9. September 2005

Zendersch 2005 - Aus der Sicht zweier Nachgeborener

Bewegende Tage der Begegnung in Zendersch erlebten rund 250 Gäste aus Deutschland, Österreich, den USA und Kanada beim Heimattreffen vom 5. – 8. August. Tage der Begegnung zwischen den ehemaligen siebenbürgisch-sächsischen und den heutigen rumänischen Bewohnern des Dorfes an der Kleinen Kokel, aber auch der Begegnung zwischen den Generationen. Zwei Angehörige der Enkelgeneration, Claudia Elisabeth Lisa (39) aus Wien (Großeltern Sophia Lisa, geborene Theil, und Andreas Lisa) und Natalie Nicole Glanzmann (28) aus Gmunden (Großeltern Katharina Kutscher, geborene Kappes, und Michael Kutscher), beide in Österreich geboren, nahmen an dem Heimattreffen teil und schildern in ihren (gekürzt wiedergegebenen) Berichten ihre persönlichen Wahrnehmungen.
"Habe meine Wurzeln gespürt"


Zendersch 1979. In diesem Jahr hatte ich die erste Begegnung mit der Heimat meiner Vorfahren. Ich lernte Verwandte kennen, die ich bisher nur aus Gesprächen kannte. Die Gastfreundschaft (ich erinnere mich noch lebhaft an die Büffelmilch, die wir zu kosten bekamen) relativierte so manches, was in meinem 13-jährigen Leben Bedeutung hatte. Der Blick vom berühmten Burprich, der Anhöhe, die sich so malerisch ans Dorf schmiegt, war nicht zuletzt ausschlaggebend, dass ich mich bereits damals dem Dorf und der Geschichte meiner Vorfahren verbunden fühlte und sich Heimatgefühle einstellten.
Kirche von Zendersch: Luftbildaufnahme von Georg Gerster.
Kirche von Zendersch: Luftbildaufnahme von Georg Gerster.


Die Verwandten von damals sind entweder verstorben oder konnten in den 90er Jahren nach Deutschland aussiedeln. Von diesem ersten Besuch sind einzelne Bilder und Erinnerungsfragmente geblieben, die aber mit so vielen positiven Gefühlen besetzt waren, dass ich seit langem den Wunsch hegte, noch einmal nach Zendersch zu fahren. Ich nahm also die Gelegenheit wahr und meldete mich für die Tage der Begegnung in der Erwartung an, den Geburtsort meines Vaters noch einmal zu sehen und in der Hoffnung, den einen oder anderen zu treffen, der auch meine Großeltern noch kannte. In dem siebenbürgisch-sächsischen Kontext des Treffens, das sogar in der rumänischen Zeitung und im rumänischen Fernsehen ein Echo fand, war auch die Einbindung der heutigen Bewohner - Rumänen und Zigeuner - ein wichtiger Punkt.

Das ganze Dorf und alle privat angereisten Teilnehmer waren am Samstag auf den Beinen, als der Bus in Zendersch ankam. Schon beim Aussteigen aus dem Bus bekamen wir selbst gebackenes Brot und Salz gereicht, das wir einen Moment später mit Schnaps nachspülen konnten. Keinen Schritt kamen wir voran, ohne mit einer Blume begrüßt zu werden. Einen wärmeren Empfang hätte ich mir nicht vorstellen können. Ich war auf die Intensität der Begegnung mit den Menschen nicht gefasst, nicht darauf, dass auch ich Gegenstand ihres Interesses war. Meine Freude war groß, als mir von Freunden meines Großvaters erzählt wurde, und ich viele traf, die sich noch erinnerten, wo mein Großelternhaus stand. Ich bin Verwandten begegnet und habe neue Freunde gewonnen. Und ich habe Verbundenheit gespürt, vor allem während des Gottesdienstes in den beeindruckenden Mauern der Kirchenburg, welche Zeugin so vieler festlicher Ereignisse unserer Vorfahren war, und heute teilweise der Kirchenbänke beraubt, aber, von den Sachsen mit viel Aufwand renoviert, immer noch Symbol und Wahrzeichen ist. Ich habe die starke Gemeinschaft, die Geselligkeit, den Zusammenhalt und die Spontaneität der Zenderscher erlebt. Bei der Präsentation der traditionellen Tänze der drei Bevölkerungsgruppen, die dieses Wochenende aufeinander trafen und sich auch in der Vergangenheit arrangieren mussten, waren Sachsen, Rumänen und Zigeuner alle am Roajen (Tanzplatz) versammelt und standen Seite an Seite. Es gab einen zaghaften Versuch der Annäherung, als die rumänische Tanzgruppe die Sachsen zum Tanz aufforderte, und es ihr die Zigeuner gleich taten.

Bei einem Spaziergang durch das Dorf entstanden Bilder vor meinem Auge, wie es damals wohl gewesen sein muss - spielende Kinder, der Kirchgang in den während der Wintermonate handgearbeiteten Trachten, Pferdefuhrwerke, auch die oft schwere Arbeit in den Weinbergen und am Feld. In diesen vier Tagen konnte ich mit vielen Menschen sprechen. Überall fanden sich Gruppen zusammen, wurde diskutiert, lebten Erinnerungen auf, wurde gelacht und die eine oder andere (heilsame) Träne vergossen. In Gesprächen mit Fremden habe ich oft Vertrautheit erfahren und meine Wurzeln gespürt. Diejenigen, die 1944 von Zendersch fort mussten, sind gekommen, um die alte Heimat zu besuchen, Kindheitserinnerungen aufzufrischen und das Zendersch von heute zu besichtigen; die anderen, um das Zuhause, das sie vor noch nicht allzu langer Zeit verlassen haben, wieder zu sehen, um Bekannte und Freunde zu treffen. Und wir, die nachgeborene Generation, suchen die Spuren von einem Gefühl, das uns Eltern und Großeltern vermittelt haben, von einer guten, vielleicht nicht immer leichteren aber unbeschwerten Zeit. Dabei wird es einigen schwer ums Herz beim Anblick des Elternhauses, das dem Verfall preisgegeben ist, da dessen Bewohner sich die Erhaltung nicht leisten wollen oder können. So manch einer steht gar vor einem leeren Platz oder einer Grünfläche, wo einst das Familienhaus stand. Andere können sich freuen, dass heute nette und gastfreundliche Menschen in ihrem ehemaligen Haus wohnen. Aber so unterschiedlich die Beweggründe für den Besuch in Zendersch waren, ist doch eines allen gemein: die Liebe zu und das Interesse an Zendersch, seiner bewegten Geschichte und seinen Menschen. Uns verbindet das Wissen um das gemeinsame Erbe und der Wunsch, diesem Erbe auch gerecht zu werden, wohin in dieser Welt immer es die ehemaligen Zenderscher und deren Nachfahren verschlagen hat.

Die Atmosphäre, die diese hervorragend organisierten Tage der Begegnung geprägt hat, zeigt, dass dieses Erbe sichtbar in uns weiterlebt. Zurück in meiner Wahlheimat (den Begriff Heimat muss ich für mich neu definieren und erweitern) bleibt bei mir ein starkes Gefühl der Verbundenheit mit allen Teilnehmern und ein erneuertes, gesteigertes Interesse an der Geschichte, der Kultur und den Menschen aus diesem einst glänzenden und idyllischen Dorf im Traubenland an der Kleinen Kokel zurück.

Claudia Elisabeth Lisa



Spurensuche in der Heimat unserer Vorfahren


Sechzehn Jahre liegen zwischen meinem letzten Besuch in Zendersch und der Reise zum Zenderscher Treffen 2005. Nach drei Siebenbürgenreisen mit meiner Mutter und meinem Onkel (1980, 1986, 1989) und dank vieler Erzählungen meiner Großeltern und Verwandten wurde ich für unsere Vergangenheit sensibilisiert. So war bereits vor meinem diesjährigen Siebenbürgenbesuch eine starke Beziehung und tiefe Verbundenheit mit Siebenbürgen und insbesondere mit Zendersch entstanden und in mir gewachsen. Auf dieser Basis bin ich voll von Erwartungen nach Zendersch aufgebrochen, nun als Erwachsene bewusst die Wurzeln aufzuspüren, das Großelternhaus aufzusuchen und die von weit her sichtbare Kirchenburg nochmals fotografisch aus vielen Perspektiven festzuhalten. Diese Erwartungshaltung wurde dank der umsichtigen und perfekten Organisation vor Ort, der selbstverständlichen Bereitschaft von lieben Verwandten, als Übersetzer zu fungieren, um sich zumindest ein bisschen mit Einheimischen unterhalten zu können oder dieses und jenes Verwandtschaftsverhältnis aufzuklären, mehr als erfüllt.

Das vielfältige Programm mit Gottesdienst, gemeinsamem Mittagessen im geschmückten Saal, der offizielle Akt mit der rumänischen Bevölkerung, Tanz und Musik sowie die noch unzähligen persönlichen Vorhaben und Aufträge – alles muss nach so langer Zeit eingehend besichtigt werden – haben die Zeit viel zu schnell vergehen lassen. Ebenso sind durch die langen, teils sehr spontanen und bewegenden Gespräche über die Flucht und die Zustände nach 1945 in Rumänien die Tage wie mit Lichtgeschwindigkeit verflogen. Die Eindrücke und Einblicke in mittlerweile leider historische Bräuche öffnen dennoch die staunenden Augen für diese Kultur unserer Vorfahren. Insofern lag Weinen und Lachen in diesen vier Tagen ganz eng beisammen und oft war es eine Gratwanderung zwischen diesen beiden Gefühlslagen. Der Anblick der wunderschönen siebenbürgischen Trachten, die Zenderscher Blasmusik, Chor und Männerchor, die allesamt mit viel Gefühl und Musikalität durch so manche Stunde begleiteten, auch die rumänischen Kinder und Frauen, die mit Brot und Salz aufwarteten, die vielen Begegnungen, der beruhigende Blick vom Kirchturm auf das zwischen Hügeln eingebettete Dorf und zudem die Erinnerung oder vielmehr die vermutende Vorstellung, wie es früher gewesen sein muss – das alles erfreut und bewegt das Herz sehr.

Zu den offiziellen Höhepunkten dieser Tage – Höhepunkte gab es unzählige – zählt für mich persönlich der sonntägliche Gottesdienst, in dem mit viel Mühe renovierten und in Stand gesetzten Kirchenraum. In diesen „heiligen Hallen“, wo meine Großeltern nicht nur getauft, sondern auch geheiratet haben und viele andere bewegende Momente stattfanden, selber bei einem Gottesdienst anwesend sein zu dürfen, hat mich sehr bewegt. Ebenso die am Montag aufgrund des Regens in der Kirche abgehaltene Gedenkfeier hat nicht nur bei mir Rührung hervorgerufen und gab nochmals Gelegenheit, den Raum auf sich wirken zu lassen. Weitere Begebenheiten möchte ich nicht hintanstellen: So war die Überraschung, Zeugnisse meiner Großeltern aus dem Jahr 1926 bei der „Schulbegehung“ zu entdecken, mehr als groß. Den großelterlichen Hof im Hum kannte ich zwar bereits von früheren Besuchen, war aber sehr erfreut, nicht nur den Garten, sondern auch die Wohnräume und das ganze Haus in einem sehr guten Zustand vorzufinden, um meiner Oma Positives berichten zu können.

Um nicht nur einen verklärten Eindruck von Zendersch zu vermitteln, möchte ich an dieser Stelle auch die weniger erfreulichen Dinge ansprechen, die mich betroffen gemacht haben: die beinahe permanente Präsenz von bettelnden Roma, wenn man gedankenverloren durchs Dorf schlendern möchte, besonders aber die vielen von ihnen bewohnten und leider vom Verfall bedrohten Höfe stimmen traurig. Trotz dieser wahrscheinlich sehr verklärten Eindrücke von Zendersch betrachte ich die derzeitige Dorfsituation dennoch differenziert und die Zukunft für das Dorfleben als eher ungewiss. In Summe überwiegen für mich allerdings die positiven Eindrücke, die vielen herzlichen Gespräche und die Vorstellung einer einstigen kulturellen und sozialen Hochblüte, die in der Gemeinschaft beim Treffen zu spüren war. Dieses Zenderscher Treffen hat gerade für uns Nachgeborene eine Spurensuche in der Heimat unserer Vorfahren ermöglicht und gleichzeitig ein unstillbares Interesse, noch viel mehr über Kultur, Alltag, Bräuche und Geschichte zu erfahren, geweckt. Besonders die Anwesenheit und die Berichte von Zeitzeugen, die auch die Flucht erlebt haben, haben dazu beigetragen, dass diese Tage unvergesslich bleiben.

Natalie Nicole Glanzmann


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