28. Oktober 2004

Radiotipp: Siebenbürger Sachsen als Pendler zwischen Ost und West

"Der Samstagabend aus dem Land" skizziert die Siebenbürger Sachsen als Sonderfall der Geschichte, als besonderes Mosaiksteinchen im zusammenwachsenden Europa. Die Sendung wird am 6. November, 21.00 – 22.00 Uhr, im zweiten Programm des Südwestrundfunks (SWR 2) in Baden-Württemberg ausgestrahlt.
250 Furcht erregende Urzeln in schwarzen Zotteln peitschen im schwäbischen Sachsenheim die Fasnet ein, und der in Stuttgart geborene Zunftmeister der Urzeln ruft sein lautes „hirräi, hirräi“. Sein Vorgänger, der 84-jährige Rudi Roth, erzählt mit vertraut rauem Akzent von der Ursula-Sage und den Agnethler Männern, die ihre Urzelnanzüge aus den Auswanderungskoffern und -kisten holten. Dieser importierte und längst in die schwäbisch-alemannische Fasnet eingebundene Brauch ist ein Beispiel für die Integration der Siebenbürger Sachsen und er macht Sachsenheim zur ersten Station der SWR-Hörfunksendung „Der Samstagabend aus dem Land“.

Von den schätzungsweise 50 000 Siebenbürger Sachsen im „Ländle“ pflegen manche noch jahrzehntelang die Verbindung zu Rumänien und schlagen damit auch Brücken zwischen Ost und West, wie der baden-württembergische Innenminister Heribert Rech im Interview betont ebenso wie die Sozialministerin aus Nordrhein-Westfalen, Birgit Fischer. In ihrem Feature für den Südwestrundfunk pendelt auch die in Schäßburg geborene Autorin Anita Schlesak immer wieder zwischen der alten und der neuen Heimat hin und her, wo sie mit dem Mikrophon ein Jahr lang Stimmen und Stimmungen, Geschichten und Schicksale eingefangen hat. Überzeugte Bleiber, heimatverbundene Auswanderer und rare Rückkehrer porträtiert sie nicht nur mit den Mitteln der Sprache. Atmosphärisch dichte Original-Töne und Klänge von Kirchenglocken wie Pferdewagen erzeugen anrührende Bilder von Menschen und Landschaften, eben „Kino im Kopf“.

Ansteckend wirkt die Begeisterung in der Stimme von Ortrun Rhein, der Leiterin des Carl-Wolff-Altenheims, wenn sie sich für ein Sterben in Würde ebenso wie für Straßenkinder engagiert. In seiner nüchternen Art erzählt Wolfgang Wittstock, Abgeordneter des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, überzeugend vom sinnvollen Leben in Siebenbürgen, das er übrigens mit dem ganzen „Wittstock-Clan“ teilt. Und wenn der Dekan der Theologischen Fakultät, Hans Klein, und seine Frau Heide am Mittagstisch von den Lücken berichten, die ausreisende Landsleute hinterlassen haben, dann steigt einem bildlich der Duft von dampfendem Käsepalukes in die Nase.

Schloss Horneck in Gundelsheim in Neckar ist Sitz des Museums, der Bibliothek und anderer Kultureinrichtungen der Siebenbürger Sachsen.
Schloss Horneck in Gundelsheim in Neckar ist Sitz des Museums, der Bibliothek und anderer Kultureinrichtungen der Siebenbürger Sachsen.

Der Verlust des Vertrauten wirkt beiderseits wie ein Schock, der Exodus ist zweischneidig: „In Siebenbürgen fehlen die Sachsen, den ausgewanderten Sachsen fehlt Siebenbürgen“, bemerkt die hiesige Volkskundlerin Beate Wild. Sie hat viele Jahre das Museum in Gundelsheim betreut und jetzt ihre Stelle quasi huckepack nach Berlin mitgenommen: als Koordinatorin der Vertriebenen-Museen. So manche Spätaussiedlerin hat zusammen mit ihrer ausgemusterten Aussteuer auch die damit verknüpften Erinnerungen ans Museum abgegeben. Dieses „ausgewanderte Gedächtnis“ wird im anderen Flügel des Deutschordensschlosses zwischen Buchdeckeln aufbewahrt, im Siebenbürgen-Institut mit seiner umfangreichen Sammlung von Transsylvanica. Das siebenbürgisch-sächsische Kulturzentrum in der Festung thront hoch über dem Neckar und ist jetzt wegen der radikalen Kürzungen des Patenlandes NRW selbst gefährdet, ähnlich wie die einsam bröckelnden Kirchenburgen im Karpatenbogen 2000 Kilometer ostwärts.

„Go east“ hieß die Devise einiger Ausgereister gleich nach dem Sturz von Ceausescu wie 850 Jahre zuvor bei den ersten Kolonisten. Eine Rückkehrerin der ersten Stunde ist Maria-Luise Roth-Höppner, die zusammen mit ihrem Hamburger Ehemann in Hermannstadt mit viel Idealismus den Verlag Hora gegründet hat. Mit zwei Koffern und ersparten 20 000 Mark hat Bernd Wagner als 22-Jähriger die Heimkehr nach Heldsdorf bei Kronstadt riskiert, wo der selbstständige Tischler und Zimmermann nun für immer auf dem großväterlichen Hof leben möchte. Mit seinen zehn Hühnern im Hof und den Schweinen im Stall rückt einem diese ländliche Idylle hörbar nah.

Die Euphorie dieser Reise in umgekehrter Richtung, wenn man als „Fremder mit Heimweh“ in sein eigenes Land zurückkehrt, kennt auch Gustav Binder, Geschäftsführer des Siebenbürgen-Instituts. Als eine Art „Entwicklungshelfer“ arbeitete er drei Jahre als Leiter der Evangelischen Akademie Siebenbürgen in Hermannstadt, bevor er wieder westwärts wanderte und nun als „Sommersachse“ die warmen Monate mit Frau und Kindern in Michelsberg verbringt, vorzugsweise zur Kirschblütenzeit.

Siebenbürgisch-sächsische Urzeln prägen inzwischen auch das Faschingsgeschehen in süddeutschen Städten.
Siebenbürgisch-sächsische Urzeln prägen inzwischen auch das Faschingsgeschehen in süddeutschen Städten.

Die einst 250 siebenbürgisch-sächsischen Ortsdialekte sind derweil hüben wie drüben fast nur noch intime Familiensprachen. Ein anheimelndes Beispiel bietet die urzellaufende Familie Henning aus Sachsenheim, in der sich Agnethler und Bistritzer Dialekt kreuzen. Was davon in den nächsten Generationen noch übrigbleibt, weiß auch Alfred Mrass, Vorsitzender der Landesgruppe Baden-Württemberg, nicht vorauszusagen. Er vertraut eher auf das traditionell starke Zusammengehörigkeitsgefühl, das manchem beim Singen des Siebenbürgenliedes Tränen in die Augen treibt. Diese „Hymne“ erklingt in der SWR-Sendung ebenso wie einige sächsische Lieder der Chöre aus Drabenderhöhe und Würzburg, die ein Bindeglied sein können zwischen den zersplitterten Landsleuten in Ost und West.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 17 vom 31. Oktober 2004, Seite 2)

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