Herta Müller . Ehrung

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Lavinia
schrieb am 10.12.2009, 13:22 Uhr
Ein sehr interessanter Artikel über die politischen Aktivitäten von und um Herta Müller und das Interesse von zwei Geheimdiensten daran, diese zu verhindern...


"Von West-Berlin aus setzten sie ihre kritische Auseinandersetzung mit dem Ceausescu-Regime fort und nutzten die hiesigen Möglichkeiten, sich politisch frei zu betätigen. In Interviews, Artikeln und Podiumsdiskussionen machten sie ihre eigenen Erfahrungen sowie die katastrophalen Zustände in Rumänien öffentlich und nahmen an politischen Aktionen teil, in denen sie die menschenverachtende Politik Ceausescus anprangerten.

Für das MfS spielte das zunächst keine Rolle, weil nicht die DDR unmittelbar, sondern vermeintlich nur der Sozialismus rumänischer Prägung angegangen wurde. Das änderte sich, als die Exilierten schon nach kurzer Zeit ausgebürgerte DDR-Dissidenten wie Jürgen Fuchs, Freya Klier oder Wolfgang Templin kennen lernten."

www.welt.de/die-welt/kultur/article5483145/Im-Fadenkreuz-der-Geheimdienste.html



rhe-al
schrieb am 10.12.2009, 14:32 Uhr (am 10.12.2009, 15:09 Uhr geändert).
getkiss:
also, wenn es jemanden gibt, der konkret zu seinem Dasein in Ketten was literarisch sagen kann, dann ist es Bergel.
[...]
Ich habe Schlattner gelesen und auch filmisch erlebt.
Der Mann ist literarisch weit hinter Bergel - abgesehen mal vom Charakter...


Es hat in der Tat etwas mit Charakter zu tun. Ich finde auch, dass sich E. Schlattner einen ungünstigen Zeitpunkt gewählt hat um hier gegen H. Bergel zu sticheln.

Man kann sich durchaus fragen ob E. Schlattner mit diesem Essay nicht auch den Versuch unternimmt, einen „Lichtstrahl“ aus dem literarischen Strahlenkranz um Herta Müller, auf sich selbst zu lenken.

Mit der Lebenserfahrung und Lebensweisheit eines heute 76-jährigen, als Pfarrer um Läuterung und Vergebung bemüht, hätte er nicht seine „Mitfreude“ zur Nominierung Herta Müllers zum Literatur-Nobelpreis missbrauchen sollen, um im selben Atemzug gegen ehemalige Freunde, „Mithäftlinge“, welche Schlattner als Kronzeuge mehr als es nötig war belastetete, zu sticheln.

Auch hätte er überlegen sollen: Herta Müller, H. Bergel u.a. sind vor dem kommunistischen Machtapparat nicht eingeknickt, was man von Eginald Schlattner hingegen nicht sagen kann. Daher finde ich seine „Mitfreude“ doch auch etwas opportun ausgedrückt, und seinen Seitenhieb auf einige Zunftkollegen fehl am Platz .
bankban
schrieb am 10.12.2009, 14:48 Uhr
@ rhe-al:
"Man kann sich durchaus fragen ob E. Schlattner mit diesem Essay nicht auch den Versuch unternimmt, einen „Lichtstrahl“ aus dem literarischen Strahlenkranz um Herta Müller, auf sich selbst zu lenken."

Doch, bestimmt, wenngleich Schlattner auch vorher schon in dt. Sprachraum recht bekannt war.

Opportunismus? Freilich. Doch stellt sich auch die Frage, ob dies denn nicht auch für all die anderen zutrifft: Wagner, Frauendorfer, Samson und wie die alle heißen.
Bestimmt oder zumindest vermutlich.

Allerdings ist das vll. auch nicht so einfach, denn zu berücksichtigen ist, dass jetzt eben eine Nachfrage da ist, die bedient werden will. D.h. jetzt ist eben selbst das Nachrichtenblatt aus Hintertupfingen bereit, den einen oder anderen Essay über den und aus dem Umkreis von HM abzudrucken. Vor 2-3 Jahren wäre das so wohl kaum möglich gewesen. Doch heute wird in der Tat alles gedruckt, was irgendwie nur Hand und Fuß und Substanz hat. Daher plädiere ich für eine nuanciertere Sichtweise.
pavel_chinezul
schrieb am 10.12.2009, 14:52 Uhr
Hier etwas zum Thema Ehrung, speziell ehemalige Schulkollegen

www.lenauschule.net/html/nobelpreis_2009.html
rhe-al
schrieb am 10.12.2009, 14:58 Uhr
bankban:
Daher plädiere ich für eine nuanciertere Sichtweise.

Eben das war mein Anliegen, warum ich das Obige postete bankban.

Dass Schlattner auch einen Lichtstrahl erhaschen will, stört mich weniger, als das, was ich nach dieser Vermutung des Opportunismus' beschrieb.

Also lies dir das nochmals durch.
bankban
schrieb am 10.12.2009, 15:03 Uhr
Schön, dass wir uns einig sind, rhe-al!

Übrigens: meine Hand war ausgerutscht, es sollte eigentlich heißen: "plädiere für eine nuancierte Sichtweise", d.h. es sollte eben kein Komparativ aufgebaut werden; nur so nebenbei).
Robert (Administrator)
schrieb am 10.12.2009, 15:53 Uhr
In der ZDF Mediathek (Aspekte) gibt es 2 gute Beiträge über den Herkunftsort und ein Interview mit ihrem Ex-Mann Richard Wagner.
rhe-al
schrieb am 10.12.2009, 15:57 Uhr (am 10.12.2009, 15:59 Uhr geändert).
@bankban,
wenn ich schrieb:
Dass Schlattner auch einen Lichtstrahl erhaschen will, stört mich weniger, als das, was ich nach dieser Vermutung des Opportunismus' beschrieb.

dann heißt das nicht, dass ich diesen Opportunismus befürworte, es ist nur das kleinere Übel.

Wir wären uns nur in dem Falle einig,
- wenn du Hoffnung auf Vorteilserhaschung durch Diffamierung auch verwerflich finden würdest,
- wenn du, Lob-Preis und Herrlichkeit einerseits, und zeitgleich Seitenhiebe andererseits, nicht zusammenpassend fändest
- wenn du Ereignisse von der Tragweite einer Nobelpreisverleihung, nicht als Schauplatz für das Austragen von Grabenkämpfen geeignet finden würdest...

hier nur drei Punkte aus meinem Post von 14:32 Uhr und am 10.12.2009, 15:09 Uhr geändert, Liste könnte noch ergänzt werden. :)
Zwölf-Elf
schrieb am 10.12.2009, 16:37 Uhr (am 10.12.2009, 20:14 Uhr geändert).
Hier kann man die Verleihung der diesjährigen Nobelpreise gerade live verfolgen.
bankban
schrieb am 10.12.2009, 16:54 Uhr
@ rhe-al

Dass Opportinismus kein Übel sei, habe auch ich nicht gesagt. Ich wollte nur darauf hinaus, dass auch die zeitlichen Umstände berücksichtigt werden müssen. Zu all den anderen Punkten habe ich gar keine Stellung bezogen. Sie sind jedoch allesamt zustimmungsfähig, wenn denn erwiesen ist, dass Schlattner mit jenem Ausdruck tatsächlich jemanden (H. Bergel) im Sinn hatte. Ich weiß: das war die Interpretation eines meiner Vorredner. Doch vergessen wir nicht, daß Interpretationen noch keine Fakten sind.
P.s.: Und wer von beiden auch literarisch überdauern wird, steht meines Erachtens auch noch nicht fest, obwohl manche das zu wissen scheinen. Ich dagegen würde vorschlagen, diese Frage in 100 Jahren wieder zu stellen.
bankban
schrieb am 11.12.2009, 07:20 Uhr (am 11.12.2009, 07:29 Uhr geändert).
Markus Bauer: Das üble Geschäft der Securitate

http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/das_ueble_geschaeft_der_securitate_1.4152497.html

László F. Földényi: Herta Müller schreibt Kitsch

http://derstandard.at/1259281635731/Laszlo-F-Foeldenyi-Herta-Mueller-schreibt-Kitsch

Keno Verseck: Verfolger ohne schlechtes Gewissen

http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5001860,00.html
B13
schrieb am 11.12.2009, 08:40 Uhr (am 11.12.2009, 08:44 Uhr geändert).
Vielen Dank, bankban, für das Posten der immer sehr informativen Links!

Besonders beeindruckend finde ich den Bericht über den Geheimdienstoffizier, der Herta Müller bewacht hat. Interessant, das Phänomen, sich keinerlei Schuld bewusst zu sein, obwohl man einem grausamen Unterdrückungssystem diente.

Wahrscheinlich handelt es sich nicht allein um Schutzbehauptungen, die dieser Erfüllungsgehilfe des nationalkommunistischen Ceauşescu-Regimes hier zum Besten gibt, sondern es entspricht tatsächlich seinem Wertesystem, welches nur eine halbe der drei historischen Forderungen, die den Menschen politisch seit etwa 300 Jahren so wichtig sind, anerkennt: den Sozialismus. (Auch diesen nur zur Hälfte, weil er ihn mit Nationalismus mischt, wenn nicht gar: gänzlich durch Nationalismus ersetzt, wodurch überhaupt keine vitale historische Forderung übrig bliebe).

Die anderen wichtigen Säulen eines menschenwürdigen Gemeinwesens, welche in einem steten konstruktiven Ringen zusammenwirken, sind eine größtmögliche Freiheit des Individuums und die Entscheidungskraft der Demokratie.

Freiheit und Demokratie sind, so muss man feststellen, bei erschreckend vielen Menschen keine unabdingbaren Werte, sondern werden sogar als bedrohlich empfunden; - vermutlich, weil sie aus der Kontrolle geraten können.

Es geht hier also in hohem Maße auch um die Sozialisierung von Menschen und darum, welche psychisch angelegten Vorstellungsmuster, wie Gesellschaft zu sein habe, von einem Staat gefördert oder durch mediale Informationspolitik korrigiert wird.

Dass solche Individuen, wie der erwähnte Geheimdienstoffizier, die ehemalige Securitate bildeten und immer noch das weiterbestehende Machtgebilde kontrollieren, ist ja weiter nicht verwunderlich. Die Frage ist nur, wann ein Umdenkprozess, der in Rumänien längst stattgefunden hat, so erfolgreich ist, dass er sich gegen die bestehenden Machtverhältnisse durch Überzeugungskraft durchsetzt.
seberg
schrieb am 11.12.2009, 13:21 Uhr (am 11.12.2009, 13:28 Uhr geändert).
@B13: „ein Umdenkprozess, der in Rumänien längst stattgefunden hat“?

Bei wem hat dieser Umdenkprozess, der sich nur noch erfolgreich durchsetzen müsste, stattgefunden? Woraus schließen Sie das? Wo? In der Masse? Bei Eliten? Längst?

Und was heißt Umdenken: Ein früherer Securist wie Radu Tinu ist, wie man sieht, im Reden und Um-Reden sehr flexibel und schnell und also gerade auch im Denken. Um-Denken und Um-Reden aber brauchen freilich keinen langwierigen Sozialisationsprozess, sondern folgen konjunkturellen äußeren Veränderungen. Jener aber erst, der Sozialisationsprozess, der eben auch die tieferen Gewissensstrukturen, also auch das von Ihnen erwähnte Schuldbewusstsein erreichte und der sich über Generationen hinzieht, garantierte wirkliche und profunde Veränderungen der Menschen und damit der gesellschaftlichen Realität von unten nach oben und von oben nach unten.

Sie scheinen Optimist zu sein, vielleicht kann man es aber auch Visionen nennen.


PS. Zur Sozialisation gehört ja auch das Lesen von Büchern, z.B. Bücher wie jene von Herta Müller. Was meinen Sie: hat der Radu Tinu wirklich "alle Bücher von Herta Müller" gelesen? Und hat das etwas zu seiner "Sozialisation" beigetragen?
B13
schrieb am 11.12.2009, 15:59 Uhr (am 11.12.2009, 16:12 Uhr geändert).
@ seberg:

Was diesen Securitateoffzier betrifft, – dessen Namen ich gar nicht weiter nennen möchte, weil ich ihn für einen Apparatschnik halte, dessen gesellschaftsformende Rolle zu Ende gespielt ist –, bin ich der Überzeugung, dass er keine Bewusstseinswandlung erfahren wird und aufgrund seiner Biografie, sich eine solche Wandlung gar nicht leisten kann. In seinem Fall ist es wohl bequemer, er bleibt bei seiner irrigen Ansicht, im Recht gehandelt zu haben, wenn er Menschen wie Herta Müller entwürdigend behandelt hat.

Wenn dieser Mann, wie er behauptet, Herta Müllers Bücher tatsächlich gelesen haben sollte, ist es gänzlich ausgeschlossen, dass er sie auch verinnerlichen konnte. (Es sei denn, er besäße Ähnlichkeiten mit der von Ulrich Mühe verkörperten Figur im großartigen Film „Das Leben der anderen“; – möglich, aber unwahrscheinlich.)

Die Kräfte jedoch, die ein Umdenken in Rumänien verkörpern, gibt es ganz zweifelsohne. Ich wüsste jetzt keine „Kreise“ mit fortschrittlicherem Gedankengut zu nennen und glaube auch nicht, dass es dazu einer „Elite“ bedarf.

Die Sehnsüchte der Menschen sind begrifflich klar herausgearbeitet und bereits vielfach historisch gefordert worden: Demokratie, individuelle Freiheit und Sozialismus (ein Wort, das vom Staatskapitalismus östlicher Prägung scharf abgegrenzt und nachgerade als Gegenteil desselben, wie auch des Manchester-Kapitalismus aufgefasst zu werden verdient).

Zumindest als Sehnsucht wirkten diese Begriffe in der Revolte von Temeswar 1989 mit. Sie waren auch die Triebfeder für die ein halbes Jahr später brutal zusammengeprügelten Studenten der Bukarester Universität durch die Minenarbeiter aus dem Jiu-Tal, welche im Auftrag des „Diktator-Befreiungsdiktators Ion Iliescu“ auf die protestierenden Menschen mit Eisenstangen einprügelten und viele von ihnen töteten.

Für mich steht es jedenfalls fest, dass es dieses mehr oder minder artikulierte Bewusstsein für eine echte Demokratie, einen auf gerechte Umverteilung hin ausgerichteten Sozialstaat und eine größtmögliche Freiheit für den einzelnen Bürger in Rumänien gibt. Wir dürfen hier nicht den Fehler begehen, das Vorhandensein dieser vitalen Kräfte in Abrede zu stellen.

Eine Entmutigung seitens jener Menschen, die für viele, vielleicht auch nur einige, Rumänen Orientierungspunkte darstellen und wichtige Werte verkörpern (wie z.B. Herta Müller) wäre doch sehr schädlich für ihre (& unsere) … nun gut: Visionen!

Jedenfalls sind diese Visionen bereits jetzt wirksame Kräfte, während die Macht der Securitate-Netzwerke, wenn sie auch im Augenblick noch anhält und ungleich stärker ist, so doch bloß aus unterdrückter Kraft besteht, da sie keine glaubhaften Werte besitzt, im Geheimen operieren muss und nur durch Korruption und kriminelle Machenschaften gesteuert werden kann.

Wir Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben sind in der Lage diese für Rumänien und für Europa gesellschaftsrelevanten Prozesse zu unterstützen, indem wir unser Heimatland nicht kurzerhand „abschreiben“, uns darüber ereifern, was alles so im Argen liegt „im korruptesten Land Europas“ und den Menschen dieses Landes Unfähigkeit zu Reformen unterstellen, sondern tun gut daran, uns als Impulsgeber für die dringend benötigten Gesellschaftsveränderungen geschehen zu machen. – Wobei wohlmeinend kritische Töne nicht unterdrückt werden dürfen, versteht sich.

Wie das im einzelnen aussehen könnte, müsste anhand vielfältiger und konkreter Projekte dargelegt werden. Und solche Projekte finden ja auch statt, wenn ich mir die oft auf diesen Seiten vorgestellten Kooperationen vergegenwärtige, welche auf der Privatebene, durch Unterstützung der HOGs oder den Verband der SBS organisiert und durchgeführt werden.
B13
schrieb am 11.12.2009, 17:51 Uhr
@ Zwölf-Elf

Danke für den Link auf die Website des Nobelpreiskomitees, den ich auf die Seite, die Herta Müller darstellt, nochmals fokusieren möchte.

Es heißt da: „who, with the concentration of poetry and the frankness of prose, depicts the landscape of the dispossessed“, also: „welche durch die Kraft der Dichtung und der Aufrichtigkeit der Prosa, die Landschaft der Enteigneten darstellt.“

Dieser Ausspruch des Nobelpreiskomitees war ja vielfach in den Medien zu vernehmen.

Ich weiß nicht, wie Herta Müller zu dieser Formulierung, die ihrem Werk attribuiert wurde, steht. Bestimmt kann dieser Teilaspekt, – jener der Konfiskationen –, nicht ihre Themen ausschöpfend zusammenfassen.

Politisch betrachtet, kann man aber getrost sagen, dass es in all den Jahren des sog. „Kommunismus“ in Rumänien um nichts anderes ging, als den Menschen sämtlichen Besitz, ja sogar die Identität und die Heimat zu rauben.

Und den heutigen Securitate-Erben geht es darum, das damals Geraubte zu behalten und den groß angelegten Überfall auf die bürgerliche und ethnisch andersartige Bevölkerung als historisches Ereignis einzustufen, das nicht mehr zu korrigieren ist.

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