17. Mai 2002

Trotz finanzieller Engpässe: Südostdeutsche Musikkultur beherzt fortgeführt

Sechs beinahe wolkenlose Frühlingstage in den Löwensteiner Bergen - da konnte die 17. Musikwoche der Gesellschaft für Deutsche Musikkultur im Südöstlichen Europa (GDMSE) vom 1. bis 7. April eigentlich nur gelingen. Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen wie immer Werke deutscher Komponisten aus dem Südosten Europas, wobei Siebenbürgen und das Banat zwar den Schwerpunkt bildeten, jedoch nicht ausschließlich vertreten waren.
Im Abschlusskonzert in der gut besuchten Weinsberger Johanniskirche war die bekannte Psalmvertonung „Wie der Hirsch schreit“ des Kronstädter Komponisten Rudolf Lassel (1861-1918) zu hören (Orgelsolo: Franz Metz), außerdem der 1. Psalm von Johann Lukas Hedwig (1802-1849). Auch er wirkte lange Zeit in Kronstadt. Vaclav Pichl, der Verfasser einer hier gespielten Es-Dur-Sinfonie, war eine zeitlang als Geiger und Vizedirigent in Großwardein tätig. Franz Koringer, von dem zwei Pannonische Tänze aufgeführt wurden, ist hingegen im multiethnischen Towarischewo im ehemaligen Jugoslawien geboren. Koringer war Mitglied der GDMSE und öfter bei Musikwochen zu Gast. Er starb vergangenes Jahr. Solisten in den wahrlich balkanisch anmutenden Pannonischen Tänzen für vier Blockflöten und Streicher waren Elke Theil, Monika Lück, Marcus Zibrowius und Annemarie Rupp.
Unter der energischen Leitung des Öhringer Musikpädagogen Marco Lechler agierte der Chor wohl überzeugender als bei jeder Musikwoche zuvor - was sicher auch an der großen Zahl guter Sängerinnen und Sänger lag, die u.a. die Gesangsdozentin Renate Dasch für die Musikwoche gewonnen hatte. Sie und ihr Mann Hans Dasch sowie Bettina Meltzer, Beate Wunder und Reinhard Streckel glänzten auch als Solisten. Das vom routinierten Pädagogen Harald Christian einstudierte Orchester bewältigte die unbekannten Werke mit Bravour. Der jüngste Mitspieler saß mit Oliver Christian übrigens an der Trompete - er ist erst acht Jahre alt. Die Notenausgaben zu diesem Konzert waren von Frieder Latzina und Franz Metz, dem Vorsitzenden der GDMSE, erstellt worden.
Im Dozentenkonzert der Musikwoche, das im schönen, aber leider spärlich besuchten Konzertsaal „Hospitalkirche“ in Schwäbisch Hall stattfand, standen Werke von Paul Richter, Sigismund Todutza und Hans Peter Türk auf dem Programm. Die Verknüpfung dieser drei Komponisten war sinnfällig, denn der große Kronstädter Meister Paul Richter (1875-1950) hat in Hans Peter Türk - der ebenfalls in Kronstadt seine Grundausbildung erfuhr - seinen Biografen gefunden. Sigismund Todutza (1908-1991), einstmals Rektor der Klausenburger Musikhochschule, ist wiederum der wohl entscheidende Lehrer für Hans Peter Türk gewesen. Türk ist heute selbst Professor an der Musikakademie „Gheorghe Dima“ in Klausenburg.
Alle Werke des Abends, selbst Paul Richters fröhlich-schlichte Haussonate G-Dur op. 111 (mit Wolfgang Meschendörfer, Flöte; Harald Christian, Violine; Ilse Herbert, Cello und Liane Christian, Klavier), waren hervorragende Beispiele für die hochstehende, in Deutschland kaum bekannte Musikkultur Siebenbürgens und Rumäniens. Harald und Liane Christian brachten mit sinfonischem Gestus Paul Richters groß angelegte Violinsonate C-Dur op. 89 zum Klingen, Ilse Herbert und Gerda Türk gestalteten ergreifend und selbst höchst ergriffen Hans Peter Türks Werk „Anders rinnt hier die Zeit“ (angelehnt an die Siebenbürgische Elegie) und Sigismund Todutzas Cellosonate. Dieses Werk aus den 50er Jahren, bislang nicht gedruckt und vom Komponisten später offenbar verworfen, war vielleicht der Höhepunkt des Abends - eine glückliche Verknüpfung von quasi-improvisatorischen Elementen im rumänischen Volkston und strengen Kompositionsprinzipien, wie sie Todutza lehrte und schätzte.
Für ein Konzert in der Evangelischen Tagungsstätte Löwenstein konnte kurzfristig (und unterstützt vom Münchener Ehepaar Prof. Dr. Karl und Dr. Agnes Homann) die Temeswarer Pianistin Wanda Albota gewonnen werden. Die 21-Jährige hat bereits zahlreiche Preise gewonnen (u.a. einen ersten Preis beim Carl-Filtsch-Festival 2000). Wanda Albota präsentierte sich in Werken von Beethoven, Chopin und Ravel als voll ausgereifte Künstlerin mit fabelhaften technischen Fähigkeiten, unbändiger Energie und einer Vorliebe für farbige Klanggebung. Der Applaus wollte nach dem letzten Ton kein Ende nehmen.
Die Evangelische Tagungsstätte Löwenstein war in dieser Woche von morgens bis abends mit Musik gefüllt: Man hörte Geigen und Bratschen (betreut von Harald Christian), Celli (unter der Obhut von Ilse Herbert), Klaviere (Dozentin: Liane Christian), Holzbläser aller Couleur (unterrichtet von Bärbel Tirler) und einige nicht zu überhörende Trompeten (Dozent: Johannes Killyen). Dazu zahllose Gesangsstimmen, die sich im großen und in kleineren Ensembles (betreut von Renate Dasch) oder im Jugendchor (Gertraud Winter-Sailer) zusammen fanden, außerdem unermüdliche Tänzer (betreut von Bettina Meltzer). Natürlich gab es an mehreren Abenden Gelegenheit, einstudierte Werke auch der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die täglichen Morgenandachten, gehalten von Marianne Danek, boten als Gegenpol zu Trubel und Ausgelassenheit Raum für Besinnung und Einkehr. Die Gesamtleitung und Organisation lag in den Händen von Wolfgang Meschendörfer und Johannes Killyen.
Wie in den Jahren zuvor war es um die finanzielle Lage der Musikwoche nicht glänzend bestellt, doch wäre es ohne Hilfe der HOG Kronstadt, der HG Hermannstadt sowie der landsmannschaftlichten Kreisgruppen Heilbronn und Crailsheim noch schlimmer gekommen. Trotz der latent schwierigen Lage hat sich die GDMSE, die als Nachfolgerin des Arbeitskreises Südost im aufgelösten IDMO (Institut für Deutsche Musik im Osten) ein schweres Erbe anzutreten hatte, jedoch behaupten können. Die wissenschaftliche Tätigkeit soll - neben Publikationen im Gehann-Musik-Verlag, in der Edition Südost und im Musiknoten-Verlag Latzina - künftig wieder erweitert werden. Einmal ist bislang eine Zeitung mit Informationen über die (nicht nur) deutsche Musikkultur im südöstlichen Europa erschienen - und bei diesem einen Mal soll es nicht bleiben.

Johannes Killyen



(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 8 vom 15. Mai 2002, Seite 7)

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