21. Juni 2002

Siebenbürgische Geschichte und Landeskunde - eine bleibende Aufgabe

In feierlichem Rahmen wurde am Pfingstsonntag in Dinkelsbühl dem Pädagogikprofessor Dr. h.c. Walter König (Reutlingen) der Siebenbürgisch-Sächsische Kulturpreis 2002 verliehen. In seiner Dankesrede beleuchtete König die aktuelle Situation der wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen in Gundelsheim. Er appellierte an die Gemeinschaftsverantwortung, an das bürgerliche Engagement der Siebenbürger Sachsen, um das Kulturzentrum zu erhalten und weiter mit Leben zu füllen. Die Rede, die aus gesundheitlichen Gründen von der Gattin des Geehrten, Elisabeth König, vorgelesen wurde, wird im Wortlaut abgedruckt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Landsleute! Ich danke dem Kulturpreiskommitee und den Landsmannschaften der Siebenbürger Sachsen in Deutschland und Österreich für die Ehrung, Herrn Dr. Tontsch für die freundliche, wohlwollende Laudatio und dem Barockensemble "Transylvania" für die beeindruckenden Beispiele siebenbürgischer Musik. Ich kann leider nicht spontan auf das Gesagte reagieren, und das schmerzt einen alten Lehrer sehr. Und so bin ich nicht sicher, ob das vorweg Formulierte die Situation trifft, aber sicher fehlt ihm die einem solchen Anlass angemessene persönliche Note - der Originalton fehlt. Mit einer Ehrung ist immer auch die Sache, die Aufgabe gemeint, um die sich der Geehrte bemüht hat - und auf diese Sache, auf die Aufgabe möchte ich kurz Ihren Blick lenken und für sie werben. Meine wissenschaftliche und kulturpolitische Tätigkeit ist vom Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde nicht zu trennen, alle anderen Ämter und Funktionen haben sich daraus ergeben, und deshalb stelle ich diesen Aufgabenbereich in den Mittelpunkt.
Prof. Dr. h.c. Walter König erhielt den Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis 2002. Foto: Josef Balazs
Prof. Dr. h.c. Walter König erhielt den Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis 2002. Foto: Josef Balazs


Hört man die Berichte in den Mitgliederversammlungen des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde und liest die Mitteilungen aus dem Siebenbürgen-Institut (das seit 1992 die Siebenbürgische Bibliothek mit angeschlossenem Archiv, das Dokumentationszentrum, die Forschungsstelle und Zentrale zur Koordination des wissenschaftlichen Austauschs umfasst), so spürt man eine große Spannung: einerseits Rekordzahlen und beachtliche Erfolgsmeldungen, andererseits erhebliche Sorgen.

Einerseits:
- Die Siebenbürgische Bibliothek ist auf über 62 000 bibliographische Einheiten angewachsen und hatte im Jahr 2001 beachtliche 9 922 Benutzer, davon 704 Fernleihen.
- In den Publikationsreihen des Arbeitskreises sind bisher 97 Bände erschienen, und darüber hinaus gibt es noch weitere Publikationen außerhalb der Reihen.
- Es gibt feste grenzüberschreitende Kooperationsvereinbarungen und Beziehungen zu über 100 Einrichtungen des wissenschaftlichen Bereichs in Rumänien.
- Es gibt eine beeindruckende Zahl von Forschungsprojekten, und es gibt international besetzte Tagungen, Sitzungen der elf Sektionen und eine aktive Rumänien-Abteilung...

Solide Grundlagen geschaffen

Es ist dem Vorstand und der engagierten Leitung gelungen, das Siebenbürgen-Institut personell, organisatorisch und finanziell auf solide Grundlagen zu stellen, der Erwerb des Hauses in der Schloßstraße ist seit langem schuldenfrei. Andererseits aber gibt es angesichts des Rückzugs der öffentlichen Hand aus der Förderung immer wieder neue Sorgen. Zurzeit sind die Sicherung der gewachsenen Einheit der in Gundelsheim ansässigen Einrichtungen, die Standortfrage des Siebenbürgischen Museums und die Anbindung des Siebenbürgen-Instituts an die Universität Heidelberg Probleme, die alle bewegen. Eines ist sicher, ganz gleich wie die Lösung aussehen wird: Angesichts der Finanzlage und der Tendenz der öffentlichen Hand sich aus Förderungen zurückzuziehen, wird eine Sicherung der Existenz dieser wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen nicht ohne unsere Solidarität und Unterstützung, nicht ohne Opfer möglich sein. Dafür wurden z. B. der Verein "Freunde und Förderer der Siebenbürgischen Bibliothek" und die "Stiftung Siebenbürgische Bibliothek" ins Leben gerufen.
Elisabeth König trug die Dankesrede des Geehrten vor. Foto: Josef Balazs
Elisabeth König trug die Dankesrede des Geehrten vor. Foto: Josef Balazs


Voraussetzung für die Solidarität und Unterstützung ist ein deutliches Bewusstsein der bleibenden Aufgabe: Siebenbürgische Landeskunde, siebenbürgische Geschichte und Erhaltung der Kulturgüter als dauerhafte Verpflichtung.

Ich sehe unsere Aufgabe als eine dreifache:
- Erstens die zentrale Aufgabe: Dokumentation (was nicht dokumentiert ist, wird vergessen) und aktive Forschung (Anstoß, Durchführung und Koordination von Forschungsvorhaben) sowie kritische Begleitung dessen, was, besonders in Rumänien und Ungarn, über Siebenbürgen publiziert wird. Wir haben uns immer bemüht, Siebenbürgen als historisch-geographische Einheit zu sehen, unsern Blick nicht auf die Siebenbürger Sachsen zu beschränken, aber natürlich bilden ihre Geschichte und Kultur einen Schwerpunkt unserer Arbeit. - Es geht nicht darum, die Geschichte Siebenbürgens oder der Siebenbürger Sachsen (völlig) neu zu schreiben; das wäre vermessen. Wir stehen bei unserer Arbeit immer sozusagen auf den Schultern der Altvorderen. Aber es gibt jeweils neue Quellen, neue Aspekte und Gesichtspunkte, die einbezogen und bedacht werden müssen. Dabei wäre mein persönlicher Wunsch: die angemessene Berücksichtigung der Schul- und Bildungsgeschichte, auch wenn im Arbeitskreis die Lehrer längst nicht mehr die Rolle spielen wie im alten Landeskundeverein. Die Bedeutung von Schule und Bildung für die (sprachlich-kulturelle) Identität, für die Kontinuität und Qualifikation der Siebenbürger Sachsen, aber auf für die Region, kann kaum überschätzt werden. Dabei dürfte nicht vergessen werden, dass es auch heute deutschsprachige Schulen und Abteilungen in Siebenbürgen gibt.
- Das Zweite ist: Wir müssen durch unsere Publikationen und Veranstaltungen den Siebenbürger Sachsen in Deutschland und in Österreich Hilfen bieten, die siebenbürgisch-sächsische Herkunft als einen Aspekt ihrer Identität zu bewahren, diese Herkunft nicht ganz abzustreifen. Das bedeutet, bei voller Integration das Siebenbürgisch-Sächsische als eine Facette der Identität zu bewahren - nicht als Verengung, sondern als Erweiterung des Horizonts.
-Und drittens: Wir müssen der deutschen Öffentlichkeit, also den Binnendeutschen, immer wieder deutlich machen, dass es in diesem Teil Europas 850 Jahre deutscher Geschichte gibt, die Teil der (allgemeinen) deutschen Geschichte ist und in die gesamtdeutsche Geschichte einbezogen werden muss.
Für die Landsleute in Siebenbürgen hat unsere Arbeit sowohl direkt als auch indirekt Bedeutung: durch intensive Kontakte, durch Kooperation in Projekten und auf Tagungen, durch Vermittlung von Hilfen - und vielleicht auch durch die Ergebnisse unserer Arbeit.

Junge Generation entdeckt Siebenbürgen

"Mit der Jugend in die Zukunft" lautet das Motto des diesjährigen Heimattags. Es ist in den letzten Jahren gelungen, die Mitgliederzahl des Arbeitskreises zu erhöhen und den Altersdurchschnitt zu senken - vor allem durch Zuzug aus Rumänien. Auch in der aus eigener Initiative, aus spontanem Interesse entstandenen engagierten Gruppe "Studium Transylvanicum" überwiegen die Mitglieder, die ihre Schulzeit in Rumänien verbracht haben. Ich habe die Hoffnung, dass die Generation der Enkel (über die Familiengeschichte) die Großeltern und damit Siebenbürgen entdeckt, und es stimmt hoffnungsvoll, dass zunehmend Nicht-Siebenbürger über Studium, persönliche Kontakte, über Reisen und Literatur Siebenbürgen als ein interessantes Themengebiet entdecken, vielleicht sogar als ein faszinierendes Stück Geschichte, an dem man modellhaft bestimmte Erkenntnisse gewinnen kann.

Im November des vergangenen Jahres fand am Siebenbürgen-Institut erstmals ein Diplomanden- und Doktoranden-Kolloquium statt, bei dem 27 junge Forscher aus 7 verschiedenen Ländern über ihre Arbeiten und Forschungspläne berichteten. Dem Institut sind über 80 junge Menschen aus zehn Ländern bekannt, die an einer wissenschaftlichen Qualifikationsarbeit über ein einschlägiges Thema arbeiten. Das stimmt hoffnungsvoll. Nach dem Historiker Thomas Nipperdey sind "Neugier, Skepsis (und) Erbe" die "drei Momente, die in unserer heutigen Welt und Seelenlage angemessenen erstrebenswerten Umgang mit Vergangenheit charakterisieren. Sie stehen in Spannung und Widerspruch zueinander, schränken sich ein und halten sich im Gleichgewicht... Das verhindert, dass daraus eine Ideologie wird, noch eine."

Bürgerliches Engagement für Gundelsheim

Es geht (also auch) um unser Erbe. Der geschichtlich-kulturelle, politisch-soziale Begriff des Erbes, gar des nationalen Erbes, spielt in unserer Sprache keine Rolle. Unsere Schwierigkeit mit dem Erbe hängt mit unserer jüngsten Vergangenheit zusammen. Aber Geschichte ist auch Erbe, Historiker sind auch Sachwalter des Erbes. Wir leben aus Tradition und Erbe, wir haben nicht alles selber gemacht. Wissenschaft kann Erbe bewahren, reflektieren und präsentieren. Eine der Tugenden, die man den Siebenbürger Sachsen nachsagt, ist die Gemeinschaftsverantwortung, die Orientierung am Gemeinwohl. Die besonderen Leistungen erbrachten die Siebenbürger Sachsen nicht als Einzelne, sondern als Gruppe. Und an diese Gemeinschaftsverantwortung, an das bürgerliche Engagement möchte ich auch im Blick auf unsere wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen, die zurzeit in Gundelsheim untergebracht sind, appellieren.

Das zeitliche Engagement war für mich nicht möglich ohne das Verständnis meiner Familie, und dafür möchte ich meiner Frau, einer Nicht-Siebenbürgerin, ganz herzlich danken. Zum Schluss möchte ich sagen: Es hat Spaß gemacht und macht Spaß, und es bleibt die Aufgabe, das anderen zu vermitteln. Es gibt auch eine positive Ansteckung, und als Pädagoge vertraue ich auf die ansteckende Wirkung von Engagement und Interesse. Ich danke Ihnen.

Bericht über die Preisverleihungen in Dinkelsbühl: Pioniere, kreative Köpfe, Gelehrte, Siebenbürgische Zeitung-Online, 5. Juni 2002

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