, Verrat verachtend u.s.w.
Diese Menschen gibt es zweifelsfrei.

Und wenn die Autorin des Zitats meint, in sich und anderen"Menschen in denen wir uns erkennen könnten."
solche negative Charaktereigenschaften zu entdecken,
dann muss ich (auch mich) davon distanzieren.

Es gab, auch in der Diktatur, genug mutige, wahrheitsliebende, großzügige, liebende, also positiv geartete Menschen.
@Lavinia:
"Als Grund dafür ist, so vermute ich, vielleicht teilweise die Scham, das alles selbst gewusst zu haben, erlebt zu haben und keine „andere“ Haltung eingenommen zu haben/einzunehmen gekonnt hat. Eine Scham, die man gerne verdrängen möchte. Oder mit der man zumindest nicht face to face konfrontiert werden möchte."

Die Vermutung ist falsch. Keine Courage gehabt zu haben, offene Dissidenz gegenüber der Diktatur zu praktizieren, ist kein Grund für Scham. Auch für Herta Müller nicht.
Viele geradlinige, ansonsten auch mutige Menschen, haben dafür Gründe, für die sich nicht schämen müssen: Familie, Freunde, Eltern, Kinder.
Auch solche, die schon der Diktatur entkommen, es sich trotz dem nicht erlaubten zu opponieren, aus eben den vorher genannten Gründen.

Herta Müller ist NICHT zu kritisieren, weil sie nur in der Freiheit den Mut hatte die Diktatur zu verdammen. Sie hat es getan, dass ist durchaus lobenswert. Dass heist aber keine Dissidenz. Der Terminus verlangt eben die Opposition von innen heraus. Das ist alles.

Wegen der Einreihung in die Kategorie Dissident ist ja auch nicht der Dissident verantwortlich - in diesem Falle Müller - sondern die, die diese Einreihung vornehmen, die Tatsachen und die Definition des Terminus nicht beachtend.
Lavinia
schrieb am 26.10.2009, 16:45 Uhr
UPDATE
Das Interesse an Herta Müller hat diesen Gesprächsstrang innerhalb von nicht einmal 4 Monaten auf den ersten Rang der meistgelesensten Themen gehievt und darüber hinaus, sind zu diesem Thema die meisten Beiträge überhaupt geschrieben worden. (siehe Statistik).
Entstanden als Reaktion auf den Versuch Herta Müller zu diffamieren, entwickelte er sich, teilweise begleitet von groben Unterstellungen, aber auch von Kritik über ihre Nominierung zur Nobelpreisträgerin hin zu einem Thread, in dem das getan wird, was der Titel schon von Anfang an versprach: Ehrung einer großen Schriftstellerin.

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